Am 27. Juli besuchte der US-Präsident Joe Biden die Nachrichtendienstgemeinschaft der Vereinigten Staaten (IC: United States Intelligence Community) in McLean, Virginia. Hier sprach er über aktuelle und künftige außenpolitische Gefahren für die USA. Eingangs dankte Biden den Nachrichtendiensten für ihre Arbeit:
"Der Hauptgrund, warum ich gekommen bin – und das meine ich ganz aufrichtig – ist, Danke zu sagen. Das amerikanische Volk ist – beinahe per definitionem – nicht in der Lage zu wissen, was Ihr leistet."
In seinem Amt als US-Präsident war dies Bidens erster Besuch bei der Nachrichtendienstgemeinschaft, des Zusammenschlusses aller 17 Nachrichtendienste der Vereinigten Staaten. Bidens versöhnliche Worte sind als Abkehr vom Verhalten seines Amtsvorgängers Donald Trump zu verstehen. Trumps Verhältnis zu den Geheimdiensten war von gegenseitigem Misstrauen geprägt.
Rohstoffkonkurrenz am Nordpol
Zur zunehmenden geostrategischen Bedeutung des Nordpols sagte Biden, dass die dramatische Erwärmung der Arktis den Wettbewerb um jene Ressourcen eröffne, die früher nur schwer zugänglich gewesen wären.
"Ich hatte einen Weckruf, als Herr Putin mir mitteilte, was er als Russlands Eigentum in der Arktis ansieht. China schaut sich das auch sehr genau an, wo die Russen sind."
Nach den Gesprächen im Juni hatte der russische Präsident Wladimir Putin erklärt, dass Befürchtungen über eine angebliche Militarisierung der Arktis unbegründet seien. Die russische Seite stelle lediglich "die Infrastruktur wieder her, die einst verloren ging, die einst völlig zerstört war", und zwar nicht nur die militärische.
Die Stellvertretende Unterstaatssekretärin für internationale Angelegenheiten der US Air Force, Kelli Seybolt, hatte sich am Mittwoch differenzierter geäußert als der US-Präsident. Sie sei der Meinung, dass es zwischen den USA und Russland gemeinsame Interessen gebe. Seybolt sagte auch, dass ihr der Wunsch Moskaus bekannt sei, in der einen oder anderen Form Sicherheitsfragen bezüglich der Arktis zu besprechen. Sie denke zwar nicht, dass das bald passieren werde. Längerfristig schließe sie solche Gespräche aber nicht aus. Zuerst müssten sich die Beziehungen beider Länder zueinander verbessern.
Die mögliche Rolle Chinas als Akteur in der Arktis sieht Seybolt hingegen nach eigenen Angaben kritisch. Die Mitteilung Chinas im Jahr 2018, ein arktisnaher Staat zu sein, hätte ihr Blick auf die Landkarte nicht bestätigen können. "Offen gesagt ist dies ein Bereich, in dem wir möglicherweise mit allen arktischen Staaten zusammenarbeiten müssen, um sicherzustellen, dass unsere gemeinsamen Interessen geschützt werden", sagte Seybolt.
Senatswahlen 2022 und Cyberangriffe
Gegenüber den Nachrichtendiensten wiederholte Biden die Vorwürfe gegen Russland, sich in die amerikanische Innenpolitik einzumischen. Im Zusammenhang jüngster nachrichtendienstlicher Erkenntnisse sprach Biden von einer "klaren Verletzung unserer Souveränität". Im sogenannten President's Daily Brief, dem täglichen Bericht der US-Geheimdienste für den Präsidenten, sehe man, was Russland bereits bezüglich der Wahlen 2022 an Fehlinformationen mache.
Zudem warnte Biden vor der zunehmenden Gefahr von Cyberangriffen auf empfindliche Infrastruktur. Die könne sogar zu einem heißen Krieg führen:
"Wenn wir in einen Krieg mit einer Großmacht mit echten Gefechten verwickelt werden, wird dies die Folge eines weitreichenden Cyberangriffs gewesen sein. Und die Möglichkeiten hierfür nehmen exponentiell zu."
Laut einem Bericht der dpa stellte die US-Regierung am Mittwoch Pläne vor, wie sie den Schutz kritischer Infrastrukturen verbessern will. Unter anderem soll die US-Behörde für Cyber- und Infrastruktursicherheit (CISA) gemeinsam mit anderen Stellen Zielvorgaben entwickeln. Fast 90 Prozent der kritischen Infrastruktur in den USA sei in der Hand des Privatsektors, weshalb dieser auch in die Pflicht genommen müsse.
Im Juni hatten Biden und Putin auch das Thema Cybersicherheit besprochen. Bei künftigen gemeinsamen Gesprächen würde es um konkrete Ziele gehen, die von Cyberattacken ausgenommen sein sollten. Eine vorläufige Liste hatte Biden Putin übergeben. Ihr zufolge zählten zur kritischen Infrastruktur der USA der Lebensmittel- und Energiesektor, Verkehrs- und Kommunikationsnetze, Banken oder Gesundheitseinrichtungen.
Zusammenarbeit trotz tödlicher Rivalität
Laut amerikanischen Medienberichten wolle die Regierung von US-Präsident Joe Biden keine Sanktionen gegen Putin direkt verhängen. Man sei nicht sicher, ob die Sanktionen zu greifbaren Ergebnissen führten. Man befürchte sogar, dass Sanktionen gegen "russische Oligarchen" ihre Abhängigkeit vom Staat nur verstärken.
Über den russischen Präsidenten sagte Biden zu den US-Geheimdiensten:
"Herr Putin hat ein echtes Problem – er sitzt auf einer Wirtschaft, die Atomwaffen und Ölquellen hat und sonst nichts. Er weiß, dass er in echten Schwierigkeiten steckt, was ihn meiner Meinung nach noch gefährlicher macht."
Gleichzeitig müssten die USA aber mit Nationen wie China und Russland zusammenarbeiten, betonte Biden. Diese seien "unsere Rivalen" und in Zukunft potenziell "tödliche Rivalen". Es gehe aber um existentielle Bedrohungen, zum Beispiel um den Klimawandel, denen man gemeinsam begegnen müsse.
Am Mittwoch, einen Tag nach Bidens Besuch bei den Nationalen Sicherheitsdiensten, kam es zu Abrüstungsgesprächen zwischen den Vizeaußenministern Russlands und der USA in Genf. Auf dem Treffen in Genf am 16. Juni 2021 hatten sich die beiden Präsidenten auf eine "strategische Stabilität" zwischen ihren Ländern geeinigt, ein Gleichgewicht der Abschreckung – ähnlich wie während des Kalten Krieges.
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