Schöne neue Arbeitswelt bei Peugeot: Polnische Leiharbeiter statt französische Vertragsarbeiter

Empörung in Frankreich über den Autobauer PSA (Peugeot). Der hatte polnische Leiharbeiter in sein nordfranzösisches Werk herangeschafft, um die Nachfrage nach Nutzfahrzeugen zu bewältigen – obwohl dort noch viele Beschäftigte in Kurzarbeit waren. Nun rudert der Konzern zurück.
Schöne neue Arbeitswelt bei Peugeot: Polnische Leiharbeiter statt französische VertragsarbeiterQuelle: Reuters © Pascal Rossignol/Reuters

von Pierre Lévy

Der Fall hat zu Recht Aufsehen erregt: Am 11. Juni gab PSA (Peugeot Société Anonyme) die Ankunft von 531 polnischen Mitarbeitern im Werk Hordain (Nordfrankreich) bekannt. Es ging darum, die Nachfrage nach Nutzfahrzeugen zu bewältigen, die im Rahmen der Lockerungsmaßnahmen wieder stark anstieg. Die Geschäftsleitung des Automobilkonzerns deutete auch die mögliche Ankunft von Arbeitskräften aus spanischen Standorten an.

Der Aufschrei folgte umgehend – im Werk selbst natürlich, aber auch weit darüber hinaus. Bislang hatte PSA in solchen Fällen örtlich ansässige Zeitarbeiter angeworben, die auch jetzt mit einer Wiedereinstellung rechnen konnten. Ihnen wurde nun aber gesagt, dass sie bei Wiederaufnahme der Produktion mit einer dritten Schicht zuhause bleiben müssten, obwohl 230 von ihnen in dem Werk regulär noch unter Vertrag waren, wenn auch in Kurzarbeit.

Angesichts der wachsenden Wut und Empörung – und angesichts des Schreckgespenstes des "polnischen Klempners", der 2005 zum Sieg des "Nein" über den europäischen Verfassungsentwurf beigetragen hatte – legte der Wirtschaftsminister dem Vorstandsvorsitzenden der PSA-Gruppe, Carlos Tavares, diskret nahe, dass es klug wäre, den Rückwärtsgang einzulegen. Das hatte sogar Erfolg: Am 13. Juni war zu erfahren, dass der Hersteller endlich seine "üblichen" Zeitarbeitskräfte in Anspruch nehmen werde und teilweise auf den "Import" von Arbeitskräften aus seinem Werk in Gliwice (Südpolen, ehemals Gleiwitz in Schlesien) verzichte.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind nun mehrere Anmerkungen erwähnenswert. Zunächst natürlich die Schädlichkeit der "Entsendung von Arbeitnehmern" – ein Begriff, der in Brüssel zur Bezeichnung der vorübergehenden Beschäftigung von Personal aus einem anderen EU-Land verwendet wird. Diese zum Sinnbild für diese EU gewordene Praxis ist so unerträglich, dass sie zwar sogar mehrfach geregelt wurde – aber als Prinzip bestehen bleibt: Die Arbeitnehmer werden innerhalb der Europäischen Union in Konkurrenz zueinander gebracht. Es versteht sich von selbst, dass beispielsweise die Unternehmer in Frankreich auf der Suche nach "Einsparungen" vor allem Arbeitskräfte aus osteuropäischen Ländern suchen.

Offiziell muss zwar die Entlohnung mit der von einheimischen, lokal beschäftigten Arbeitnehmern identisch sein, aber mindestens die Sozialversicherungsbeiträge entsprechen denen des Herkunftslandes – ein Unterschied, der westlichen Arbeitgebern offensichtlich gefällt. Man sollte auch noch hinzufügen, dass die Bereitschaft dieser Arbeitskräfte, Forderungen zu erheben, nicht genauso ausgeprägt ist, wenn man – wenn auch auf freiwilliger Basis – für einige Monate Tausende von Kilometern von seiner Heimat in ein Land versetzt wird, dessen Sprache und Arbeitskampftraditionen einem unbekannt sind.

Die Leitung von PSA behauptet ihrerseits, dass sie durch ein solches Vorgehen keinerlei Einsparungen erzielt. Sie wollte wahrscheinlich nur helfen, den touristischen Charme des französischen Nordens bekannt zu machen...

