Polen als Schild und Stachel der USA gegen Russland (Teil 2)
Prof. Dr. Anton Latzo
(Teil 2, Teil 1 können Sie hier nachlesen.)
Wichtige Übereinstimmungen zwischen beiden Ländern bestehen auch im Bereich der internationalen Energiepolitik. Polen teilt den Widerstand der USA gegen das Nord-Stream-2-Projekt und baut auf die Einfuhr US-amerikanischer Energieträger. Entsprechende Anlagen werden an der Ostsee mit dem Ziel gebaut, ab 2022, wenn der langfristige Vertrag mit Gazprom ausläuft, kein Gas mehr aus Russland kaufen zu müssen. Gleichzeitig plant Polen, mittelfristig eine Schlüsselstellung für den Transit von US-Gas in die Ukraine und andere osteuropäische Staaten einzunehmen.
Bei diesem Vorhaben verfolgen beide Länder auch das Ziel, Polen zu einem regionalen Zentrum in der internationalen Energiepolitik zu machen. Damit gekoppelt wird die Absicht, russische Lieferungen nach Deutschland und auf die anschließenden Märkte zu torpedieren und die wirtschaftlichen mit sicherheitspolitischen Optionen zu verflechten.
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Das ist Teil von Washingtons Plan, den Standort Polen zum nordöstlichen Pfeiler der US-amerikanischen Hegemonie auf dem Kontinent und im antirussischen Konzept auszubauen, das sich mit dem südosteuropäischen Pfeiler am Schwarzen Meer ergänzt, das Rumänien als Zentrum haben soll. In diesem Zusammenhang wird aber auch die Bedeutung sichtbar, die der Ukraine zukommt, um das US-Konzept eines geschlossenen Ringes um Russland von der Ostsee bis zum Schwarze Meer und nach Georgien zu errichten.
In diesem Zusammenhang wird von den USA demonstrativ die "Intermarium"-Initiative Polens gefördert, die vom damaligen Außenminister Witold Waszczykowski (PiS) im Juli 2016 unter dem Schild der "Drei-Meeres-Initiative" (Ostsee, Adria, Schwarzes Meer) erneuert wurde. Seit Ende 2016 haben 12 Staaten (Baltikum, Polen, Tschechien, Österreich, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Slowenien und Kroatien) eine lose Vereinbarung zur Zusammenarbeit. Ein zentraler Punkt ist auch hier die Energiepolitik.
Donald Trump nahm an der 2. Tagung demonstrativ persönlich teil und warb – in Fortsetzung der vom ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vorgenommene Einteilung – für ein "altes Europa" (Westeuropa) und ein "neues Europa" (Mittel- und Osteuropa) an der Seite der USA, um das Wohlverhalten der neuen NATO- und EU-Mitglieder zu gewinnen. Diese offene Differenzierung war seinerzeit neu.
Die strategischen Überlegungen, die diesem außenpolitischen Verhalten der USA in dieser Region zugrunde liegen, sind aber nicht neu und damit für die USA auch nicht von kurzfristiger Natur. In seinem Buch "Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft" aus dem Jahre 1997 schrieb der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, an die strategischen Überlegungen Pilsudskis bei der Invasion der Ukraine 1920 erinnernd:
Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.
Und ohne Polen dürfte es keine solche Ukraine geben. Die USA wollen Polen, sein Potenzial, seine geostrategische Lage in Europa und gegenüber Russland und der EU nutzen, um in den wesentlichen Bestandteilen der strategischen Vision von Brzezinski zu folgen. Dieser hat sie in dem genannten Buch so beschrieben: "Kurzfristig ist es in Amerikas Interesse, den derzeit herrschenden Pluralismus auf der Landkarte Eurasiens zu festigen und fortzuschreiben."
Mit Hilfe Polens sollen dabei die Widersprüche in Europa erhalten, vertieft und für die USA "verwertet" werden, was für die gegenwärtige Phase charakteristisch ist.
