Meinung

Sind die USA nach der Transformation des Krieges zum Frieden fähig?

Die Angriffe auf die wichtigsten saudischen Ölverarbeitungsanlagen stellen einen Wendepunkt in der Geschichte der USA dar, darin sind sich viele einig. Unklar ist allerdings, ob Washington jetzt einen neuen Weg einschlagen wird und ob die US-Eliten dazu bereit sind.
Sind die USA nach der Transformation des Krieges zum Frieden fähig?Quelle: AFP © Joshua HORTON / US AIR FORCE

von Zlatko Percinic

Die bis heute gültige Strategie der USA im Mittleren Osten geht auf das erste Treffen zwischen einem US-Präsidenten und dem Gründer eines Königreiches auf der Arabischen Halbinsel zurück, das den Namen des Klans trägt: Saudi-Arabien. Am 14. Februar 1945, in der Endphase des Zweiten Weltkrieges, lud Präsident Franklin D. Roosevelt (FDR) Abd al-Aziz ibn Saud (ibn Saud) auf ein geheimes Treffen an Bord des Zerstörers USS Quincy, der im Sueskanal ankerte. Bei dem Treffen ging es vor allem um zwei Dinge: Öl und die Umsetzung der Balfour-Deklaration zur Errichtung einer jüdischen "Heimstätte" in Palästina.

Ibn Saud galt zu diesem Zeitpunkt als einer der mächtigsten arabischen Herrscher, nachdem er und seine wahhabitischen Ichwān nahezu die gesamte Arabische Halbinsel erobert, gegnerische Stämme unterjocht und sich selbst zum Beschützer von Mekka und Medina proklamiert hatten, den wichtigsten Heiligtümern des Islams. Zudem haben US-Unternehmen Ende der 1930er-Jahre reiche Erdölvorkommen im Osten des Königreichs entdeckt, was Washington einen ersten Fußabdruck in einer von Großbritannien dominierten Region erlauben sollte.

Mit der Befreiung von Auschwitz durch sowjetische Truppen nur wenige Wochen vor dem Treffen wurde das ganze Ausmaß der Judenvernichtung durch die Nazis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Roosevelt suchte daher nach Möglichkeiten, Juden aus Europa nach Palästina zu bringen, nachdem sich auf der Konferenz von Évian im Juli 1938 kein westliches Land – auch nicht die USA – dazu durchringen konnte, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen.

Doch auf der USS Quincy lief es für Roosevelt nicht wie geplant. Obwohl die beiden Männer umgehend eine Art tiefen Respekt und freundliche Zuneigung füreinander empfanden, gab ibn Saud dem Drängen von FDR nach seiner Zustimmung zur Aufnahme jüdischer Flüchtlinge in Palästina nicht nach. Laut dem anwesenden Übersetzer und Roosevelts eigenen Angaben zum Stand der Gespräche bestand ibn Saud darauf, dass Deutschland eigene Gebiete für Juden abtreten sollte, nachdem es immerhin auch die Deutschen waren, die die "Verbrechen und Unterdrückung" begangen haben.

Aber beim Thema Öl waren sich Roosevelt und ibn Saud einig. Saudi-Arabien sollte nicht unter britischen Einfluss gelangen, sondern fest im Orbit der Vereinigten Staaten von Amerika bleiben. Das beinhaltete auch den künftigen Zugang zu billigem Öl, das Washington als strategischen Rohstoff als wichtig für die nationale Sicherheit deklarierte.

Diese Übereinkunft sollte nicht nur den Tod Franklin D. Roosevelts nur acht Wochen nach diesem Treffen überdauern, sondern auch den Krieg 1948/49, der zur Gründung des modernen Staates Israel und der Vertreibung Hunderttausender Palästinenser führte.

Für sämtliche Amtsinhaber im Oval Office des Weißen Hauses waren seitdem diese drei Säulen der US-Politik im Mittleren Osten sakrosankt: Israel, Saudi-Arabien und Öl. Sämtliche Strategien und Überlegungen in und für die Region wurden diesen drei Säulen untergeordnet. Zwischen 1969 und 1979 existierte mit dem Iran noch eine vierte Säule. Allerdings führte genau diese zu enge Anbindung an die USA und Israel zum Niedergang der Pahlavi-Dynastie im Iran, der auch nicht mehr durch Repression und Gewalt zu verhindern war.

Alle Kriege in der Region seit 1967 und alle "Friedensverhandlungen" lassen sich auf diese drei Prinzipien der US-Außenpolitik zurückführen. Man hatte in Washington keinerlei Probleme mit Diktatoren oder dem Export des extremistischen Wahhabismus, solange sich ein "Frieden" mit Israel erkaufen ließ und das Öl ungehindert floss. Jeder, der es trotzdem mit dem einen oder anderen aufnahm, wurde entweder aus dem Weg geräumt oder wirtschaftlich in Knie gezwungen. Und stets sorgten das US-Militär – und mit ihm auch das israelische Militär – und der gesamte militärisch-industrielle Komplex dafür, dass eine Drohkulisse wie ein Damoklesschwert über etwaigen Abweichlern hing. Entweder man befand sich auf der Seite der USA, oder man wurde bekämpft. Für eine friedliche Koexistenz war auf diese Weise kein Platz.

Bis zu den Angriffen am 14. September auf die saudischen Ölinstallationen, der Lebensader des Al-Saud-Klans, hatte diese Formel Bestand, auch wenn schon seit geraumer Zeit gewisse Risse zu bemerken waren. Aber am vergangenen Wochenende hat definitiv eine Zeitenwende stattgefunden, über die man noch lange sprechen wird.

