Moskau-Demos, Iran-Krieg, AKK-Desaster: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund
von Thomas Schwarz
Es gibt Themen, bei denen tritt die Heuchelei westlicher Medien besonders deutlich zutage. Eines dieser wiederkehrenden Themen ist die Militanz und die Frage, wie ein Staat auf nicht genehmigte und möglicherweise gewalttätige Demonstrationen reagieren sollte: So forderten westliche Medien beim "Maidan" in der Ukraine, angesichts von militanten Islamisten in Syrien oder einer gewaltbereiten "Opposition" in Venezuela von den jeweiligen Regierungen, diese militanten Umtriebe als "Akt der Demokratie" zu dulden. Diese Toleranz endet jedoch (zu Recht) schlagartig, wenn sich etwa in Deutschland militante Entwicklungen abzeichnen. Zudem hat Deutschland ein im internationalen Vergleich strenges Versammlungsrecht.
Daher ist es auch westlichen Redakteuren bewusst, was in Deutschland mit den "Besuchern" einer verbotenen Demonstration geschehen würde: Sie würden mutmaßlich verhaftet werden – und kein westliches Medium würde daran Anstoß nehmen. Warum auch, schließlich wird geltendes Recht umgesetzt. Möglicherweise werden durch diese Verhaftungen sogar demokratische Institutionen wie das Parlament vor der Belagerung durch gewaltbereite Gruppen beschützt.
Verbotene Demos in Moskau – Die Medien-Heuchelei um die Militanz
Ganz anders beurteilen es viele deutsche Redakteure, wenn in Moskau verbotene Demonstrationen stattfinden: Dort sind die Initiatoren solcher Demos grundsätzlich im Recht – Verbot hin oder her! Und ein Staat, der sein Demonstrationsverbot durchsetzt und damit sein Gewaltmonopol verteidigt, wird als "diktatorisch" dargestellt. Dieses Prinzip der doppelten Standards ist altbekannt und soll hier nicht erneut analysiert werden. Für die Chronik seien im Folgenden aber doch einige Beispiele erwähnt.
Denn anlässlich von Verhaftungen bei verbotenen Demos in Moskau wurde die beschriebene mediale Doppelzüngigkeit gegenüber der Militanz auch in dieser Woche in zahlreichen großen Medien praktiziert. So schreibt die Süddeutsche Zeitung: "Die 'immense Arroganz der Macht' macht die Menschen wütend." In einem anderen Artikel ist die SZ begeistert von der "Macht der Straße". Laut Zeit kritisierte erwartungsgemäß auch die EU das "Vorgehen der russischen Polizei in Moskau". Und t-online bietet der sogenannten Zivilgesellschaft viel Raum für ihre Kritik an den sogenannten Machthabern: "Ihr seid eine Schande für Russland."
Kampagne für einen Iran-Krieg
Ein weiteres dominantes Thema dieser Woche kommt interessierten Medienkonsumenten womöglich ebenfalls bekannt vor. Man kann die aktuelle Meinungsmache gegen den Iran zum einen als Paradebeispiel für eine mutmaßlich orchestrierte Kriegsvorbereitung bezeichnen: "Beweisvideos" von iranischen Attacken, angebliche US-Drohnen-Abschüsse durch den Iran, ein propagandistisches Tauziehen um Tanker.
Andererseits könnte man die medialen Zuspitzungen in dieser Woche auch als Chance für aufstrebende Redakteure begreifen, um mit einfachsten Mitteln so etwas wie eine Berufsethik oder ein "journalistisches Rückgrat" zu beweisen. Die Gelegenheit wäre günstig, um distanzierten Journalismus wenigstens zu simulieren: Die "kritischen" Journalisten müssten es einfach nur unterlassen, die täglich mehr zugespitzte – und sich dadurch zunehmend selber als Kampagne entlarvende – "Berichterstattung" gegen den Iran zu stützen. Das Phänomen war in dieser Kolumne bereits Thema:
Angesichts der unverblümten Agitation für einen Krieg gegen den Iran in dieser Woche könnte und müsste nun eigentlich die Stunde der kritischen Journalisten und der kühlen Analysten schlagen: Das "Beweisvideo", mit dem die USA ihre schweren Anschuldigungen gegen Teheran unterfüttern wollen, ist nicht ernst zu nehmen – eigentlich müsste es eine Steilvorlage für Spott und Häme gegenüber den Verbreitern sein. Allein der Versuch, mit einem solchen Video einen großen Krieg anzuzetteln, müsste als Beleidigung der Intelligenz bezeichnet werden.
