Meinung

Mediale Vorberichterstattung zur Fußball-WM 2022: Wo bleibt das Fair Play für Katar?

Heute in drei Jahren wird in der katarischen Planstadt Lusail das Finale der WM 2022 stattfinden. Doch trotz Reformen des Arbeitsrechts und anderer positiver Entwicklungen ist die Repräsentation Katars in deutschen Medien immer noch überwiegend negativ. Warum eigentlich?
Mediale Vorberichterstattung zur Fußball-WM 2022: Wo bleibt das Fair Play für Katar?Quelle: Reuters © Kai Pfaffenbach

von Timo Al-Farooq 

Seit das Golfemirat Katar den Zuschlag bekam, die FIFA-Fußballweltmeisterschaft der Männer 2022 auszurichten, steht das Land unter intensiver Beobachtung durch die "internationale Staatengemeinschaft" ("international" ist dabei stets gleichbedeutend mit "westlich"). Das grelle Scheinwerferlicht beleuchtet seither ausschließlich einen als undurchsichtig porträtierten Vergabeprozess und die prekäre Arbeitsrechtssituation in dem Land, dem nach Pro-Kopf-Einkommen reichsten Staat der Welt.

Leider ist diese Fremdeinwirkung punktuellen Rampenlichts alles andere als ehrlich, fair und unvoreingenommen. Denn wie schon bei der russophoben Berichterstattung im Zuge der WM im vergangenen Jahr wirkt Deutschlands Katar-Bashing eher wie eine koloniale Kontinuität essentialisierender und eurozentrischer Narrativkreation als ein Ausdruck authentischer Sorge um universale Menschenrechte oder sportliche Integrität.

Besonders dann, wenn darüber hinaus dem Emirat ständig unterstellt wird, es habe keine Sportkultur, sowohl spielerisch als auch organisatorisch, obwohl Katar im Frühjahr die AFC-Asienmeisterschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gewann, vor einigen Monaten erfolgreich die Leichtathletik-WM ausgetragen hat und derzeit Gastgeber der FIFA-Klub-Weltmeisterschaft ist.

Das permanente FIFA-Bashing, an dem sich gefühlt ganz Fußballdeutschland beteiligt, ist – ohne die Korruption in der FIFA hier entschuldigen zu wollen – nicht minder verlogen: Denn sobald hierzulande als umstritten geltende Weltmeisterschaften beginnen, hängen diese aktionistischen Armlehnenrevoluzzer und selbsternannten Joga-Bonito-Puristen, für die die Regierung des Weltfußballs tatsächlich der Keim allen Übels ist und die mit einer evangelikalen Inbrunst Katar für die Ausbeutung seiner Gastarbeiter mobben (etwas, das sie vor der Vergabe der WM nicht die Bohne interessiert hat, obwohl die alles andere als optimale Arbeitsrechtssituation am Golf schon seit Jahren bekannt ist), dann doch vor der Glotze, in der Kneipe oder auf der Fanmeile und fiebern und grölen und jubeln mit, als gäbe es kein Morgen. Und tragen dabei wahrscheinlich auch noch beflockte Nationaltrikots der "Mannschaft", die unter unfairsten kolonialen Handelsbedingungen in genau jenen Billiglohnländern hergestellt werden, die Gastarbeiter an den Golf entsenden.

Für westliche Feindbild-Fans sind Scheichs die neuen Oligarchen

Zur Erinnerung: Schon im Jahr 2014 bedachte der ARD-Programmbeirat die Sendungen der (zwangs-)gebührenfinanzierten "Anstalt des öffentlichen Rechts" zum Ukraine-Konflikt mit nicht sonderlich schmeichelhaften Adjektiven wie "fragmentarisch", "einseitig", "tendenziös" und "mangelhaft". Darüber hinaus hätten die Titel der ARD-Talkshows zum Thema "häufig antirussische Tendenzen".

Die Behandlung der russischen WM reihte sich perfekt ein in diese xenophobische Linie etablierter deutscher Medien. Und jetzt, wo Russia 2018 Sportgeschichte ist (und allen westlichen Unkenrufen zum Trotz eine höchst erfolgreiche, organisatorisch wie sportlich: denn wie brillant war denn der Kaliningrader Achtelfinal-Kracher Russland-Spanien, bei dem der Gastgeber den Weltmeister von 2010 und Europameister von 2008 und 2012 mit eisernem Siegeswillen in einem herzinfarktsreifen Krimi aus dem Turnier schmiss?), können die russophoben Madigmacher hierzulande sich wieder ihrer islamophoben Kernkompetenz widmen und sich mit selbstgerechter Empörung auf Katar stürzen: natürlich ein noch größeres Übel im Weltfußball als Russland, das jüngst von der Montrealer Welt-Anti-Doping-Agentur WADA mit einer höchst umstrittenen Vier-Jahres-Sperre belegt wurde. Was zur Folge hat, dass die Sbornaja in drei Jahren bei der WM in Katar nicht dabei sein wird.

