Nordamerika

Rainer Rupp: Kann Amerika seine globale Vormachtstellung zurückgewinnen?

Die einflussreiche US-Denkfabrik "Foreign Affairs" hat eine Blaupause veröffentlicht, die sich am Wunschdenken amerikanischer Größe orientiert. Die Verfasserin der Studie zeigt dabei den typischen Realitätsverlust des US-außenpolitischen Establishments, das einfache Lösungen propagiert.
Rainer Rupp: Kann Amerika seine globale Vormachtstellung zurückgewinnen?Quelle: Gettyimages.ru © Scott Olson / Staff

Von Rainer Rupp

Die US-amerikanischen Imperialisten haben in den letzten Jahren schwere geostrategische Rückschläge einstecken müssen, aber sie fühlen sich immer noch als die Herren des Universums. Was dabei besonders gefährlich ist – sowohl für sie selbst als auch für den Rest der Welt – ist die Tatsache, dass sie sich auch weiterhin so benehmen, als könnten die ganze Welt ihrem Diktat unterwerfen, nach Lust und Laune sanktionieren, und wenn das nicht hilft, mit Krieg drohen und Konflikte anzetteln.

Angesichts der Hybris und des Allmächtigkeitswahns der Kriegstreiber in Washington kann es daher schnell zu unkontrollierbaren Eskalationen in den vielen aktuellen Konfliktherden führen, die allesamt von Washington geschürt werden. Man fühlt sich dabei an den großdeutschen Chauvinismus erinnert, der zum Ersten Weltkrieg führte und das Motto hatte: "Viel Feind, viel Ehr".

Die hiernach diskutierte Wunschdenk-Studie ist von Frau Nadia Schadlow angefertigt und am 9. Oktober von Foreign Affairs prominent auf dessen Webseite veröffentlicht worden. Frau Schadlow ist keine Anfängerin in US-Sicherheitspolitik, denn in der Trump-Administration war sie im Weißen Haus stellvertretende Nationale Sicherheitsberaterin für Strategie und bekleidet aktuell die Position als "Senior Fellow" am berühmten Hudson Institute, wo sie sich nach den Wahlen bereits auf einen erneuten Anruf aus dem Weißen Ruf vorbereitet. Offensichtlich rechnet man bei Foreign Affairs mit einem Sieg Trumps und hat dafür jemanden aus seinem früheren Team eingeladen, um darzulegen, wie Amerika unter Präsident Trump seine globale Vormachtstellung zurückgewinnen kann.

In ihrem Artikel räumt Frau Schadlow ein, dass sich die geopolitische Lage im Umfeld der USA in den vergangenen Jahren dramatisch verändert hat. Der Wettbewerb zwischen den Großmächten, der lange Zeit durch die globale Vorherrschaft der Vereinigten Staaten geprägt war, habe sich intensiviert, insbesondere durch den Aufstieg Chinas, Russlands, Irans und Nordkoreas. Diese Länder verfolgten zunehmend aggressive Strategien und suchten nach Wegen, die internationale Ordnung zu beeinflussen, während sich die USA auf neue Herausforderungen einstellen müssten.

Ein zweites Präsidentenamt von Donald Trump, der den Großmachtwettbewerb schon während seiner ersten Amtszeit in den Vordergrund gestellt habe, könnte eine tiefgreifende Neuausrichtung der amerikanischen Außen- und Verteidigungspolitik bedeuten, so Frau Schadlow, die dafür bereits ein Konzept entwickelt hat:

Die Notwendigkeit einer neuen Strategie: "Overmatch"

Ein entscheidendes Konzept in der neuen geopolitischen Ära sei die Idee des "Overmatch" (auf Deutsch: "das Übertreffen"). Diese Strategie basiert darauf, dass die USA über überlegene militärische Fähigkeiten verfügen müssten, um asymmetrische Siege über ihre Gegner zu erzielen. Es gehe darum, nicht nur auf einzelne Konflikte vorbereitet zu sein, sondern in der Lage zu sein, mehrere langwierige militärische Konflikte gleichzeitig zu führen. Dies erfordere eine grundlegende Stärkung der militärischen Kapazitäten der USA und eine größere Unabhängigkeit von ausländischen Lieferketten, vor allen Dingen in der Verteidigungsindustrie.

