Dysfunktion der Macht um Acht: Die Bundespressekonferenz als Abbild unserer Scheindemokratie
von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
Die Bundespressekonferenz (BKP) in Berlin ist ein untypischer Verein von Journalisten. Er lädt Kanzler, Minister, Regierungssprecher sowie die Spitzenvertreter von Wirtschaft und Gesellschaft dazu ein, auf seiner Bühne Rede und Antwort zu stehen. Während im Ausland Medienleute üblicherweise von den politisch Mächtigen einberufen werden und deren Informationen in Empfang zu nehmen haben, sollte es in Deutschland genau andersrum vonstattengehen: Journalisten erfragen eigenständig Auskünfte von ihren Gästen, Nachrichten werden offen erarbeitet, nichts wird "off the records" durchgestochen, nichts im Hinterzimmer gekauft oder als Auftragsbotschaft vergeben. Falls dieses Konzept je funktioniert hat, so kann heute davon keine Rede mehr sein. Die BPK ist zum Demonstrationsort programmierter Regierungsverlautbarung und journalistischer Rückgratlosigkeit verkommen.
Die versammelten Repräsentanten von Presse, Funk und Fernsehen – wenige Ausnahmen bestätigen die Regel – lassen sich in der BPK Woche für Woche von Politikern und speziell von den Regierungssprechern ebenso abspeisen, wie man quengelnde Gören mit Gummibärchen abwimmelt.
Das verbale Manna des Staatssekretärs Steffen Seibert und seiner Gefolgschaft aus den Pressereferaten der Ministerien besteht meist aus einem Gemisch von Halbwahrheiten, Desinformation, Schönfärberei, faulen Ausreden und Auskunftsverweigerung, dargereicht in bleiernen Floskeln und in einer verklemmten, steifen Atmosphäre. Die Auftritte der beamteten Sprechautomaten sind an Schamlosigkeit und Arroganz kaum zu überbieten. Spürbar reden sie oft wider besseres Wissen und letztlich daran interessiert, sich ihre Posten zu erhalten.
Ein Blick auf den gepflegten Rahmen: Die BPK hat ihren Sitz im Pressehaus am Schiffbauerdamm 40 in Berlin. Die Etage ist angemietet, das Gebäude gehört der Allianz Versicherung AG. Um recht zu bewerten, was sich dreimal wöchentlich im Raum 0103 abspielt: Da sind bei weitem nicht alle rund 920 BPK-Mitglieder versammelt, sondern üblicherweise höchstens zwei Dutzend Personen, meistens Reporter der Nachrichtenagenturen und der Neuen Medien. Die Stallwache eben. Die Funkhäuser, auch das ARD-Hauptstadtstudio, sind per Standleitung zugeschaltet, ihre Mitarbeiter selten persönlich anwesend. Diese benutzen lieber die eigene Kriechspur zu den Regierenden und bedürfen selten des Umwegs über die BPK.
Rein formal betrachtet, könnte die Bundespressekonferenz ein Garant für gelebte Demokratie und Grundgesetzlichkeit sein. Ihre Journalisten könnten als eingetragene Mitglieder des BPK-Vereins realisieren, was Verfassungsrechtler als entscheidend hervorheben:
"Die unerlässliche Voraussetzung für das Funktionieren der repräsentativen Demokratie bildet daher eine jedem Bürger zugängliche Berichterstattung über alle politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge und Entscheidungen, die dem Einzelnen seine individuelle politische Partizipation und Urteilsbildung erst ermöglicht. Diese verantwortungsvolle Aufgabe wird von den Massenmedien wahrgenommen, deren demokratischer Hauptauftrag es ist, jedem Bürger die Handlungsabläufe in Staat und Gesellschaft zur Kenntnis zu bringen und transparent zu machen."
Noch mal zum Nachschmecken: "Verantwortungsvolle Aufgabe, von den Massenmedien wahrgenommen" ist es, "die Handlungsabläufe in Staat und Gesellschaft transparent zu machen"? Ja freilich, schön wär's!
