Meinung

Totengräber des Wohlstands – Jens Berger zeigt, wie Finanzkonzerne unsere Entwicklung bestimmen

Jens Bergers Buch "Wer schützt die Welt vor den Finanzkonzernen" liest sich wie ein Wirtschaftskrimi. Spannend geschrieben, voller Thrill, eine Geschichte, in der die Motive aller Akteure miteinander verstrickt sind. Aber im Gegensatz zum fiktionalen Krimi völlig real – leider.
Totengräber des Wohlstands – Jens Berger zeigt, wie Finanzkonzerne unsere Entwicklung bestimmenQuelle: www.globallookpress.com © imago stock&people

von Gert Ewen Ungar

Es ist ein spannendes Buch, das Jens Berger vorgelegt hat. "Wer schützt uns vor den Finanzkonzernen" liest sich über weite Strecken wie ein spannender Wirtschaftskrimi. Jens Berger versteht es, seine Leser in eine komplexe Materie einzuführen, diese dabei nicht nur leicht verständlich, sondern auch spannend darzustellen. 

Berger zeigt, dass es einige wenige große Finanzkonzerne sind, die als Vermögensverwalter über unglaubliche Summen verfügen, die sie einsetzen und bewegen, wodurch sie nicht nur Geld, sondern vor allem auch eine historisch ungekannte Machtfülle auf sich versammelt haben. Geld verleiht Macht und Einfluss, und über Geld verfügen im wahrsten Sinne des Wortes die großen Finanzkonzerne wie "BlackRock" und "The Vanguard Group" in einem Maße, der ganze Staatshaushalte in den Schatten stellt. Diese Machtfülle wissen die Vermögensverwalter gut zu nutzen, sie nehmen Einfluss auf Politik und Wirtschaft und gestalten die westlichen Gesellschaften zu ihren Zwecken. 

Bei der Lektüre wird auch deutlich, wie die in Deutschland vorgetragenen Positionen zum Kapitalismus in ihrer Kritik am Ziel vorbei schießen. Es sind weder einzelne Persönlichkeiten, nicht die Zentralbanken, weder der Zinseszins oder das Giralgeld, aber auch nicht das kapitalistische System als solches, nicht Wachstum an sich, welche zu all den gesellschaftlichen Verwerfungen und massiven Umverteilungen von unten nach oben führen. Es sind die politischen Weichenstellungen der letzten vierzig Jahre, die solchen Vermögensverwaltern wie BlackRock überhaupt erst den "Markt" als Bett bereitet haben, der ihnen schließlich das Ergreifen von Macht und Einfluss in einem nie gekannten Ausmaß ermöglichte. Diese Strukturen sind historisch gewachsen, und sie könnten natürlich auch überwunden werden – sofern der politische Wille dazu da wäre. An dem aber fehlt es aktuell – aus "gutem" Grund.

So wirft das Buch getreu seinem Untertitel "Die heimlichen Herrscher und ihre Gehilfen" eben nicht nur einen Blick auf die großen Finanzkonzerne, sondern auch darauf, wie verflochten die Beziehungen zwischen der sogenannten "Finanzindustrie" und "der Politik" sind. Es wurde ein System völlig legaler Korruption etabliert, das ungeachtet seiner Legalität für die Allgemeinheit sowie für den Zusammenhalt in der Gesellschaft schädlich ist. Die "Politik" wurde erfolgreich durch die "Finanzindustrie" gekapert. Die Drehtüreffekte – das Wechseln von politischen Positionen in hohe Positionen bei großen Finanzkonzernen und der Wechsel zurück in wiederum hohe politische Ämter – sind es, welche die Macht der Konzerne immer weiter ausweiten, Demokratie gleichzeitig aber immer weiter unterhöhlen. 

Einer der rast- und ruhelosesten Gehilfen heißt – Friedrich Merz. Und dieser CDU-Politiker greift aktuell in Deutschland nach dem Kanzleramt. Unter anderem am Beispiel seiner Person wird dieses Zusammenspiel von Politik und Finanzwirtschaft im Buch vorgeführt. Merz hatte schon während seiner Zeit als Mitglied des Deutschen Bundestages zahllose, ertragreiche Nebenjobs in der Wirtschaft. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag stellte er sein Wissen und seine Kontakte dieser freien Wirtschaft vermehrt und für ihn noch lukrativer gern zur Verfügung, wurde schließlich 2016 Cheflobbyist in Deutschland für den weltweit größten Finanzkonzern BlackRock. Inzwischen strebt Merz eine Rückkehr in die Politik und nichts weniger als den Posten des künftigen Bundeskanzlers an. Sollte ihm dies gelingen, kann man schon heute sicher sein, dass er dann all den bisherigen neoliberalen Umbau Deutschlands in den Schatten stellen und die Finanzindustrie – allen voran BlackRock – in unglaublicher Weise begünstigen wird. Und zwar mit allen vorhersehbaren negativen Effekten für die deutsche Gesellschaft: der weiteren Zunahme von Armut, dem weiteren Rückbau des Sozialstaats, der weiteren Aufspaltung der Gesellschaft in sich mehr oder weniger befehdende Interessengrüppchen und so weiter und so fort. Allem voran wird sich Merz für die weitere Zerstörung der gesetzlichen Rente und stattdessen für die Pflicht zu einer privaten Vorsorge für das Alter einsetzen. Merz weiß, wem er zu dienen hat. Der deutsche Wähler ist es jedenfalls nicht.  

