Nordamerika

Die Macht des Westens – Schöpferische Kraft oder Bedrohung für die Welt?

Seit bereits fünfhundert Jahren stellt der Westen die weltweit dominierende Zivilisation dar. Diese Dominanz hat in jüngster Zeit zwar nachgelassen, ist jedoch nicht vollständig verschwunden. Der Westen – vor allem die USA als sein Kern – ist nach wie vor der mächtigste Akteur in der Weltpolitik und Weltwirtschaft. Die kolossale Macht des Westens kann sowohl als schöpferische Kraft als auch als Quelle existenzieller Bedrohungen für den Rest der Welt wirken.
Die Macht des Westens – Schöpferische Kraft oder Bedrohung für die Welt?Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Kristian Tuxen Ladegaard Berg

Von Artjom Lukin

Heute entsteht im Westen, vor allem in den USA, eine neue Ideologie, die unter bestimmten Umständen nicht weniger gefährlich sein könnte als der Faschismus und Nationalsozialismus vor hundert Jahren. Die zweite Amtszeit von US-Präsident Donald Trump könnte ein Wendepunkt sein, der Amerika unter die Kontrolle von fragwürdigen Personen und Ideen bringt.

Die sich entwickelnde Ideologie des "neuen Amerikas" ist bislang uneinheitlich und wird von mindestens vier Schlüsselgruppen vertreten. Die erste Gruppe besteht aus Trump selbst und seinen Vertrauten, die Ansichten aus der Ära des klassischen Großmachtimperialismus und des wirtschaftlichen Nationalismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts vertreten. Die zweite Gruppe besteht aus Politikern und Medienvertretern, die als Rechtspopulisten bezeichnet werden können. Die dritte Gruppe umfasst Personen aus dem Silicon Valley, die dem libertären Hyperkapitalismus und dem Technologiekult zugeneigt sind. Die vierte Gruppe besteht aus Intellektuellen, die Ideen einer "dunklen Aufklärung" entwickeln und verbreiten.

Während die Ansichten der ersten beiden Gruppen für die politische Landschaft in den USA nicht neu sind, sind die beiden letzteren Tendenzen ein Phänomen des 21. Jahrhunderts.

Der "gute alte Imperialismus"?

Trumps Ideologie ist im Wesentlichen klassischer Eroberungsimperialismus nach dem "Recht des Stärkeren". Schon in seiner Antrittsrede verkündete er seine Absicht, Territorialgewinne zu erzielen: "Die Vereinigten Staaten werden wieder eine wachsende Nation sein – eine Nation, die ihren Reichtum vermehrt, ihr Territorium erweitert, ihre Städte baut." Trump spricht hier von Amerika als "exklusiver Nation" und "größter Zivilisation in der Geschichte der Menschheit". Die geopolitischen Ambitionen und die Exklusivität Amerikas sollen durch "die mächtigste Militärmacht, die die Welt je gesehen hat" gestützt werden.

Der Anspruch auf Exklusivität, das Streben nach territorialer Expansion und militärischer Dominanz sind wesentliche Merkmale des Imperialismus. Nicht zufällig lobt Trump in derselben Antrittsrede William McKinley und Theodore Roosevelt, also diejenigen US-Präsidenten, die die USA in den Klub der imperialistischen Mächte brachten.

Rechtspopulistischer Konservatismus

Diese ideologische Fraktion besteht aus Persönlichkeiten wie US-Vizepräsident J. D. Vance, dem politischen Strategen Steve Bannon und dem Journalisten Tucker Carlson. Ihr Hauptmotto lautet "America First".  Sie vertreten einen kulturellen und wertorientierten Traditionalismus der "tiefen" amerikanischen Volksschichten und stehen der liberalen, kosmopolitischen Elite, die sich an der Ost- und Westküste konzentriert, ablehnend gegenüber. Sie positionieren sich als Verteidiger der Arbeiterklasse, befürworten einen harten wirtschaftlichen Protektionismus zur Wiederbelebung der amerikanischen Industrie und tendieren in der Außenpolitik zum Isolationismus.

