Trump als der neue Willy Brandt? – Über einen bemerkenswerten Vorstoß von Margarita Mathiopoulos

Trump soll Russland einladen, Mitglied der NATO zu werden. So der Vorschlag der Politologin Mathiopoulos und des britischen Ex-Europaministers MacShane zur grundsätzlichen Überwindung der neuen West-Ost-Konfrontation. Und der Mainstream schweigt betreten.
Trump als der neue Willy Brandt? – Über einen bemerkenswerten Vorstoß von Margarita MathiopoulosQuelle: Sputnik

von Leo Ensel

Hochbrisante geopolitische Konstellationen erfordern originelle Lösungsansätze jenseits der ausgetretenen Denkpfade, mag sich die Politologin Margarita Mathiopoulos gedacht haben. Vor einigen Tagen veröffentlichte Willy Brandts Beinah-SPD-Parteisprecherin zusammen mit dem ehemaligen britischen Europaminister Denis MacShane im Handelsblatt einen bemerkenswerten Denkanstoß, der in den anderen deutschen Leitmedien leider – genauer: bezeichnenderweise – bislang völlig ohne Echo geblieben ist. Dabei skizzieren die beiden Autoren nichts weniger als ein Konzept, das dem Westen wie Russland eine realistische Chance böte, die gegenwärtige neu-alte Konfrontation grundsätzlich zu überwinden.

Ausgehend von der aktuellen Krise der NATO schlagen Mathiopoulos und MacShane vor, Trump solle als "Nicht-Ideologe" und "Nicht-Interventionist" einen historischen Schritt wagen und Russland einladen, Mitglied der NATO zu werden. Im Gegenzug solle sich Putin verpflichten, seine, wie sie es nennen, Aggressionen gegen die Ukraine einzustellen. Unabdingbare Voraussetzung wäre zudem – und hier empfehlen sie Trump eine "mutige Diplomatie" mit dem Normandie-Format – die Umsetzung des Minsk II-Abkommens.

Mit der Initiierung einer neuen Ostpolitik könnte Präsident Trump ein neues Kapitel in den amerikanisch-russischen Beziehungen eröffnen und eine neue 'Allianz des Friedens' mit Russland besiegeln, in der Amerikaner und Russen Verantwortung für die europäische Sicherheit tragen. Die USA würden so auch eine Neugewichtung der globalen Sicherheitsordnung einleiten.“

"Allianz für den Frieden"

Die Autoren nennen ihr Konzept "Allianz für den Frieden" und dies hätte ihrer Ansicht nach folgende Vorteile: Die neue Allianz würde, erstens, nicht anderes bedeuten als die Transformation der NATO in eine transatlantische Sicherheitsorganisation von Wladiwostok bis Lissabon.

Sie würde, zweitens, eine Neuauflage der dringend benötigten nuklearen Abrüstungsgespräche zwischen den USA und Russland ermöglichen und könne, drittens, als transatlantisch-russisches Bündnis einen trilateralen Dialog zwischen den Atommächten Washington, Moskau und Peking initiieren. Die bündnisinternen Verpflichtungen dieser transformierten NATO skizzieren Mathiopoulos und MacShane folgendermaßen:

Die neue 'Allianz des Friedens' würde eine Beistandsgarantie Washingtons und Moskaus für die europäische Sicherheit sowie die Prinzipien gegenseitigen Respekts, Parität und Gleichbehandlung festschreiben. Der Vertrag selbst würde alle NATO-Artikel übernehmen, auf die sich die Mitglieder einigen; Artikel 5 würde für alle obligatorisch gelten; eine Sonderklausel würde es Washington, Moskau und allen europäischen Mitgliedsstaaten ermöglichen, in Sicherheitsfragen außerhalb europäischen Hoheitsgebiets unterschiedlicher Meinung zu sein."

Brüssel bliebe ein Hauptsitz der neuen Sicherheitsallianz, ein zweiter Hauptsitz in Russland würde hinzukommen. Jedes Hauptquartier würde gleichzeitig von einem amerikanischen und einem russischen Vier-Sterne-General geleitet. Der Generalsekretär wäre weiterhin ein Europäer. – Soweit Mathiopoulos und MacShane.

Im Westen nichts Neues?

Man könnte einwenden, das Konzept sei im Kern nicht neu. In der Tat haben die Vorschläge der beiden Autoren eine Reihe von Vorläufern: So sprach, wie erst in allerjüngster Zeit bekannt wurde, bereits Mitte 1990 während der Verhandlungen im Vorfeld der deutschen Vereinigung Michail Gorbatschow in einer kurzen Nebenbemerkung von einem möglichen NATO-Beitritt der damaligen Sowjetunion. In den Neunziger Jahren war ein eventueller Beitritt Russlands zum westlichen Militärbündnis mehrfach Thema zwischen Bill Clinton und Boris Jelzin, und selbst Wladimir Putin zeigte sich noch Anfang der Nullerjahre gegenüber dieser Idee grundsätzlich aufgeschlossen – vorausgesetzt, sie würde Russlands Interessen nicht widersprechen. Die bislang letzte russische Offerte in eine ähnliche Richtung stammte vom damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew mit seiner Vision eines gemeinsamen Sicherheitsraumes "von Vancouver bis Wladiwostok" in seiner Berliner Rede vom 5. Juni 2008.

