Meinung

Hassreden, AfD-Erfolg, "Völkerrecht" in Syrien: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Maßnahmen gegen Hasstiraden im Internet, Heuchelei um das Völkerrecht in Syrien und der AfD-Erfolg in Thüringen: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche wieder Anlass zu einer verzerrenden Berichterstattung.
Hassreden, AfD-Erfolg, "Völkerrecht" in Syrien: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: www.globallookpress.com © Jens Büttner/dpa

von Thomas Schwarz 

Nach der Landtagswahl in Thüringen war vergangene Woche in der deutschen Presselandschaft hektische Betriebsamkeit ausgebrochen – schließlich werde die (selbsternannte) "Mitte" zwischen den "Extremisten" von Linken und AfD "zerrieben". Auffällig waren dementsprechend in der Berichterstattung vor allem zwei Strömungen: zum einen die mediale Gleichsetzung von zwei sehr unterschiedlichen Parteien unter dem Label "Extremisten". Zum anderen die künstliche Konstruktion einer solchem "Extremismus" tapfer gegenüberstehenden "Mitte".

Zusätzlich war das andauernde Bemühen festzustellen, die Erfolge der AfD von den gesellschaftlichen und materiellen Realitäten ihrer Wähler zu trennen und diese Erfolge stattdessen mit einem anscheinend genetisch bedingten Hang von Ostdeutschen (auch) zum Rassismus zu erklären. Unterfüttert wird dieser letzte Gesichtspunkt mit dem Versuch, Symptome (wie wütende Internetkommentare) in den Stand einer Ursache für den Rechtsruck zu erheben – dadurch sollen wohl die tatsächlichen Ursachen des Rechtsrucks (etwa die hier beschriebenen zunehmenden Ungleichheiten) vernebelt werden – oder sind es bereits.

Wie Extremisten angeblich "die Mitte" einkreisen 

Zum ersten Mal in der 70-jährigen Nachkriegsgeschichte haben die beiden Parteien am jeweils äußersten Rand des politischen Spektrums, AfD und Linke, zusammen eine Mehrheit der Stimmen erhalten. Mit der fatalen Folge, dass die vier Parteien der politischen Mitte, die Parteien der alten Bundesrepublik, die über Jahrzehnte für stabile politische Verhältnisse gesorgt haben, nur noch in der Minderheit sind.

Die Nordwest-Zeitung warnt seltsamerweise gar vor DDR-Verhältnissen:

Sollte die CDU der Versuchung nachgeben, mit der Linkspartei in irgendeiner Weise zusammenzuarbeiten, wäre das unverzeihlich. Unterstützung der Linkspartei als Juniorpartner in einer formellen Koalition oder per Tolerierung würde an DDR-Zeiten erinnern, in denen eine CDU schon einmal als Blockflöte der SED unterwegs war.

Die Zeit wiederum benennt den Charakter und einige Medien-Protagonisten derartiger Marotten:

Die oft verwendete Gleichsetzung von rechts und links verhindert eine adäquate Analyse. […] Die Linke, zumal unter dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, hat Thüringen weder unter kommunistische Zwangsverwaltung gestellt noch die Stasi wieder eingeführt. Dass das Reden vom politischen Rand, bezogen auf die Thüringer Linke, dennoch weiterhin gepflegt wird, spricht für eine eigenartige Verzögerung bei Journalisten wie Schönenborn und Hassel.

"Politik der Mitte": Kürzungen und Ungleichheiten

Die irreführende Medienlosung von "der Mitte", die nun vom rechts-gleich-links-gesetzten Extremismus bedroht sei, rückt derweil Oskar Lafontaine ins rechte Licht:

Die selbsternannte Mitte ist irre! Sie hat immer noch nicht verstanden: Lohnkürzungen sind keine Politik der Mitte, sondern Entscheidungen gegen die große Mehrheit der Bevölkerung. Dasselbe gilt für Rentenkürzungen und den Abbau sozialer Leistungen. Die wachsende Ungleichheit ist von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen, die in den vergangenen Jahrzehnten die Bundesregierung stellten, zu verantworten. Die Mittelschichten steigen ab. Wer seine Politik angesichts dieser verheerenden Entwicklung der Gesellschaft als 'Politik der Mitte' versteht, hat wirklich nichts begriffen.

