Nordamerika

Konzentrationslager im "Land der Freiheit"? Hitzige Debatte um US-Internierungslager

In den USA wird aktuell eine Frage kontrovers diskutiert: Ist es angebracht, bei den Internierungslagern an der südlichen US-Grenze von Konzentrationslagern zu sprechen? Die Fronten scheinen verhärtet. Nun melden sich neben Politikern auch Experten zu Wort.
Konzentrationslager im "Land der Freiheit"? Hitzige Debatte um US-Internierungslager Quelle: AFP © Joe Raedle

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Eines schien nicht nur für US-Amerikaner bislang sicher: Die Vereinigten Staaten betreiben keine Konzentrationslager. Im US-amerikanischen Bewusstsein ist der Begriff gleichbedeutend mit der Todesmaschinerie der deutschen Nationalsozialisten. Aber obwohl die weltgeschichtlichen Schrecken des Holocaust unübertroffen sind, sind sie nur die extremste und unmenschlichste Manifestation eines Konzentrationslagersystems. So argumentiert zumindest Andrea Pitzer, Autorin von "One Long Night: A Global History of Concentration Camps". Ihrer Analyse nach zu urteilen, liegt dem Begriff "Konzentrationslager" eine globalere Dimension zu Grunde.

Demnach gab es Konzentrationslager in Frankreich, Südafrika, Kuba, der Sowjetunion und – was die Internierung von Japanern anbelangt – auch in den Vereinigten Staaten. Pitzer behauptet nun, dass die USA ein solches System als Abwehrmaßnahme gegen die Einwanderungsströme aus Mittelamerika in Form sogenannter "Internierungslager" betreiben.

Wir haben, was ich als Konzentrationslagersystem bezeichnen würde", ist sich Pitzer sicher, "und die Definition dafür lautet in meinem Buch: Massenhafte Internierung von Zivilisten ohne Prozess."

Diese Sicht vertreten auch weitere namhafte Experten.

Was wir brauchen, ist ein wenig Demystifizierung", erläutert Waitman Wade Beorn, Historiker für Holocaust- und Völkermordstudien und Dozent an der University of Virginia.

Es können Konzentrationslager sein, ohne Dachau oder Auschwitz zu sein. Konzentrationslager im Allgemeinen sind immer – auf der einfachsten Ebene – so konzipiert, dass sie eine Gruppe von Menschen von einer anderen Gruppe trennen. Normalerweise, weil die Mehrheitsgruppe oder die Erbauer des Lagers die Menschen, die sie in das Lager stecken, für gefährlich oder in irgendeiner Weise unerwünscht halten," lautet die Einschätzung des Historikers.

Dabei gilt demnach insbesondere Folgendes zu beachten. Nicht jedes Konzentrationslager ist ein Todeslager, denn der verfolgte Hauptzweck sei demzufolge selten die Vernichtung – vor allem im Anfangsstadium nach Errichtung der entsprechenden Unterkünfte. Oftmals, so die Argumentation, sei ein Großteil des Todes und des Leidens vielmehr auf unzureichende Ressourcen, Überbelegung und sich allgemein verschlechternde Bedingungen zurückzuführen.

Zuletzt setzte die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar US-Internierungslager mit Todeslagern gleich und gesellte sich damit an die Seite ihrer Kollegin Alexandria Ocasio-Cortez. Diese hatte für hitzige Kontroversen gesorgt, als sie die derzeitigen Lager an der US-Südgrenze mit nationalsozialistischen Konzentrationslagern verglich. Omar hatte daraufhin am Donnerstag einen Videoclip auf ihre Twitterseite gestellt, in dem die Kommentatorin Angela Rye argumentiert, dass die USA auf dem besten Wege seien, "Todeslager" zu etablieren.

1933 gab es Konzentrationslager. 1941 wurden sie zu Vernichtungslagern – und dorthin bewegen wir uns, wenn sich unser Gewissen nicht schnell durchsetzt", war sich Cortez bei der CNN-Debatte sicher.

Ebenso verwies sie auf den Umstand, dass "von vielen Leuten viel Geld mit den Internierungslagern gemacht wird."

Bislang kamen 24 Menschen in der Obhut der US-Einwanderungs- und Zollbehörde ums Leben. Seit September starben sechs Kinder in der Obhut anderer US-Grenzbehörden.

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Derlei Systeme entstanden vor über 100 Jahren auf der ganzen Welt und wurden von vermeintlich liberalen Demokratien – wie die Lager Großbritanniens in Südafrika während des Burenkrieges – sowie von autoritären Staaten wie Nazi-Deutschland oder auch der Sowjetunion aufgebaut.

