Von der Leyens "EU-Außenminister" Borrell: Russophober Kalter-Krieger mit Hang zu Insidergeschäften
von Pierre Lévy, Paris
Am 7. Oktober fand im EU-Parlament die Anhörung für den künftigen "EU-Außenminister" statt. Der dafür designierte Kandidat, Josep Borrell, erntete am Ende seiner "Anhörung" stehende Ovationen durch die EU-Abgeordneten. Von allen Mitgliedern der Kommission, deren Einstand für den 1. November geplant ist, hat der designierte Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik geradezu Begeisterung ausgelöst, während viele seiner nominierten künftigen Kollegen mehr oder weniger heftiger Kritik ausgesetzt waren.
Der spanische Politiker, der vom Europäischen Rat im Juli ausgewählt wurde, um den Posten Nr. 3 in der EU einzunehmen, ist nicht gerade ein Neuling im Politikgeschäft. Mit seinen 72 Jahren hat er eine lange Karriere hinter sich, die in der Spanischen Sozialistischen Partei (PSOE) begann und reich an diversen früheren Ministerposten ist. Seinen derzeitigen Posten als Außenminister der Regierung von Pedro Sánchez wird er in wenigen Tagen verlassen. Und von 2004 bis 2007 war er auch bereits einmal Präsident des EU-Parlaments.
Dies mag ein gewisses Wohlwollen seiner ehemaligen Kollegen erklären, die sich durch seine früheren kleinen Missgeschicke in keiner Weise in Verlegenheit bringen ließen. Etwa unlängst seine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro wegen Insidergeschäften – das war im vergangenen Jahr – oder sein notgedrungener Verzicht auf den Vorsitz in der PSOE (und damit potentiell der Regierungsübernahme) im Jahr 1997 aufgrund von Steuerhinterziehungsskandalen, die ja aber "nur" seine Mitarbeiter betrafen. Während die EU-Parlamentarier zwei Kommissionskandidaten – aus Rumänien und Ungarn – wegen wohl geringfügiger anmutender "Interessenkonflikte" ablehnten und manch andere Kandidaten wegen ähnlicher Verdachtsmomente zumindest tadelten, forderten sie Herrn Borrell nicht einmal dazu auf, umgehend sein Aktienportfolio (mit Anteilsscheinen des Energiekonzerns Iberdrola, des Chemiekonzerns Bayer-Monsanto und anderer) zu verkaufen.
Solch Großmut lässt sich vielleicht durch die Darlegung seiner neuen Prioritäten für die Zukunft erklären, welche die EU-Abgeordneten offensichtlich begeisterte. Ganz vorn steht natürlich seine harte Haltung gegenüber Moskau. Er beharrte insbesondere darauf, dass eine Aufhebung der Sanktionen ja nun gar nicht in Frage käme. Das ist nicht verwunderlich für einen Mann, der vor einigen Monaten verkündete, dass "Russland, unser alter Feind, wieder einmal eine Bedrohung geworden ist", eine Äußerung, die prompt einen diplomatischen Zwischenfall mit Moskau provozierte.
Zwar ist dies für die EU keine 180-Grad-Wendung. Aber selbst der derzeitigen Amtsinhaberin, der Italienerin Federica Mogherini, wurde immerhin noch regelmäßig unterstellt, dem Kreml gegenüber zu nachsichtig zu sein, insbesondere von Seiten der östlichen Mitgliedsstaaten. Letztere sind natürlich hocherfreut über die Ankündigung dieses designierten EU-Außenbeauftragten. Ebenso bekundete er seine Absicht (wie viele andere vor ihm), die Art und Weise der außenpolitischen Entscheidungsfindung künftig zu ändern: Seiner Meinung nach sollte sie keine Einstimmigkeit mehr erfordern. Eine solche Entwicklung ist zwar – nach jetzigem Stand – eher unwahrscheinlich, denn sie würde immerhin noch die Zustimmung aus allen Hauptstädten erfordern, aber sie sagt viel aus über die Ambitionen der EU-Führungsriege.
