Björn Höcke und die Demokraten – Possenspiel im Thüringischen Landtag
von Dagmar Henn
Wenn man sich mit Ereignissen im Thüringer Landtag beschäftigt, sollte man eines immer vorausschicken: Thüringen ist ein kleines Bundesland mit knapp über zwei Millionen Einwohnern; das ist gerade einmal ein Vierzigstel der bundesdeutschen Einwohnerschaft. Dafür macht dieses Land eine Menge Lärm.
Just in dieser Woche wurde durch das Verfahren vor dem Verfassungsgericht gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel die letztjährige Posse um die vorübergehende Ministerpräsidentschaft des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich wieder in Erinnerung gebracht. Damals war Ministerpräsident Bodo Ramelow letztlich mit Stimmen der CDU unter der Bedingung wiedergewählt worden, schnell Neuwahlen stattfinden zu lassen. Jetzt gab es ein Hin und Her einiger Abgeordneter der CDU und dann auch der Linken, das die Auflösung des Landtags verhinderte und damit Ende der vergangenen Woche zur Absage der für September geplanten Wahlen führte.
Darauf reagierte die AfD mit einem konstruktiven Misstrauensvotum, sprich, sie schlug ihren eigenen Kandidaten Björn Höcke als Ministerpräsidenten vor. Dabei war von vornherein klar, dass dieses Misstrauensvotum nirgendwohin führt und nur noch die Details irgendwie von Interesse sein könnten. Die wurden dann auch von der CDU geliefert, die an der Abstimmung schlicht nicht teilnahm; also wurde Höcke mit 46 Gegenstimmen gegen die 21 von der AfD nicht gewählt.
Wie gesagt, ein Bundesland mit zwei Millionen Einwohnern. In dem nie ernstlich die Gefahr bestand, dass Höcke zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte. Aber es wurde die ganz große Show geliefert; der Zusammenhalt der Demokraten beschworen. Ja, auch die CDU äußerte ihre tiefe Abscheu gegen Höcke, obwohl sie dann tatsächlich an der Abstimmung nicht teilnahm. Höcke wiederum warf den übrigen Parteien Verhöhnung der parlamentarischen Demokratie vor und die Linke der CDU, sie wolle nicht ernsthaft gegen die AfD agieren; sie müsste sonst gegen sie stimmen.
Welch ein Theater. Da wird erst eine Wahl angesetzt, dann unter wirren Umständen wieder abgesagt, und dann erhalten diejenigen, die für dieses Manöver verantwortlich sind, von Buhmann Höcke die Gelegenheit, die großen Reden zur Verteidigung der Demokratie zu schwingen. Man könnte fast meinen, sie hätten das bei Höcke bestellt, um mit den dramatischen Auftritten die Erinnerung an das Herumgeeiere bezüglich der Neuwahlen aus dem Gedächtnis zu tilgen.
Aber der Geschmack dieser Nummern wird immer schaler. Nicht nur, weil in der ganzen Republik die Bezeichnung Nazi inzwischen schon für Minimalabweichungen verteilt wird und damit – beabsichtigt oder nicht – das, was ein Höcke mit dem historischen Original gemein hat, in einer Wolke aus Reichsbürgern, Querdenkern und Impfskeptikern verschwindet; auch, weil der pathetischen Betonung der Demokratie die Realität des Dauernotstands entgegensteht. Wenn sich wirklich die Frage stellt, den Griff von Faschisten nach der Macht zu verhindern, löst sich das nicht per parlamentarischer Debatte, sondern nur in einer wirklichen politischen Auseinandersetzung, die eben nicht von parlamentarischen Repräsentanten geleistet werden kann, sondern für die der Souverän selbst tätig werden muss.
Diese Frage stellt sich jedoch nicht, jedenfalls nicht so und nicht in Thüringen. Die Peinlichkeit der abgesagten Landtagswahl verschwindet nicht mit dem Budenzauber eines simulierten Antifaschismus, und wenn etwas an dem ganzen Vorgang eine Bedrohung der Demokratie darstellt, dann, mit welcher Begeisterung alle Akteure dieses Scheingefecht geführt haben. Es ist ja nicht so, als gäbe es keine echten Probleme. Im Gegenteil, das Komplettversagen angesichts der Flut in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zeigte gerade, dass manchmal real und nicht nur virtuell gehandelt werden muss, dass offenkundig Verantwortlichkeit in der bundesdeutschen Politik inzwischen viel zu dünn gesät und wirkliches Bemühen um das Wohlergehen der Menschen in der politischen Klasse in der ganzen Breite inzwischen zu einer äußerst seltenen Eigenschaft geworden ist.
Dafür gibt es eine anscheinend grenzenlose Bereitschaft, irgendwelchen Konzernen dienstbar zu sein. Die sozialen Netzwerke sind voll mit Nachrichten, die die den Flutopfern zugesicherten 300 Millionen mit den neun Milliarden vergleichen, die letztes Jahr mal eben zur Lufthansa geschoben wurden. Solche Vergleiche fallen vielen ein.
Klar, das ist alles keine Thüringer Landespolitik. In der wird es darum gehen, wie viele Lehrer eingestellt werden, welche Straßen erneuert werden können oder müssen und wie der Regionalverkehr aussieht, der gewöhnliche politische Alltag eben. Das kleine Thüringen hat den katastrophalen Zustand der Republik weder verursacht noch könnte es ihn tatsächlich beheben. Und es ist sogar menschlich nachvollziehbar, wenn alle Beteiligten sich danach sehnen, einmal auf der großen Bühne zu stehen, in der Tagesschau gezeigt zu werden und wenigstens so zu tun, als hätte etwas Weltbewegendes stattgefunden.
Aber dann ist Thüringen eben doch Teil dieser Bundesrepublik, in der das ganz konkrete Elend von Kinderarmut über Wohnungslosigkeit bis hin zu Armutsrenten keine Rolle spielt, während mit blumigen Reden andere Länder wegen vermeintlicher Menschenrechtsverletzungen angeprangert und sanktioniert werden; in der im letzten Jahr das Kujonieren im Alltag bis zur Perfektion getrieben wurde; in der jeder, der nur leise auf die Kollateralschäden der Corona-Maßnahmen hinzuweisen wagt, gleich zum Feind erklärt wird, so wie jeder, der mit Russland und China in Frieden leben will – und in der gerade eben, letzte Woche, Dutzende Menschen durch die Mischung aus Korruption, Inkompetenz und Abwarten ihr Leben verloren.
Da ist die Seifenoper im Thüringischen Landtag nur mehr vom Selben. Und genau deshalb zu viel.
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