Nordamerika

US-System am Limit: Historischer Ansturm auf Armen-Tafeln und Billionen Dollar für die Industrie

Die USA brechen einen COVID-Rekord nach dem anderen. Die Zahl der Arbeitslosen steigt dramatisch und Zehntausende stürmen in diversen US-Städten die lokalen Tafeln. Währenddessen erfreuen sich Industrie und Finanzoligarchie billionenschwerer Geschenke der US-Regierung.
US-System am Limit: Historischer Ansturm auf Armen-Tafeln und Billionen Dollar für die IndustrieQuelle: Reuters © Lucy Nicholson

Das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" war schon immer ein Mythos, der sich für allzu viele US-Amerikaner nie mit der Realität deckte. Mag man lokalen Medien Glauben schenken, ist vielmehr das "Land der endlosen Tafelschlangen" nun tatsächlicher Alltag – so etwa im US-Bundesstaat Texas.

Was sich zurzeit vor Ort abspielt, bezeichneten die San Antonio Express-News als die "vielleicht ernüchterndste Erinnerung an die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie". Ganze 10.000 Haushalte drängten sich demnach zuletzt an den Ausgabestellen der lokal organisierten Armenspeisungen der San Antonio Food Bank, um die knurrenden Mägen mit etwas Essbarem zu füllen.

"Es war ein harter Tag heute", erklärte Eric Cooper, Präsident und Chief Executive Officer (CEO) der Food Bank, nach der größten Verteilungsaktion in der 40-jährigen Geschichte der Non-Profit-Organisation. Demzufolge habe man noch "nie eine so große Nachfrage befriedigt wie jetzt". Doch mit diesem traurigen Rekord steht Texas keineswegs allein dar.

Im ganzen Land ächzen die Armenküchen unter dem Andrang tausender Bedürftiger. In Pittsburgh etwa, bildeten sich zuletzt kilometerlange Autoschlangen vor den Ausgabestellen der Pittsburgh Community Food Bank, um eine der Nahrungsmittelrationen zu ergattern.

Das United Center, eigentlich das zu Hause der Chicago Bulls und Chicago Blackhawks, wurde aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus derweil zu einem riesigen Lebensmittellager umfunktioniert. In weiten Teilen der Vereinigten Staaten brachte Corona das ohnehin bereits brodelnde Fass nur zum Überlaufen und für ein stetig wachsendes Millionenheer neuer Arbeitsloser ist echter Hunger nun längst kein Fremdwort mehr.

Bei all dem handelt es sich nicht um düstere Zukunftsvisionen sogenannter "Kapitalismuskritiker" oder das geheime Wunschdenken vermeintlicher "Anti-Amerikaner", sondern um die bittere Realität eines Landes das kurz vor dem gesellschaftlichen Offenbarungseid zu stehen scheint.

Gegenüber der US-Nachrichtenseite MintPress News erklärte die Aktivistin und Journalistin Eleanor Goldfield, dass die Schar an Bedürftigen "im ganzen Land in die Höhe geschossen" sei.

Ein Mann, der uns hier bei D.C. Mutual Aid Network anrief, um uns um Hilfe zu bitten, sagte, er sei am Tag zuvor mehrere Meilen zu Fuß gegangen, um zu einer örtlichen Lebensmittelbank [Tafel, Anm. d. Red.] zu gelangen, nur um festzustellen, dass diese geschlossen sei. Er sagte, ihm seien die Lebensmittel völlig ausgegangen und er verstehe nicht, wie sie einfach so den Betrieb einstellen konnten", erläuterte Goldfield.

Gemeinsam mit der ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil (RT Deutsch berichtete) hat sich demnach die Region New York/New Jersey in eines der amerikanischen Corona-Epizentren verwandelt. Nur noch die glitzernden Fassaden Manhattans und die gepflegten Gärten der Vororte vermögen es, halbwegs über die Realität hinwegzutäuschen.

Die Behörden haben derweil nur noch eine ungefähre Ahnung davon, wie viele vor allem arme US-Amerikaner die Lungenkrankheit COVID-19 bereits mit dem Leben bezahlt haben. Die Schätzung des Bundesstaates New York liegt um mehr als 1.000 Opfer höher, als es die Angaben der Stadt selbst darlegen – ein Hinweis darauf, wie sehr die Behörden der Stadt überfordert sind. Über ein Prozent der New Yorker Rentner liegt demzufolge derzeit mit COVID-19 im Krankenhaus.

Menschen sterben links und rechts, ohne Übertreibung. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass unser Gesundheitssystem solche Prügel einstecken muss", schilderte der Anästhesie-Krankenpfleger Derrick Smith den neuen Alltag im Big Apple.

