Nordamerika

USA wollen Nord Stream 2 heimlich den Garaus machen

In dieser Woche tauchten in der westlichen Presse mysteriöse Leaks auf, wonach ein gewisser amerikanischer Geschäftsmann über den Erwerb von in der Ostsee gesprengten Gaspipelines von Gazprom verhandelt. Wer ist der Mann, wessen Interessen vertritt er – und warum sollte Russland diese Spekulationen ignorieren?
USA wollen Nord Stream 2 heimlich den Garaus machenQuelle: Gettyimages.ru © Serg Myshkovsky/Photodisc

Von Geworg Mirsajan

"Ein Finanzier aus Miami versucht heimlich, die Pipeline Nord Stream 2 zu kaufen", berichtet die amerikanische Zeitung The Wall Street Journal. Bereits im Februar dieses Jahres beantragte Stephen Lynch (ein amerikanischer Finanzier, der früher auf dem russischen Markt tätig war) beim US-Finanzministerium die Erlaubnis zu Verhandlungen über den Kauf der Pipeline Nord Stream 2 mit ihrem Betreiber – der in der Schweiz ansässigen Nord Stream AG 2.

Diese Prozedur ist unumgänglich: Nord Stream 2 wurde von den Amerikanern sanktioniert, mit der Folge, dass amerikanischen Bürgern jeglicher Kontakt mit ihrem Betreiber verboten ist. Und um diese Kontakte aufnehmen zu können, ist eine Erlaubnis des US-Finanzministeriums erforderlich.

Aber Lynch will nicht nur diese Kontaktaufnahme, sondern er beabsichtigt – wie bereits angekündigt – das Unternehmen als solches und damit alle Gaspipelines zu erwerben. Dies soll entweder direkt von Gazprom oder im Rahmen eines Versteigerungsverfahrens erfolgen (falls die Schweizer Behörden das Unternehmen nach dem Insolvenzverfahren zur Versteigerung anbieten). Der Preis liegt bei etwa 700 Millionen US-Dollar, um – wie Lynch es ausdrückt – "Nord Stream 2 zu derussifizieren".

Was bedeutet das, und wie kann Lynch von einem solchen Geschäft profitieren?

Ja, er ist ein bekannter Spekulant. Unter anderem versucht er, russische Vermögenswerte im Ausland – die aufgrund von Sanktionen an Wert verloren haben – zu erwerben und sie dann seiner Geschäftsbeziehungen wieder in Betrieb zu nehmen. Lynchs Initiative schaffe daher "potenziell Möglichkeiten, die umstrittene Gaspipeline wieder in Betrieb zu nehmen ... wenn im Ukraine-Krieg ein Waffenstillstand erreicht wird", so die Washington Post.

In Wirklichkeit wird dieses finanzielle Argument – jetzt günstig kaufen, um später teurer zu verkaufen – jedoch durch die Ungewissheit über die Zukunft von Nord Stream 2 zunichtegemacht. Die Pipeline funktioniert nicht und wird wahrscheinlich auch in naher Zukunft nicht funktionieren. Nicht zuletzt, da Europa und insbesondere Deutschland den Kauf von russischem Erdgas via Pipeline prinzipiell und aus politischen Gründen ablehnten.

Nach der Bundestagswahl in Deutschland im Februar 2025 wird sich daran wohl nichts ändern – als Wahlkampffavorit gilt die CDU/CSU, deren Vorsitzender Friedrich Merz eine harte Verhandlungsposition gegenüber Moskau vertritt. Und er will kein russisches Erdgas über Nord Stream 2 beziehen, sondern dem Kiewer Regime die hochpräzisen Taurus-Marschflugkörper samt den für deren Instandsetzung zuständigen deutschen Militärspezialisten überlassen.

Der potenzielle Betreiberwechsel wird an der Haltung Europas gegenüber der Pipeline nichts ändern. "Die Gaspipeline stellt lediglich ein Mittel dar, sie ist nur ein Werkzeug. Im Mittelpunkt stehen die Gasreserven und die Gasquelle. Und die Gasquelle ist Gazprom", mahnt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Folglich wird die These vom "undemokratischen russischen Gas" weiterhin gelten, ebenso wie das sogenannte Dritte Energiepaket, das es einem Erdgaslieferanten untersagt, mehr als die Hälfte der Pipeline mit seinem Erdgas zu befüllen.

"Lynchs Argumente klingen unlogisch. Stellen wir uns vor, er erklärt dem US-Finanzministerium, dass die Amerikaner den Russen ihren Willen diktieren werden, wenn ihm der Erwerb von Nord Stream 2 erlaubt wird. Das wäre ein Druckmittel gegen Moskau. Aber in welcher Weise?", stellt Igor Juschkow, Dozent an der Finanzuniversität und Experte des Nationalen Energiesicherheitsfonds, in den Raum – eine rhetorische Frage.