Libertärer Technokapitalismus

Diese Denkrichtung der neuen amerikanischen Ideologie wird von Technomilliardären vertreten, die überwiegend aus dem Silicon Valley stammen.

Der bekannteste Vertreter ist natürlich Elon Musk, der von Januar bis Mai 2025 als Leiter der Abteilung für Regierungseffizienz in der Trump-Administration tätig war. Allerdings entspricht der Grad der öffentlichen Präsenz nicht immer dem Grad des politischen Einflusses. Der weltweit weniger bekannte Venture-Capital-Unternehmer Marc Andreessen (Entwickler des ersten Massen-Internetbrowsers Netscape) hatte ursprünglich möglicherweise sogar mehr Einfluss auf das Weiße Haus als Musk, fungierte als inoffizieller Berater und half Trump bei der Auswahl von Kandidaten für Schlüsselpositionen. Bislang war Andreessen ein Anhänger der US-Demokratischen Partei, doch 2024 unterstützte er Trump – unter anderem, weil Andreessen mit dem Kurs der US-Regierung unter Präsident Biden für eine strengere Regulierung der Kryptoindustrie und der künstlichen Intelligenz nicht einverstanden war. Andreessen plädiert ebenso wie Musk für maximale unternehmerische Freiheit und einen minimalen Eingriff des Staates in die Privatwirtschaft.

Im Jahr 2023 veröffentlichte Andreessen ein "Techno-optimistisches Manifest" ("The Techno-Optimistic Manifesto"). Die Kernaussage ist simpel: Wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt sei das größte Gut und der Schlüssel zur Lösung der Probleme der Menschheit, aber nur freie Märkte in Verbindung mit der Beseitigung belastender Beschränkungen und Hindernisse würden die Entwicklung einer hochtechnologischen Wirtschaft gewährleisten. Andreessen befürwortet den "Akzelerationismus" – die Beschleunigung der technologischen Entwicklung, die den Fortschritt auf bisher unvorstellbare Geschwindigkeiten bringen soll. Diese im wahrsten Sinne des Wortes "ungezügelte" Beschleunigung solle durch die Synthese von technologischen Innovationen und kapitalistischer Wirtschaft (techno-capital machine) erreicht werden – diesen Begriff übernahm Andreessen von dem britischen Philosophen Nick Land. Andreessen ist besonders begeistert von künstlicher Intelligenz: "Wir glauben, dass künstliche Intelligenz unsere Alchemie, unser Stein der Weisen ist … Wir glauben, dass künstliche Intelligenz als universeller Problemlöser betrachtet werden sollte."

Allerdings gibt es in dem von Andreessen optimistisch dargestellten Bild einige semantische Nuancen. In einer offensichtlichen Anspielung auf Friedrich Nietzsche, dessen Name im Manifest in der Liste der von Andreessen am meisten geschätzten Denker erwähnt wird, lobt der Technomilliardär die kommenden "technologischen Übermenschen" (technological supermen): "Wir sind keine Opfer, wir sind Eroberer … Wir sind die stärksten Raubtiere an der Spitze der Nahrungskette (apex predator)."

