Meinung

Kroatien und die Angst vor einem neuen mächtigen Deutschland

Mit Sorge beobachtet man in Zagreb die Entwicklung in Deutschland, in der Europäischen Union und die Rolle Kroatiens innerhalb dieser Entwicklung. Man erinnert sich noch daran, welche Folgen eine zu enge Anlehnung an ein starkes Deutschland für Kroatien hatte.
Kroatien und die Angst vor einem neuen mächtigen DeutschlandQuelle: AFP

von Zlatko Percinic

Josip (Name von der Redaktion geändert) betrachtet mit Sorge die Ernennung von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zur Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland. Als Oberst a. D. des kroatischen Geheimdienstes SOA und heutiger Politikberater kennt er die Schattenseiten beider Welten, der verdeckten und der politischen. Es solle aber nicht der Eindruck entstehen, sagt Josip mit ernster Miene, dass man sich einem der wichtigsten ausländischen Verbündeten gegenüber undankbar zeigen möchte.

Ohne Deutschlands diplomatisches Handeln wäre zumindest eine so rasche Anerkennung der Unabhängigkeitserklärungen der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken von Kroatien und Slowenien unmöglich gewesen. Natürlich gebe man sich keinen Illusionen hin und weiß ganz genau, dass die deutsche Regierung nicht aus reiner Selbstlosigkeit gehandelt habe, sondern dass diese Anerkennung mit einem Preisetikett versehen war.

Schon früh in seiner militärischen Laufbahn sei er in Kontakt mit Verbindungsoffizieren des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) und verschiedenen US-Amerikanern gekommen, die vor allem aus der US-Botschaft in Zagreb operierten. "Der Weg, den Kroatien einschlug, war stets begleitet von diesen unsichtbaren Händen, die die Richtung anzeigten", sagt der ehemalige Geheimdienstmann im Gespräch.

Die Europäische Union und die NATO standen von Anfang an als Ziel fest, wohin die Reise gehen sollte. Diese zwei Organisationen sollten die Unabhängigkeit Kroatiens garantieren, welche man sich in einem vierjährigen Krieg gegen serbische Milizen und die Jugoslawische Volksarmee erkämpft hatte. Die EU und die NATO sollten dafür sorgen, dass das vergossene Blut nicht umsonst war. Und man wollte an die Töpfe der verschiedenen milliardenschweren EU-Fonds herankommen, um das Land aufzubauen.

Genau das sei der Anfang eines falschen Weges gewesen, meint Josip. Sein Blick lässt erkennen, dass ihn das wirklich bewegt, obwohl – oder gerade weil – er Teil dieses Systems war. Denn während auf der einen Seite das Geld aus Brüssel nach Kroatien floss und in Infrastrukturprojekte investiert wurde, gab Zagreb die eigene Wirtschaft dem Ausverkauf preis. Dazu gesellte sich noch die Korruption, die sich wie ein Geschwür ausbreitete und am Ende dafür sorgte, dass die strukturschwachen Regionen Kroatiens (vor allem Slawonien) vom Machtzentrum in und rund um Zagreb abgehängt wurden.

Doch nachdem man diese Richtung erst eingeschlagen hatte, gab es keinen Weg mehr zurück. Ironischerweise hätten dann ausgerechnet jene Institutionen und Länder – EU und Deutschland – dafür gesorgt, dass sie zur größten Bedrohung für Kroatien geworden sind. Nicht weil sie militärisch gegen Kroatien vorgehen möchten, sondern weil sie wie ein "schwarzes Loch" die kroatischen Arbeitskräfte aufsaugen, die man selbst so dringend benötigt. Josip gibt zu, dass die Regierung anfänglich froh über diese Entwicklung war. Jeder Arbeitslose weniger bedeutete eine Ersparnis für den Staat. Wie kurzsichtig diese Politik war, sollte sich jedoch schnell zeigen.