Und das nicht nur in Bezug auf Russland. Herr Borrell betonte, die Union müsse jetzt lernen "die Sprache der Gewalt zu sprechen", um sich als globale Macht zu behaupten. Es wäre deshalb wünschenswert ihre militärischen Fähigkeiten zu stärken, insbesondere durch den Einsatz von EU-Battle-Groups. Diese multinationalen Kampftruppen wurden zwar schon 2004 geschaffen, aber noch nie eingesetzt. Kurzfristig ist diese Perspektive auch aus Gründen unterschiedlicher Interessen und Strategien zwischen den Mitgliedsstaaten nicht realistisch, aber eine solche Erklärung gibt für die Zukunft den Ton an. Zumal Herr Borrell nicht versäumte, auch noch darauf hinzuweisen, dass all dies tatsächlich aus dem als "Europäische Friedens-Fazilität" (Guten Morgen, George Orwell!) bekannten Fonds finanziert werden kann, derzeit läppische 10,5 Milliarden Euro.
Für Herrn Borrell hängt die Glaubwürdigkeit der EU in erster Linie von ihrer Fähigkeit ab, der Ukraine gegen den "russischen Expansionismus" zu helfen, ebenso dem Balkan, den er als "Ostgrenze" und "Priorität für unsere Außenpolitik" bezeichnete. Der zukünftige Hüter der europäischen Diplomatie kündigte daher an, das Ziel seiner ersten offiziellen Reise würde das Kosovo sein. Dies ist umso bemerkenswerter, weil Spanien als eines der wenigen EU-Länder, das die im Jahre 2008 erklärte Unabhängigkeit dieser Provinz nicht anerkannt hat. Kosovo hatte sich bekanntlich dank der Bombardierung durch die NATO – samt EU-Staaten – im Jahr 1999 von Serbien abgetrennt. In Madrid hat man grundsätzlich Vorbehalte gegenüber solchen Unabhängigkeitserklärungen, weil es zu stark an katalanische separatistische Forderungen erinnert. Aber der Versuchung einer EU als künftig wirklich "globaler Macht" kann man offenbar nur schwer widerstehen. Jedenfalls erinnert die von Borrell angekündigte Priorität an jenen Satz, den Bernard Kouchner vor zwanzig Jahren formuliert hatte, wonach "Europa in Pristina (der Hauptstadt des Kosovo) beginnt". Unterschwellig bedeutet dies eine echte europäische Integration kann nur auf Krieg beruhen.
Richtig zu großer Form aufgelaufen, erwähnte der spanische Minister dann natürlich auch noch die Einwanderung in die EU: "Der Andrang der afrikanischen Jugend stellt eine Chance für Europa dar", erklärte er – für die Profite europäischer Unternehmer insbesondere, versteht sich.
Wäre man böswillig, könnte einen solch ein Drang nach Globalisierung an einen Satz erinnern, den er bereits vor einem Jahr mal losgelassen hatte. Er beklagte damals vor Studenten die Schwierigkeiten bei der Vereinigung Europas – im Vergleich zu den Vereinigten Staaten, denen das doch so leicht gefallen sei: "Es reichte ihnen, vier Indianer zu töten", meinte er lachend. Er entschuldigte sich später. Und ihm wurde auch schnell vergeben, denn diese faszinierende historische Analyse kam ja schließlich nicht von irgendeinem "Populisten" oder rechtsextremen Führer.
Insbesondere bestand Herr Borrell darauf, seinen Hass auf "Nationalismus" und jegliche Grenzen zu erklären. Auch das ist eine nicht gerade harmlose Aussage. Denn eine Entität, die für sich keine Grenzen anerkennt, nennt man genau genommen – ein Reich.
Angesichts der vielschichtigen, geradezu existenziellen Krise der EU, schien der künftige Hohe Vertreter sich für die Flucht nach vorne entschieden zu haben, und das Stiefelknallen im EU-Parlament erschallen zu lassen. Das hat wirklich stehende Ovationen verdient.
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