Dabei lief es für die Kriegsfalken in Washington und Benjamin Netanjahu in Israel doch eigentlich wie am Schnürchen. Der Schuldige war wie üblich schnell ausgemacht. Für Außenminister Mike Pompeo, der von Neocons nach dem unrühmlichen Rauschmiss von John Bolton als Nationaler Sicherheitsberater als "the last man standing" bezeichnet wird, stand von Anfang an fest, dass der Iran für die Angriffe verantwortlich ist. Medial wurde seit dem US-Rückzug aus dem Atomabkommen ohnehin für einen Krieg gegen den Iran getrommelt, der von Präsident Donald Trump mit seinen Twitter-Drohungen auch noch genährt wurde, sodass der Lieblingsfeind der Nation eigentlich wie auf dem Servierteller für die Verurteilung durch die Bevölkerung bereitlag. Immerhin muss auch ein US-Präsident seine Bürgerinnen und Bürger hinter sich wissen, wenn er als Oberbefehlshaber den Befehl für einen Angriff auf ein Land gibt. Im Falle des Iran wäre ihm diese Zustimmung gewiss.

Obwohl also Saudi-Arabien, und was eigentlich noch viel schwerer wiegt, wichtige Erdölanlagen angegriffen wurden und der Iran als Schuldiger bereits feststand, hat sich auch fünf Tage danach (Stand 19. September) nichts getan. 1991 reichten ein paar irakische Panzer in Kuwait und erfundene Geschichten über Gräueltaten – die sogenannte Brutkastenlüge – aus, um eine Streitmacht von über einer halben Millionen Mann aufzustellen, um Saddam Hussen in die Schranken zu weisen.

Nicht weniger zimperlich zeigte man sich anschließend mit einem umfassenden Embargo und dem korrupten Öl-für-Lebensmittel-Programm der Vereinten Nationen. Laut UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, starb aufgrund dieser Maßnahmen etwa eine halbe Million Kinder zwischen 1992 und 2000. Für Madeleine Albright, ehemalige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen und Außenministerin, war das hingegen "den Preis wert", um den Irak zu bestrafen. 2003 folgte dann schließlich die auf Lügen basierende US-Invasion, die nicht nur das Land zerstörte, sondern die Machtbalance der Region entscheidend veränderte.

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Dass die USA nicht zugeschlagen haben und es in aller Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit auch nicht tun werden, hat sich bereits seit dem Abschuss der 170 Millionen US-Dollar teuren Spionagedrohne am 20. Juni angedeutet. Die Drohkulisse der nach wie vor mächtigen US-Armee hat ihre einstige Macht verloren. Ironischerweise sind es die Lektionen aus dem Irak und die Entwicklung von im Vergleich zu anderen Waffensystemen günstigeren Raketen und Drohnen, die dazu geführt haben.

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Der israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld hat diese Entwicklung bereits 1991 in seinem Buch "The Transformation of War" (Die Transformation des Krieges) vorausgesagt. Die meisten Kriege der Zukunft werden nicht mehr mit dem enormen Materialaufwand wie im 20. Jahrhundert geführt, sondern es werden auch aufgrund der Veränderung bei den Kriegsparteien ganz andere Arten des Krieges geführt. So werden laut van Crefeld asymmetrische Strategien auf überwältigende Feuerkraft treffen, die es der regulären Armee schwermachen wird, einen strategischen Sieg in solch einer Auseinandersetzung nach Hause zu fahren.

Betrachtet man die Kriege zwischen Israel und der Hisbollah (und zuletzt auch gegen die Hamas) sowie jene der USA in Afghanistan und im Irak, dann bestätigt sich die Theorie van Crefelds. Die Iraner haben aufmerksam registriert, welche Wandlung sich in den vergangenen 25 Jahren vollzogen hat, während insbesondere der US-amerikanische militärisch-industrielle Komplex diesen Wandel aus kapitalistischen Gründen nicht ernst genommen hat. Zu viel Geld konnte man vor allem mit dem 2001 entfachten "Krieg gegen den Terror" verdienen.  

Die Vereinigten Staaten projizierten ihre Macht durch ihre schwimmende Kriegsmaschinerie und Stützpunkte entlang der arabischen Küste des Persischen Golfes. Diese sind aber zu statischen Zielen geworden, die leicht zu treffen und fast nicht zu verteidigen sind. Hinzu kommen noch die nicht-militärischen Ziele wie eben Erdölanlagen in Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Angriff am 14. September hat gezeigt, wie anfällig das ganze System ist. Dabei ist es aus strategischer Sicht der USA völlig unerheblich, wer tatsächlich dahintersteckt. Im Pentagon weiß man ganz genau, dass im Fall eines Krieges mit dem Iran die Angriffe auf US-Truppen und -Stützpunkte und eben andere Ziele auf der Arabischen Halbinsel aus den unterschiedlichsten Richtungen kommen können und ihr Ziel treffen werden.

Das bedeutet aber keineswegs, dass die USA über keine Möglichkeiten verfügen würden, massive Luftangriffe zu führen oder Raketen auf den Iran abzufeuern. Die Frage ist aber, was damit bezweckt werden soll. Denn es wird wie schon in Afghanistan oder dem Irak zu keinem Sieg führen, sondern lediglich die asymmetrischen Antworten auslösen. Und zu einem Einsatz darüber hinaus, werden die USA nicht bereit sein.

Was auf den ersten Blick wie eine Art Schachmatt aussieht, kann auf den zweiten aber eine Chance auf eine andere, eine bessere Entwicklung der Region sein. Während die US-Politik bisher stets von israelischer und saudischer Feindschaft gegenüber dem Iran geprägt und beeinflusst war, könnte ein Paradigmenwechsel in Washington sich als Vorteil für eine von Gewalt geprägte Region erweisen.

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