Interessant im Zusammenhang mit der staatsfeindlichen wirtschaftsliberalen Politik der letzten Jahrzehnte ist eine aktuelle Umfrage zur Wirtschafts- und Sozialpolitik: Demnach wollen die Deutschen eindeutig mehr Staat – und so lange "die Mitte" auf diese Wünsche nicht reagiert, wird man weiterhin chancenlos einem Erstarken von "Extremisten"  zusehen müssen. Über die Umfrage berichtet etwa der Spiegel:

Privat vor Staat, so viel freier Markt und so wenig Regulierung wie möglich – solch eine Wirtschaftspolitik lehnt eine große Mehrheit der Deutschen im Jahr 2019 ab. Fast vier von fünf Bürgern sind etwa der Ansicht, dass in den vergangenen Jahrzehnten zu viele öffentliche Leistungen in Deutschland privatisiert wurden. Auch der Aufruf der Bundesregierung zur größeren Eigenvorsorge und -verantwortung vor allem in den Neunziger- und Nullerjahren, der den Abbau der Leistungen in der Renten- und Krankenversicherung begleitete, wird von 74 Prozent negativ bewertet. Stattdessen stimmen die meisten Bürger einer wieder stärkeren Rolle des Staates in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu.

Der "Rassismus der Ostdeutschen" entsteht "einfach so"

Gegen den logischen Schluss, dass gesellschaftliche und/oder materielle Verunsicherung zu auffälligem Wahlverhalten führt (und für diese Verunsicherung braucht es keine bereits erreichte totale Verarmung), läuft schon geraume Zeit eine mediale Gegenbewegung: Sie möchte – wie eingangs beschrieben – etwa den AfD-Erfolg von den ökonomischen Folgen einer staatsfeindlichen Politik trennen und ihn mit einem "einfach so" entstandenen Rassismus unter Ostdeutschen erklären. So behauptet aktuell etwa der Soziologe Alexander Yendell im Spiegel:

Wer ökonomisch abgehängt ist, wählt eher AfD? Falsch, sagt der Soziologe Alexander Yendell. Der wahre Grund für den Erfolg der Rechtspopulisten in Thüringen ist demnach Rassismus.

Mit dieser Masche der Umkehr von Ursache und Wirkung soll mutmaßlich die dringende Notwendigkeit von (zu teuren?) Investitionen in den Sozialstaat und die Infrastruktur vernebelt werden: Wenn ökonomische und gesellschaftliche Bedingungen sowieso nicht entscheidend sind, dann kann man den Rassismus ja weiterhin (erfolglos) mit moralischen Appellen "bekämpfen", ohne unnötig Geld ausgeben zu müssen. Dieses Bemühen, überfällige Investitionen durch kostengünstige Appelle und Strafandrohungen zu ersetzen, wurde in dieser Woche noch von anderer Seite betrieben. Das führt zum nächsten Thema.

Die fatalen "Eckpunkte gegen rechts"

Denn um die beschriebene Vernebelung zu erreichen, wurden nicht allein nach der Thüringen-Wahl die Symptome zur Ursache auserkoren – die Bundesregierung perfektionierte dieses Vorgehen gerade auch in ihren aktuellen "Eckpunkten gegen rechts", die etwa in diesem Artikel zusammengefasst werden. So bezeichnen die NachDenkSeiten jene in dieser Woche vorgestellten "Eckpunkte" als "gefährliche Mogelpackung", als "irreführend und teils destruktiv":

Symptome werden zu Ursachen erklärt, Zensur könnte teilweise privatisiert werden und der drohende Kollaps der Gerichte wird den Rechten weitere Sympathien zuführen.

Beim Kampf etwa gegen Internet-Beschimpfungen geht es vor allem ums Geld – denn die deutschen Gerichte werden wohl unter der Flut der durch diese "Eckpunkte" ausgelösten massenhaften Anzeigen gegen mutmaßliche Hasskommentare kollabieren – wenn nicht massiv ihr Personal aufgestockt wird. Treffend benennt dieses Problem das Info-Radio:

Die Länder müssen Richter und Polizisten einstellen, dafür brauchen sie Geld. Mehr Geld. Eine simple Antwort: kein Sammelsurium, keine Eckpunkte.

"Hasskriminalität": Kollabierende Gerichte, privatisierte Zensur

Darüber, dass die deutsche Justiz für die neuen Pläne der Regierung nicht gerüstet ist, herrscht weitgehend Konsens. So sagt dazu aktuell etwa Christoph Hebbecker von der Zentralstelle für Cyberkriminalität gegenüber der Tagesschau: "Das können wir so nicht leisten." Denn es fehlt das Geld für Personal. "Doch statt Geld gibt die Regierung nun billige Ratschläge, stellt die eigene Justiz vor unlösbare Aufgaben und lässt die Länder mit den Kosten für neue Richter und Staatsanwälte wahrscheinlich im Regen stehen", wie es die NachDenkSeiten beschreiben. Allein der Punkt der sabotierten Gerichtsbarkeit erwecke demnach den Eindruck eines Staates, der unwillig oder unfähig sei, zum Beispiel über Reichensteuern die nötigen Mittel einzutreiben, um die deutsche Justiz vor dem Kollaps zu bewahren. Dieser fatale Eindruck könne den Rechtsextremen potenziell mehr Sympathien zuführen, als das jemals einem privaten "Hasskommentar" möglich sei.