Aber auch in die gesamte Europäische Union hinein sind die Finanzkonzerne bestens vernetzt. Jens Berger zeigt auch für die Ebene der EU, wie gut man sich kennt, wie sehr man sich schätzt und legt dar, wie die EU-Netzwerke – fernab vom Bürgerinteresse – funktionieren. So gelang es BlackRock nicht nur in den USA, sondern auch in der EU, beim letzten großen Crash eine maßgebliche Rolle im "Krisenmanagement" zu spielen, das den Steuerzahler einerseits nur schlappe Milliarden Euro kostete, andererseits aber BlackRock tiefen Einblick in die Geschäfte all seiner Konkurrenten ermöglichte – ein enormer Wettbewerbsvorteil. 

Mit ihren Beteiligungen in der Industrie regieren und lenken die Finanzkonzerne auch die an den Börsen notierten Unternehmen. Mit seinen Stimmrechten entscheidet BlackRock regelmäßig gegen Nachhaltigkeit, gegen ökologischen Umbau. In diesem Zusammenhang wird deutlich, wie naiv der Gedanke ist, der Verbraucher könne mit seinem Verhalten irgendeine Form der Änderung des Wirtschaftens bewirken - ein Gedanke, der in der Klimadiskussion immer wieder vorgetragen wird. Im Gegenteil wird deutlich, wie wenig das westliche, marktradikale System in der Lage ist, eine Veränderung seiner selbst vorzunehmen. Es fehlen dafür die strukturellen und systemischen Voraussetzungen.

"Die Politik" hat sich über die von ihr vorgenommenen Deregulierungen des Finanzmarktes weitgehend selbst entmachtet und überflüssig gemacht. Die Entscheidungen treffen Finanzkonzerne und in den Finanzkonzernen Algorithmen. Oder die schiere Größe wirkt – wie im Fall der passiven Investmentfonds aufgezeigt wird – einfach verstärkend. Dann haben Entwicklungen in der Realwirtschaft auf irrwitzige, aber schrecklich reale Kursentwicklungen praktisch keinen Einfluss mehr. Die Blasenbildung wird zur Regel, regelmäßig wiederkehrende Finanzkrisen damit auch.

Dass das nicht gut gehen kann, ist eigentlich klar.

Doch wer sind die Anleger, wer übergibt sein Geld diesen Finanzakteuren, von denen die Mehrheit der Deutschen sicherlich noch nie etwas gehört hat? Nahezu all die, die privat vorsorgen, die mal einen Riester-Vertrag abgeschlossen haben, für eine Lebensversicherung fleißig einzahlen, all die, die angesichts der Zerschlagung des gesetzlichen Rentensystems den Empfehlungen diverser Bundesregierungen gefolgt sind und über einen Sparplan ihre Zukunft absichern wollten. Dabei – auch das ist klar – ist kein System so krisenfest wie die gesetzliche Rente. Ganz unabhängig vom System müssen die aktuellen Renten immer aus dem aktuell Erwirtschafteten bezahlt werden. Allerdings birgt die Kopplung der Renten an die Entwicklung der Kapitalmärkte weit höhere Risiken, als es das gesetzliche Versicherungsmodell abbildet, bei dem die Rentenbeträge unmittelbar aus den Beiträgen der Beitragszahler ausbezahlt werden. Festzuhalten ist, dass es nicht einzelne reiche Multimilliardäre sind, die sich bei den großen Finanzkonzernen engagieren. Es sind alle diejenigen, die vorsorgen wollen oder müssen und das finanziell auch können. Es sind die Bürger ab der Mittelschicht aufwärts, die dieses System füttern. Es ist damit tief in die Gesellschaft implementiert. 

Allerdings wird bei der Lektüre auch klar, dass wir aus der angerichteten Misere nicht so einfach wieder herauskommen. Die Verflechtungen zwischen Politik, Industrie und Finanzinstitutionen sind weit fortgeschritten. Das ganze System basiert darauf, dass praktisch jeder darin eingebunden ist, allerdings auf höchst ungleiche Weise davon profitiert – wenn überhaupt. 

Der Verdienst Jens Bergers ist, eine Zustandsbeschreibung des aktuellen Wirtschaftssystems im Westen gezeichnet zu haben. Das macht sein Buch in besonderer Weise lesenswert. Was er dabei auch zeigt, ist die Notwendigkeit eines politisch initiierten und moderierten Wandels, denn der vom Finanzmarkt getriebene Kapitalismus wird weder einen Wandel zu nachhaltigem Wirtschaften unterstützen, noch hat er mit seiner Unterstützung der großen Rüstungskonzerne irgendein Interesse am Frieden und er wird auch keinen Beitrag zur Überwindung von Armut und dem Zerfall westlicher Gesellschaften leisten. Im Gegenteil werden durch ihn die gesellschaftlichen Unterschiede noch größer werden. 

Es bedürfte des politischen Willens, wieder das Primat der Politik über die Wirtschaft zu erlangen, um überhaupt in die Lage zu kommen, Korrekturen anzubringen und durchzubringen. Danach sieht es allerdings heute nicht aus. Weder in Deutschland, wo eine breite Koalition aus nahezu allen Parteien von AfD über CDU, FDP sowieso, Grüne und SPD diesem Treiben keinen Einhalt gebieten möchte, als auch auf Ebene der EU, die in ihrem Kern neoliberal ausgerichtet ist. So werden wir wohl den Kreis bis zum völligen Auseinanderdriften der Gesellschaft durchschreiten müssen, in der Hoffnung, dass in der Zukunft ein politisches Korrektiv entstehen kann. Im Moment sind leider kein Wille und keine Macht zur Korrektur in Sicht. Auch das lässt Berger deutlich erkennen. 

"Wer schützt die Welt vor den Finanzkonzernen" ist kein realistisch geschriebener, sondern ein real stattfindender Wirtschaftskrimi. Allen, die sich über die tieferen ökonomischen Strukturen unserer Gesellschaft und die Motive zentraler Akteure informieren wollen, sei er daher dieses Buch ans Herz gelegt.

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