Politische Urteilsbildung und Teilhabe bedürfen nicht nur der Vermittlung aller interessierenden Fakten, sondern auch eines funktionsfähigen Debattenraumes. Nachrichtenanbieter wie ARD-aktuell hätten der Öffentlichkeit nicht nur zu vermitteln, was offiziell — beispielsweise in der BPK — verlautbart wird. Sie müssten ihr Publikum auch über die zugehörigen unterschiedlichen Meinungen informieren, damit es die jeweiligen Positionen gegeneinander abwägen kann:
Durch die Veröffentlichung der politischen Debatten in Parlamenten, Parteien und Interessensgruppen, aber auch durch eigene Kommentierung derselben, sollen die Medien zur Meinungsbildung der Bürger beitragen. Denn nur solche Themen, die in den Massenmedien diskutiert werden, können in einer breiten Öffentlichkeit wirksam werden und im Idealfall – so die urdemokratische Grundidee der Pressefreiheit – der vernünftigsten Meinung zum Durchbruch verhelfen.
Trefflicher lässt sich nicht beschreiben, woran es der Tagesschau und ihren Geschwistern im Geiste fehlt: am diskussionsoffenen Horizont. Unsere Medien verzichten auf Eigenständigkeit, sie driften im Mainstream, sind Teil desselben und verbreiten Einheitskost. Sie prägen uniformierte Denkmuster im Sinne der vorherrschenden Politik. Nicht nur die Tagesschau-Sendungen sind darauf ausgerichtet, das Empfinden und Denken ihres Publikums zu uniformieren.
Die Nachrichtensendungen sind Produkte eines Konglomerats von journalistischen Institutionen, Verlagen, Sendeanstalten, politischen Gremien, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessengruppen, die sich allesamt selten oder nie für die gesellschaftliche Aufklärung ihrer Adressaten engagieren. Vielmehr stützen sie ein krisenanfälliges, ungerechtes, aggressives, der Mitwelt schädliches kapitalistisches System, das einer ausschließlich am privaten Gewinn orientierten Zielsetzung dient. Die Methodik: Informationen auslassen, beschönigen, Feindbilder aufbauen, Scheindebatten anstoßen und führen, den Mächtigen eine Plattform bieten und als ihre allenfalls scheinkritischen Meinungsmultiplikatoren agieren.
Was sich als Informationswesen tarnt, ist tatsächlich eine eingefahrene, reibungslos funktionierende Anlage für sanfte, aber permanente und wirksame Gehirnwäsche. Die Quittung dafür ergibt sich aus Umfragen, die von den kritisierten Medien selbst in Auftrag gegeben werden. Sie erkennen den Mainstream-Medien nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung noch einige Glaubwürdigkeit zu. Wer die demoskopisch ermittelten Ergebnisse allerdings unter die Lupe nimmt, stellt fest: Weniger als die Hälfte der Bevölkerung hält die Medien für unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Ein Offenbarungseid wäre fällig.
Am ehesten wird noch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den überregionalen und regionalen Tageszeitungen so etwas wie tradierte Glaubwürdigkeit zugebilligt. Aber auch dabei sind 60 Prozent der Befragten der Ansicht, dass unerwünschte Meinungen in der Berichterstattung ausgeblendet werden. Ebenso viele gehen davon aus, dass Vorgaben für die Berichterstattung gemacht werden – vor allem von Seiten der Regierung oder staatlicher Stellen, von der Wirtschaft oder von führenden Parteien.
65 Prozent, also zwei von drei Befragten, sind der Ansicht, dass Journalisten nicht immer sagen dürfen, was sie wirklich denken (ein Manko, das stromlinienförmige deutsche Journalisten gern ihren russischen Kollegen ankreiden). Zwei Drittel fordern eine tiefergehende Berichterstattung: In ihren Augen sollten die Medien Sachverhalte nicht zu sehr vereinfachen oder stereotyp darstellen (66 Prozent) und mehr auf die Folgen der Entscheidungen von Politikern eingehen (61 Prozent). Die Mehrheit wünscht sich zudem mehr Transparenz in den Medien – die sollten die Herkunft ihrer politischen Informationen kenntlich machen. Die Hälfte der Deutschen wünscht sich, dass die Medien ihnen und ihren Alltagssorgen mehr Aufmerksamkeit schenken. (ebd.)
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht mit seiner Berichterstattung nicht besser da als die kommerziellen Sender. Substantielle Abweichungen zeigen sich nicht. Die rundfunkbeitragspflichtigen Angebote unterscheiden sich allenfalls dank seriöserer Präsentation, geschmackvollerer Krawatten ihrer Selbstdarsteller – und dank ihrer jahrzehntealten Darbietungsriten (Tagesschau-Gong), die gleichzeitig das Signal zum Öffnen des Sechserpacks oder der Weinflasche liefern.
