Der Beitrag des deutschen Journalismus zur gesellschaftlichen Spaltung – Ein Jahresrückblick
von Gert Ewen Ungar
In diesen Tagen ist der WDR der Adressat eines umfassenden Shitstormes, der zeigt, wie sehr sich deutsche Medienmacher von einem großen Teil des Publikums entfernt haben. Mit ihrer nach eigenen Angaben kurzerhand als "satirisch" deklarierten Umdichtung von "Unsere Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" vertiefte der WDR einen Graben noch ein bisschen mehr, der die deutsche Gesellschaft immer weiter teilt. Der WDR nutzt die Klimadebatte, um auch im sogenannten "Generationenkonflikt" noch Öl ins Feuer zu gießen. Diesen Konflikt hat der Mainstream über eine weitgehend unsachlich geführte Rentendiskussion bereits vor zwanzig Jahren selbst mitentfacht, und mit der ebenso unsachlich geführten Staatsschulden-Diskussion hat er ihn erfolgreich weiter angeheizt. Jetzt legt der WDR auf dem Spielfeld der Klimadiskussion nach.
Aus dem Vorfall lässt sich lernen: In Deutschland folgt bei zahlreichen Formen der Diskriminierung ein instinktiver Aufschrei von einem sich selbst besonders "liberal" und "offen" glaubenden Teil der Bevölkerung, aus dem sich offenkundig auch die Redakteure des Mainstreams rekrutieren. Dieses Diskriminierungsverbot umfasst allerdings nicht sämtliche gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen: "Alte weiße Männer" sind hiervon ebenso ausgenommen wie – allem Anschein nach – nun auch "alte weiße Frauen". Auf diese Gruppen darf man ungestraft draufhauen – und erhält dafür noch vehementen Applaus aus den eigenen Reihen. Am aktuellen Skandal um die vom WDR besungene "Umweltsau" lässt sich dies deutlich ablesen.
Doch wie kam es zu dieser Entwicklung? Weshalb werden immer größere Teile der Bevölkerung nicht nur politisch, sondern auch medial ausgegrenzt und einfach nicht mehr repräsentiert?
Seit etwa einem Jahrzehnt sieht sich der deutsche Mainstream nunmehr wachsender Kritik ausgesetzt. Mit der Verbreitung des Internets und den damit verbundenen Möglichkeiten des Austausches und des Zugangs zu Quellen entstand – spätestens mit der Euro-Krise im Jahr 2008/2009 – ein deutlich wahrnehmbares Unbehagen in den sozialen Netzwerken, und zwar damals angesichts der Berichterstattung in den Mainstream-Medien über Griechenland und die sogenannte "Staatsschuldenkrise".
Zwar gab es auch zuvor schon immer Formen breiter Manipulationen, was sich in Deutschland insbesondere an der absichtsvollen Zerstörung des gesetzlichen Rentensystems erkennen lässt. Auch zu dieser Frage waren die großen Medien in ihrer Breite einseitig aufgestellt, trommelten für einen Umbau und die Zerstörung eines funktionierenden Systems – zugunsten der Finanzwirtschaft. Es roch ziemlich übel nach Käuflichkeit der Redaktionen, nach käuflichen Experten und nach PR überall dort, wo eigentlich Journalismus sein sollte. Allerdings war das Internet zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage, ein breites Gegengewicht zu schaffen. Wenn jetzt zu Recht wachsende Altersarmut beklagt werden muss, ist dieser Zustand eben auch den Redaktionen des Mainstreams zu verdanken, die eine Zerschlagung eines absolut sicheren Systems im angeblichen Interesse künftiger Generationen herbei geschrieben haben. Auch daran sollte man regelmäßig erinnern. Was künftige Generationen von einem Rentensystem haben, das lediglich breite Armut garantiert, bleibt dabei bis heute ein Rätsel.
