Meinung

Das Versagen der Merkel-Regierung: Coronavirus und marktkonforme Seuchenbekämpfung

Die gemeinsame Pressekonferenz von Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn am Mittwoch zur Corona-Epidemie hat eins deutlich gemacht: Die Politik wälzt die Verantwortung auf die Bürger ab. Ihr Hauptanliegen ist es, die Wirtschaft zu schützen.
Das Versagen der Merkel-Regierung: Coronavirus und marktkonforme SeuchenbekämpfungQuelle: www.globallookpress.com © Kay Nietfeld/dpa

von Gert Ewen Ungar

Schon jetzt ist klar, das Coronavirus wird sich in Deutschland weiter ausbreiten. Die Epidemie ist außer Kontrolle, für eine regionale Eindämmung nach chinesischem Vorbild ist es längst zu spät. 

Das ist erstaunlich, denn im Gegensatz zu vielen anderen Vorfällen ist die Ausbreitung einer Virusinfektion weitgehend berechenbar. Sie unterliegt klaren Gesetzmäßigkeiten. Europa und Deutschland hatten zudem einen mehrmonatigen Vorlauf. Der ursprüngliche Ausbruch fand nicht in Deutschland, sondern im Dezember im weit entfernten China statt. Die chinesischen Behörden reagierten vorbildlich, die Epidemie ließ sich dort weitgehend auf eine Region begrenzen und gilt dort mittlerweile auch als eingedämmt. Die Ansteckungszahlen sind rückläufig, die eilig errichteten Krankenhäuser für COVID-19-Patienten werden geschlossen und die Versorgung wird wieder von den regulären Krankenhäusern übernommen. 

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China hat vorgemacht, wie es geht. Es hat mit einer unglaublichen Anstrengung auf eine Gefahr für die Bevölkerung reagiert und hat dafür eine Beschädigung seiner Wirtschaft in Kauf genommen. Man hätte sich darauf einrichten können und man hätte das Krisenmanagement Chinas einfach nur kopieren müssen. Aber nein, das tat man nicht. 

Einen kleiner werdenden Vorlauf hat man auch jetzt wieder. Auch jetzt könnte man wieder etwas lernen, sich einstellen und angemessen reagieren. Italien hat es einige Tage früher getroffen als Deutschland. Man könnte dort hinschauen, denn so, wie heute Italien aussieht, wird Deutschland in einigen Tagen auch aussehen. Man verweigert auch hier jedes Lernen. 

Das Virus trifft in Deutschland auf gänzlich andere Bedingungen und Strukturen als in China. Für die Ausbreitung bessere, förderliche für eine Epidemie. Es trifft vor allem auf eine Politik, die sich selbst völlig entmachtet hat. So scheint die Sorge um das Wohl der deutschen Wirtschaft deutlich stärker im Mittelpunkt der politischen Aktivitäten zu stehen, als die Sorge um das Wohl der Bürger. Und die Maßnahmen kommen zu spät, sind zu zaghaft.

So stimmte Bundeskanzlerin Merkel am 11. März auf einer eigens zum Thema Coronavirus anberaumten Pressekonferenz die deutsche Bevölkerung auf eine Durchseuchung von bis zu 70 Prozent ein. Einig ist sich Merkel mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts darüber, dass die Ausbreitung möglichst langsam vonstattengehen sollte, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Maßnahmen allerdings, die dazu geeignet wären, dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen, halten weder Merkel noch Spahn bereit. Zwar sollen Veranstaltung mit über tausend Teilnehmern abgesagt werden, aber die wirklich großen "Veranstaltungen" mit weit mehr als "tausend Teilnehmern" bleiben davon unberührt: Der öffentliche Nahverkehr, Schulen, Universitäten, Arbeitsstätten, all das bleibt vorerst geöffnet. Daran änderte auch das Krisentreffen zwischen Bund und Ländern am Donnerstagabend nichts. Einzig Bayern und das Saarland haben sofort reagiert. Dort bleiben Schulen und Kitas ab Montag geschlossen. Und in Berlin sollen die Schulen nun "stufenweise" geschlossen werden. 

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Spahn und Merkel adressieren die Bürger, die vom Besuch größerer Veranstaltungen Abstand nehmen und ihre sozialen Kontakte – in ihrer Freizeit wohlgemerkt – einschränken sollen. Politik – so wird hier deutlich – lagert verantwortungsvolles Handeln an die Bürger aus. Das ist Marktradikalismus in seiner vollendeten Form. 