Auf der eurozentrischen Fußballkaputtmachskala rangieren Scheichs mittlerweile höher als Oligarchen. An das einstige Überfeindbild Abramowitsch hat man sich ja mittlerweile gewöhnt, da kommt dem Europäer ein Al-Khelaifi als neuer betuchter Buhmann on the block genau richtig. Und wenn jemand aus den eigenen deutschen Reihen dann doch etwas Positives zur Causa Katar zu äußern wagt, wie im Oktober Ex-Bundestrainer und aktueller Hertha-Trainer Jürgen Klinsmann, dessen Verbrechen es war, zu sagen, er freue sich auf die WM in Katar und sie würde eine "WM der Extraklasse" werden, dann wird so jemand rigoros lächerlich gemacht und von deutschen Medien – vom Stern bis zur Süddeutschen – zum absoluten Katar-Versteher konstruiert.

Der Westen ist ein schlechter Verlierer

Der schiere Overkill an negativer Berichterstattung hinsichtlich Katar und der ersten Fußballweltmeisterschaft in der muslimischen Welt – insbesondere in Deutschland – legt den Verdacht nahe, aus vorgeschobenen Gründen würden wichtige Themenkomplexe wie Arbeits- und Menschenrechte instrumentalisiert werden, um den Frust über den eigenen Machtverlust hintenherum herauslassen zu können.

Schließlich hat Deutschland – trotz UN-Sicherheitsratsitz und einer Ursula von der Leyen an der Spitze der EU – immer weniger in der Welt zu melden. Dass dieser Bedeutungsverlust nun auch die Arena des globalen Massensports Fußball erreicht hat, in der die erfolgsverwöhnten Deutschen sich anmaßen, sowohl ein historisches Anrecht auf ein sukzessives Erfolgsmonopol als auch die zutiefst eurozentrische Erwartungshaltung zu haben, "Welt"meisterschaften dürften nur in Europa oder – wenn man ganz gnädig ist – auf dem amerikanischen Kontinent stattfinden, damit kommt der in die globale Irrelevanz abdriftende Deutsche einfach nicht zurecht. Denn wohlgemerkt: Alles, was wir können, können Asiaten wie Südkoreaner mittlerweile genauso gut oder besser. Nach dem deutschen Vorrundenaus bei der WM in Russland scheinbar auch Fußballspielen.

Es ist dieser leitkulturelle Frust, der zu passiv-aggressiven und infantilen Coping-Verhaltensmustern führt wie eben permanenter negativer Berichterstattung gegenüber unliebsamen Staaten wie Russland oder Katar, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen.

Vor vier Jahren kritisierte ich in einem Blogbeitrag auf freitag.de die – bis auf wenige Ausnahmen – geradezu feindselige Reaktion deutscher Medien auf die Vergabe der WM 2022 an Katar, die erste an die muslimische Welt ("Deutschland ist Weltmeister: Der Doppelmoral)". Ich argumentierte, dass die Art, in der deutsche Kommentatoren sich auf diese historische und längst überfällige Zäsur stürzten, nichts anderes war als klassisches Mobbing mit stark eurozentrischen und islamophoben Untertönen, und dass dieses destruktive Verhalten lediglich die Unfähigkeit weißer "kerneuropäischer" Vorherrschaft offenlegte, sich an neue globale Machtverhältnisse anzupassen: diesmal in der Arena des Weltsports.

Nachdem mit Katar 2022 eine weitere Sphäre kulturellen und ökonomischen Konkurrenzkampfes (der Weltfußball) nach Südafrika 2010 und Russland 2018 wieder an aufstrebende Märkte verloren gegangen ist (Eurozentrismus bedeutet ja auch stets, die Welt als Nullsummenspiel zu sehen: des globalen Südens Gewinn ist des Nordens Verlust), schrieb ich, dass dieses deutsche Anti-Katar-Bashing in Bezug auf Korruption beim Vergabeprozess und die Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen Arbeiter einseitig und heuchlerisch sei, da Deutschland eine Moralkeule schwang, die es unter anderem aufgrund der eigenen "Unregelmäßigkeiten" bei der Vergabe der Heim-WM eigentlich nicht schwingen durfte.

