Nie wieder Auschwitz: Heiko Maas als fescher Streiter für das "Gute"
von Andreas Richter
Am Montag, dem 27. Januar, wandte sich der deutsche Außenminister Heiko Maas mit einem bemerkenswerten Tweet an die Öffentlichkeit. Anlässlich des Jahrestags der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz legitimierte Maas die heutige deutsche Außenpolitik mit der Erinnerung an Auschwitz und der daraus resultierenden Verantwortung.
Der Minister schrieb wörtlich:
Nie wieder Auschwitz. Das ist auch eine Leitlinie für unsere Außenpolitik. Wo wir helfen, wo wir Recht durchsetzen, wo wir diplomatisch versuchen, Krisen zu lösen – all das hat auch immer zu tun mit unserer Erinnerung an Auschwitz. Und das muss auch so bleiben.
Im beigefügten Video erklärte Maas:
Auschwitz steht für unsere historische Verantwortung. "Nie wieder Auschwitz!", das ist eine der Leitlinien der deutschen Außenpolitik. Dort, wo wir humanitär helfen, dort, wo wir uns für Menschenrechte einsetzen, aber auch dort, wo wir mit diplomatischen Mitteln versuchen, Konflikte und Krisen zu lösen. All das hat auch immer zu tun mit der Erinnerung an Auschwitz und unserer historischen Verantwortung.
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Das Video gewinnt einen ganz eigenen Reiz aus dem Kontrast zwischen dem Auftreten der Person Maas, der mit seiner näselnden Ansprache nebst fescher Frisur und Brille selbst einem Film aus der NS-Zeit entsprungen sein könnte – und der dabei doch wirkt, wie ein Pennäler, und dem ebenso hochtrabenden wie belanglosen Inhalt seiner Worte als Bundesaußenminister.
#Niewieder#Auschwitz. Das ist auch eine Leitlinie für unsere Außenpolitik. Wo wir helfen, wo wir Recht durchsetzen, wo wir diplomatisch versuchen, Krisen zu lösen - all das hat auch immer zu tun mit unserer Erinnerung an #Auschwitz75. Und das muss auch so bleiben. #WeRememberpic.twitter.com/tb7U6pTePW
— Heiko Maas 🇪🇺 (@HeikoMaas) January 27, 2020
Im Grunde benutzt der Minister eines der größten Verbrechen des deutschen Faschismus, um die Außenpolitik der derzeitigen deutschen Regierung als grundsätzlich gut und wertegeleitet zu rechtfertigen. Indirekt leitet er aus den deutschen Verbrechen der Vergangenheit eine moralische Überlegenheit der heutigen Bundesrepublik Deutschland ab. Das ist wahrlich eine bemerkenswerte Argumentationsschleife.
Hinzu kommt, dass die Behauptung, vorsichtig ausgedrückt, unwahr ist. Maas beschreibt die deutsche Außenpolitik als angebliche Hilfe beim Durchsetzen von Recht und Diplomatie zur Lösung von internationalen Krisen. Nur hilft dieses Helfen den Hilfsbedürftigen bemerkenswert wenig. Wie es die Bundesregierung mit dem Durchsetzen von internationalem Recht hält, sieht man an ihrer seit Jahren stillschweigenden Komplizenschaft mit den USA bei den über die Basis in Ramstein koordinierten US-amerikanischen Drohnenmorden, erkennt man an den völkerrechtlich fragwürdigen und offenkundig sinnlosen Auslandseinsätzen deutscher Soldaten und an ihrer Unterstützung für Putschisten in Südamerika.
Nicht nur hier werden durch die Bundesregierung Konflikte eher befördert als gelöst. Historisch anzumerken ist, dass bereits der allererste deutsche Militäreinsatz nach der Befreiung von Auschwitz, die deutsche Beteiligung am Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien 1999, durch den damaligen Bundesaußenminister auf infame Weise legitimiert wurde, wodurch das eingangs genannte Zitat Joseph "Joschka" Fischer zu trauriger Berühmtheit verholfen hat.
Im Kampf gegen Antisemitismus muss Politik entschlossener handeln und mehr bewegen. Eins aber kann sie nicht: Die Solidarität im Alltag ersetzen. Sie entsteht nur, wenn jede und jeder von uns Farbe bekennt gegen Antisemitismus. @derspiegelhttps://t.co/HOskN6dNcw
— Heiko Maas 🇪🇺 (@HeikoMaas) January 26, 2020
In dieser Woche forderte Heiko Maas mit einem anderen Tweet, endlich den Antisemitismus zu bekämpfen. Wer wollte da widersprechen? Nur die von ihm gezogene direkte Verbindung zwischen Antisemitismus und den Verbrechen in Auschwitz greift zu kurz. Sie verschweigt Ross und Reiter, sie blendet aus, wer diese irrationale Ideologie zum eigenen Vorteil durchaus rational gebrauchte und wer jenes NS-Regime überhaupt erst an die Macht hievte. Auch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler beschreibt Maas in einem Satz mit einer anonymen Passivkonstruktion. Die verbrecherische Rolle der damaligen deutschen Eliten aus Wirtschaft, Politik und Militär verschwindet so, zu den Akteuren werden kurzerhand "die Deutschen".
Heute vor 87 Jahren wurde Hitler zum Kanzler ernannt. Zu viele erkannten die Gefahr damals nicht. Zwölf Jahre später waren 80 Millionen tot, darunter sechs Millionen Jüdinnen und Juden, Europa lag in Schutt und Asche.Die Folgen von Faschismus dürfen wir nie wieder vergessen.
— Heiko Maas 🇪🇺 (@HeikoMaas) January 30, 2020
Auch in diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass heute der Chemiekonzern BASF zynisch an die Befreiung von Auschwitz erinnert, in derselben Diktion wie der deutsche Bundesaußenminister. Aber die BASF gehörte damals als eine der bedeutendsten Firmen zu den IG Farben und war in die Errichtung und den "Betrieb" der KZ-Lager um Auschwitz eingebunden, profitierte von der Zwangsarbeit der nicht sofort vergasten Häftlinge und produzierte und verkaufte mit Profit das für den Massenmord verwendete Gas Zyklon B.
Auschwitz concentration camp was liberated 75 years ago. It is important to keep alive the memory of the suffering and the millions of murders especially of Jews during the NS regime. Particularly since anti-Semitism and racism are far from being a thing of the past #WeRememberpic.twitter.com/o41LnNBJDn
— BASF (@BASF) January 27, 2020
Bei dieser Art von Gedenken, wie sie von Heiko Maas vorgemacht wird, geht es nur vordergründig um die damaligen Opfer. Es geht auch nicht darum, ähnliche Verbrechen in Gegenwart und Zukunft zu verhindern. Tatsächlich dient Auschwitz als Fototapete, vor der sich Maas als Streiter für "das Gute" inszenieren kann. Diese Art von Zitat deutscher Verbrechen in der Vergangenheit dient auch ihm letztlich dafür, die mörderischen Verbrechen der Gegenwart unsichtbar zu machen und bohrende Fragen nach einigen gern vertuschten Kontinuitäten in der deutschen Politik zu verdrängen.
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