Meinung

Verdi ruft zum Generalstreik auf – fast jedenfalls und aus dem falschen Grund

Verdi-Chef Bsirske ruft zum Generalstreik auf. Fast jedenfalls. Die Verdi-Mitglieder sollen außerhalb der Arbeitszeit bei einer bundesweiten Aktion der "Fridays for Future" mitmachen. Doch die Probleme der Arbeitnehmer sind anderer Art. Es sind die zu niedrigen Löhne.
Verdi ruft zum Generalstreik auf – fast jedenfalls und aus dem falschen GrundQuelle: Reuters © Fabrizio Bensch

von Gert Ewen Ungar

Wie die WAZ berichtete, ruft Frank Bsirske für den 20. September zur Teilnahme an der bundesweiten Aktion der "Fridays for Future" auf. Man fragt sich, was den Verdi-Vorstandsvorsitzenden da geritten hat. Warum ruft Bsirske die Mitglieder seiner Gewerkschaft auf, sich bei den für den 20. September angekündigten Protestaktionen zu beteiligen? Der Grund dafür bleibt rätselhaft, denn die offenkundig auch von der Bewegung für zweckmäßig gehaltene Einführung einer CO2-Steuer wird weder den bei Verdi organisierten Arbeitnehmern irgendeinen Vorteil bringen, noch das Ziel einer Reduktion der Emissionen erreichen.

Faktisch wurde mit den Ende der 1990er Jahre unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung eingeführten Maßnahmen, die unter dem Titel Ökosteuer umgesetzt wurden, bereits eine CO2-Steuer eingeführt. Sukzessive höher besteuert wurden fossile Energieträger. Zudem wurde eine Stromsteuer eingeführt, wobei Strom aus regenerativen Quellen von der Steuer befreit wurde. Man könnte jetzt, 20 Jahre nach der Einführung überprüfen, welche Lenkungswirkung die Steuer tatsächlich hatte, bevor man eine dazu analoge Steuer einführt –  wenn man diese Auseinandersetzung mit der Realität denn wirklich wollte. Fakt ist nämlich, die Lenkungswirkung war eher bescheiden, um es vorsichtig auszudrücken. Die großen, industriellen Verbraucher waren ohnehin befreit oder mussten sich nur reduziert beteiligen. Die Hauptlast lag bei den Endverbrauchern, also den Bürgern. Benzin wurde teurer, Strom auch. Fliegen wurde billiger, denn die Billigairlines kamen auf, und Kerosin blieb von der Steuer ausgenommen. Bahnfahren wurde ebenfalls teurer, denn die Bahn machte sich für den geplanten Börsengang hübsch.

Wer glaubt, diesmal würde es anders laufen, schätzt die Bereitschaft der Parteien, unpopuläre Maßnahmen gegenüber der Wirtschaft durchzusetzen, völlig falsch ein. Das wird nicht passieren. Es bedarf daher auch wenig hellseherischer Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass die Begründung der Politik, warum energieintensive Bereiche der Wirtschaft von einer Belastung durch eine künftige CO2-Steuer ausgenommen werden müssen, von den Gewerkschaften unterstützt und verstärkt werden wird. Standort Deutschland, Arbeitsplätze ... Man kennt das Credo und sollte sich daher keinen Illusionen hingeben.

So werden die Arbeitnehmer die Last der CO2-Steuer tragen müssen, ohne dass damit das Ziel einer Reduktion auch nur annähernd erreicht wird. Warum man da sicher sein kann? Weil es beim letzten Mal auch schon so gelaufen ist. Dienlich wäre in den letzten Dekaden nicht nur den Arbeitnehmern, sondern auch dem Zusammenhalt der EU etwas ganz anderes gewesen, nämlich Lohnabschlüsse im Rahmen des Verteilungsspielraums. Inflationsziel plus Produktivitätszuwachs. Das entspräche Lohnsteigerungen weit über dem, was Verdi für seine Beschäftigten herausgeholt hat. Im Gegenteil haben die deutschen Gewerkschaften im Rahmen der Durchführung der Agenda 2010 und der Einführung der Hartz-Gesetze ihren Beitrag zum deutschen Lohndumping geleistet und niedrige Abschlüsse mitgetragen.

Die Rede war damals von Deutschland als krankem Mann Europas und dass man den Gürtel enger schnallen müsse, weil man über seine Verhältnisse gelebt habe. Das war damals genauso falsch, wie es heute ist. Es hat ein tiefes Ungleichgewicht in die EU und schließlich in den Euro-Raum getragen. Die 2001 aus der Vereinigung der Gewerkschaft ÖTV und anderen, kleineren Gewerkschaften hervorgegangene Gewerkschaft Verdi hat dem aktiv Vorschub geleistet. Mit der Überführung des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) in den Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVÖD) trug die Gewerkschaft massive und breite Lohnsenkungen mit und leistete so ihren Beitrag zur wachsenden ökonomischen Unwucht innerhalb Deutschlands und der EU.

Für die EU, insbesondere die Euro-Zone, wären Lohnabschlüsse im Rahmen des Verteilungsspielraums und nicht weit darunter von Vorteil gewesen. Denn dadurch wären die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands nicht derart aus dem Ruder gelaufen, wie sie es sind. Wir sind Exportweltmeister und auch noch stolz auf diesen Titel, der sich zwar nach beeindruckend viel Fleiß anhört, aber für den Rest der Welt allen voran die EU ein großes Problem darstellt. Diese Überschüsse haben nämlich einen maßgeblichen Anteil daran, dass die EU unter Druck steht und die Euro-Zone auseinanderzubrechen droht. Denn Deutschland hat sich mit seinen breiten Lohnsenkungen einen Wettbewerbsvorteil auf Kosten seiner europäischen Partner erschlichen, der nicht durch Innovationstätigkeit, durch neue Erfindungen und Fortschritt, sondern auf Kosten der Arbeitnehmer entstand, die auch von den Gewerkschaften gezwungen wurden, weit unter den Verhältnissen zu leben, die makroökonomisch sinnvoll gewesen wären.

Es kann sich also nur um blanken Populismus handeln, was Bsirske hier tut. Es gibt zahllose Gründe, warum die Arbeitnehmer in Deutschland streiken könnten und sollten, "Fridays for Future" und die Forderung nach einer CO2-Steuer ist keiner davon. Es wäre ein guter Beitrag für Deutschland und die EU, wenn die deutschen Gewerkschaften wieder das Wohl ihrer Klientel in den Blick nehmen würden. Das besteht mit Sicherheit nicht in der Wiederholung der Fehler der letzten Dekaden. Er besteht nicht in der Einführung einer neuen Steuer oder der Erhöhung einer alten. Man mag beim Aufruf Bsirskes seinen Augen kaum trauen. Geht auf die Straße für eine Sache, die gegen euer Interesse ist, sagt er sinngemäß. Aber bitte vorher ordnungsgemäß ausstempeln. Es läuft in Deutschland etwas grundlegend falsch.

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