Frau Merkel ist es lediglich wichtig anzumerken, dass der deutschen Wirtschaft Hilfen in Aussicht gestellt werden. Wer sich den Teil der Pressekonferenz anschaut, in dem Merkel über Wirtschaft spricht und einen Vergleich zur Finanzkrise von 2008 zieht, kann über ihre ökonomische Unkenntnis nur erschüttert sein. Worüber man zudem erschüttert sein muss, ist, dass sie den Schutz der Wirtschaft über den der Bürger stellt. Schon die Gestik spricht Bände. Die globale Wirtschaft ist ein sensibles, zu behütendes und schützendes Wesen, das Merkel in dem Augenblick, als sie darüber spricht, wiegend in den Händen hält.

Auch da wird ganz deutlich, wo ihre Prioritäten liegen. Wir haben nicht nur eine marktkonforme Demokratie, sondern auch ein marktkonformes Seuchenmanagement. Merkel glaubt, die sich nach konkreten mathematischen Prinzipien weiter ausbreitende Epidemie sei schwieriger vorherzusehen als die Entwicklungen im Rahmen der menschengemachten Bankenkrise von 2008.

Diese Aussage ist dann doch mehr als erstaunlich und zeugt auch von mangelnder Reflexion über das damalige Krisenmanagement. Wir erinnern uns, dass gerade Frau Merkel damals – angesichts der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – jede Aussage zu einem Schuldenschnitt in Griechenland auf die lange Bank geschoben hatte. Sie hat damals genauso reagiert, wie sie jetzt reagiert: zu langsam, zu zögerlich, zu wenig kompetent. Und sie hat auch damals damit die Kosten in unverantwortlicher Weise in die Höhe getrieben.  

Das viel gescholtene China, dem ja in den deutschen Medien gern ein grausamer "Staatskapitalismus" bescheinigt wird, hat angesichts der Epidemie ganz anders reagiert. Es hat frühzeitig und ganz bewusst wirtschaftliche Einbußen in Kauf genommen, um eine Ausbreitung zu bremsen und seine Bürger zu schützen, es hat Regionen abgeriegelt und Reiseverbote ausgesprochen. Eine Maßnahme, von der Jens Spahn nichts hält, weil sich ja das Virus, wenn man die Grenzen wieder aufmacht, weiter verbreitet. Da hat er recht, allerdings haben diese Maßnahmen genau das gebracht, was er eigentlich für notwendig erachtet: Eine Verlangsamung der Ausbreitung nämlich. 

China hat darüber hinaus zum Zwecke der Eindämmung viel Geld in die Hand genommen, in Rekordzeit Krankenhäuser errichtet, um eine gute medizinische Versorgung zu gewährleisten. All das werden wir in Deutschland nicht sehen. 

Deutlich sichtbar werden jetzt auch die Folgen jenes Privatisierungswahnsinns, der längst selbst vor dem Gesundheitssystem nicht halt gemacht hatte, obwohl das einen wesentlichen Teil der Grundversorgung darstellt. Je höher die Auslastung, desto höher der Gewinn, so lautet der unabdingbar notwendige Vorgabe in einem privatisierten Gesundheitsunternehmen. Jedes nicht belegte Bett stellt einen Kostenfaktor dar. Das heißt, die Auslastung liegt schon zu normalen Zeiten oft bei 100 Prozent – oder sogar darüber. Ein privatisiertes Gesundheitssystem ist nicht in der Lage, auf eine Epidemie angemessen zu reagieren. Das werden wir leider in den nächsten Wochen sehr deutlich sehen. 

Vielleicht ist aber die auf uns zurollende Epidemie auch der heilsame Schock, um uns von den zentralen Glaubensgrundsätzen des Neoliberalismus zu verabschieden, weil sie einfach falsch sind – jedenfalls für das Wohl aller Menschen. Allerdings wird das mit einer hohen Zahl an Opfern einhergehen. Denn bei einer Durchseuchung von 70 Prozent der Bevölkerung, wie sie Merkel in Aussicht stellt, und einer Sterblichkeitsrate von einem Prozent, werden wir Hunderttausende von Toten zu beklagen haben. Wenn sich das Virus allerdings dank mangelnder Maßnahmen weiterhin ungebremst ausbreiten kann, werden es Millionen sein, da das Gesundheitssystem dann schon in wenigen Tagen seine Belastungsgrenze erreicht haben wird. Und genau danach sieht es aktuell aus.

Die Politik aber hat sich aus der Verantwortung geschlichen, hat sich darum gedrückt, notwendige und unpopuläre Maßnahmen wie Grenzschließungen und regionale Quarantänen auszusprechen. Das Wohl der Wirtschaft ist ihr Hauptanliegen. Nie wurde so deutlich, wessen Interessen die Bundesregierung vertritt, wie auf dieser Pressekonferenz. Politik hat die Last auf die Bürgerinnen und Bürger abgewälzt, die weiterhin arbeiten gehen und in ihrer Freizeit zu Hause sitzen sollen.

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