Meinung

Deutsche Gestaltungsversuche – eine Einschätzung

Deutschland fühlt sich berufen, außenpolitisch stärker die Geschehnisse der Welt mitzugestalten. Es geht dabei um die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen des Landes. Ein Blick auf die bisherigen außenpolitischen Leistungen der vergangenen Jahre. 
Deutsche Gestaltungsversuche – eine EinschätzungQuelle: Reuters © Annegret Hilse

von Gert Ewen Ungar

Die einzelnen Argumentationen mögen sich im Detail unterscheiden, allerdings sind sie im Ergebnis immer gleich. Deutschland muss mehr Verantwortung in der Welt übernehmen und sich stärker engagieren. Mal wird dem amerikanischen Präsidenten eine Unzuverlässigkeit attestiert, die diesen Schritt notwendig macht, mal wird gesagt, die USA würden sich nun verstärkt der Eindämmung Chinas widmen, daher dort ihre Kapazitäten bündeln, weshalb die EU stärker aktiv werden muss – unter deutscher Führung versteht sich. Es wird die große Bedrohung aus Russland beschworen, freilich ohne konkret benennen zu können, worin diese Bedrohung besteht. Sie geht vielfach auf Gefühle der Regierungen der baltischen Staaten und Polens zurück. Eine tatsächliche reale, aggressive Politik Russlands steht diesen Gefühlen jedoch nicht gegenüber. Dieser sehr unspezifischen Bedrohungslage ungeachtet macht Russland nach deutscher Auffassung ein deutlich stärkeres Engagement notwendig. So der sich aus dieser diffus gefühlten Bedrohung ergebende Schluss, der dazu führt, dass deutsche Soldaten inzwischen wieder an der russischen Grenze stehen. 

Deutsches Engagement kann wohl nicht bedeuten, vermittelnd und moderierend auf die Gefühle unserer Nachbarländer zu reagieren, um Konfrontationen zu vermeiden. Dieses Engagement kann nach deutscher Logik nur sein, dauerhaft Truppen an der Westgrenze Russlands zu stationieren und damit bestehende Verträge und Vereinbarungen zu brechen. Damit wird dann auch deutlich, wer außerhalb von Gefühlswelten in der realen Welt wen bedroht. Diese von Deutschland aktiv geförderte Konfrontation liegt jedoch nicht im Interesse Europas, das sich nun einmal von Lissabon bis in den Ural erstreckt und nicht auf die EU begrenzt ist.

Deutschland traut sich eine stärkere, wichtigere Rolle auf dem internationalen politischen Parkett zu. Auch in Bezug auf Nahost. 

Nachdem US-Präsident Trump das völkerrechtlich bindende Atomabkommen mit dem Iran einseitig rechtswidrig gekündigt hatte, nahm man in der EU und Deutschland den Schritt mit Bedauern zur Kenntnis, mahnte den Iran zur Einhaltung und leitete Schritte zur Gründung eines Finanzinstrumentes ein, mit dem ein Handel mit dem Iran unter Umgehung der US-Sanktionen möglich werden sollte. Doch das, was da von deutscher und von Seiten der EU vollmundig angekündigt wurde, funktioniert auch heute noch nicht. Im Gegenteil ist die iranische Seite inzwischen verärgert über die Unfähigkeit Deutschlands und der EU, gegebene Versprechen einzuhalten. Eine stärkere Unabhängigkeit von US-amerikanischer Politik gelingt Deutschland nicht. 

Diese Verärgerung des Iran wird zudem noch gefüttert von den beständigen Mahnungen des deutschen Außenministers Maas, der Iran habe sich an das Atomabkommen zu halten und solle mit einer Erfüllung seiner Verpflichtungen des Abkommens zur Deeskalation beitragen. Das ist im Höchstmaß undiplomatisch und einigermaßen erstaunlich, schließlich ist Deutschland und mit ihm die EU nicht in der Lage, irgendetwas für den Erhalt des Abkommens zu tun. Und während die Worte, die in Richtung Iran gesprochen werden, immer mahnender und drohender werden, sind sie in Richtung der USA von ausgesprochener Milde. Rhetorisch übt sich der deutsche Außenminister in Schuldumkehr. Das ist für alle erkennbar keine ernstzunehmende außenpolitische Position. Festzuhalten ist, dass es Deutschland nicht gelungen ist, einen Beitrag zum Erhalt des Abkommens zu leisten. Deutschland konnte nicht aus dem Schatten der USA treten, kann seine vertraglichen Verpflichtungen nicht einlösen.