Das wiederkehrende Versagen der Medien vor den Kriegen
Die Kollaboration vieler Redakteure mit der laufenden Kampagne gegen den Iran wiege umso schwerer, als die aktuelle Meinungsmache bekannten historischen Beispielen der Kriegstreiberei ähnelt und sie darum leicht als solche zu identifizieren wäre. Zu nennen wären hier etwa der "Überfall" auf den Sender Gleiwitz 1939, die "Angriffe" im Golf von Tonkin 1964, die "Brutkastenlüge" 1990 oder die Kampagne zu den "Massenvernichtungswaffen" 2003.
Dass bei diesen fingierten Vorfällen schon zum Zeitpunkt des Einsatzes der Propaganda deren fabrizierter Charakter offensichtlich war, wurde an dieser Stelle bereits betont: Ein ums andere Mal haben die großen Medien vor den jeweiligen Kriegen versagt, indem sie die betreffenden Lügen nicht angemessen attackiert oder sie sogar gestützt haben. Der Satz "hinterher ist man immer klüger" gelte in keinem der genannten Fälle: Man hätte auch zum Zeitpunkt des Einsatzes der Propaganda diese bereits durchschauen können.
Mediale Doppelstandards – auch in der Iran-Berichterstattung
Doch die Chance, sich als echter Journalist hervorzutun, wird weitgehend ausgeschlagen, ein Lerneffekt ist bei den großen deutschen Medien nicht festzustellen – auch nicht aktuell im Zusammenhang mit dem Iran. Das beklagt immerhin etwa die Leipziger Volkszeitung: "Drohnenabschüsse, obskure Videos von angeblichen Sabotageakten, Tanker-Beschlagnahmungen, wechselseitige Drohungen: Angeblich will keiner einen Krieg am Persischen Golf, aber niemand scheint ihn aufzuhalten." Die Zeitung spricht mit dem Journalismusforscher Florian Zollmann, der in der Berichterstattung über den Konflikt "Doppelstandards" ausmacht:
Ich sehe, dass westliche Stimmen und Erklärungsmuster in den Nachrichten der Leitmedien überrepräsentiert sind. Das führt dazu, dass die von der US-Regierung aufgebaute Drohkulisse auch in den Medien stark zur Geltung kommt. Und es gibt auch ideologische Annahmen in den Medien. So sprechen Leitmedien wie der Spiegel von einem "USA-Iran-Konflikt". Das Wort Konflikt deutet auf Zweiseitigkeit hin. Dabei war sich die Staatengemeinschaft im Prinzip einig über die Gültigkeit des 2015 abgeschlossenen Atomabkommen mit dem Iran. Nun hat die Trump-Regierung dieses Abkommen vor etwa einem Jahr einseitig aufgekündigt. Es entspräche also der Faktenlage, die Trump-Regierung als Aggressor zu bezeichnen.
Der Herrschaftsanspruch der FAZ
Ein Beispiel unter vielen für diese Doppelstandards lieferte etwa die FAZ. Sie verbindet ihre Meinungsmache mit einem unverblümten, aber dadurch auch antiquiert wirkenden, westlichen Herrschaftsanspruch:
Amerika und Europa können die Golfregion aus eigenem Interesse nicht anderen Akteuren überlassen – weder einer anderen externen Macht, etwa Russland, noch weniger der Islamischen Republik Iran, denn eine Pax Iranica würde die heutige Ordnung einer Region gefährden, in der die Hälfte der bekannten Ölvorkommen liegen. (…) In dieser Ordnung ist der Iran ein Störenfried. Denn die Islamische Republik baut ihren Einfluss im Nahen und Mittleren Osten auf Kosten der mit dem Westen verbündeten Staaten aus, und ihr Atomprogramm könnte die Machtverhältnisse am Persischen Golf nachhaltig verändern. Noch verhalten sich in der aktuellen Krise alle Akteure rational, sie testen lediglich mit kleinen Schritten und Provokationen das Vorgehen des Gegners. Der Iran muss aber wissen: Stellt es die Interessen des Westens in der Golfregion in Frage, schadet es nur sich selbst.
Deutschland vor der Küste Irans? Die gefährliche neue Verteidigungsministerin
Diese Behauptungen führen zum nächsten Thema: zur neuen Verteidigungsministerin und zu einer Kampagne für mehr Rüstung innerhalb der NATO. Denn ein Land, das sich in jedem Fall selber schadet, wenn es sich in den Konflikt um den Iran hineinziehen lässt, ist Deutschland. Leider sieht das die brandneue Verteidigungsministerin nicht so eindeutig – Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) schließt sogar einen Auslandseinsatz vor der Küste des Irans laut Medienberichten nicht aus.