Stellt es nicht einen typischen Freudschen Versprecher dar, wenn Andreessen bei seinen Überlegungen zu den "technologischen Übermenschen" die metaphorische Figur des "Raubtiers" verwendet? An der Spitze der Nahrungskette können sich per definitionem nur wenige, besonders starke Raubtiere befinden, während den übrigen Lebewesen eine andere Rolle zukommt. Andreessen gibt in seinem Manifest eine Antwort darauf, wer seiner Meinung nach die Rolle des obersten Raubtiers übernehmen soll: "Wir sind der Ansicht, dass Amerika und seine Verbündeten stark sein müssen, nicht schwach. Wir sind der Meinung, dass die nationale Macht liberaler Demokratien aus ihrer wirtschaftlichen Macht (Finanzkraft), ihrer kulturellen Macht (Soft Power) und ihrer militärischen Macht (Hard Power) resultiert. Wirtschaftliche, kulturelle und militärische Macht entspringen der technologischen Macht. Ein technologisch starkes Amerika bedeutet eine Kraft des Guten in einer gefährlichen Welt. Technologisch starke liberale Demokratien garantieren Freiheit und Frieden. Technologisch schwache liberale Demokratien verlieren gegenüber ihren autoritären Konkurrenten …"

Auf Andreessen umfangreicher Liste der "Schutzheiligen des Techno-Optimismus" steht auch Filippo Marinetti, der Begründer des Futurismus und einer der Ideologen des italienischen Faschismus. Marinettis letzte Aktion war eine Reise mit dem italienischen Expeditionskorps an die Ostfront, wo er bei Stalingrad verwundet wurde.

Den größten politischen Einfluss unter den Technomilliardären hat offenbar der Gründer von PayPal, Peter Thiel. Man kann ihn wohl ohne Weiteres als den zweitwichtigsten Ideologen des "neuen Amerikas" nach Trump selbst bezeichnen. Obwohl Thiel nie ein offizielles politisches Amt bekleidet hat, ist er eine Schlüsselfigur, die das Silicon Valley, den intellektuellen Rechtskonservatismus und den Populismus Trumps miteinander verbindet.

Thiel gehörte zu den ersten einflussreichen Vertretern des Silicon Valley. Er unterstützt Trump offen und war bereits 2016 Geldgeber für dessen Präsidentschaftskampagne. Thiels erfolgreichste politische Investition sollte jedoch nicht Trump sein, sondern der derzeitige US-Vizepräsident (und wahrscheinlich künftige Präsident) J. D. Vance, für den Thiel Mentor und Arbeitgeber wurde (Vance war einst Mitarbeiter von Thiels Investmentfonds Mithril Capital). Später spendete Thiel 15 Millionen US-Dollar für Vances Wahlkampf zum US-Senat von Ohio und stellte Trump diesen jungen, vielversprechenden Politiker vor.

In seiner Eigenschaft als Geschäftsmann diversifiziert Thiel auch seine politischen Investitionen. Gleichzeitig mit Vance sponserte er einen weiteren jungen und vielversprechenden Politiker (ebenfalls seinen Schüler und ehemaligen Mitarbeiter) – Blake Masters, dem er 20 Millionen US-Dollar für die US-Senatswahlen von Arizona zur Verfügung stellte (im Gegensatz zu Vance verlor Masters jedoch die Wahl).

Thiel bezeichnet sich selbst als gläubigen Christen und zitiert häufig die Bibel, obwohl er seine Homosexualität nicht verheimlicht (im Jahr 2017 heiratete er in Wien seinen Partner Matt Danzeisen, einen Investmentbanker). Der Tech-Milliardär gilt als Philosoph und Denker, ist sehr belesen und selbst ein produktiver Autor von Büchern und Essays. Im Gegensatz zu Musk und Andriessen, die auf die breite Öffentlichkeit ausgerichtete Sprüche und Memes verbreiten, ist Thiels Zielgruppe die gebildete Elite. Er zitiert häufig politische Philosophen wie Carl Schmitt und Leo Strauss und ist ein Anhänger der Ideen des Anthropologen René Girard. Thiel positioniert sich als Libertärer, macht jedoch keinen Hehl daraus, dass er schon lange nicht mehr an die liberale Demokratie – auch nicht an die Demokratie im Allgemeinen – glaubt: "Ich halte Freiheit nicht mehr für vereinbar mit Demokratie." Vielsagend ist, dass Thiel das heutige Amerika mit Deutschland vor der Machtübernahme Hitlers vergleicht: "Es gibt zweifellos Parallelen zwischen den USA der 2020er Jahre und Deutschland der 1920er Jahre in dem Sinne, dass der Liberalismus sich selbst erschöpft hat. Man kann behaupten, dass die Demokratie … sich selbst erschöpft hat und wir uns eine Reihe von Fragen stellen müssen, die weit über den Rahmen des Overton-Fensters hinausgehen."