Aber auch westlicherseits wurden ähnlich lautende Vorschläge immer mal wieder erhoben – am spektakulärsten vielleicht Anfang März 2010, als ausgerechnet eher konservative Politiker und Militärs wie Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe, der Generalinspekteur der Bundeswehr a.D., Klaus Naumann, der ehemalige Planungsleiter im Verteidigungsministerium, Vizeadmiral Ulrich Weisser sowie der Botschafter a.D. und Genscher-Vertraute Frank Elbe in einer gemeinsamen Initiative für einen Beitritt Russlands zur NATO plädierten.

Dass die Grundidee von Mathiopoulos und MacShane so neu also nicht ist, ändert allerdings nichts daran, dass die beiden sie genau zum richtigen Zeitpunkt wieder auf den Tisch gebracht und geschickt begründet haben. Und es ändert schon gar nichts an der prinzipiellen Richtigkeit des Grundansatzes: Auch, wenn die beiden Autoren den Bezug nicht explizit herausarbeiten, handelt es sich hierbei doch um nichts Geringeres als um eine Rückkehr zum Geist der Charta von Paris und zum von Egon Bahr und Michail Gorbatschow entwickelten Konzept der Gemeinsamen Sicherheit im Atomzeitalter.

Ein NATO und Russland überwölbendes Militärbündnis – mag es dann noch "NATO", "Allianz für den Frieden" oder anders heißen – könnte in der Tat den Ausbruch aus der Eskalationsspirale hin zur lange vermissten gemeinsamen Sicherheit schaffen – zuallererst einmal zwischen den bisherigen alten und neuen Antipoden USA und Russland!

Aber auch die dem kollektiven Bündnis vorerst noch nicht angehörigen europäischen Staaten wie zum Beispiel die Ukraine, Georgien, Moldawien und andere wären aus dem sie zerreißenden geopolitischen Spannungsfeld entlassen, weil die Polarisierung selbst der Vergangenheit angehören würde. Aus demselben Grunde könnte daher auch der gegenwärtige Stellvertreterkrieg in der Ukraine endlich beendet werden.

Natürlich ist der Vorstoß von Mathiopoulos und MacShane in den Details noch nicht ausgearbeitet, was auch nichts schadet. Den Autoren geht es erkennbar darum, zunächst einmal einen neuen und konstruktiven Denkraum zu eröffnen und in die öffentliche Diskussion einzubringen. Und in einem Punkt haben die beiden ihren Vorschlag sogar noch etwas zu klein verkauft: Der angestrebte gemeinsame Sicherheitsraum würde unter den neuen Bedingungen nicht etwa nur von Wladiwostok bis Lissabon gehen, sondern – wie 2008 von Medwedew angeregt – bis Vancouver!

Drei Fragen und eine Win-Win-Situation

Drei Fragen bleiben: Wie wäre Trump – und mit ihm eine relevante Mehrheit der Transatlantiker in den USA und den europäischen NATO-Staaten – für diesen Vorschlag zu gewinnen? Wie könnte eine Einwilligung der mittel-/osteuropäischen NATO-Staaten wie Polen und das Baltikum für diese Idee erzielt werden? Und, zu guter Letzt: Gibt es in Russland nach den Spannungen der letzten Jahre und Jahrzehnte mit dem Westen überhaupt noch eine Bereitschaft, sich auf diesen Vorschlag einzulassen?

Das meiste scheint mir davon abzuhängen, ob in den jeweiligen Führungsgremien der jeweiligen Länder die Ideologen (sprich: Gesinnungsethiker) und Rüstungslobbyisten oder die Pragmatiker und Entspannungsbefürworter dominieren. Sollte letzteres der Fall sein, dann hätte der Vorschlag, vorausgesetzt, er würde zusätzlich von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt, durchaus eine Chance. Schließlich handelt es sich um eine Win-Win-Situation:

Beide Seiten, Russland und der Westen, müssten keine Angst mehr voreinander haben. Das neugestaltete Bündnis – wir träumen jetzt etwas nach vorne – könnte sich intern (in den russisch-westlichen Beziehungen) und extern (in den bündnis-chinesischen und anderen Beziehungen) auf eine umfassende nukleare Abrüstung, mittelfristig möglicherweise sogar auf die dringend notwendige vollständige Eliminierung sämtlicher Massenvernichtungsmittel auf diesem Planeten einigen. Der Weg für eine weitgehende allgemeine Abrüstung und die Nutzung der frei werdenden gigantischen Summen für dringend benötigte zivile Zwecke wie Maßnahmen gegen den Klimawandel und andere ökologische Katastrophen würde frei.

Verlierer wäre einzig und allein der militärisch-industrielle Komplex!

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