Dies erfordert ein hohes Maß an Taktieren und Manipulieren, damit keine gegnerische Koalition zustande kommt, die schließlich Amerikas Vorrangstellung in Frage stellen könnte, ganz abgesehen davon, dass dies einem einzelnen Staat nicht gelänge", stellt Brzezinski fest.
Er betrachtet diese Etappe als zeitlich begrenzt:
Mittelfristig sollte die eben beschriebene Situation allmählich einer anderen weichen, in der auf zunehmend wichtigere, aber strategisch kompatible Partner größeres Gewicht gelegt wird, die, veranlasst durch die Führungsrolle Amerikas, am Aufbau eines kooperativeren transeurasischen Sicherheitssystems mitwirken können." Und: "Schließlich, noch längerfristig gedacht, könnte sich aus diesem ein globaler Kern echter gemeinsamer politischer Verantwortung herausbilden.
Die von der PiS gestellten Regierungen nehmen diese Betrachtungen nicht kritisch zur Kenntnis. Das und die Intensität und Hartnäckigkeit, mit der diese Regierungen ihre auf die USA ausgerichtete Politik verfolgen, unterscheidet sie von der PO-Regierungspolitik, die zwar ebenfalls eine antirussische Linie vertritt, aber stärker auf eine Zusammenarbeit mit Deutschland orientiert.
Die PiS-Regierungen und Präsident Andrzej Duda haben die Intermarium-Politik nicht nur wiederbelebt, sondern sie zum Kern ihrer Außenpolitik erhoben. Duda erklärte in seiner Antrittsrede, er wolle, dass dieser regionale Block zu einer engeren wirtschaftlichen, politischen und militärischen Integration der beteiligten Staaten führt.
Militärische Kooperation und Eskalation
Die militärpolitische Zusammenarbeit und das Vordringen der US-Streitkräfte auf polnisches Territorium ordnen sich in das langfristige Konzept Washingtons ein, das nach 1989/90 neu aufgelegt wurde.
Die USA haben Polen als integralen Bestandteil ihres gegen Russland gerichteten Raketen-"Schutzschildes" vorgesehen. Er soll mit der Anlage in Rumänien zusammenwirken und bis 2020 vollendet sein. Der "Schutzschild" wird in nur 58 Kilometer Entfernung von der russischen Grenze und 90 Kilometer von Kaliningrad installiert. Er besteht aus 6 Startanlagen für Patriot-Raketen. Außerdem werden dort auch amerikanische Soldaten stationiert.
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Polen sieht in der Stationierung eine Bestätigung der strategischen Partnerschaft mit Washington. Auch die Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) vertritt diesen Standpunkt. Sie spricht sich aber dafür aus, bei den Verhandlungen über Einrichtung und Betrieb des Raketenabwehrsystems auch die NATO einzubeziehen. "Ohne enge Kooperation mit der EU und NATO finden wir keine Antwort auf die Großmachtpolitik Russlands", erklären ihre Vertreter. In der regierenden PiS hingegen sind die Zweifel an Deutschlands und Frankreichs Russlandpolitik und an der der EU viel stärker ausgeprägt.
Ein ständiger Bestandteil der bilateralen militärischen Zusammenarbeit sind die gemeinsamen militärischen Übungen. Seit 2006 finden alle zwei Jahre die sogenannten "Anakonda"-Übungen statt. Formal handelt es sich um polnische Übungen, die aber beispielsweise 2016 von einem polnischen und einem US-General befehligt wurden. Sie setzen auf Abschreckung gegen Russland. 2016 waren neben NATO-Staaten auch die Ukraine und Georgien eingeladen.
US-Streitkräfte sind auch Bestandteil der NATO-Aktivitäten in Polen. Laut SWP-Aktuell (Nr. 37/Juli 2019) fungieren die USA als Rahmennation für den in Polen dislozierten Kampfverband der sogenannten Verstärkten Vornepräsenz, der die NATO-Ostflanke stärken soll. Seit 2017 befindet sich in Westpolen eine schwere Kampfbrigade (ABCT). Sie wurde auf bilateraler Basis im Zusammenhang mit der 2014 begonnen US-Operation "Atlantic Resolve" eingerichtet. Ein Hauptquartier in Poznan koordiniert die Aktivitäten der Operation. Seit Beginn des Jahrzehnts kommen amerikanische Kampfflugzeuge vom Typ F-16 und C 130 Herkules-Transportflugzeuge zu Trainings-und Übungszwecken ins zentralpolnische Lask.