Thiels Libertarismus hinderte ihn nicht daran, Palantir Technologies zu gründen. Dieses Unternehmen entwickelt künstliche Intelligenz für das Pentagon und die Geheimdienste. Er ist auch ein Großinvestor bei Anduril Industries, einem Unternehmen des jungen Milliardärs Palmer Luckey, das Drohnen und andere autonome Waffensysteme herstellt.

Thiel ist der Ansicht, dass Amerika in den vergangenen Jahrzehnten in einen Abgrund aus Degradation und Stagnation geraten ist. Daher sei ein Sprung zu neuen Höhen und großen Zielen erforderlich. Wie seine milliardenschweren Kollegen aus dem Silicon Valley ist Thiel davon überzeugt, dass die Formulierung und Verwirklichung ehrgeiziger wissenschaftlicher und technologischer Ziele oberste Priorität für die Gesellschaft und den Staat haben müssten. Sein persönlicher Favorit sind transhumanistische Technologien, die mit der Verbesserung des menschlichen Organismus, der Verlängerung des Lebens und möglicherweise sogar der Erlangung von Unsterblichkeit verbunden sind. Eines der aktuellen Projekte von Thiel ist die Organisation einer alternativen "Verbesserten Olympiade" (Enhanced Games), bei der die Dopingkontrollen gelockert und den Athleten "Biohacking"-Methoden erlaubt werden sollten. Einer der Mitorganisatoren der Enhanced Games ist Donald Trump Jr., der Sohn des US-Präsidenten.

Von allen libertären Milliardären, die der aktuellen US-Regierung nahestehen, vertritt Thiel die klarsten außenpolitischen Ansichten. Seine geopolitische Konzeption ist relativ einfach und läuft darauf hinaus, dass die größte außenpolitische Bedrohung für die Vereinigten Staaten von China ausgeht.

Anders als sein Freund und ehemaliger Geschäftspartner Elon Musk, der eine prochinesische Haltung einnimmt, vertritt Thiel eine harte Politik der Eindämmung Pekings, unter anderem durch die Bildung einer breiten antichinesischen Koalition unter der Führung Washingtons. Die USA sollten sich wirtschaftlich auf eine Trennung von China einlassen und Druck auf andere Länder ausüben, damit auch sie ihre Beziehungen zu Peking auf ein Minimum reduzieren. Thiel hält die von Trump verhängten Strafzölle auf chinesische Waren für einen Schritt in die richtige Richtung. Bereits im November 2022 erklärte er: "Ich bin ein Verfechter des freien Handels, ich bin kein Befürworter von Zöllen, aber ich würde eine Ausnahme für unseren großen geopolitischen und ideologischen Rivalen machen." Thiel ist eine der sinophobsten Figuren in den höchsten Kreisen der derzeitigen Führungselite. Er bezeichnet China als "halbfaschistische, halbkommunistische Gerontokratie" und wirft Peking "Nationalismus", "Rassismus" und "Fremdenfeindlichkeit" vor.

Thiel ist kein Sympathisant Russlands, aber er betrachtet es viel gelassener – er sieht es nicht als einen so gefährlichen geopolitischen Gegner wie China, was möglicherweise auch daran liegt, dass Russland dem Westen rassisch und kulturell viel näher steht. Er ist der Ansicht, dass der Westen Moskau nicht in die Arme Pekings treiben sollte.