Man vergegenwärtige sich nur den O-Ton des damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, der Katar im Juni 2015 – noch weit vor der verbalen Verrohung politischer Debatten durch die Wahl Trumps – tatsächlich als "Krebsgeschwür des Weltfußballs" bezeichnete (redet man so unter befreundeten Staaten?), nur fünf Monate bevor Staatsanwaltschaft und Steuerfahndung gegen den ach so aufrichtigen Sportfunktionär Zwanziger wegen Steuerhinterziehung zu ermitteln begannen. Der damalige katarische Außenminister Khaled bin Mohammed Al Attiyah konterte wie folgt:

Es ist sehr schwer für einige zu verdauen, dass ein arabisches, islamisches Land das Turnier austragen darf, als hätte ein arabischer Staat kein Recht darauf. Ich glaube, Vorurteile und Rassismus sind der Grund dafür, warum wir diese Bashing-Kampagne gegen Katar haben.

Leider hat sich seither an der Legitimität dieser Vermutung nichts geändert, wenn man sich heute die Repräsentation Katars in deutschen Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung anschaut: Trotz der neuen Rahmendynamiken exzellenter bilateraler Beziehungen zwischen Deutschland und Katar und eines radikal verbesserten Arbeitsrechts, das heute – trotz Mängel – "wesentlich" besser ist als das seiner regionalen Nachbarn, sowie der Tatsachen, dass Katar seit fast zwei Jahren Opfer einer aggressiven saudisch-emiratisch geführten Blockade- und Hetzkampagne ist und Katar dieses Jahr zum ersten Mal die AFC-Asienmeisterschaft gewonnen hat (was das westliche Narrativ fehlender katarischer Fußballkultur für null und nichtig erklärt hat), ist das deutsche Katar-Bild noch immer überwiegend negativ.

11 Freunde, doch keiner davon ein Freund Katars

Ein Beispiel dafür: Im Zuge des historischen Asienmeisterschaftssieges Katars schrieb ich zwei Beiträge, in denen ich zum einen das deutsche Narrativ, Katar habe keine Fußballkultur, als ein klassisches Beispiel germanozentrischer Hybris und puren Neides widerlegt habe, und zum anderen die Auswirkungen dieses souveränen Sieges (der in deutschen Leitmedien als sportgeschichtlicher Betriebsunfall gefakenewst wurde, statt ihn als das Ergebnis jahrelanger Planung und Arbeit sowie als die souveräne Machtdemonstration zu würdigen, die er eigentlich war) auf die nationale Sportentwicklung und auf die Geopolitik am Golf im Kontext der saudisch-emiratisch geführten Blockade und der WM 2022 analysiert habe: "Das Wunder vom Golf"  und "Quo Vadis, Qatar?"

Beide Artikel habe ich – bevor ich sie auf den Blogseiten von freitag.de gepostet habe – an das Fußballmagazin 11 Freunde geschickt, in der Hoffnung, durch eine Veröffentlichung einen narrativen Ausgleich in einer sehr einseitig (weil eurozentrisch) geführten Debatte herzustellen. Beide Artikel wurden abgelehnt, und zwar mit folgender Begründung, die einer der Redakteure mir in E-Mail-Form zukommen ließ:

Eine Veröffentlichung auf 11freunde.de kommt allerdings nicht in Frage, weil wir in Sachen Katar einfach grundsätzlich anderer Meinung sind als Du.

Daraufhin schrieb ich zurück: "Dass ich Euch Beiträge zu Katar schicke, ist wohl mein Fehler: Ich stand unter dem Eindruck, Journalismus sei an Meinungspluralismus und Multiperspektivität interessiert, und somit an der vollumfänglichen Behandlung eines Themas."

Worauf Herr Behnisch konterte:

Solltest Du deren Tenor [den der Artikel von 11 Freunde] nicht teilen und dagegen argumentieren können und wollen, dann ist das (journalistischer) Pluralismus, den ich sehr begrüße. Dass das zwangsläufig bedeutet, Deiner Sicht der Dinge Platz einzuräumen, entspricht allerdings nicht meiner Vorstellung von Publizismus.

Dass meine Sicht nicht nur meine Sicht ist, sondern sowohl die der überwältigenden Mehrheit der Fußballfans weltweit als auch der Mehrheit der Kontinentalverbände, die Mehrheit der Weltbevölkerung demnach nichts dagegen hat, dass die nächste WM in Katar stattfindet, scheint Herrn Behnisch nicht zu interessieren: Hauptsache 11 Freunde – wie alle anderen meinungskonsensorientierten Medien in Deutschland – kann eine westliche Minderheitenposition als einzige mustergültige Wahrheit verkaufen. Und was für ein Journalismus ist das eigentlich, bei dem man nur veröffentlicht, was einem gefällt? Darf man sich dann noch wundern, wenn in eine sträflich einseitige Medienlandschaft (leider nur) von rechtsaußen ständig der Vorwurf der "Lügenpresse" hereingeflankt wird?

