Foreign Policy: USA müssen Entspannungspolitik und Handel zwischen Berlin und Moskau verhindern
Von Mirko Lehmann
Angesichts des Scheiterns des Westens in der Ukraine kommen aus den USA eindeutige Signale an die Europäer, besonders die Deutschen, auf keinen Fall daran zu denken, ihre Beziehungen zu Russland zu verbessern. Selbst die vorwiegend innenpolitisch motivierte Absicht von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in der nächsten Zeit ein Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu suchen, stößt auf äußerstes Misstrauen in Washington.
Nord Stream und kein Ende
Ein Artikel, der pünktlich zum zweiten Jahrestag der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines in Foreign Policy (FP), einer führenden außenpolitischen Zeitschriften der USA, erschienen ist, fordert unmissverständlich, Deutschland nicht zu erlauben, zu, wie es heißt, "seinen alten Russland-Tricks" zurückzukehren. Worum es geht, macht die Unterzeile deutlich: "Wie Washington dafür sorgen kann, dass die Ära Gazprom in Berlin vorbei ist." Verfasser des Beitrags sind der frühere US-Botschafter in der Ukraine, John E. Herbst, derzeit Senior Director am "Eurasia Center" des Atlantic Council, und Benjamin L. Schmitt, Senior Fellow am "Kleinman Center for Energy Policy" der Universität von Pennsylvania.
Der programmatische Text wiederholt die Behauptung, Moskau habe "jahrzehntelang" die Lieferungen von Energieträgern nach Europa als "Waffe" eingesetzt. Was als "unumstößliche Tatsache" 2021/22 zu beobachten gewesen sei, als Moskau die für Europa bestimmten Erdgasmengen angeblich gedrosselt habe, um Deutschland und andere europäische Länder von der "Hilfe" für die Ukraine abzuhalten. (Tatsächlich hatten die reduzierten Lieferungen aus Russland damit zu tun, dass die Europäer zunächst weniger Gas bestellt und dann Sanktionen gegen Russland verhängt hatten, was unter anderem die ordnungsgemäße Wartung der Turbinen für Nord Stream 1 verhinderte; RT DE berichtete fortlaufend.) Ungeachtet der Tatsache, dass drei Stränge der Nord-Stream-Pipelines zerstört sind, fordern die beiden US-Strategen, Sanktionen gegen die noch verbliebenen russischen Gaspipelines nach Europa zu verhängen, darunter auch Nord Stream 2. Denn die 2019 vom US-Kongress verhängten Sanktionen gegen diese jüngste Leitung laufen Ende des Jahres aus, falls sie nicht verlängert werden.
Erhobener Zeigefinger aus Washington
Mit scharfer Missbilligung wenden sich Herbst und Schmitt gegen die Politik des Ausgleichs mit Moskau, wie sie Gerhard Schröder und auch Angela Merkel betrieben. Selbst Olaf Scholz attestieren die FP-Autoren eine solche Haltung. Sie rechnen dabei mit der "Neuen Ostpolitik" ab, die Willy Brandt und andere eingeleitet hatten. Die beiden US-Experten denunzieren das Konzept "Handel und Wandel" – eigentlich "Wandel durch Annäherung" – als naiv gegenüber Moskau, sofern es nicht von "starker westlicher Abschreckung" begleitet werde. Inkriminiert werden von ihnen auch die Interessen der deutschen Wirtschaft, die "seit langem einen übergroßen Einfluss" auf die Berliner Politik ausübe. Wobei sie unterschlagen, dass es kaum Widerstand vonseiten deutscher Unternehmen gegen die seit 2013 immer zahlreicher gegen Russland verhängten Sanktionen gegeben hat. Herbst und Schmitt tadeln, ungeachtet der Befolgung der Washingtoner Sanktionswünsche, Berlin dafür, dass es sich zu selten von "Geschäften mit autoritären Staaten" durch "lästige Ablenkungen wie die nationale Sicherheit oder die Menschenrechte abhalten" lasse.
Bloß keine Entspannungspolitik
Ihre Abrechnung beziehen die US-Autoren nicht nur auf die Entspannungspolitik früherer Jahrzehnte ("Torheit"), die lediglich dazu gedient habe, mit "abgedroschenen Patentrezepten für Russland" die deutschen, "zunehmend schmutzigen Handels- und Energiebeziehungen" zu Moskau zu "verschleiern". Schröder wird einmal mehr vorgehalten, Nord Stream 1 auf den Weg gebracht zu haben und später für Gazprom und andere russische Energieunternehmen tätig gewesen zu sein.
Merkel habe obendrein Nord Stream 2 durchgesetzt, obwohl das Sündenregister Russlands seinerzeit bereits angebliche Cyberangriffe auf den Bundestag, eine Serie von Morden in Europa und die Reaktion auf den Putsch von 2014 in der Ukraine umfasst habe. Zur Entschuldigung Merkels räumen sie ein, dass die Kanzlerin zwölf Jahre ihrer 16-jährigen Amtszeit in Koalitionen mit den "traditionell russlandfreundlichen Sozialdemokraten" verbringen musste, die – unter dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (sei 2019 Vorsitzender der Atlantik-Brücke) – den Verkauf der deutschen Gasspeicherinfrastruktur an Gazprom genehmigt hatten. Von Bundespräsident Steinmeier, dem früheren Außenminister, sagen sie rundheraus, er habe im Februar 2022 die Gelegenheit verpasst, wegen der vermeintlich "gescheiterten Russlandpolitik Berlins" zurückzutreten.