Allerdings würde die militärische Vormachtstellung der USA zunehmend von der schnellen Entwicklung der chinesischen Volksbefreiungsarmee bedroht, die sich auf Augenhöhe mit den amerikanischen Streitkräften bewege und in einigen Bereichen möglicherweise sogar schon überlegen sei. Um die Abschreckung wiederherzustellen, müssten die USA ihre militärischen Fähigkeiten erheblich ausbauen und ihre Reaktionsfähigkeit gegenüber Bedrohungen aller Art erhöhen.

Wirtschaftliche Stärke als Grundpfeiler der Macht

Neben militärischer Überlegenheit ist wirtschaftliche Souveränität laut der Autorin ein zentraler Bestandteil der "Overmatch-Strategie". Die USA müssen sich von ihrer Abhängigkeit von kritischen Importen, vornehmlich aus Ländern wie China, lösen. Der amerikanische Verteidigungssektor ist beispielsweise stark von seltenen Erden abhängig, die größtenteils aus China importiert werden. Dies stelle eine Schwachstelle dar, die im Falle eines Konflikts die Versorgung der Streitkräfte gefährden könnte.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, müssen die USA ihre industrielle Basis stärken und Anreize für die heimische Produktion schaffen. Investitionen in die heimische Produktion, vor allem in kritischen Sektoren wie der Batterietechnologie, seien von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig sei es notwendig, Zollbarrieren einzuführen, um amerikanische Unternehmen vor (angeblichen) chinesischen Dumpingpraktiken zu schützen. Dies würde nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der USA im internationalen Handel stärken, sondern auch ihre strategische Autonomie sicherstellen.

Energiepolitik als geopolitischer Hebel

Eine weitere zentrale Säule der neuen Strategie wäre die Energiepolitik. Trump könnte bei einer zweiten Amtszeit auf eine Wiederbelebung der "Energiedominanz" setzen, eine Politik, die fossile Brennstoffe wie Öl und Gas in den Mittelpunkt stellt. Während die Biden-Regierung versucht hat, den Fokus auf erneuerbare Energien zu lenken, könnte eine Trump-Administration auf fossile Energien setzen, um die Abhängigkeit der USA von ausländischen Energiequellen zu reduzieren und gleichzeitig ihre geopolitische Position zu stärken.

In diesem Zusammenhang spielt auch die Energieunabhängigkeit eine Rolle. Die USA sind seit 2018 der weltweit größte Ölproduzent, was ihnen nicht nur wirtschaftliche Vorteile verschafft, sondern auch geopolitische Flexibilität. Die Nutzung der eigenen Energieressourcen würde den Handlungsspielraum der USA erweitern und sie in die Lage versetzen, ihre Allianzen zu stärken, indem sie beispielsweise Europa mit Energieressourcen versorgen.

Stärkung der Allianzen und globale Führungsrolle

Ein wichtiger Bestandteil der amerikanischen Außenpolitik unter Trump sei die Konsolidierung der Allianzen gewesen. Dies würde in einer zweiten Amtszeit wahrscheinlich fortgesetzt, mit einem verstärkten Fokus darauf, dass die Verbündeten ihre militärischen Kapazitäten ausbauen und ihre Abhängigkeit von Gegnern wie China und Russland reduzieren. Insbesondere Europa zögert oft, sich vollständig an die Seite der USA zu stellen, aber eine neue Trump-Regierung könnte auf eine entschlossenere Zusammenarbeit drängen.

Ein weiteres Element der Außenpolitik wäre die Stärkung bilateraler Handelsbeziehungen anstelle multilateraler Abkommen. Dies könnte den Vorteil bieten, spezifische Partnerschaften mit ressourcenreichen Ländern einzugehen und die Abhängigkeit dieser Länder von China zu verringern. Durch solche Abkommen könnten die USA ihre geopolitische Position stärken und gleichzeitig ihre wirtschaftliche Basis erweitern.