Wiederholt äußerte er sich auch zugunsten Israels, und Palantir Technologies liefert KI-Technologie an das israelische Militär. Es mag Zufall sein, aber die Außenpolitik der Trump-Regierung scheint bislang in fast allen Punkten mit Thiels Ansichten übereinzustimmen.

Theoretiker der "dunklen Aufklärung"

Schließlich gibt es noch eine vierte Gruppe von Vertretern der neuen amerikanischen Ideologie – intellektuelle Provokateure, die Narrative der "dunklen Aufklärung" (Dark Enlightenment) entwickeln.

Diese auch als "neo-reaktionäre Bewegung" (neo-reactionary movement, NRx) bezeichnete intellektuell-philosophische Strömung, die viele Ideale der klassischen Aufklärung ablehnt, entstand Ende der 2000er und Anfang der 2010er Jahre vor allem in der Anglosphäre.

Einer der Urheber der "dunklen Aufklärung" und der Autor dieses Begriffs ist der bereits im Zusammenhang mit Andreessen erwähnte britische Philosoph und Schriftsteller Nick Land, der heute in Shanghai lebt. Zu Beginn seiner akademischen Laufbahn in den 1990er Jahren vertrat Land, der damals an der University of Warwick lehrte, linksgerichtete Ansichten, neigte dann aber plötzlich stark zur Rechten. Land glaubt an das Eintreten einer Singularität – den Moment, in dem künstliche Intelligenz und andere Technologien den Menschen übertreffen und sich seiner Kontrolle entziehen, was den Beginn einer "post-humanen" (post-human) Ära bedeuten würde. Land lässt sich von der Ästhetik des Cyberpunk inspirieren und prophezeit das Aufkommen hyperkapitalistischer, techno-autoritärer Systeme, die nicht durch traditionelle Politik, sondern durch Technologien und Märkte gesteuert werden. Seiner Ansicht nach seien solche Systeme wesentlich effizienter als der klassische Liberalismus und die Demokratie. Im Sinne des Techno-Sozial-Darwinismus prophezeit Land das Aufkommen posthumaner Wesen, die durch die Verschmelzung mit Supertechnologien die neue Welt dominieren würden.

Land lehnt den Anthropozentrismus ab und behauptet, dass menschliche Werte und Moral angesichts viel größerer und unpersönlicher Kräfte wie Kapital und Technologie irrelevant seien. In seiner Philosophie sei die Menschheit nichts anderes als eine vorübergehende Phase in einem bedeutenderen Evolutionsprozess, der von maschinellen und wirtschaftlichen Systemen angetrieben werde.

Ein weiterer geistiger "Vater" der "dunklen Aufklärung" ist der US-Programmierer und Blogger Curtis Yarvin, auch bekannt unter dem Pseudonym Mencius Moldbug. Im Gegensatz zu Land ist Yarvin direkt in den politischen Prozess involviert. Er steht mit Thiel in freundschaftlichem Kontakt und ist mit einer Reihe von Politikern und Beamten aus Trumps Umfeld gut vertraut. Yarvin befürwortet die Ersetzung der sich selbst diskreditierenden liberalen Demokratie durch ein effektiveres politisches System in Form einer autokratischen Monarchie oder einer Unternehmenskonstruktion, in der ein einziges Leitungsorgan die uneingeschränkte Macht innehat. Eine seiner Ideen ist die Schaffung eines Systems aus zahlreichen von Unternehmen kontrollierten souveränen Einheiten (Patchwork), in denen frei mit Gesetzen, Regeln und Technologien experimentiert werden könnte.