Und Scholz habe, angeblich ohne Rücksicht auf die Ukraine-Krise, weiter an Nord Stream 2 festgehalten. Erst kurz vor Beginn der russischen Sonderoperation in der Ukraine habe Scholz die Betriebsgenehmigung der Leitung widerrufen – behaupten Herbst und Schmitt. Tatsächlich wurde die Inbetriebnahme der Pipeline von der neu ins Amt kommenden "Ampel"-Koalition seit dem Herbst 2021 kräftig ausgebremst, wobei sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) besonders hervortat. Eine Betriebsgenehmigung lag insofern nicht vor, weil Scholz und Habeck die Zertifizierung der Pipeline noch vor Beginn der russischen Militäroperation abgebrochen hatten.
Unzuverlässiger Scholz
Auch wenn der Kanzler im Februar 2022 doch noch die "Zeitenwende" verkündet habe, um der "russischen Bedrohung endlich die Stirn zu bieten", und Deutschland seither an zweiter Stelle hinter den USA bei den Waffenlieferungen, finanzieller und humanitärer Unterstützung für die Ukraine stehe, sei heutzutage nur noch wenig von den Versprechungen übrig. Zwar sei das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreicht, doch Berlin habe seine Militärhilfe für die Ukraine im Vergleich zum Vorjahr etwa auf die Hälfte reduziert. Scholz versuche bereits ein Jahr vor den nächsten Bundestagswahlen und aus Sorge vor dem Erstarken "kremlfreundlicher Parteien" bei den jüngsten Landtagswahlen im Osten, sich als "Friedenskanzler" zu inszenieren.
Nicht nur die zurückgehende militärische Unterstützung für die Ukraine bereitet den US-Autoren Kopfzerbrechen. Sie wollen auch sicherstellen, dass Berlin künftig, obwohl es "in erstaunlich kurzer Zeit" Ersatz für die russischen Gaslieferungen habe beschaffen können, seine früher engen Wirtschaftsbeziehungen mit Moskau nicht wieder aufnehmen kann. Gerade im Energiesektor werde der Druck von Unternehmen in Deutschland auf Berlin zunehmen, sich wieder um günstiges Pipelinegas aus Russland zu bemühen.
Interessen der USA
Daher liege es im Interesse der Vereinigten Staaten und "aller Befürworter eines freien und friedlichen Europas", dass Deutschland nicht "zu seinen alten Russland-Tricks" zurückkehre. Und "glücklicherweise" seien die USA in der Lage, dies zu verhindern. So haben im US-Senat Mitglieder des Ausschusses für auswärtige Beziehungen vor kurzem einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Sanktionen gegen Nord Stream 2 verlängern soll. Herbst und Schmitt gehen davon aus, dass die Verabschiedung des Gesetzes eher eine Formsache und bald vollzogen sein wird.
Eine Wiederholung von Abmachungen mit den USA, wie sie die Regierung Merkel in ihrer Endphase zur Absicherung des Betriebs von Nord Stream 2 angestrebt hatte, dürfe es nicht geben. Die beiden Autoren diktieren Berlin via Foreign Policy ins Heft:
"Die Ära der Vorherrschaft von Gazprom in Europa muss endlich vorbei sein, und weder die deutsche Wirtschaft noch die kremlnahen politischen Gruppierungen des Landes sollten dazu beitragen, den europäischen Frieden und die Stabilität erneut zu untergraben."
Konzession gegenüber Berlin – welche sollten das gewesen sein? – dürfe die Regierung Biden nicht wieder beschließen. Denn es gebe keinen Grund zuzulassen, dass sich "bösartige russische Energieinteressen", vermittelt "über ihre Freunde in Deutschland", wieder in Europa "einschleichen". Und die Autoren fügen eine weitere Forderung an den künftigen US-Präsidenten an: Die amerikanische Europapolitik dürfe "nicht mehr so einseitig auf die Meinung Berlins hören". Wobei sie abermals die Belege schuldig bleiben, wann dies in den letzten Jahren der Fall gewesen sein soll.
Ihre Befürchtung, Biden könne "jedoch einmal mehr Scholz' schlechtesten Instinkten entgegenkommen", indem er die Verlängerung der Nord-Stream-2-Sanktionen blockiere, falls der US-Kongress seinerseits die Sanktionen nicht fortschreiben würde, erscheint einigermaßen konstruiert. So fordern Schmitt und Herbst von Biden und Ben Cardin, dem Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des US-Senats, in den nächsten fünf Monaten, die "langfristige Sicherheit Europas" zu "stärken", "indem sie die Verlängerung der Sanktionen zulassen". Als ob daran der geringste Zweifel bestünde.
Im Zuge der Fortschreibung der Sanktionen verlangen die beiden FP-Autoren zudem ein neues Gesetz, das es ehemaligen Politikern und Staatsbediensteten "ein für alle Mal" untersagt, "für russische Staatsunternehmen oder deren Tochtergesellschaften zu arbeiten". Washington solle "Druck auf Berlin ausüben, das Gleiche zu tun". Geschehe dies nicht, würden russische Interessen dafür sorgen, dass man "eine ganze Menge Handel ohne große Veränderungen in der Pipeline" habe.
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