Wer sich die Beiträge auf 11 Freunde bezüglich Katar einmal anschaut, wird schnell feststellen, dass sie sich fast alle mühelos in den Refrain generischer Anti-Katar-Hetze einreihen lassen: schlecht informiert, suggestiv argumentiert, voreingenommen, selektiv in ihrer Kritik, und wenn einem die Scheinargumente ausgehen, einfach nur beleidigend ("Krake aus Katar" ist der Titel eines der fast schon DIN-genormten Anti-Katar-Artikel über Nasser Al-Khelaifi, Präsident des französischen Erstligisten Paris Saint-Germain und frisch gewähltes Mitglied ins UEFA-Exekutivkomitee).

Somit folgt auch 11 Freunde der historisch bewährten Tradition orientalistischer und eurozentrischer Repräsentationen, wie sie seit den christlichen Kreuzzügen das westliche Bild der islamisch-arabischen Welt prägen. Mit dem Unterschied, dass es heute eher Agnostiker und evangelikale Atheisten sind, die diesen unnötigen Kulturkampf führen, statt das organisierte Christentum, das für den islamisch geprägten Orient immer öfter in die Bresche springt, nur mal so nebenbei.

Verwunderlich ist diese Voreingenommenheit nicht: Wer sich das Impressum von 11freunde.de einmal anschaut, der wird schnell feststellen, dass von den über dreißig Namen, die dort auftauchen, alle ausschließlich "biodeutsch" sind. Alle Mitarbeiter – vom Herausgeber bis zur Anzeigenleitung – scheinen Deutsche ohne sogenannten Migrationshintergrund zu sein.

Schaut man sich dann noch die Liste der Artikel an, die unter dem Stichwort "Katar" erscheint, geht die schneeweiße Meinungsmache schamlos weiter: Keiner der Artikel, die sich mit Katar befassen, wurde – soweit ich erkennen konnte – von einem Deutschen bzw. Deutschsprachigen mit Migrationshintergrund geschrieben. Und von einem mit arabisch-muslimischem Hintergrund sowieso nicht. Wieso denn auch? Einen Araber oder einen Muslim über die arabisch-muslimische Welt schreiben zu lassen, wäre ja unerhört. Diskurshoheit über nichtwestliche Regionen ist ja schließlich ein westliches Privileg: das hat koloniale Tradition, an der man nicht rütteln sollte. Und die Deutschen, die ihren eigenen Kolonialrassismus gern unter ihren IKEA-Orientteppich kehren, sind da eher die Regel als die Ausnahme.

Denn wenn es eine Institution gibt, die "Critical Whiteness" und ethnische Inklusion bitter nötig hat, dann die weiß getünchten, diversitätsfeindlichen Zeitungsredaktionen und Medienhäuser im angeblich so bunten, multikulturellen Deutschland (Andrea Dernbach, eine der wenigen progressiven Stimmen beim rechtsliberalen Berliner Leitkulturmedium Der Tagesspiegel hat hierzu einen wichtigen Artikel geschrieben mit dem Titel "Vielfalt und Teilhabe: Wo Deutschland noch zu weiß ist"). Sie sind unangefochtener Weltmeister darin, sich anzumaßen, über andere Kulturen schlussendlich urteilen zu dürfen, ohne diese selbst je zu Wort kommen zu lassen. Und das selbsternannte "Magazin für Fußballkultur" ist da keine Ausnahme.

Doha ist nicht Dubai: Zum Glück!

Doch das dominante, westliche Narrativ bezüglich Katar ändert sich langsam: Der barbarische Auftragsmord am saudischen Dissidenten und Washington Post-Journalisten Jamal Khashoggi – vermutlich auf Geheiß des saudischen Kronprinzen Mohammad bin Salman – und die aggressive Blockadepolitik gegen Katar durch die Golfdiktaturen Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Bahrain sowie durch die Militärdiktatur Ägypten zwingen den Westen – und somit auch Deutschland – seine anachronistische und kurzsichtige Haltung gegenüber Katar, dem progressivsten Mitglied aller GCC-Staaten, neu zu überdenken.

