Nordamerika

US-Wahlen: Die Suche nach Bidens Nachfolger geht in die entscheidende Phase

In den USA nähern sich die Wahlen des US-Präsidenten. Für die Republikaner scheint Donald Trump ins Rennen zu gehen. Doch wer wird zu seinem Konkurrenten? Die Demokratische Partei zeigt sich überfordert, einen Ersatz für Joe Biden zu finden.
US-Wahlen: Die Suche nach Bidens Nachfolger geht in die entscheidende Phase© AP Photo/Stephanie Scarbrough

Von Pjotr Akopow

Joe Biden wird zu einem großen Problem: Nachdem sein Anwalt den US-Präsidenten letzte Woche als "alten Mann mit schlechtem Gedächtnis" bezeichnet hat, werden die Gerüchte über einen Rückzug Bidens von der kommenden US-Präsidentschaftswahl immer lauter und drängender. Und das ist nicht nur Gerede: Obwohl die Wahl noch zehn Monate entfernt ist und der Parteitag der Demokraten, auf dem der US-Präsidentschaftskandidat nominiert wird, erst in gut sechs Monaten stattfindet, muss die Entscheidung noch in diesem Frühjahr fallen. Später wird es zu spät sein, und derzeit haben die Demokraten noch Zeit, für einen anderen Kandidaten zu werben.

Biden ist noch nicht völlig abgeschrieben, aber die Dinge bewegen sich in diese Richtung. Seine Umfragewerte sinken, und der Wetteinsatz für einen Sieg von Donald Trump steigt. Dabei geht es nicht um den tatsächlichen Gesundheitszustand des Herrn im Weißen Haus, sondern um den Fakt, dass die US-Amerikaner zunehmend von seiner Schwäche überzeugt sind: 85 Prozent glauben, dass er zu alt für eine neue Amtszeit ist. Das ist eine Menge (20 Prozent weniger glauben dasselbe über Trump) – und es ist dieser Faktor, der bei der Wahl entscheidend sein wird.

Dabei ist Biden gar nicht so übel, wie er hingestellt wird: Er hat sowohl außenpolitisch als auch innenpolitisch mit schweren Krisen zu kämpfen. Auf der Weltbühne hat er es mit der Ukraine, dem Nahen Osten und China gleichzeitig zu tun, und die Spannung ist so groß, dass eigentlich schon eine dieser Krisen ausreichen würde. Biden ist zweifellos der erfahrenste US-amerikanische Politiker der Gegenwart, vor allem wenn es um internationale Angelegenheiten geht, mit denen er seit einem halben Jahrhundert zu tun hat. Und auch in der US-amerikanischen Innenpolitik hat er viel Erfahrung: 35 Jahre im US-Senat, acht Jahre Vizepräsidentschaft (und das nicht nur nominell) und eine Amtszeit als US-Präsident. Keiner der heute lebenden Kandidaten kann eine solche Bilanz vorweisen – Barack Obama gehörte dem Senat nur drei Jahre lang an. Bidens große und langjährige Erfahrung hilft ihm jedoch nicht nur in der Außenpolitik (hier ist der Grund, dass der allgemeine Kurs der Vereinigten Staaten sie zu den aktuellen Problemen geführt hat), sondern auch im Allgemeinen.

In den drei Jahren seiner Präsidentschaft kämpfte Biden an zwei Fronten – außenpolitisch und innenpolitisch, das heißt, er versuchte, die Verschlechterung der globalen Position der Vereinigten Staaten aufzuhalten und den rachsüchtigen Donald Trump in Schach zu halten. In beiden Fällen war er nicht sonderlich erfolgreich: Selbst die Bildung einer antirussischen Koalition konnte die Degradierung der Welt nach US-amerikanischem Vorbild nicht aufhalten, und die verschiedenen Druckmittel gegen Trump haben den ehemaligen US-Präsidenten nicht zu einem Außenseiter gemacht. Er liegt in den Umfragen nicht nur im Land, sondern vor allem in den Schlüsselstaaten (den sogenannten Swing States), von denen der Ausgang der Wahl abhängt, souverän vorn. Unter diesen Umständen konnte Biden nur eines tun: auf eine Wiederholung des Wahlszenarios 2020 setzen. Nicht in Bezug auf die Wahlmanipulation, sondern in Bezug auf die Aufforderung an die Menschen, gegen Trump zu stimmen: Wählen Sie Biden, um den verrückten Diktator zu stoppen. Für 2024 war das zwar kein gutes Szenario, aber das Weiße Haus hatte auch kein besseres. Nun hat sich jedoch eine dritte Front gegen Biden aufgetan – und eine Niederlage an dieser Front würde seinem Sieg entgegenwirken.

Diese Front ist die innenpolitischste aller möglichen Fronten – es geht um die Gesundheit des US-Präsidenten. Hier verliert Biden eindeutig, und mit jeder Woche, die verstreicht, glauben die US-Amerikaner mehr und mehr, dass er nicht in der Lage ist, seine Pflichten zu erfüllen. Das ist eine Katastrophe – nicht nur für Biden, nicht nur für die Demokratische Partei, sondern für die Mehrheit des US-amerikanischen Establishments, das Trumps zweite Amtszeit für kategorisch inakzeptabel hält. Und wenn der "Washingtoner Sumpf" zu dem Schluss kommt, dass Biden endgültig "kaputt" ist, wird er ersetzt werden. Aber durch wen?

