Fall Epstein: Falls Ghislaine Maxwell reden möchte, wird die Welt zuhören
von Damian Wilson
Alle drei Teile des Dokumentarfilms "Ghislaine Maxwell: Epstein’s Shadow" ohne Unterbrechung in einem Zug hintereinander zu schauen, war weit von der unterhaltsamen Erfahrung entfernt, die ich erwartet hatte. Weit entfernt von einem schnelllebigen, derben Herumtollen durch das schlechte Benehmen der transatlantischen High Society. Es offenbarte eine dunkle, schmutzige und völlig korrupte Parallelwelt, die mich irgendwie krank machte.
Es ist egal, ob es im Film darum ging, dass Ghislaine Maxwell unschuldige Teenager für Massagen und Sex mit ihrem nackten Freund auftrieb oder staunenden Schulmädchen die große weite Welt versprach, um sie damit in ihren verkommenen Dunstkreis zu locken. Ob sie eine beknackte globale Kampagne ins Leben rief, um die Weltmeere an den Meistbietenden zu verkaufen oder die soziale Leiter wie ein gut gekleideter Gecko emporklomm – nicht eine Minute lang wurde ich mit Robert Maxwells jüngster Tochter warm.
Ich habe also kein Mitleid mit ihr, während sie in der Metropolitan Haftanstalt in Brooklyn schmort, nachdem eine Freilassung auf Kaution abgelehnt wurde. Dort wartet sie nun auf ihren Prozess wegen Menschenhandel mit Minderjährigen, für ihren ehemaligen Freund, Finanzier und Sexbestie Jeffrey Epstein. Der Prozess soll im November dieses Jahres beginnen. Viele erwarten jedoch, dass es nicht zu einem Prozess kommen wird. Wie dieser ausführliche Dokumentarfilm aufzeigt, unterliegen die Reichen und Mächtigen nicht den gleichen Regeln wie der Rest von uns. Es gibt im Allgemeinen eine rechtliche Formalität, eine Vereinbarung, die getroffen werden kann oder der Freund eines Freundes, der bereit ist, wegzusehen, um jemanden vom Haken zu bekommen.
In Maxwells Fall vermied Ghislaine Maxwell schon einmal peinliche Fragen, als Epstein 2008 eine FBI-Untersuchung in Palm Beach, Florida, durchkreuzte. Dabei bekannte er sich schuldig, Minderjährige der Prostitution zugeführt zu haben und konnte dadurch einen Deal mit der Staatsanwaltschaft abschließen. Dieser brachte ihm lediglich ein Strafmaß von 18 Monaten in Halbgefangenschaft ein. Er sicherte sich zudem auch die Immunität vor Strafverfolgung für alle Mitverschwörer seiner Verbrechen, namentlich Ghislaine Maxwell.
Nachdem diese FBI-Untersuchung erneut aufgerollt wurde, um den Finanzier endgültig zur Strecke zu bringen, kam Epstein zu Tode. Anscheinend hat er sich für Selbstmord durch Erhängen mit einem orangefarbenen Bettlaken seiner Gefängniszelle entschieden, anstatt vor Gericht zu gehen. So werden wir nie die ganze Geschichte und die Hintergründe erfahren. Jetzt muss nur noch seine ehemalige Geliebte vor die Schranken des Gerichtes treten. Eine Reihe von Rechtsexperten in diesem Dokumentarfilm sagen voraus, sie könnte durchaus die Strategie verfolgen, Epstein für alles die Schuld zu geben, ohne Angst davor haben zu müssen, dass seine Aussagen sich mit ihren eigenen widersprechen.
Im Dokumentarfilm wird angedeutet, dass Maxwell behaupten wird, sie sei auch nur ein Opfer in dieser Affäre. Genau wie die minderjährigen Mädchen, die sie angeblich in den Kunstgalerien, Schulen und Straßen von Manhattan und Palm Beach angesprochen hatte, um diese dann zum Sex mit Epstein und seinen mächtigen, schmuddeligen Freunden zu zwingen. Sie wird sich als sklavisch ergebene Dienerin eines Mannes darstellen, der sie in einer verletzlichen Zeit ihres Lebens bezaubert hat und für den sie alles getan hätte. Das ist Unsinn und wird von ehemaligen Freunden, Anwälten und vor allem von den Opfern, die Maxwell hinterlassen hat, zurückgewiesen.
Was der Dokumentarfilm ganz deutlich aufzeigt, ist, dass sie eine kalte, berechnende und beschädigte Frau ist, die glaubt, auf einer höheren Ebene zu stehen, als der Rest von uns. Sie glaubt, dass ihre Verhaftung, die Inhaftierung und ihr reichliches Unglück alles Missverständnisse sind. Der Dokumentarfilm erkundet ausführlich Maxwells familiäre Verhältnisse. Es ist unmöglich, diese Recherchen zu betrachten, ohne zu erschaudern angesichts der Parallelen zwischen ihrer Beziehung zu Epstein und der, die sie mit ihrem korrupten, jetzt toten Vater, dem brutalen Bob Maxwell, genoss. Wie die ehemalige Kommilitonin und Freundin Maxwells auf der Oxford University, Anna Pasternak, betont: "Die Geschichte von Ghislaine ist im Wesentlichen die von 'Daddys kleinem Mädchen' und alles begann schrecklich schiefzulaufen, als sich Daddy als Gauner herausstellte." Sie fährt fort:
"Es ist ziemlich leicht zu verstehen, warum ein Mädchen, das eine solche Fixierung auf den Vater hatte, ein 'Daddy’s Girl' war, sich zu einer ebenso satanischen Vaterfigur hingezogen fühlte und ihm um jeden Preis seine Wünsche erfüllte."