Noch bietet die BPK Journalisten beide Möglichkeiten: Sie können mittels Fragen und Nachfragen an politische Spitzenvertreter sowohl ein realistisches als auch ein illusionäres Bild von politischen Prozessen einholen und verbreiten. Wer diese Chance nutzen will, muss lediglich Mitglied im Verein "Bundespressekonferenz e. V." sein. Der Mitgliedsbeitrag ist erschwinglich. Geleitet wird die BPK e. V. von bekannten Profis der Mainstream-Medien, u. a. von Stephan Detjen, Chefkorrespondent im Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks; der Mann fiel nur selten wegen kritischer Distanziertheit gegenüber der Regierung auf.
Untrennbar verbunden mit der BPK und gleichzeitig wichtiges finanzielles Standbein des Vereins ist der "Bundespresseball", ein gesellschaftliches Großereignis, das seit fast 70 Jahren von den Journalisten organisiert wird. Rund 2.500 namhafte Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur werden dazu eingeladen. Machthaber, Prominente und Journalisten feiern buchstäblich Arm in Arm bei Sekt, Wein und lockerem Geplauder. Das erzeugt Nähe und gegenseitiges Verständnis.
Die Big Band der Bundeswehr sorgte 2018 für den musikalischen Unterhaltungsrahmen. Für die BPK kostenlos konnten somit die Promis im Dreivierteltakt schwofen: NDR-Intendant Lutz Marmor, WDR-Chef Tom Buhrow, ARD-aktuell-Sternchen Caren Miosga oder der bourgeoise Flügel der Linkspartei mit Arrivierten wie Katja Kipping und Caren Lay. Mit auf dem Parkett: Altbundeskanzler Schröder, der Grüne Cem Özdemir, Entwicklungshilfeminister Müller, Hessens Ministerpräsident Bouffier – alle, alle kommen gern zum Wohlfühlfest der Meinungs-Mafia.
Gesponsert wird das "Event" vom deutschen Geldadel: "Platin-Partner" Daimler, "Gold-Partner" und mächtiger Finanzdienstleister BNP, "Silber-Partner" Deutsche Post, Facebook, Krombacher. Zum Dank posiert auch schon mal Regierungssprecher Seibert vor den Werbeplakaten dieser Partner und ermöglicht reklameträchtige Pressefotos. Davon gibt es reichlich, und alle Beteiligten haben etwas davon, jeder auf seine Weise. Der Ball wird traditionell von zwei Paaren eröffnet: mit einem Tänzchen der Bundespräsidenten-Gattin, geführt vom obersten BPK-Journalisten; der Bundespräsident schwenkt derweil die Gattin des BPK-Vorsitzenden übers Parkett.
Ein harmloses Vergnügen mag das nennen, wer sich selbst gern in die Tasche lügt und die Symbolkraft und Bindewirkung solcher Ereignisse unterschätzt: Exponenten von Politik und Medien Arm in Arm. Gehobenes Gesellschaftsleben in einer Atmosphäre von Geld und Geltung. Chapeau! Prösterchen! So sieht sie aus, die Unabhängigkeit unserer Journaille von Politik, Wirtschaft und Kapital: Man kennt sich, man schätzt sich, man amüsiert sich miteinander. Weit abgehoben vom Volk, dem man ja dienen sollte, und das die ganze Chose letztlich bezahlt.
In der steuerbefreienden Satzung der BPK wird in § 3 als Zweck des Vereins vorgegeben,
Pressekonferenzen zu veranstalten und seinen Mitgliedern Möglichkeiten einer umfassenden Unterrichtung der Öffentlichkeit zu verschaffen. Soweit es dazu erforderlich erscheint, vertritt der Verein auch die Interessen seiner Mitglieder. Er verfolgt jedoch keine eigenwirtschaftlichen Interessen.
Viele BPK-Verläufe zeigen allerdings nur die Unvereinbarkeit von Wollen und Wirklichkeit. Entweder sind die Regierungsvertreter nicht zu sachdienlichen Auskünften und Antworten bereit – der Hausherr und gastgebende Vorstand der Bundespressekonferenz duldet in aller Regel auch ihre dreisten Unverschämtheiten – oder die versammelten Medienvertreter geben wichtige Informationen nicht an die Öffentlichkeit weiter, weil sie dem Tendenzvorbehalt ihrer Auftraggeber entgegenstehen. Manchmal liegt das informationelle Defizit auch daran, dass es der Reporterschar an sachdienlichem Vorwissen für geeignete Nachfragen mangelte.