Der Ausverkauf der kroatischen Wirtschaft sorgte dafür, dass sich insbesondere Deutschland und Österreich mit Banken, Versicherungen, Logistik, Discountern und Supermärkten den Markt nahezu unter sich aufgeteilt und Kroatien so in eine gefährliche Abhängigkeit geführt haben. In den Märkten selbst gibt es nur noch sehr wenige einheimische Produkte, das meiste kommt aus den Ursprungs- und anderen EU-Ländern. Für die Landwirtschaft, von der sehr viele Menschen abhängig waren, ist diese Entwicklung ein Desaster. Selbst der bis zum 17. Juli 2019 amtierende Landwirtschaftsminister und Vize-Wirtschaftsminister Tomislav Tolušić wunderte sich öffentlich darüber, dass "wir niemals so wenig produziert haben wie heute, nicht einmal in den Kriegsjahren".

Das sei das Resultat dieser verfehlten kroatischen Politik, sagt Josip stirnrunzelnd. Man habe sich unbeabsichtigt in eine ähnliche Situation gebracht wie das faschistische Regime von Ante Pavelić während des Zweiten Weltkriegs. Obwohl es natürlich eine andere Zeit war und die Umstände nicht zu vergleichen sind, gibt es dennoch eine Parallele zwischen dem Unabhängigen Staat Kroatien (NDH) von damals und der heutigen Republik Kroatien: Die Gründung und das Überleben beider Staaten waren von Deutschland abhängig.

Solange die deutsche Macht "nur" auf den wirtschaftlichen Bereich konzentriert ist, geht keine reale Gefahr von deutschem Boden aus, meint der ehemalige Geheimdienstler. Doch er betrachtet mit Sorge den Wandel, der sich vor unseren Augen vollzieht. Die Bundesregierung habe in den vergangenen Jahren damit angefangen, ihre Macht über diesen wirtschaftlichen Bereich auszudehnen. Die Migrantenkrise habe gezeigt, wie unvorbereitet die EU-Länder auf diese neue selbstbewusste Machtpolitik Berlins waren.

Josip schildert die Auswirkungen für Kroatien und die ohnmächtige Rolle Zagrebs in dieser nach wie vor vorherrschenden Krise. Nachdem Ungarn seine Grenzen dicht gemacht hatte, fiel plötzlich Kroatien die Aufgabe zu, die "Außengrenzen" der EU zu beschützen, obwohl man sich geografisch nicht einmal an der Außengrenze der Union befinde, beschwert er sich laut. Die Brutalität der kroatischen Polizei gegenüber den Migranten an der Grenze zu Bosnien geschehe mehr oder weniger auf Anweisung der Deutschen, die die Balkanroute gesperrt sehen wollen. Was sich an der Grenze abspiele, sei allen bekannt, immerhin operiere die kroatische Polizei ja im Verbund mit Frontex, der europäischen Grenzschutzagentur, die mit Drohnen und Aufklärungsflugzeugen die Grenzen kontrolliert.

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Doch mit Abstand die größte Sorge habe man vor einer neuen Militarisierung Deutschlands. Zwar habe man durchaus Verständnis dafür, dass die Bundeswehr modernisiert wird, doch die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer stufe man in Zagreb als schwach und damit als gefährlich ein. Gefährlich dahingehend, dass sie eine Modernisierung der Bundeswehr über ein gesundes Maß hinaus betreiben könnte, um sich politisch profilieren zu können. Diese Aufrüstung und die anti-russische Politik der Bundesregierung könnten in der Zukunft zu einer strategischen Herausforderung für Kroatien werden, da man sich als engen Verbündeten Deutschlands betrachtet und natürlich auch ein NATO-Mitglied ist.

Vor über siebzig Jahren führte diese Konstellation zum Ende des faschistischen Staates NDH, der von dem neuen kommunistischen Jugoslawien absorbiert wurde, welches wiederum aus dem Königreich Jugoslawien entsprang, das nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gegründet wurde. Diese Option – ob diese gut oder schlecht war, sei dahingestellt – existiert heute nicht mehr. Es gibt diesen Diskurs nicht mehr, der eine Einheit aller (Süd-)Slawen vorsieht oder sich zumindest einen gemeinsamen Staat mit Slowenen und Serben vorstellen könnte. Ganz im Gegenteil. Der Nationalismus ist in Kroatien weit verbreitet, vor allem in jenen Gebieten, die vom Krieg Anfang der 1990er-Jahre betroffen waren und heute wirtschaftlich von der eigenen Regierung abgehängt wurden. Der demografische Wandel und die Abwanderung ganzer Dörfer tun ihr Übriges.

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