Aber es ist nicht nur die deutsche Politik gegenüber dem Iran. Aktuell am Scheitern ist die gesamte deutsche Politik für den Nahen Osten. Im vergangenen Jahr schlug Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer vor, in Nordsyrien könne ein Sicherheitsstreifen einer internationalen Mission für Ordnung und Frieden an der Grenze zur Türkei sorgen. Kurz zuvor hatten die Türkei und Russland dort Fakten geschaffen. Die Türkei hat einen Teil Nordsyriens besetzt, und Russland sorgte dafür, dass sich die Kurden aus diesem Gebiet zurückzogen, deren Präsenz nah an der türkischen Grenze die Türkei als Bedrohung ihrer Sicherheitsinteressen wertet. Der Vorschlag Kramp-Karrenbauers wirkte angesichts dieser Entwicklungen reichlich deplatziert, fast schon traumtänzerisch. Zwar lachte die Weltgemeinschaft höflicherweise nicht laut auf, aber deutlich wurde schon, in welchen Traumwelten sich die deutsche Außenpolitik bewegt. Der Vorschlag geisterte einige Zeit durch die deutsche Medienlandschaft, die so tat, als wäre eine ernsthafte Diskussion darüber notwendig. Nicht nur die deutsche Politik, auch der deutsche Mainstream ist realitätsfern, was sich offensichtlich gegenseitig verstärkt.  

Es muss einfach benannt werden: Die wichtigen Player in Nahost heißen Russland, Türkei und Iran. Deutschland und die westlichen Bündnispartner werden dort, wo sie noch nicht völlig draußen sind, zunehmend hinaus gedrängt. 

In Syrien ist Deutschland faktisch völlig draußen. Gemeinsam mit seinem großen Verbündeten hat es dort den Krieg verloren. Nun steht dort der Wiederaufbau an. Deutschland, so erklärte man, wolle sich beteiligen, man habe aber Bedingungen. Und dann kam irgendwas in Richtung "Assad muss weg" als Voraussetzung dafür, dass deutsche Firmen ihr Know-how gegen Geld dem syrischen Wiederaufbau zur Verfügung stellen. Damit war die Chance für deutsche Firmen, einen Zugang zum syrischen Markt zu finden, flugs vorbei. Vom Wiederaufbau des Landes werden daher nun im wesentlichen Russland, China und auch der Iran profitieren. Die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen hat nicht verstanden, dass sie überhaupt nicht in der Position ist, Bedingungen zu stellen, schließlich repräsentierte sie die Seite der Verlierer. Die Naivität im politischen Berlin ist grenzenlos.

Auch in Libyen kommt das westliche Engagement an sein Ende. Berlin und die EU, die sich seit Jahren in die Angelegenheiten Libyens einmischen, warnen nun vor der Einmischung durch ausländische Kräfte, denn das Kräftegleichgewicht hat sich auch dort verschoben. Inzwischen haben dort Russland und die Türkei das Sagen. Sie moderieren den Friedensprozess, dessen Einleitung dem Westen nie gelang. Dem Westen war nach der von ihm betriebenen Zerstörung der staatlichen Strukturen Libyens eine substantielle Neuordnung nicht geglückt. Aus dem einst wohlhabenden Land hat westliches Engagement einen gescheiterten Staat gemacht. Berlin plant für diesen Monat eine eigene Libyen-Konferenz und hat mit "Berlin-Prozess" auch schon einen PR-gängigen Titel gefunden. Allerdings müsste der Name eher "Moskau-Prozess" lauten, denn beim Besuch der Kanzlerin in Moskau wurde deutlich, dass ohne eine Unterstützung Moskaus der "Berlin-Prozess" nie in Gang kommen wird. Deutschlands außenpolitisches Gewicht ist zu klein, vor allem aber zu einseitig ausgerichtet, als dass es als tatsächlicher Mittler und Moderator wahrgenommen werden könnte. Anspruch trifft auf Wirklichkeit. 

Zwar wünschen sich die USA ein deutlich stärkeres Engagement der EU und damit auch Deutschlands in Nahost, allerdings brächte das der Region bedingt durch die Einseitigkeit insbesondere der deutschen Außenpolitik keinen Frieden. Die diplomatisch vermittelnden Initiativen Russlands, der Türkei und des Iran haben da wesentlich größere Aussichten, den Nahen Osten zu befrieden. Das diplomatische Know-how ist einfach um Längen besser, vor allem aber unabhängiger von transatlantischer Ideologie, von der sich Deutschland in grundlegender Weise emanzipieren müsste, um überhaupt eine Chance zu haben, als politische Kraft wahrgenommen zu werden. Dazu jedoch besteht der politische Wille nicht. Im Gegenteil scheint Deutschland das einzige Land der westlichen Welt zu sein, das bedingungslos zum transatlantischen Bündnis steht, in diesem Sinne bestehenden geopolitischen Einfluss ausbauen, zumindest aber zementieren möchte. Überall sonst zeigen sich tiefe Risse im westlichen Bündnis. Stellvertretend dafür kann die Aussage des französischen Präsidenten Macron genannt werden, der der NATO den Hirntod bescheinigte. Die deutsche Antwort darauf überbrachte Außenminister Heiko Maas. Er schlug vor, einen Arbeitskreis zu gründen, auf dem die Probleme besprochen und nach Lösungen gesucht werden könnte. Die Lösungsansätze in der deutschen Politik zeugen nicht gerade von Phantasie und Innovationskraft – an Arbeitskreisen mangelt es der NATO nun wirklich nicht. Entsprechend kann man schon jetzt dem noch zu gründenden Arbeitskreis den Hirntod bescheinigen. 