Behelfsmäßige Leichenhallen und Kühlanhänger für die Toten seien heute ein Merkmal der meisten Krankenhäuser der Region.

Nach Angaben der New Yorker Lebensmittelbank befände sich die Stadt "in einer Krise, wie wir sie noch nie erlebt haben". Während die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie anhielten, seien immer mehr Bürger der Stadt "mit Ernährungsunsicherheit konfrontiert". Demnach rechne man damit, in den kommenden 90 Tagen 15 Millionen Mahlzeiten für die immer weiter ansteigende Zahl an Bedürftigen bereitstellen zu müssen.

Wir haben einen signifikanten Anstieg der Nachfrage nach Lebensmitteln erlebt, etwa 30-40 Prozent höher", gab Karla Bardinas von der Organisation Fulfill bekannt.

Es verwundert kaum, dass vor allem der ärmere Teil der Bevölkerung stark unter den Corona-Auswirkungen zu leiden hat. Durchschnittlich sind auch ohne Coronavirus circa 1,5 Millionen New Yorker von Mangelernährung betroffen. Dadurch ist ihr Organismus bereits enorm geschwächt, wenn sie sich mit dem Coronavirus infizieren. Eine Krankenversicherung ist hingegen nur ein ferner Traum. Im Stadtteil South Bronx sind es 37 Prozent der Einwohner, die jeden Abend mit einem Loch im Bauch ins Bett gehen müssen – die höchste Rate aller US-Gemeinden.

Und während staatliche, genauer gesagt bundesstaatliche Hilfen für die bedürftigen Menschen, sich mit dem berühmten Tropfen auf den heißen Stein vergleichen lassen, feiern Finanzindustrie und Großkonzerne die geschnürten Hilfspakete der Regierung.

Vor etwas mehr als drei Wochen, am 23. März, schloss der Dow Jones Industrial Average (Dow Jones) bei 18.591 gegenüber seinem Höchststand vom 13. Februar mit 29.551 und büßte damit fast 35 Prozentpunkte ein.

Seit dem 23. März sind es zwei Größen die parallel zueinander gewachsen sind: die mit COVID-19 in Zusammenhang stehenden Opferzahlen und der Dow-Jones-Index (zusammen mit den Durchschnittswerten anderer Indizes wie S&P und NASDAQ).

In aller Eile beschloss der US-Kongress seine mehrere Billionen US-Dollar schweren Rettungspakete für Finanzindustrie, Konzerne und Investoren. Das sogenannte CARES-Gesetz wurde am 27. März entsprechend in Kraft gesetzt. An diesem Tag schloss der Dow Jones Industrial Average bei 21.636 Punkten – ein Anstieg um fast 3.000 Punkte innerhalb von vier Tagen. Gleichzeitig verdreifachte sich zwischen dem 23. und 27. März die Zahl der mit dem Coronavirus in Zusammenhang stehenden Todesfälle fast auf 1.697.

Bis Montag, den 6. April, erreichte die Zahl der COVID-19 Todesfälle 10.895. Der Dow schloss bei 22.679 Punkten. Bis zum 9. April stieg die Zahl der Todesopfer auf 16.712. Der Dow kletterte auf 23.319 Punkte. Am 14. April  waren es dann 26.000 COVID-Opfer, während die Dankbarkeit und Erwartungen der Investoren und Spekulanten den Dow bei 23.935 Punkten schließen ließ.

Die Öffentlichkeit verdient es zu wissen, welche Unternehmen vom Steuerzahler unterstützte Kredite durch die Fed erhalten und zu welchen Bedingungen, und in der Lage zu sein, zu überwachen, was diese Unternehmen tun, nachdem sie die Unterstützung des Steuerzahlers erhalten haben", schrieb der US-Abgeordnete Bharat Ramamurti in einem Brief an den Vorsitzenden der Federal Reserve, Jerome Powell, und US-Finanzminister Steve Mnuchin.


Ramamurti ist demnach die bisher einzige Person, die in die neu geschaffene Kongressaufsichtskommission berufen wurde. Der Kontrollkommission sollen eigentlich fünf gewählte Mitglieder der US-Demokraten und Republikaner angehören.

Seit dem 23. März führte COVID-19 bei mehr als 25.000 Menschen in den USA zum Tod. Im gleichen Zeitraum ist der Dow Jones Industrial Average um mehr als 30 Prozent gestiegen. Gleichzeitig warnen immer mehr Ökonomen nicht etwa vor einer globalen Rezession, sondern einer ausgewachsenen wirtschaftlichen Depression. Es sind nur noch die Billionen aus der Druckerpresse der Federal Reserve die eine bittere Realität verschleiern können. Es wird immer offensichtlicher, dass das wirtschaftliche und politische System der Verenigten Staaten von Amerika vor einer Zerreißprobe steht.

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