Es ist verständlich, dass eine Tochter, die gerade die einflussreichste Persönlichkeit ihres Lebens verloren hatte, die Lücke mit einer ihrem Vater ähnlichen Person ersetzte. Der Dokumentarfilm kommt zum Schluss, dass Maxwell bereits in den 1980er-Jahren von ihrem Vater mit Epstein bekannt gemacht worden war, als der Finanzier und der korpulente Dieb von Pensionsgeldern gemeinsam in Waffengeschäfte und in die zwielichtige Welt des israelischen Geheimdienstes verwickelt waren.
Als Ghislaine also 1991 in New York auftauchte, nachdem ihr Vater Bob Maxwell, mitten in der Nacht vor den Kanarischen Inseln von seiner Jacht, der Lady Ghislaine, über Bord "fiel", hatte sie bereits jemanden, an den sie sich wenden konnte. Einen Versorger, ja gar eine Vaterfigur – Epstein. Mehrere langjährige Bekannte – niemand bezeichnet sich mehr als "Freund" der in Ungnade gefallenen Prominenten – erinnern sich daran, dass die Beziehung zwischen Ghislaine und Epstein immer eher auf einem Tauschhandel basierte als auf sexuellen oder romantischen Gefühlen füreinander. Es wird vermutet, dass sie sich danach sehnte, Frau Epstein zu sein. Aber selbst in einer gerichtlichen Aussage auf die Frage, ob sie sich als seine Freundin bezeichnen würde, antwortet Ghislaine zögerlich: "Das ist eine heikle Frage." Wäre hier nicht ein schlichtes "Ja" oder "Nein" angebracht gewesen?
Sie bewegt sich eindeutig nicht innerhalb unserer sozialen Normen. Freunde, Freundinnen, mit wem man schläft – alles nicht wichtig. Es ist der Einfluss, den man aus einer Beziehung ziehen kann, der zählt. Welche Türen öffnet sie? Wen kann man dadurch kennenlernen? Kann man Vertrauen aufbauen? Sich tief in jemanden zu verlieben, ist Zeitverschwendung, wenn dabei nichts herausspringt. Ich kenne die Frau nicht persönlich, obwohl ich einige der Interviewpartner im Dokumentarfilm kenne. Und wenn sie Ghislaine Maxwell als kalt, berechnend, distanziert, eine Verräterin an ihrem Geschlecht und sogar "monströs" bezeichnen, dann akzeptiere ich deren Einschätzung. Zur Erinnerung, das sind Leute, die Ghislaine früher eine "Freundin" genannt haben. Auf das nächste Kapitel dieser schmutzigen Geschichte müssen wir warten, obwohl das für die zahlreichen jungen Frauen, die Gerechtigkeit fordern, wirklich zu viel verlangt ist. Die meisten von ihnen hätten es vorgezogen, Epstein vor Gericht zu sehen, anstatt ihn den feigen Ausweg nehmen zu lassen. Während Maxwell vielleicht noch eine Lösung für ihre Probleme findet, wird sie höchstwahrscheinlich für die ihr vorgeworfenen Verbrechen im Gefängnis landen.
Epsteins Netzwerk ließ junge Mädchen, von Puffmüttern handverlesen, aus der ganzen Welt in Privatjets einfliegen, damit schmutzige alte Männer Sex mit ihnen haben können. Das Bemerkenswerte daran ist, dass das von Epstein aufgebaute Netzwerk noch in vollem Gange wäre, hätte nicht die Mutter eines Mädchens aus Florida Verdacht geschöpft. Als sie 300 Dollar in der Hosentasche ihrer Tochter fand, nachdem sie gerade eben von einem Besuch im Haus eines reichen, mächtigen Mannes in Palm Beach zurückgekehrt war, schlug die besorgte Mutter Alarm. Die Justiz hat letztendlich gegenüber den Opfern von Epstein versagt und obwohl sein Pädophilen-Netzwerk nicht mehr existiert, gibt es noch eine Frau, die viele der Antworten auf das hat, was tatsächlich vor sich ging. Sie wartet in einer Gefängniszelle auf ihren Prozess. Falls Ghislaine Maxwell später in diesem Jahr reden möchte, wird die Welt zuhören. Es ist ihre letzte Chance auf Erlösung.
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Übersetzt aus dem Englischen. Damian Wilson ist ein britischer Journalist, ehemaliger Herausgeber in der Fleet Street, Berater der Finanzbranche und Sonderberater für politische Kommunikation in Großbritannien sowie der EU.
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