Hinzu kommt das häufig geringe Interesse der Mitglieder am Angebot der BPK. Das hat den vormaligen Sprecher des Außenministeriums, Dr. Martin Schäfer (er ist heute Botschafter in Südafrika), sogar schon mal zu der Bemerkung veranlasst:
Herr Vorsitzender, wenn Sie erlauben, würde ich zunächst erst einmal gern sagen, dass es jedenfalls mich persönlich – ich spreche nur für mich – ganz schön traurig macht, vor welch leerer Kulisse wir hier sitzen. Wenn ich es richtig sehe, ist hier noch nicht einmal mehr eine Nachrichtenagentur vertreten.
Der spürbaren Wechselwirkung zwischen substanzfreier Verlautbarung der Regierungsvertreter und fehlendem journalistischen Engagement in solchen Pressekonferenzen brauchen wir wohl nicht auf den Grund zu gehen. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass sich spannende Informationen und Rückschlüsse gerade dann ergeben könnten, wenn unnachgiebig und treffsicher fragende Journalisten keine aufrichtigen Antworten von den Regierungsoffiziellen bekommen, ein sichtbarer Ausdruck der Missachtung des Informationsanspruchs der Öffentlichkeit. Solche Momente haben ihren ganz eigenen Informationswert.
Als in dieser Hinsicht vorbildlich sollen hier die hartnäckigen Fragen der Kollegen Tilo Jung (Jung & Naiv) und Florian Warweg (RT Deutsch) genannt sein. Gäbe es diese beiden und die Videoübertragungen ihrer Aktivitäten nicht, würde kaum jemand die Verbalakrobatik erkennen, mit der die Politvertreter die Mainstream-Journalisten verladen und den Informationsanspruch des Publikums ignorieren. Auch die ARD-aktuell schweigt sich vornehm über dergleichen Schweinereien aus. Den Nachrichtengehalt, der solchen Vorfällen innewohnt, übersieht sie geflissentlich.
Warweg und Jung – jeder auf seine Weise und mit eigener Präferenz – scheuen sich nicht, Leerformeln, Verlogenheit und Arroganz der staatlichen Repräsentanten öffentlichkeitswirksam bloßzulegen. Wie bedeutsam ihre Arbeit für die Meinungsbildung der Bürger ist und auf welch großes Interesse sie stößt, haben zum Beispiel die Millionen-Klicks des Rezo-Videos "Die Zerstörung der CDU" gezeigt; in dem Streifen spielt auch die BPK ihre übliche Rolle.
Davon drei Kostproben.
Am 19. Mai hatte Donald Trump dem Iran per "Twitter" die Vernichtung angedroht:
Wenn der Iran kämpfen will, dann wird das das offizielle Ende Irans sein. Drohen Sie nie wieder den Vereinigten Staaten!
Mehrere Journalisten fragten in der BPK die Vertreter des Auswärtigen Amtes und des Kanzleramtes, ob es zu dieser Drohung eine deutsche Stellungnahme gebe. Der Sprecher des Außenministeriums verneinte und rechtfertigte die erstaunliche Zurückhaltung so: Man wolle den Konflikt zwischen dem Iran und den USA nicht weiter anheizen, außerdem kommentiere man keine Tweets des US-Präsidenten.
Auf die naheliegende Frage, warum die Bundesregierung sich in diesem Fall zahm gebe, während sie bei vergleichbaren iranischen "Vernichtungsdrohungen" gegenüber Israel unverzüglich mit harscher Verurteilung reagiere, blieb der Sprecher des Auswärtigen Amtes die Antwort schuldig und wiederholte lediglich: "Wir sind gegen verschärfende Rhetorik". Und die Sprecherin des Kanzleramts echote ebenfalls nur: Man kommentiere die Trump-Tweets nicht.
Erst auf erneute Nachfrage des RT-Reporters ließ sich die Frau zu der "Erklärung" herbei, die Situation sei im Hinblick auf Israel nicht vergleichbar: Der Aufruf zur Vernichtung Israels sei für die Bundesregierung völlig inakzeptabel und zu verurteilen. Auf den Einwand, die Staatsführung des Iran habe nie von einer Auslöschung Israels gesprochen, sondern immer nur – man kann das werten, wie man will – von der "Vernichtung des zionistischen Regimes", während Trump tatsächlich die Vernichtung eines Staates androhe und damit auch das Leben der Bevölkerung Irans meine, erwiderte die Sprecherin der Kanzlerin inhaltlich nichts.