Wie die meisten Ideologen des "neuen Amerikas" spricht sich Yarvin im Bereich der Außenpolitik für die Demontage der nach 1945 entstandenen "liberalen Weltordnung" aus, in der die Vereinigten Staaten die Rolle des Weltpolizisten und Sicherheitsgaranten innehatten. Yarvin befürwortet sogar den Rückzug der USA aus Europa, wobei er jedoch anmerkt, dass Großbritannien als angelsächsisches Land unter dem Schutz der USA bleiben sollte. Dabei hätte er nichts dagegen, wenn beispielsweise die Türkei und Griechenland miteinander in Konflikt geraten würden. Dies sei ausschließlich ihre Angelegenheit und kein Problem der USA. Im Gegensatz zu seinem milliardenschweren Freund Thiel äußert sich Yarvin jedoch besonnener und sogar mit zurückhaltender Bewunderung über das moderne China.

Yarvin, dessen jüdische Vorfahren im Zeitalter des Russischen Reiches aus Odessa emigrierten, vertritt eine unorthodoxe Sichtweise auf den Zweiten Weltkrieg. Seiner Meinung nach strebte Hitler keineswegs nach der Weltherrschaft. Er wollte lediglich die Anerkennung seiner Herrschaft in Kontinentaleuropa, wobei er die europäischen Juden als Geiseln für Verhandlungen mit den USA und Großbritannien benutzte. Hätte Roosevelt einem Deal mit Hitler zugestimmt, hätten der Weltkrieg und der Holocaust möglicherweise vermieden werden können.

Land, Yarvin und andere Intellektuelle der "dunklen Aufklärung" mögen auf den ersten Blick weit weniger bedeutend erscheinen als die Milliardäre Musk und Thiel. Es sollte jedoch die Frage gestellt werden: Wer spielte vor hundert Jahren eine bedeutendere Rolle bei der Gründung des Dritten Reiches – einer der wichtigsten Kapitalisten Deutschlands, Gustav Krupp, der Hitler unterstützte, oder der geniale politische Philosoph und spätere Chefjurist des Dritten Reiches, Carl Schmitt (der übrigens gern von Yarvin und Thiel zitiert wird), der die Theorie des "Ausnahmefalls" entwickelte, auf deren Grundlage 1933 vom Reichstag ein Gesetz verabschiedet wurde, das Hitler unbegrenzte Machtbefugnisse einräumte?

Amerikanische Hegemonie – Ende oder Neuformatierung?

Die sich formierende Ideologie des "neuen Amerikas" ist heterogen und beinhaltet verschiedene Szenarien. Sie muss sich nicht zwangsläufig zu etwas Bösartigem verwandeln, das an das Dritte Reich oder die "Großostasiatische Wohlstandssphäre" erinnert. Aber in den Ideen und Bedeutungen, die heute in Amerika und anderen Ländern der Anglosphäre zirkulieren, gibt es vieles, was alarmierend ist. Dazu gehören das Streben nach der Kultivierung von "technologischen Übermenschen", "Super-Raubtieren" oder "posthumanen Wesen" sowie rationalisierende Vorschläge, die absolute Macht an ein "einziges Exekutivorgan" zu delegieren. Die Ideologen des "neuen Amerika" verachten zwar die liberale, "auf Regeln basierende" internationale Ordnung, die seit Jahren als "heilige Kuh" der globalen US-Hegemonie gilt, aber das bedeutet nicht, dass sie Amerika nur als eines der souveränen Subjekte einer multipolaren Welt sehen wollen. Zwar mögen die amerikanischen "Legionen" aus Europa, dem Nahen Osten oder Südkorea abgezogen werden, aber es wird noch raffiniertere und "technologischere" Möglichkeiten geben, um Körper und Seelen zu kontrollieren und zu beherrschen. Das Hauptkonzept, das die Schriften von Curtis Yarvin durchzieht, ist "Macht" (power). Das Lieblingsbuch von Peter Thiel, einem Mann, der ewig leben möchte, ist "Der Herr der Ringe".

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 17. Juli 2025 zuerst auf der Homepage von "Rossija w globalnoi politike" (englischsprachige Ausgabe: "Russia in Global Affairs") erschienen.

Artjom Lukin ist Professor am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen des Ostinstituts der Fernöstlichen Föderalen Universität.

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