Sie wagt es sogar, von angeblicher "industrieller Solidarität" zu sprechen, da einige ihrer polnischen Mitarbeiter ja derzeit unterbeschäftigt seien. Dies ist ein neuerliches Kunststück der Verdrehung und sogar der Umwertung der Sprache. Der französische Präsident hatte schon einmal solche Umwertungen mit den Wörtern "fortschrittlich" und "Souveränität" versucht. Der hier jetzt verwendete Begriff der "Solidarität" bezieht sich normalerweise auf die gemeinsamen Kämpfe innerhalb der Arbeitswelt und wird nun zur Umschreibung der Profitinteressen des Kapitals benutzt.

Eine zweite Bemerkung betrifft die Praxis vor allem großer Konzerne, die Leiharbeit auszuweiten und praktisch zur Normalität werden zu lassen. Theoretisch ist dies für Fälle plötzlicher und vorübergehender Zunahme der Arbeit vorgesehen. Aber tatsächlich wird sie ständig auf ganz normale und vorhersehbare Produktionserfordernisse ausgeweitet. Und dies mit dem Ziel, eine "flexible" Belegschaft zu haben, deren Entlassung am Ende nichts mehr kostet. Sobald sich die Wirtschaft verlangsamt, werden zunächst die Zeitarbeitnehmer (und die mit befristeten Verträgen) nach draußen geschoben. So ist es nicht mehr notwendig, mühsam einen Sozialplan auszuhandeln. Und das Ganze geschieht folglich, ohne Aufsehen zu erregen.

Diese stetige Zunahme des Prekariats ist zweifellos eine der brutalsten Ausdrucksformen des sozialen Krieges, den die Mächtigen gegen die Arbeitswelt der Lohnabhängigen führen. Im Fall von Hordain wäre es weitaus schwieriger gewesen, die Einheimischen durch polnische Arbeiter zu ersetzen, wenn alle Arbeiter unbefristete Verträge gehabt hätten.

Die dritte Beobachtung betrifft das eigentliche Prinzip der "Mobilität" von einem EU-Land zum anderen – eine "Mobilität", die seit langem als Vorteil angesichts der Arbeitslosigkeit angepriesen wird. In Brüssel hat man jahrelang nicht an Werbekampagnen gespart, indem beispielsweise stets die "Chancen" für einen rumänischen Arbeitnehmer hervorgehoben wurden, einen Arbeitsplatz etwa in Irland zu finden. Für junge Menschen, fügte die Kommission zynisch hinzu, sei dies eine großartige Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln. Und viele politische Kräfte haben diese "Freizügigkeit von Personen" gelobt, die untrennbar mit dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital – die von Geburt an zur Wirtschaftsgrundlage der Europäischen Union seit 1958 gehören – verbunden ist.

Tatsächlich ist es der Konzernleitung nicht verboten, eines Tages französische Mitarbeiter nach Polen oder anderswohin zu entsenden, wenn PSA aus Gründen der Dringlichkeit und Rentabilität dies für richtig halten würde. Dann wäre diese kontinentale Mobilität erreicht, die sich die Befürworter der "Vereinigten Staaten von Europa" erträumt haben – ganz nach dem Vorbild ihres Modells jenseits des Atlantiks, sich ständig von einem Ende des Kontinents zum anderen bewegen zu müssen, je nach den "Arbeitsmöglichkeiten", die hier oder dann eben dort geboten werden.

Schließlich ist es noch wichtig, die Folgen für das Bewusstsein derjenigen zu beachten, die auf diese Weise in Konkurrenz zueinander gebracht werden. Natürlich sind die polnischen Arbeitnehmer in keiner Weise für die Strategie der Unternehmensleitung verantwortlich. Aber wie sollte man die Verzweiflung, die Erbitterung und die Wut hunderter Familien nicht verstehen, die sich oft in unsagbaren Schwierigkeiten befinden und die mit einer Wiedereinstellung rechneten und die nun sehen müssen, wie polnische Mitarbeiter "an ihnen vorbeiziehen"? Es ist ihnen schwer zu verdenken, dass sich ihr Groll zuerst gegen diese wendet.

Das "Abenteuer Europa" sollte nach offiziellen Bekundungen die Menschen einander näher bringen. Wieder einmal wird die Integration zum entgegengesetzten Effekt beitragen – zu mehr Konkurrenz und Ressentiments zwischen ihnen. Das "soziale Europa" hört nicht auf, seine "paradiesischen" Aussichten schonungslos zu offenbaren...

Am 28. Juni wird die erste Runde der polnischen Präsidentschaftswahlen stattfinden. Vielleicht könnte man vorschlagen, dass der Herr des Élysée-Palastes, der in Frankreich zum Klang der Europahymne gewählt wurde, dort seine Kandidatur erklärt. Ein Fünf-Jahres-Zeitvertrag in Warschau – als entsandter Arbeiter –, wäre das nicht etwas, Emmanuel?

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