Langsam geht auch ihnen ein Licht auf, dass sie die Rolle des Bösewichtes neu vergeben müssen, wenn etwa die Menschenrechts- und Meinungsfreiheitssituation in den VAE, die in der westlichen Wahrnehmung stets als Hort der Toleranz gesehen und so auch von den Herrscherhäusern Abu Dhabis und Dubais propagiert werden, weitaus schlimmer ist als in Katar.

Die Kriminalisierung pro-katarischer Meinungsbekundungen, die mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden (der Brite Ali Issa Ahmad wurde während eines Asienmeisterschaftsspiels von der emiratischen Polizei verhaftet, weil er ein katarisches Nationaltrikot trug), die Verhaftung des britischen Akademikers Matthew Hedges wegen angeblicher Spionage und die Festnahme der Britin Laleh Shahravesh unter dem Vorwand der Cyberkriminalität bei ihrer Einreise nach Dubai, weil sie in einem lange zurückliegenden Facebook-Post die neue Frau ihres Ex-Ehemannes als "Pferd" bezeichnet hat, sind besorgniserregende Beispiele für die auf Unterberichterstattung beruhende, repressive Natur des emiratischen Rechtssystems.

Dass es überhaupt eine Organisation wie "Detained in Dubai" (Verhaftet in Dubai) gibt, die in solchen Fällen den Betroffenen Rechtsbeistand gibt, ist symbolkräftig genug. Eine Organisation namens "Detained in Doha" gibt es nicht. Auch lässt die katarische Herrscherfamilie Dissidenten nicht in Mafia-Art in Drittstaaten umbringen oder religiöse Minderheiten in Massen exekutieren, wie im April dieses Jahres in Saudi-Arabien, wo 37 Menschen – mehrheitlich Schiiten – an einem einzigen Tag hingerichtet wurden.

Der kopflose Körper eines Getöteten wurde sogar als Warnung öffentlich an einen Pfahl befestigt (mexikanische Drogenkartelle wären stolz auf die Saudis). Zur Erinnerung: Saudi-Arabien ist nach den VAE Deutschlands "zweitwichtigster arabischer Handelspartner", dessen Hauptstadt Riad Anfang Dezember in einem Akt fulminanten Sportswashings Schauplatz des "Clash on the Dunes" war, des Schwergewichtsboxkampfes zwischen Herausforderer Anthony Joshua und Titelverteidiger Andy Ruiz Jr.

Darüber hinaus bombardieren Saudi-Arabien und die VAE seit 2015 den Jemen in die Steinzeit zurück, in einem Krieg, der laut Armed Conflict Location & Event Data (ACLED) bereits 100.000 Menschen das Leben gekostet hat. Anders als Saudi-Arabiens Vasall Bahrain ist Katar bei dieser Kriegskoalition nicht dabei. So viel also zur westlichen Unsitte des Über-einen-Kamm-Scherens arabischer Golfstaaten und des Beide-Augen-Zudrückens bei Menschenrechtsverletzungen.

Es gilt die Unschuldsvermutung: Auch für Katar!

Es bleibt offen, ob Katar die sozialen Reformen, die es zur Zeit sukzessive umsetzt, auch nach der WM 2022 weiterführen wird, wenn das internationale (also westliche) Rampenlicht ausgeknipst werden wird. Katar hat die historische Chance, auf lange Sicht die progressivste und offenste Gesellschaft des GCC-Staatenverbundes zu werden, und zwar ohne dabei sein Staatssystem der royalen Autokratie zu (Un?)gunsten einer westlichen Demokratie aufgeben zu müssen, die sich derzeit in einer tiefen strukturellen Krise befindet (rechtspopulistische oder gar kryptofaschistische Regierungen von Ungarn bis in die USA, Polen bis zu den Philippinen, Italien bis Indien) und daher nicht übereifrig als Allheilmittel für die gesellschaftlichen Probleme anderer verschrieben werden sollte.

Westliche Gesellschaften – insbesondere Europas (beängstigende) Möchtegern-Hegemonialmacht Deutschland – sollten dabei helfen, diesen autonomen Modernisierungsprozess Katars zu begünstigen, statt ihn mit dezidierter Negativberichterstattung zu behindern. Katar ist nicht perfekt, aber es verdient viel mehr Fair Play, als es derzeit bekommt. Ausgewogenere und einfach fairere Repräsentationen im medialen und öffentlichen Diskurs wären ein willkommener erster Schritt, um das einseitige westliche Narrativ bezüglich eines Tiny Giant mit großer Soft Power zu ändern, das auf dem besten Weg ist, ein Musterbeispiel für sozialen Wandel am Persischen Golf zu werden.

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