Zusätzlich würden die Internetkonzerne durch die neu eingeführte Meldepflicht von "Hasskommentaren" in den Stand einer Art "Internetpolizei" erhoben und könnten wegen der Masse an Fällen durch Selektion auch Zensur ausüben, wie es etwa in einem Interview des Deutschlandfunksmit dem Vorsitzenden des Richterbundes heißt. Aber auch der öffentlich-rechtliche Sender vertauscht Ursache und Wirkung, indem er "Hass und Hetze" nicht als Folge, sondern als Ursache des Rechtsrucks verkauft:

Hass und Hetze, verbreitet über die vermeintlich Sozialen Netzwerke: Das ist eine der Ursachen, sagen Experten, warum der Rechtsextremismus weltweit auf dem Vormarsch ist.

Syrien: Die urplötzliche Entdeckung des Völkerrechts

Geradezu ein Festival der Heuchelei hat sich in den letzten Wochen einmal mehr im Zusammenhang mit Syrien entwickelt. Die verzerrenden Berichte rund um die "demokratischen" Kurden-Kämpfer in Nordsyrien zogen sich bis in die vergangenen Tage hin. Das Vorgehen, diese Berichte nicht mit der westlichen Einmischung in Syrien seit 2011 zu verknüpfen, sondern mit dem jüngsten türkischen Vorgehen gegen die Kurden, folgt dem Prinzip "Haltet den Dieb": Jene (westlichen) Redakteure und Politiker, die den Krieg gegen Syrien und der damit verbundenen Serie, das Völkerrecht zu brechen, seit Jahren medial absichern, entdeckten und skandalisierten in den letzten Wochen urplötzlich die türkischen Verstöße gegen ebenjenes Völkerrecht. Mit dem Verschweigen der seit spätestens 2011 tätigen Verursacher soll auch die eigene Verantwortung für den Syrienkrieg und alle daraus folgenden (auch indirekten) Konsequenzen vertuscht werden.

So sieht etwa der Spiegel in Syrien seit dem türkischen Einmarsch plötzlich "das Recht des Stärkeren" am Werk und fährt sogleich fort:

Die UNO-Charta soll sicherstellen, dass selbst im Krieg Regeln gelten. Doch Despoten wie Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan setzen sich darüber hinweg. Das Völkerrecht spielt in Syrien keine Rolle mehr.

Und die Welt behauptet: "Der Westen hat kapituliert". In dem Artikel wiederholt die Zeitung zudem die – auch zeitlich – völlig geschichtsvergessene Darstellung eines in Syrien "untätigen Westens":

Viele Jahre lang sah der Westen zu, wie die Kriegsallianz Moskau-Teheran-Damaskus einen Vernichtungskrieg gegen die eigene Bevölkerung führte, der auch den Einsatz von Giftgas einschloss. Die strikte Beschränkung des westlichen Engagements in Syrien auf die Bekämpfung der Terrormiliz IS bedeutete faktisch, Assad und seinen Schutzherren freie Hand für die Auslöschung der syrischen Opposition und die systematische Entwertung des humanitären Völkerrechts zu geben.

Nur Russland agiert völkerrechtskonform in Syrien

Auch Politiker stimmten in die verfälschende, verkürzende Praxis ein, nur den aktuellen Völkerrechtsbruch durch die Türkei zu skandalisieren. So zitiert die Süddeutsche Zeitungden deutschen Außenminister:

Maas wirft Türkei Bruch des Völkerrechts vor. Die türkische Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien steht nach Auffassung von Bundesaußenminister Heiko Maas 'nicht im Einklang mit dem Völkerrecht'.

Den Vogel abgeschossen hat beim Thema Syrien allerdings der CDU-Politiker Jürgen Hardt (MdB): Er diffamierte in dieser Woche anlässlich des Vorschlags einer "schutzzone" von Annegret Kramp-Karrenbauer im Deutschlandfunk gerade einmal wieder Russland und damit die einzige Nation, die sich völkerrechtskonform in Syrien aufhält:

Ich könnte mir vorstellen, dass man gemeinsam, die Verteidigungsministerin und natürlich der Außenminister zunächst einmal klären, dass vielleicht die fünf EU-Mitglieder, die Mitglied des UN-Sicherheitsrates sind, einen geschlossenen Vorschlag machen, dass man die Amerikaner für die politische Unterstützung gewinnt, und dann muss Russland Farbe bekennen, ob es bereit ist, das ein Stück weit mitzutragen, oder ob sie klar Nein sagen, aber damit auch die Verantwortung dafür auf ihre Schultern laden, dass der Zustand, wie er jetzt ist, völkerrechtswidrig bleibt.

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