Spätestens in diesem Moment hätte der gastgebende BPK-Leiter einhaken und deutlich machen müssen, dass es auf einer Sitzung der BPK üblich sei, auf sachliche Fragen auch sachlich zu antworten. Er unterließ es jedoch, gegen die regierungsamtliche Arroganz einzuschreiten. Es bleibt der peinliche Eindruck: Den BPK-Herrschaften geht es nicht in erster Linie um eine "umfassende Unterrichtung der Öffentlichkeit" (§3 der BPK-Satzung), sondern eher um das Wohlwollen der Regierungsvertreter.
Nicht minder die Reaktion der ARD-aktuell: Zwar wurde über den Trump-Tweet in der Hauptausgabe der Tagesschauberichtet, aber mit keinem Wort die doppelzüngige Stellungnahme der Merkel-Regierung in der BPK erwähnt. Das offenkundige Motiv: Chefredakteur Dr. Gniffkes regierungsfromme Qualitätsjournalisten wollten "Mutti" Merkel vor öffentlicher Kritik schützen und ließen zu diesem Zweck Doppelstandards gelten. Ergebnis: Gedanklicher Nachvollzug der regierungsüblichen Rektalvisiten bei US-Präsident Trump sowie Kritiklosigkeit gegenüber der Regierung Israels einerseits, andererseits Hinnahme des passiven, teilnahmslosen Schweigens angesichts der verbalen US-Attacke auf den Iran.
Wie wenig selbstkritisch Dr. Gniffkes Qualitätsjournalisten sind, wird im Vergleich ihrer Berichterstattung über die deutsche BPK mit der über die Pressekonferenzen des russischen Staatspräsidenten Putin deutlich. "Bloß keine Nachfrage!" höhnen sie über ihre Moskauer Kollegen und bezichtigen sie konformistischer Berufspraxis und fehlender Courage. Volksweisheit:
Wer anderen in der Nase bohrt, ist auch ein Schwein.
Am 17. Juni 2019 problematisierten "die üblichen Verdächtigen" in der BPK deutsche Waffenexporte an die Jemen-Kriegsverbrecher Ägypten und Vereinigte Arabische Emirate, VAE. Der Hintergrund: Waffenlieferungen in Konfliktregionen und an nicht zur NATO gehörende Kriegsbeteiligte sind nach deutschem Recht unzulässig. Fragen an den Regierungssprecher Steffen Seibert:
"Waffen im Wert von 800 Millionen Euro an Ägypten sowie im Wert von 200 Millionen Euro an die VAE: Kann es sein, dass Ägypten und die VAE aus Sicht der Bundesregierung einfach keine 'unmittelbar Beteiligten' sind, Herr Seibert? Dann würde das alles ja Sinn ergeben. (ab 25’:05”) – Kann uns ein Ministerium sagen, wer die 'unmittelbar Beteiligten' im Jemen-Krieg sind? – Werden wir jemals erfahren, wer aus Sicht der Bundesregierung die 'unmittelbar Beteiligten' im Jemen-Krieg sind? Ich frage das hier seit anderthalb Jahren, Herr Seibert; das wissen Sie. – Sie sagten, dass die Antwort mit den unmittelbar Beteiligten unter anderem in Kleinen Anfragen beantwortet worden wäre. Könnten Sie uns die nachreichen? Könnten Sie sagen, wo wir das finden können? (ab 36’:07”)
Ich würde gerne wissen, ob es in den letzten zwölf Monaten überhaupt einen Einzelfall gab, in dem negativ entschieden wurde, was das Thema 'Jemen-Krieg/Beteiligte/Waffenexporte' angeht."
Seibert behauptete wider besseres Wissen eine restriktive Praxis bei der Waffenexport-Genehmigung und verwies im Übrigen auf seine Geheimhaltungspflicht. Der gastgebende BPK-Veranstaltungsleiter schwieg dazu, anstatt festzustellen, dass eine so umfassende Geheimhaltungspflicht hinsichtlich der Waffenexporte nicht besteht und rechtlich auch nicht zu begründen wäre; er forderte Seibert nicht dazu auf, seine Antwortverweigerung zu überdenken.