In diesem Zusammenhang gründeten kritische Vertreter der Zunft die NachDenkSeiten, die seitdem einen wichtigen Beitrag zum Erhalt eines Journalismus leisten, der diesen Namen verdient. Ein Echo im Mainstream sollen sie freilich nicht finden – wie auch die vielen anderen alternativen Medien, die in den letzten Jahren an den Start gegangen sind. Sie berichten oft kenntnisreicher, fundierter und kritischer als der Mainstream, sind jedoch nur selten in der Lage, die erfolgreich gestaltete "öffentliche Meinung" tatsächlich zu korrigieren.
Im Gegenteil zeigt sich gerade im Umgang mit diesen Medien ein weiteres Phänomen der tiefen gesellschaftlichen Spaltung, die seitens des Mainstreams bis zur offenen Diskriminierung gegenüber seinen kleinen, aber zunehmend erfolgreicher werdenden Konkurrenten gehen. Ein umfassendes Verständnis von Pressefreiheit, das Solidarität – oder auch nur Toleranz – ermöglichen würde, fehlt den gut etablierten Repräsentanten des deutschen Journalismus völlig. Das zieht sich übrigens durch bis zum Deutschen Journalistenverband, der zu einer satzungsgemäßen, wirklich umfassenden Interessenvertretung seiner Mitglieder nicht mehr in der Lage ist, wie die Ausfälle des Vorsitzenden Frank Überall gegen RT zeigen.
Solche Entwicklungen führten dazu, dass diejenigen Medien, die dem "Mainstream" zugeschrieben werden, keine Funktion mehr erfüllen können, die über das bloße Verbreiten von zugeliefertem Content und schlichter PR hinausgeht. Journalismus aber, der nur noch "eingebettet" berichtet, ist kein unabhängiger Journalismus mehr, investigativ schon gar nicht. Funktionaler Journalismus hat neben der Aufgabe zu veröffentlichen, auch noch die Aufgabe, sich gegen die stets und überall vorhandenen Versuche von Einmischung und Begrenzung zur Wehr zu setzen. Der deutsche Journalismus ist in dieser Hinsicht in den vergangenen Dekaden grundlegend gescheitert und inzwischen daher dysfunktional. Er nimmt seine für die Meinungsbildung wichtige Funktion nicht mehr wahr, verkauft sich an Wirtschaftsinteressen, ist politisch einseitig, bedient sich doppelter Standards und hat das Projekt aufgegeben, komplexe Zusammenhänge einem breiten Publikum verständlich zu machen.
Dieses strukturelle Versagen macht einen gesamtgesellschaftlichen Rückbau der Pressefreiheit erst möglich. In Großbritannien ist mit Julian Assange ein Journalist der Folter ausgesetzt – der deutsche Mainstream schweigt dazu eisig. In diesem selben Zusammenhang sitzt die Whistleblowerin Chelsea Manning nun schon seit neun Monaten in Beugehaft – der Mainstream hat dazu nichts zu sagen? In Estland werden Mitarbeiter beim russischen Sender Sputnik dazu gezwungen, bis zum 1. Januar ihre Arbeitsverträge zu kündigen – den deutschen Mainstream interessiert das nicht. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verlagert Zensur auf private Firmen, der Mainstream findet es in seiner Breite gut, dass "endlich etwas gegen Hass im Netz" getan wird und übersieht dabei geflissentlich, wie sehr auch er diesen Hass selbst anzuheizen hilft. Die schon aufgrund ihrer Spendengeber notwendig einseitige Organisation Correctiv übernimmt im Auftrag von Facebook die Korrektur von vorgeblich falschen Posts im sozialen Netzwerk. Eine höchst fragwürdige Praxis, die dem Mainstream jedoch gleichgültig ist.
Der Mainstream ist immer noch vierte Gewalt im Staat, allerdings in einem inzwischen zunehmend unguten Sinne. Die großen Medienkonzerne sind mit dem von ihnen geforderten Leistungsschutzrecht selbst zu einer Gefahr für grundlegende demokratische Freiheiten geworden.
Man könnte leider diese Liste journalistischen Versagens und ideologischer Einseitigkeit inzwischen beliebig verlängern.
