"Wann, wenn nicht jetzt?" – Wie der Spiegel zur deutschen Intervention am Golf drängt
von Andreas Richter
Christiane Hoffmann, stellvertretende Chefin des Spiegel-Hauptstadtbüros, wirbt im Leitartikel der aktuellen Ausgabe des Magazins mit Nachdruck für eine deutsche Beteiligung an einer Militärmission in der Straße von Hormus. Ihre Argumentation ist dabei wirr und widersprüchlich.
Zunächst lobt Hoffmann den fast schon vergessenen früheren Bundespräsidenten Horst Köhler. Dieser trat 2010 zurück, nachdem er wegen der Äußerung, dass Militäreinsätze zur Wahrung deutscher Interessen nötig sein könnten, etwa zum Schutz freier Handelswege, kritisiert wurde.
"Fast prophetisch" nennt Hoffmann diese Äußerungen nun. Und fordert eine Beteiligung der Bundeswehr an einer europäischen Marinemission, wie sie von den Briten in der vergangenen Woche ins Spiel gebracht wurde. "Europa" werde jetzt gebraucht.
Sodann referiert die Spiegel-Journalistin die Risiken einer solchen Mission: Die Europäer könnten in einen Konflikt mit dem Iran hineingezogen werden; und der Vorschlag komme von den die EU verlassenden Briten, noch dazu "angeführt von dem Politscharlatan Boris Johnson, der ein sehr fragwürdiges Verständnis von Wahrheit pflegt." Man würde also einem EU-kritischen Lügner helfen. (Nebenbei bemerkt: Ist Johnsons Verständnis von Wahrheit wirklich fragwürdiger als das deutscher Regierungsvertreter, die für den Spiegel zu den "Guten" zählen?)
Dann aber folgt Hoffmanns flammendes Plädoyer für einen solchen Einsatz:
Trotzdem wäre es ein Fehler, wenn Deutschland sich ein weiteres Mal hinter der Kultur der militärischen Zurückhaltung verschanzen würde. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem ersten bewaffneten Einsatz der Bundeswehr kann Deutschland sich nicht mehr aus der Verantwortung stehlen. Die Bundesrepublik, zurzeit nicht ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat, redet seit Jahren davon, international nicht mehr nur an der Seitenlinie stehen zu wollen. Worauf wartet Berlin noch? Wann, wenn nicht jetzt?
Dieser Absatz verdient eine nähere Betrachtung. Denn, wo man Argumente erwartet, kommt nur eine Aufzählung leerer, aber moralisierender Sprechblasen: Nicht mehr hinter der Kultur der militärischen Zurückhaltung verschanzen, nicht mehr aus der Verantwortung stehlen, nicht mehr nur an der Seitenlinie stehen.
Erst dann kommen die Argumente: Ein solcher Einsatz schütze das Recht, er richte sich gegen das angeblich völkerrechtswidrige Vorgehen der Iraner gegen die freie Seeschifffahrt.
Hoffmann liefert die Gegenargumente gleich mit: Der Iran sei im Atomstreit im Recht, die Iraner hätten sich über ein Jahr an die Vereinbarungen gehalten und von den Europäern zu wenig Unterstützung erfahren. Sie stellt auch fest, dass die USA den Konflikt mutwillig eskalieren ließen, weswegen es falsch sei, an ihrer Seite zu agieren. Hoffmann vergisst nicht einmal zu erwähnen, dass es die Briten waren, die zuerst einen iranischen Tanker festsetzten, "möglicherweise ebenfalls völkerrechtswidrig", und die Iraner so provozierten.
All das referiert die Spiegel-Journalistin, nur zieht sie offenbar überhaupt keine Schlüsse aus diesen Feststellungen. Die Briten haben angefangen. Warum setzt man nicht bei ihnen an, um die Krise zu lösen? Die Iraner sind im Recht, warum unternimmt man nichts, um dieses Recht durchzusetzen?
Man muss nicht besonders hellhörig oder hellsichtig sein, um in der "europäischen Schutzmission" ein Manöver der wie stets willigen Briten zu sehen, die dem eigentlichen Aggressor, den USA, noch ein paar Komplizen zuführen. Deshalb wäre eine solche Mission kein Beitrag zur Deeskalation, sondern zur Eskalation, und weder im Interesse der Europäer noch der Deutschen.
Natürlich weiß das Frau Hoffmann, ihr Insistieren auf eine "massive diplomatische Initiative" im letzten Absatz ihres Kommentars deutet darauf hin. Aber letztlich geht es ihr nicht um die Schifffahrt und den Iran, ihr eigentliches Anliegen ist es, Deutschland um jeden Preis wieder als intervenierende Regionalmacht ins Spiel zu bringen, als Hilfssheriff, der natürlich, Christiane Hoffmann ist Mitglied der Atlantikbrücke, nur in Richtung Osten und Süden fährt und schießt und den transatlantischen Hegemon nicht in Frage stellt.
Damit bietet dieser Leitartikel des Spiegel ein schönes Beispiel dafür, wie ein Thema unter Vernachlässigung von Fakten und Logik für die Beförderung eines bestimmten Anliegens verwendet wird. Auf ebendiese Weise trommelt das Magazin regelmäßig für die massive Aufrüstung der Bundeswehr. Natürlich würde sich eine stärkere Rolle Deutschlands als Interventionsmacht auch gut für die Begründung höherer Rüstungsausgaben eignen.
Dem Spiegel scheint der hier zu besichtigende Agendajournalismus nicht zu bekommen. Die Auflage sinkt, parallel zur inhaltlichen Verarmung wird das Heft – auch wegen der flüchtenden Werbekunden – immer dünner; selbst das Papier ist deutlich schlechter geworden. Es hat etwas Beruhigendes, dass diese spezielle Art des Journalismus sich letztlich selbst untergräbt und dabei doch an dem gesunden Misstrauen der großen Mehrheit der Deutschen gegenüber militärischen Abenteuern nichts zu ändern vermag.
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