US-Präsident Trump erklärte während des Besuches des polnischen Präsidenten Duda in den USA im Juni 2019, dass Polen mehr als 30 Kampfflugzeuge vom Typ F-35 bestellt habe. Duda hat während des Besuches erneut die Einrichtung einer permanenten US-Militärbasis in seinem Land ins Gespräch gebracht. Damit ist auch die Hauptlinie für die Gespräche während des anstehenden Trump-Besuches in Polen (1. September 2019) gegeben.
Trump antwortete, er wolle eine militärische Einrichtung von "Weltklasse" errichten. Laut Dudas Angaben sind derzeit 4.500 US-Soldaten in Polen stationiert. Trump sagte ihm eine weitere Erhöhung zu. Im Gespräch sind zusätzlich bis zu 2.000 Soldaten, die aus Deutschland oder anderen europäischen Staaten abgezogen werden sollen. Polen ist bereit die dazu notwendige Infrastruktur auf eigene Kosten aufzubauen. Gegenwärtig nutzt die US-Armee für ihre Militärtechnik polnische Basen in Sagan, Swietoszow, Skwierzyna und Boleslawiec.
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Es ist offensichtlich, dass Warschau damit Schritte in Richtung einer substanziellen und auch anhaltenden Präsenz ausländischer Militärs auf polnischem Territorium vollzieht. Zu den Maßnahmen zählen bereits jetzt auch die Stationierung von US-Spezialeinheiten und einer Staffel von Aufklärungsdrohnen, die Einrichtung einer Luftwaffenbasis zur besseren Kräfteverlegung sowie der Ausbau der Infrastruktur für die in Polen befindlichen US-Einheiten.
Die NATO-Russland-Grundakte, die eine permanente Stationierung von Kampfverbänden aus NATO-Staaten in Osteuropa untersagt, scheint für Warschau offensichtlich kein Stoppschild zu sein.
Polen als Türöffner
Um Voraussetzungen für die Verwirklichung eigener außenpolitischer Ziele zu schaffen, betätigt sich die polnische Regierung zielstrebig als Türöffner für die Umsetzung der Außen- und Militärpolitik der USA im Kampf gegen die "russische Gefahr" und für die Verwirklichung des Prinzips "Teile und herrsche". Dabei knüpft sie bewusst an Linien in der polnischen Geschichte (Pilsudski, Intermarium) an. Die polnische Regierung ist bereit, dafür wesentliche Souveränitätsrechte aufzugeben.
Berücksichtigt man das Wirken der USA im gesamten mittel- und südosteuropäischen Raum, besonders gegenüber Rumänien, so läuft das Verhalten der polnischen Regierung gegenüber Washington im Wesentlichen darauf hinaus, einen Pro-US-amerikanischen Block durch die Mitte Europas zu schaffen, der gegen die "russische Gefahr" einsetzbar ist und eine koordiniert handelnde EU erschwert beziehungsweise verhindert!
Die USA rechnen damit, dass sie ihre Ziele durch eine Kombination von gewaltsamen und finanziellen Mitteln erreichen können, indem sie andere "an die Front schicken" und dabei selbst einem begrenzten und kontrollierbaren Risiko ausgesetzt sind. Sie bauen auf militärische Stärke, um ihre Pläne zur Erringung ihrer Vorrangstellung durchzusetzen.
Die Regierenden in Polen erhoffen sich die Schaffung einer Struktur zentral- und osteuropäischer Staaten unter Warschaus Führung. Das ist aber nicht ohne eine Militarisierung der polnischen Gesellschaft zu erreichen! Damit ist eine Spirale der innen- und außenpolitischen Unberechenbarkeit nicht nur für das polnische Volk in Gang gesetzt!
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