Ähnliche Entwicklungen sind derzeit im viel gescholtenen Russland übrigens nicht möglich, wie das zu Ende gegangene Jahr gezeigt hat. Als der Journalist Iwan Golunow, der für das liberale, Putin-kritische Nachrichtenportal Meduza arbeitet, wegen angeblichen Drogenbesitzes festgenommen wurde, gab es eine Welle der Solidarität durch alle russischen Medien inklusive staatlicher Medien wie RT. In Deutschland ist so eine Welle der Solidarität gegenüber Opfern staatlicher Willkür derzeit unmöglich, wie das Beispiel von Julian Assange schändlich zeigt.
Ganz im Gegenteil hat der deutsche Mainstream die Wächterfunktion über das ihn selbst erst konstituierende Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit aufgegeben. Das ist beschämend und vor allem gefährlich.
Allem Anschein nach ist der deutsche Journalismus in seiner Breite derzeit nicht reformierbar, denn auch in diesem Jahr waren viele Berichte zu zentralen Themen ein deutlicher Beweis für eine ideologische Ausrichtung der großen deutschen Medienkonzerne wie auch der GEZ-finanzierten Sender. Ein rechter Putsch in Bolivien wurde den Medienkonsumenten als "Sieg der Demokratie" übermittelt, in Hongkong werden Randalierer zu Mitgliedern einer Demokratiebewegung verklärt, die lediglich Sehnsucht nach einer offenen Gesellschaft hätten.
Die Berichterstattung bleibt der Komplexität der Realität nicht gewachsen, nimmt leicht recherchierbare Fakten nicht zur Kenntnis und folgt offenkundig tendenziös einer politischen Agenda. Wer sich aus dem deutschen Mainstream informieren will, erfährt nichts über den gefälschten Abschlussbericht der OPCW zur Untersuchung des Giftgasanschlags im syrischen Duma, wird aber genauestens darüber informiert sein, dass Russland im Ranking der NATO-Vorfeldorganisation "Reporter ohne Grenzen" im Hinblick auf Pressefreiheit auch in diesem Jahr wieder schlecht wegkommt. Er wird dagegen nicht darüber informiert, dass dieses Ranking keineswegs als repräsentativ zu akzeptieren ist, da sich die Organisation aus Mitteln westlicher Regierungen und westlicher Medienkonzerne finanziert und daher für eine objektive Bewertung des Zustandes der Pressefreiheit völlig untauglich ist.
So bleibt als Resümee die Feststellung, dass sich die Krise des deutschen Journalismus auch in diesem Jahr weiter zugespitzt hat. Er blieb auch in diesem Jahr in seiner Breite in den eigenen "Erzählungen" gefangen. Trotz Claas-Relotius-Krise ist ihm ein Befreiungsschlag aus den ihn determinierenden und einhegenden Strukturen nicht gelungen. Es ist ihm nicht gelungen, sich wieder näher an den Fakten anstelle eigener Erzählungen auszurichten. Damit wird er für eine breite, demokratische Kultur unbrauchbar, die alle gesellschaftlichen Gruppierungen in den Blick nehmen muss. Er ist Teil einer sich ins Reaktionäre wendenden "demokratischen" Kultur, die zunehmend ausklammert, exkludiert und einer immer kleiner werdenden Gruppe Teilhabe an einem in immer engeren Grenzen verlaufenden Diskurs sichert.
Das Bashing gegenüber all jenen, die nicht in das eigene Narrativ passen, die Publikumsbeschimpfungen gegenüber jenen, die den Mainstream kritisieren, weil sie beispielsweise ihre Position nicht repräsentiert sehen, all das spricht für einen grundlegenden Wandel in der Ausrichtung des deutschen Journalismus. Er wird zum "simulativen" Journalismus, der nämlich in einer Wechselbewegung mit einem kleiner werdenden Publikum das Funktionieren demokratischer Mechanismen zwar simuliert, dabei aber einen immer größer werdenden Teil der Gesellschaft von der Teilhabe daran aussperrt. Reaktionäre Demokratie – wie sie der Soziologe Blühdorn beschreibt – wird begleitet von reaktionärem Journalismus.