Immerhin zeigte diese Pressekonferenz besonders anschaulich, wie mit beharrlichen und nicht beantworteten Journalisten-Fragen indirekt aufschlussreiche Informationen vermittelt werden können, was der Regierungssprecher sicher gern ausgeschlossen hätte. Nicht nur, wenn es um die blutigste und schmutzigste Art von Geschäften geht, nämlich um den Verkauf von Massenmordwerkzeug ans Ausland, erweisen sich führende Repräsentanten der Politik als Vertuscher, Lügner, als Auskunftsverweigerer und als unseriöse Weißwäscher.
Der Musterfall demonstriert darüber hinaus, wie wenig BPK-Vorstandsvertreter bereit sind, die Bemühungen ihrer kritischen Journalisten zu unterstützen:
Herr Jung, ich verstehe, dass Sie die Antwort möglicherweise nicht zufriedenstellt, das müssen Sie leider so hinnehmen.
Ach ja? Musste er? Oder hätte der Konferenzleiter und Gastgeber nicht vielmehr dem Regierungssprecher erklären müssen: "Herr Seibert, Sie sind hier zu Besuch, ich muss Sie bitten, sich entsprechend zu benehmen?" Und: "Wenn Sie nicht die Absicht haben, begründete Fragen sachlich zu beantworten, dann sitzen Sie im Augenblick auf dem falschen Platz!"
Jung & Naiv ließ allerdings selbst nicht locker und entlarvte zwei Tage später auf der nächsten Pressekonferenz die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer als rechthaberische Servierdame von "Fake News":
"... am Montag wollte ich noch wissen, wie viele Rüstungsexportgenehmigungen letztes Jahr abgelehnt wurden. Da hatte Herr Seibert so getan, als ob das geheim sei. Jetzt schreiben Sie heute selbst davon, dass letztes Jahr 88 Anträge auf das Ausführen von Rüstungsgütern abgelehnt wurden, was einem Wert von 39,43 Millionen Euro entsprochen habe. Gleichzeitig hat man letztes Jahr Rüstungsgüter im Wert von 4,8 Milliarden Euro ausgeführt. ... Da steht: Es gab 11.100 positive Genehmigungen. ... 0,8 Prozent der Anträge auf Rüstungsexporte werden also von der Bundesregierung abgelehnt. Jetzt sagen Sie ja immer wieder, dass Sie eine restriktive Rüstungspolitik machen. ... Herr Seibert sagte hier noch am Montag: 'Wenn man jeden Antrag genehmigte, könnte man kaum von einer restriktiven Politik sprechen.' Das haben wir doch! Sie genehmigen 99,2 Prozent aller Rüstungsexporte. ... Wenn Sie 99,2 Prozent aller Sachen akzeptieren: Das ist doch nicht restriktiv! (ebd., ab 44’:17”)."
Auch aus dieser brisanten Phase einer Bundespressekonferenz ließ die ARD-aktuell kein Wort an die Öffentlichkeit gelangen. Ausführlich berichtete sie hingegen aus der Veranstaltung, dass dort über die geplanten Änderungen der Grundsteuer keine Informationen gegeben worden seien. Eine Nullnummer.
Derartige Nachrichten-Gewichtung belegt journalistische Ignoranz und Inkompetenz. Sie ist Betrug am Informationsanspruch der Öffentlichkeit. Der Betrugsvorwurf ist angebracht, schließlich zahlt diese Öffentlichkeit die Rundfunkgebühr nicht in der Absicht, sich mit Informationsluschen abfertigen zu lassen.
Das Internet-Angebot des ARD-Faktenfinder schauen sich kaum 20.000 Besucher auf tagesschau.de an, während die Zahl der an Jung & Naiv-Interessierten locker die 70.000-Marke überschreitet. Dr. Gniffke, seine Mitverantwortlichen in der Redaktion, seine Vorgesetzten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dessen aufsichtführende Rundfunkräte, allesamt Siegelbewahrer des deutschen Qualitätsjournalismus, finden die Zweitrangigkeit des "Faktenfinder" offenbar nicht mal peinlich.
So verdienstvoll Jung & Naiv sich oft in der BPK schlägt, so fragwürdig ist manchmal die Rolle, die der Herausgeber Tilo Jung an anderer Stelle spielt: Er schämt sich nicht, einem kritischen Kollegen in den Rücken zu fallen.