Und hier beginnt der schwierigste Teil, denn es gibt einfach keine Ausweichmöglichkeit. Das, was 2020 als solche in Betracht gezogen wurde, nämlich Vizepräsidentin Kamala Harris, hat nicht funktioniert: Sowohl die Umfragewerte als auch das Management- und intellektuelle Niveau der Kalifornierin sind unterirdisch. In einer normalen Situation wäre das die halbe Miete gewesen – man hätte sie eine Amtszeit als offenkundig schwache Präsidentin regieren lassen und ihr zuverlässige Manager zur Seite gestellt. Allerdings hat Harris erstens noch weniger Chancen, Trump zu besiegen als Biden, und zweitens ist die internationale Lage so turbulent, dass es einfach gefährlich ist, eine völlig leere Figur an die Spitze einer Supermacht zu setzen.

Die Option Harris bleibt weiterhin bestehen, aber nur für den extremsten und verzweifeltsten Fall. In der Zwischenzeit versuchen die Demokraten, einen stärkeren Ersatz für Biden zu finden, und stehen dabei vor einer schwierigen Wahl.

Tatsächlich gibt es nur zwei mögliche Kandidaten. Der eine ist der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom. Er ist zwar auf US-Bundesebene bekannt, vertritt aber die gleiche "kalifornische Mafia" wie Harris. Sie haben sogar zusammengearbeitet: Als Newsom Bürgermeister von San Francisco war, wurde Harris dort zur Bezirksstaatsanwältin gewählt. Newsoms Tante war die Frau von Ronald Pelosi – kein Namensvetter, sondern der ältere Bruder des Ehemanns von Nancy Pelosi, der ehemaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses.

Es ist sicherlich möglich, Newsom zu nominieren, aber angesichts seines persönlichen Rufs und des Images von Kalifornien als "progressivster" US-Bundesstaat (in Bezug auf Migranten, LGBT und andere Dinge) könnte dies viele weniger radikale Anhänger der Demokraten vergraulen. Außerdem wird das Privatleben des Kaliforniers sofort eine Menge Fragen aufwerfen und Trump wird sich eine solche Gelegenheit bei den Debatten nicht entgehen lassen (welchen dann wiederum Newsom nicht entgehen kann).

Weitaus ernster als Newsom ist die Option Obama, aber nicht Barack, sondern Michelle. Barack selbst wird Ende nächsten Monats in New York auf einer Kundgebung zur Unterstützung von Biden-Harris sprechen, was allerdings nichts aussagt. Der ehemalige US-Präsident kann kein drittes Mal kandidieren, doch seine Frau war sehr beliebt. Jetzt hat sie in den Umfragen nicht mehr so viele Anhänger, was aber daran liegt, dass es keine Werbung für sie gab und, was noch wichtiger ist, dass sie bisher keinen Wunsch geäußert hatte, zu kandidieren. Die Option Michelle wurde bereits 2020 diskutiert, sie selbst lehnte sie jedoch strikt ab. Auch jetzt beabsichtigt sie nicht anzutreten, aber alles könnte sich ändern, wenn die medizinische Kommission des "Washingtoner Sumpfes" entscheidet, dass Biden nicht an den Wahlen teilnehmen kann. Dann könnte die ganze Welt versuchen, Michelle zu überreden – und es bleibt unklar, ob der Versuch erfolgreich sein würde.

Natürlich ist allen klar, dass im Falle einer Wahl Barack der eigentliche US-Präsident sein wird, denn Michelle hat keinerlei politische oder unternehmerische Erfahrung (im Gegensatz zu Trump, der über umfangreiche Erfahrungen in der Führung großer Unternehmen verfügt). Aber was man nicht alles tut, um Amerika vor der "drohenden Trump-Diktatur" zu retten. Und das wird bestimmt zum wichtigsten Slogan der Präsidentschaftskampagne der Demokraten.

Allerdings gibt es die Option der Nominierung von Barack Obama selbst – nicht als Präsident, sondern als "Vizepräsident". Das wäre eine Rochade: Nachdem 2008 der erfahrene Biden den unerfahrenen Obama unterstützt hat, wird nun der beliebte und erfahrene Obama den müden und unpopulären Biden unterstützen. Die Option ist sehr riskant und unwahrscheinlich, aber in der aktuellen Situation wird sogar ein solches Szenario diskutiert.

Kurz gesagt, die Demokraten haben niemanden, mit dem sie Biden ersetzen können, aber gleichzeitig können sie ihn auch nicht nicht ersetzen – er würde verlieren. Ist es also eine Sackgasse? Ja, und das passiert immer dann, wenn sich einflussreiche Leute von der Realität abkoppeln, an ihre Allmacht glauben und versuchen, den objektiven Lauf der Geschichte aufzuhalten. Im Jahr 2020 ist ihnen das zwar gelungen, nun denken jedoch alle, dass es ihnen nur gelungen ist, den Lauf der Dinge aufzuhalten, nicht aber, die Richtung zu ändern. Und jetzt wird alles wieder so werden, wie es war, einschließlich Donald Trump.

Übersetzt aus dem Russischen. Die Erstveröffentlichung erfolgte am 13. Februar 2024 bei RIA Nowosti.

Pjotr Akopow ist Kolumnist und Analytiker bei RIA Nowosti.

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