Dieser versichert dann seiner kleiner werdenden Zahl an Rezipienten, dass es eben keiner großen Änderungen bedarf. Er versichert, dass der geführte Lebensstil – eine bunte Mischung aus etwas kritischem Konsumententum (das allerdings ohne grundlegende Kenntnis makroökonomischer Zusammenhänge auskommt), aus grün gefärbtem Hedonismus, aus dem Engagement für bestimmte Teile von Minderheiten (die nicht unmittelbar von ökonomischer Ausgrenzung betroffen sind, sondern deren Diskriminierung sich auf Geschlecht, sexuelle Orientierung und Hautfarbe reduzieren lässt) sowie der Bereitschaft zur Unterstützung von Kriegen, die als "humanitäre Interventionen" verbrämt werden – dass genau dieser Lebensstil angeblich progressiv, "links", mindestens aber sehr sozial und daher vollkommen "in Ordnung" sei.
Dass dem so ist, zeigt auch das Thema Ökonomie. Während der deutsche Mainstream allmonatlich Jubelmeldungen über die angeblich robuste deutsche Wirtschaft und den deutschen Arbeitsmarkt verbreitet, wird die eigentlich sinnvolle Perspektive regelmäßig komplett ausgeblendet. Deutschland befindet sich in einer Währungsunion. Die ökonomische Betrachtung ist daher auch nur in diesem größeren Zusammenhang sinnvoll. Das hieße zum Bespiel: Arbeitslosenquote im EURO-Raum, Wachstum im EURO-Raum oder auch Kapazitätsauslastung im EURO-Raum. Dann sieht es – auch in Deutschland – gleich nicht mehr so prickelnd aus und es würde sich unmittelbar die Frage anschließen, wie es zu dieser ungleichen Entwicklung innerhalb der gemeinsamen Währungsunion kommen konnte.
Die Antwort eines guten Journalismus’ wäre dann nicht: "…weil die Italiener, Griechen und die Franzosen einfach faul und reformunwillig sind", sondern müsste heißen: "…weil sich Deutschland über Lohndumping im Rahmen der Agenda 2010 einen Vorteil auf Kosten seiner Nachbarländer erschlichen hat, damit seine eigene Arbeitslosigkeit exportiert und den Wirtschaftsraum des EURO unter Druck bringt". Hier zeigt sich vermutlich am deutlichsten, wie der reaktionäre deutsche Journalismus sich mit einer radikalen deutschen Mitte in Wechselwirkung befindet.
Dass Deutschland gravierende Fehler in der Währungsunion macht und einen Keil in diese Union treibt, ist den Konsumenten des Mainstreams nicht geläufig, da das Thema im Mainstream gar nicht auftaucht.
Da geht es in zahllosen Beiträgen um den angeblichen Vorbild-Charakter Deutschlands, als der "Motor" der Union, nie aber um die destruktive Kraft, die von deutscher Politik für die EU und den EURO-Raum ausging und ausgeht. Letzteres ist jedoch näher an den Fakten als das den Medienkonsumenten Vermittelte.
Dieser reaktionäre Journalismus hat auch im Jahr 2019 gezeigt, wie wenig reformierbar er ist. Der reaktionäre Journalismus ist ein eingebetteter Durchhaltejournalismus.
So werden uns auch im kommenden Jahr seine Segnungen und Weissagungen erhalten bleiben: Die offene Diskriminierung seitens des Mainstreams gegenüber Gruppen, die er für nicht schützenswert erachtet, sie aus ideologischen Gründen von gesellschaftlicher und politischer Teilhabe ausklammern möchte, seine Arbeit mit doppelten Standards, seine einseitigen ideologischen Ausrichtung in Bezug auf herrschende Politik und Ökonomie. Die Spaltung der Gesellschaft und die Spaltung der Europäischen Union wie der auch der Währungsunion wird das weiter vorantreiben.
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