Florian Warweg vom russischen Fernsehsender RT Deutsch sprach die Vertreter der Bundesregierung in der BPK am 6. November 2018 auf die Rosstäuscherei mit den sogenannten "Weißhelmen" an, vorgeblich eine syrische Zivilschutzorganisation, erwiesenermaßen jedoch Handlanger von Terroristenbanden, vom Westen unterstützte Kriegspropagandisten, die sich ausschließlich in den von Söldnern und Dschihadisten besetzten Gebieten in Szene setzen. Die Regierungssprecher – Christopher Burger, Außenministerium, Sören Schmidt, Innenministerium – verstrickten sich bei der Beantwortung prompt in Widersprüche. Ohne erkennbaren Grund sprang ihnen schließlich Tilo Jung zur Seite und betätigte sich als Stichwortgeber. Ganz und gar nicht "jung und naiv", sondern reichlich hinterlistig fragte er den Außenamtssprecher:
Herr Burger, wie bewertet die Bundesregierung die russischen Propagandamaßnahmen gegenüber den Weißhelmen?
Burger, hocherfreut über die unerwartete Steilvorlage, präsentierte sofort die bekannte Propaganda-Schablone: Russland sei bemüht, die "Weißhelme" trotz deren "unbestreitbarer humanitärer Verdienste" zu diskreditieren.
Die Kolleginnen und Kollegen der deutschsprachigen russischen Medien haben wegen der gehässig und dummdreist hochgetriebenen Russophobie hierzulande ohnehin keinen leichten Stand. Dass ihnen auch ein vermeintlich kritischer Journalist wie Tilo Jung so elementar die kollegiale Solidarität verweigert, ihnen sogar in den Rücken fällt, sagt eine Menge über ihn selbst und über seinen Charakter aus. Er war bereit zur Liebedienerei, und zwar unter Verletzung seiner beruflichen Pflicht, unabhängig vom Fragesteller alle aufschlussreichen Informationen aufzunehmen. Der Fall zeigt die (selbstverschuldete) Begrenztheit journalistischer Arbeitsweise in Deutschland.
Auch ein bekannter Medienkritiker wie Stefan Niggemeier gibt sich solche Blößen. In einem an sich lesenswerten Beitrag über die BPK lässt er zwar Tilo Jung sich angemessen mit dem unprofessionellen Gebaren eines WELT-Journalisten auseinandersetzen und die antirussische Attitüde des Mannes kritisieren. Zugleich aber verkniff er es sich als Herausgeber des Textes nicht, Jung über die Kollegen der deutsch-russischen Medien herziehen zu lassen:
Dass auch mich die meisten Wortmeldungen von Sputnik und RT Deutsch nerven, tut nichts zur Sache. Dass sie Fragen stellen, die mich nicht interessieren oder meinem Verständnis der Lage nicht oder oft überhaupt nicht entsprechen: geschenkt. Dass sich viele ihrer Fragen wie Kommentare aus der Youtube-Kommentarspalte anhören, sagt eher was über ihr journalistisches Niveau aus als über ihre Gefährlichkeit ..."
Dass auch seine Erhabenheit, der "Papst der Medienkritik" Niggemeier, damit seinem Affen Zucker gibt, ebenfalls geschenkt.
Wesentlicher ist anderes: Wir steuerzahlende Bundesbürger alimentieren beamtete Regierungspropagandisten und Faktenverdreher wie Seibert, Burger oder Schmidt dafür, dass sie uns faulen Zauber servieren, mit Jahresgehältern bis zu 180.000 Euro und dem Anspruch auf eine Rente von mehr als 120.000 Euro. An die 80.000 Euro jährlich streichen qualitätsjournalistische Pappnasen ein, die den Schmarren aus solchen Hohlräumen wie der BPK durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkkanäle zu uns durchschieben; ihre Gehälter werden aus unseren Rundfunkbeiträgen erbracht. Wir löhnen also indirekt gleich zweimal dafür, dass wir nach Strich und Faden angeschmiert werden.
Wenn es schon sein muss, hochverehrtes Publikum: Wo ist unsere Republik tatsächlich angekommen? Könnten wir uns nicht ohne diese Leute auch selbst verarschen, notabene kostenlos?
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Das Autoren-Team:
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 im NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1985 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehr- und Forschungsauftrag an der Fu-Jen-Uni in Taipeh.
Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die "mediale Massenverblödung" (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden zumeist auf der Seite https://publikumskonferenz.de/blog dokumentiert.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.