Militärische Überlegenheit durch Technologie und Innovation

Die militärische Überlegenheit der USA wird in Zukunft nicht mehr allein auf der Menge der Ausrüstung oder der Anzahl der Soldaten basieren, sondern zunehmend von technologischen Innovationen abhängen. Der Einsatz von Drohnen im Ukraine-Konflikt hat gezeigt, wie effektiv fortschrittliche Technologien herkömmliche militärische Strukturen aushebeln können. Ähnlich könnten in einem Konflikt mit China beispielsweise Langstreckenraketen und innovative Waffensysteme die geografischen und quantitativen Vorteile der chinesischen Streitkräfte neutralisieren.

Um in einem möglichen Konflikt zu bestehen, müssen die USA sicherstellen, dass sie über die technologischen Mittel verfügen, um ihren Gegnern einen Schritt voraus zu sein. Dies erfordert nicht nur Investitionen in neue Technologien, sondern auch eine tiefgreifende Veränderung der militärischen Planungs- und Ausbildungsprozesse, um sich auf die Kriegsführung der Zukunft vorzubereiten.

Realismus in der Klimapolitik

Ein weiteres potenzielles Merkmal einer neuen Trump-Administration könnte ein pragmatischerer Ansatz in der Klimapolitik sein. Während die Biden-Regierung auf eine schnelle Dekarbonisierung setzt, könnte Trump einen Mittelweg einschlagen, der die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels auf weniger entwickelte Länder berücksichtigt. Dies könnte auch neue Allianzen mit diesen Ländern fördern, die versuchen, ihre Wirtschaften zu diversifizieren, ohne sich vollständig von fossilen Brennstoffen zu trennen.

Fazit

Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus könnte in der Tat eine bedeutende Umgestaltung der amerikanischen Außenpolitik bedeuten. In seiner ersten Amtszeit hatte er die geopolitische Ausrichtung der USA bereits zum Schrecken der EU-Eliten neu definiert, indem er den Großmachtwettbewerb, auch mit der EU, in den Mittelpunkt seiner Politik stellte.

Sollte Trump erneut Präsident werden, wäre in der Tat zu erwarten, dass er auf eine Kombination aus militärischer Überlegenheit, wirtschaftlicher Unabhängigkeit und einer energiedominierten Politik setzen wird, um die Vormachtstellung der USA auf Kosten seiner Vasallen in Europa und im Rest des Kollektiven Westens abzusichern. Allerdings wird es seiner Regierung nur ansatzweise gelingen, derart großartige Taten zu vollbringen, die sich Frau Schadlow in ihrem oben dargestellten Wunschtraum ausgemalt hat.

Leicht in den Sphären treffen sich die Gedanken, aber hart im Raum stoßen sich die realen Dinge.

Allein um die US-Rüstungsindustrie auf einen Stand zu bringen, dass sie ein "Overmatch" gegenüber Russland und China produziert, bräuchte es nicht nur gewaltige Summen für den Wiederausbau und die Ausweitung der Industrie ‒ von den Zulieferindustriebranchen angefangen bis zum Endprodukt ‒, sondern zugleich müssten enorme Summen an Zeit und Geld in die Bildung investiert werden, um die aktuell fehlenden Generationen von Ingenieuren, Mathematikern und Technikern ‒ in vielleicht zehn Jahren – für die Industrie bereitzustellen. Denn der einst funktionierende "Brain-Drain", die Abschöpfung von fähigen Wissenschaftlern und Technikern aus dem Ausland, ist längst ins Stocken geraten. Und was den Stand von technischem Wissen in der US-Bevölkerung betrifft, so liegen die US-Amerikaner – wenn sie auf sich selbst gestellt sind ‒ gegenüber China und Russland um Generationen zurück.

Diese und viele andere Probleme im Hinblick auf die Handelspolitik, US-Finanzen und Überschuldung, die wackelige Position des Dollars als Reservewährung, die Reaktionen der US-Verbündeten auf die von Frau Schadlow vorgezeichnete Untergrabung der Welthandelsorganisation und vieles mehr werden dafür sorgen, dass ihr Tagtraum von der Zurückgewinnung der globalen US-Vormachtstellung lediglich ein Traum bleibt.

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