Befeuert wird die aktuelle Debatte durch den Umstand, dass die US-Regierung ausgerechnet Fort Sill als neues Internierungslager auserkor. Bei Fort Sill handelt es sich um eine Militärbasis, die Verwendung dafür fand, um aus Japan stammende US-Bürger während des Zweiten Weltkrieges zu internieren. Nun sollen in den Unterkünften 1.400 unbegleitete Migrantenkinder untergebracht werden.

Die japanische Internierung stellte sicherlich ein Konzentrationslagersystem dar, und die Echos der Vergangenheit werden immer lauter," heißt es dazu im Esquire.

Die Trump-Regierung führt dabei lediglich fort, was unter US-Präsident Barack Obama begonnen wurde, denn bereits im Jahr 2014 wurden für vier Monate Migranten aus Mittelamerika auf Militärstützpunkten, darunter Fort Sill, untergebracht. Viele der neueren Einrichtungen zur Unterbringung von Migranten wurden bereits von der Regierung Obama errichtet. Auch beim Vorgehen der Grenzpolizei an der südlichen Grenze kann Trump auf die Expertise der Obama-Regierung zurückgreifen.

Laut dem US-Zoll und Grenzschutz wurden im Mai mehr als 144.000 Migranten an der US-mexikanischen Grenze gestellt oder verhaftet, ein Anstieg von rund drei Prozent gegenüber dem Vormonat und die höchste monatliche Gesamtzahl seit 13 Jahren. Anfang der Woche befanden sich rund 52.000 alleinstehende Erwachsene in Gewahrsam – ein Allzeithoch.

In der Debatte um die Verwendung des Begriffs "Konzentrationslager" schaltete sich zuletzt auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ein und kritisierte den genannten Vergleich von Alexandria Ocasio-Cortez:

Konzentrationslager halfen den Nazis in ihrem Krieg durch die Versorgung mit Sklavenarbeitern, obwohl die Brutalität in den Lagern dazu beitrug, das ultimative Ziel der "Vernichtung durch Arbeit" zu erreichen", wandte sich die Gedenkstätte auf Twitter an die Kongressabgeordnete.

Innerhalb der jüdischen US-Gemeinschaft herrscht jedoch keineswegs Einigkeit darüber, ob es angebracht ist, den Begriff "Konzentrationslager" außerhalb des Holocaust-Kontextes zu verwenden.

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Die sich als "jüdische Historikerin" bezeichnende Autorin Anna Lind-Guzik verweist darauf, dass es sich trotz der zeitgenössischen Verbindung von Konzentrationslagern mit der Shoah bei diesen nicht um eine Erfindung der Nationalsozialisten handele. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigten sich demzufolge verschiedene Mächte – darunter die Briten und Deutschen in ihren afrikanischen Kolonien, die Spanier in der Karibik und die US-Amerikaner in deren Hemisphäre – mit der Praxis der Internierung von Zivilisten in Konzentrationslager. Dies diente demnach dem Ziel der Unterdrückung lokaler Guerillakriege. Große Bevölkerungsgruppen, meist Frauen und Kinder, argumentiert Lind-Guzik, wurden unter schrecklichen, quasi-permanenten Bedingungen, ohne Gerichtsverfahren festgehalten und starben massenhaft an Krankheiten, Unterernährung und Erschöpfung.

Derweil argumentiert die Historikerin Isabel Hull, dass die "Endlösung" erstmals 1904 in der Internierung und dem Völkermord an den Herero und Nama in der damaligen deutschen Kolonie Südwestafrika, dem heutigen Namibia, in einem sogenannten "Konzentrationslager" zum Ausdruck kam. Der Begriff selbst stammt von "reconcentración", der Internierungspolitik Spaniens in Kuba in den 1890er Jahren, die dann von den Briten während des Burenkrieges in Südafrika von 1899–1902 wiederverwendet wurde.

Die USA reihen sich ebenfalls nahtlos in diese Vorgeschichte ein. Bereits 1862 internierten US-amerikanische Streitkräfte Frauen und Kinder der Dakota in Fort Snelling.

Der bekannte Film- und Fernsehschauspieler George Hosato Takei twitterte diese Woche über die Masseninternierung von Japanern während des Zweiten Weltkrieges:

Ich weiß, was Konzentrationslager sind. Ich war in zwei von ihnen in Amerika. Und ja, wir betreiben wieder solche Lager.

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