Es wäre eine Sache, wenn die Amerikaner eine funktionierende Gaspipeline erwerben und versuchen würden, sie stillzulegen. Dann würden sie beispielsweise die bestehenden Gasverträge Russlands mit europäischen Ländern und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Gazprom bedrohen, wie es die Ukraine zu Zeiten von Julia Timoschenko bereits praktizierte. Aber die Gaspipeline funktioniert schon jetzt nicht. Und die Amerikaner sind ganz offen dagegen, dass sie jemals wieder in Betrieb genommen wird.

Laut einem von der Washington Post zitierten anonymen Vertreter der Biden-Administration liegt die Wiederinbetriebnahme von Nord Stream 2 – und damit die Lieferung von russischem Erdgas in die EU – "nicht im Interesse der USA". Ihm zufolge setzt Moskau Gas als Druckmittel gegen Europa ein – was bedeutet, dass es in der Alten Welt überhaupt kein russisches Gas geben sollte.

Und diese Position erklärt die Logik von Lynchs Initiative. Im Rahmen dieser Logik agiert der Geschäftsmann nämlich nicht aus Eigennutz, sondern als Vertreter des US-Staatsinteresses.

Dieses Interesse besteht nicht nur darin, Druck auf Russland auszuüben, sondern die Gaspipeline vollständig zu zerstören. Immerhin ist einer der Pipelinezweige von Nord Stream 2 nach dem Sabotageakt unbeschädigt geblieben.

Die russische Staatsführung wies wiederholt auf die Möglichkeit hin, die Gaslieferungen nach Europa über diesen Pipelinezweig sofort wieder aufzunehmen. Genau dieser Umstand macht der amerikanischen Regierung Sorgen. Die Saboteure hinterließen ihr kriminelles Werk unvollendet – und die USA erwarten von Lynch, dass er es zu Ende bringt. Er wird die Gaspipeline erwerben und sie endgültig zugrunde richten – vielleicht sogar auf rein physischer Ebene. Oder er wird sie unter die Kontrolle der US-Regierung stellen. "Aus der Sicht ihrer nationalen Interessen brauchen die Amerikaner Nord Stream 2 nur als einen Metallhaufen auf dem Meeresgrund. An den Gaslieferungen durch die Pipeline sind sie jedoch nicht interessiert", sagt Igor Juschkow.

Aber selbst wenn der Deal zustande kommt, wird Gazprom nicht einmal diese lächerlichen 700 Millionen US-Dollar für die Gaspipeline bekommen. "Die Nord Stream AG 2 gehört zu 50 Prozent direkt Gazprom und zu weiteren 50 Prozent ihrer niederländischen Tochtergesellschaft Gazprom Gerosgaz Holdings B.V. Das Bieterverfahren wird jedoch von den Schweizern durchgeführt, und sie werden das Geld nicht an Gazprom nach Russland überweisen. Die niederländische Tochtergesellschaft steht wiederum unter Zwangsverwaltung", erklärt Igor Juschkow.

Im Endeffekt wird die Gaspipeline – sollte sie tatsächlich veräußert werden – ein Geschenk an die Amerikaner darstellen. Und all das nur, um Nord Stream 2 endgültig zu begraben und dem russischen Unternehmen die Möglichkeit zu nehmen, den Gastransit nach Europa durch die Ostsee wieder aufzunehmen? Und wie soll Russland davon profitieren?

"Für Gazprom macht es keinen Sinn, den Bedingungen des Lynch-Deals zuzustimmen. Es wäre unklug, einen solchen Aktivposten zu diesen Bedingungen zu veräußern – die beste Option wäre hier, die Pipeline auf dem Meeresgrund liegenzulassen. Das bringt keine zusätzlichen Belastungen mit sich", sagt Igor Juschkow. Allein für den Bau des Offshore-Teils der Gaspipeline gab Gazprom fast 10 Milliarden Euro aus, ohne dabei die Investitionen für die Errichtung der Landinfrastruktur von Jamal bis zu den Häfen des Leningrader Gebiets zu berücksichtigen.

Früher oder später wird der Ukraine-Konflikt ein Ende finden. Früher oder später kehrt Europa zu für beide Parteien vorteilhaften Energiebeziehungen mit Russland zurück. Und dann werden beide Nord Streams ihre Rolle zugunsten Russlands, aber nicht zugunsten der USA spielen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 1. Dezember 2024 zuerst auf der Seite der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität in Kuba und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.

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