Eine Emanzipation vom Transatlantismus wird es nicht geben. Das wird ganz besonders daran deutlich, wie Deutschland mit US-amerikanischen Aktivitäten im eigenen Land umgeht. Die Ermordung des iranischen Generals Soleimani durch eine US-amerikanische Drohne wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die als Relaisstation funktionierende US-Militärbasis im rheinland-pfälzischen Ramstein ermöglicht. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht in Münster der Bundesregierung in einem Urteil aufgegeben, aktiv nachzuforschen, ob über Ramstein das Völkerrecht gebrochen wird, passiert ist bisher allerdings nichts. Die Bundesregierung wiegelt ab und lässt mitteilen, es könnten lediglich Einzelfälle überprüft werden.

Mit Soleimani liegt nun ein Einzelfall vor, der einer Überprüfung dringend bedürfte, denn es handelt sich hier mit der gezielten Ermordung eines hochrangigen Politikers, der zudem in einer Friedensmission unterwegs war, um einen offensichtlichen Völkerrechtsbruch. Soleimani sollte einen Brief der iranischen Regierung an Bagdad übergeben, der nach Saudi-Arabien weitergeleitet werden sollte, um den Friedensprozess in der Region zu verstetigen. Die Wahrscheinlichkeit allerdings, dass die Bundesregierung hier Schritte in Richtung Aufklärung und auch Eindämmung der völkerrechtswidrigen Aktivitäten auf deutschem Boden unternimmt, ist gering.

Hier wird deutlich sichtbar, welchen außenpolitischen Spagat die Bundesregierung versucht, vor allem aber wie selbstbegrenzt deutsche Außenpolitik bleibt. Einerseits möchte man aktiv mitgestalten und deutsche Interessen in der Welt vertreten. Andererseits hält man in unterwürfiger Vasallentreue am transatlantischen Bündnis fest. Das kann nicht gelingen, denn die Interessen der USA sind in immer größer werdendem Maßstab nicht die deutschen. Das hat übrigens nichts mit Trump zu tun. Die Interessen laufen schon seit geraumer Zeit auseinander. Auch Obama hat sich immer weiter von Völkerrecht und international geltenden Verträgen zurückgezogen und die aggressive Außenpolitik seiner Vorgänger nicht nur fortgesetzt, sondern noch gesteigert. Mit dem Abstieg der USA als Imperium vertritt das Land seine Interessen zunehmend aggressiv an Allianzen, Verträgen und geltendem Recht vorbei, im Ansinnen, selbigen zumindest zu verlangsamen.

Die deutsche Außenpolitik reagiert darauf unangemessen, indem sie sich an ein Bündnis klammert, das vom Bündnispartner schon längst aufgekündigt ist und sie sich ebenfalls aggressiv gegenüber den neu entstehenden Machtzentren zeigt. Sichtbar wird dies zum Beispiel in der Ukraine. Obwohl selbst die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zu der Erkenntnis kommen, dass der Bundesregierung keine belastbaren Beweise für ein militärisches Engagement Russlands im Donbass vorliegen und es sich bei dem dortigen Konflikt daher um einen klassischen Bürgerkrieg handelt, behandelt die Bundesregierung Russland weiterhin als aktive Kriegspartei und belegt es mit völkerrechtswidrigen Sanktionen. Hier wird deutlich, wie sehr Deutschland seine eigene Position fehleinschätzt. Frieden in der Ukraine gibt es nur mit und nicht gegen Russland, die Handlungen der Bundesregierung sind nicht im Interesse eines einigen Europa. 

Aktuell bildet sich eine neue Weltordnung heraus, in der die USA nicht mehr der Hegemon sein werden. Doch statt diesen Prozess mitzugestalten, hält Deutschland an der Vergangenheit fest, träumt von seiner Überlegenheit, pflegt einen ausgesprochen aggressiven, imperialistischen außenpolitischen Stil und stellt sich damit ins Abseits.   

Berlin muss sich entscheiden. Will es tatsächlich an Einfluss gewinnen, muss es sich von den USA emanzipieren. Und es muss sich aus der deutschen Blase, sich von seinen imperialen Großmachtphantasien befreien. Während ausländischen Beobachtern völlig klar ist, dass die Grundlinien der deutschen Außenpolitik im Wesentlichen in Washington festgelegt werden, ist die deutsche Selbstwahrnehmung die von Größe und Einfluss. Und das, obwohl die Projekte der deutschen Außenpolitik alle scheitern und ihre Stoßrichtungen auch keinen positiven Beitrag zum Frieden in der Welt liefern. Es fehlt Deutschland an den strukturellen und systemischen Voraussetzungen, um zu der Rolle zu kommen, in der es sich selbst sieht. Es ist weit davon entfernt, einer der großen Player und geopolitischen Gestalter zu sein. Statt nach größerem Einfluss zu streben, täte deutscher Politik ein höheres Maß an Bescheidenheit und eine Hinwendung zu den Fakten gut. Aber Aufklärung und Vernunft sind aktuell nicht die stärken Deutschlands, in dem seit geraumer Zeit alles Reaktionäre an Macht und Einfluss gewinnt. 

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