Kramp-Karrenbauers (AKK) Ansichten decken sich jedoch nicht nur an der iranischen Front mit den mutmaßlichen Vorstellungen transatlantischer Strategen. Auch beim Aspekt "Zwei-Prozent-Ziel" versucht sie, "Aufrüstungspolitik nach den Wünschen von Donald Trump zu betreiben", wie die SPD in treffender, aber dennoch heuchlerischer Weise kritisiert. Durch die zutreffende Kritik an Dingen, die die SPD lange selber mitgetragen hat, vollführt die Partei einmal mehr jenes prinzipienlose Verhalten, das sie zunehmend konturlos und dadurch überflüssig macht. Die Welt kommentiert diese Selbstdemontage der SPD genüsslich so:
Ehrlich wäre es, wenn die SPD-Spitze sagte: Wir halten das 2002 von unserem Kanzler Schröder und unserem Verteidigungsminister Struck mitbegründete Ausgabenziel für nicht mehr zeitgemäß. Wir distanzieren uns von unserem Außenminister Steinmeier, der die Zusage 2014 erneuerte. Und obwohl alle SPD-Minister im Kabinett 2016 dem Weißbuch der Regierung zugestimmt haben, lehnen wir eine auskömmliche Ausrüstung der Bundeswehr für die darin festgelegten Aufträge ab.
Opportunismus: SPD kritisiert eigene Rüstungsbeschlüsse
Wenn die Sozialdemokraten ihre Rüstungskritik nicht nur rein verbal, opportunistisch und ausschließlich bei Bedarf verfolgen würden, hätten sie sogar den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages als Kronzeuge. Denn der hat bereits 2017 festgestellt, dass das "Zwei-Prozent-Ziel" nicht rechtlich bindend ist:
Politik- und Rechtswissenschaftler sind sich einig, dass die Zwei-Prozent-Zielvorgabe der NATO für die Höhe der nationalen Verteidigungsausgaben als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet. Sie begründen dies unter anderem mit Aussagen verantwortlicher Autoritäten. (…) Der NATO-Summit in Wales stellte nach Auffassung von Jan Techau, Direktor des Richard C. Holbrooke Forum for the Study of Diplomacy and Governance an der American Academy in Berlin, zwar einen historischen Schritt dar. Dennoch bleibt die auf dem Gipfel gegebene Zwei-Prozent-Zusage eine nicht-bindende Verpflichtung der Mitgliedsstaaten. Sie stellt somit ausschließlich eine politische Willensbekundung dar.
Aufrüstung für "mehr Verantwortung" und "für die Truppe"
Davon unberührt zeigt die Mitteldeutsche Zeitung beispielhaft eine weitverbreitete Leichtfertigkeit im Umgang mit der aktuellen Kriegstreiberei – für sie ist es "zweifellos geboten", dass die Bundeswehr "Verantwortung" übernimmt:
Zweifellos ist es politisch geboten, die Bundeswehr zu Missionen wie heute in Mali und vielleicht eines Tages in der 'Straße von Hormus' zu befähigen. Deutschland kann und sollte sich seiner Verantwortung für internationale Sicherheit und Stabilität, die von Zeit zu Zeit auch mit Militär durchgesetzt werden muss, nicht völlig entziehen.
Dafür muss aufgerüstet werden, meint die Heilbronner Stimme:
Die Welt ist unübersichtlicher, unberechenbarer und unsicherer geworden. Deutschland hat sich zu lange darauf verlassen, dass die Amerikaner unsere Sicherheit garantieren. Das kann sich das Land nicht mehr länger leisten und muss deshalb in eine moderne, einsatzbereite Armee investieren.
Der Reutlinger General-Anzeiger versucht, in gespielter Naivität, Aufrüstung nicht als Wunsch der Rüstungsproduzenten, sondern als vertrauensbildende Maßnahme darzustellen, die von "der Truppe" eingefordert würde:
Ob Kramp-Karrenbauer tatsächlich das verloren gegangene Vertrauen der Truppe zurückgewinnt, hängt entscheidend davon ab, ob sie ihren hehren Worten auch Taten folgen lässt. Die Soldaten werden etwa argwöhnisch verfolgen, ob sich 'ihre' Ministerin bei den Etatverhandlungen für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr einsetzt.
"AKK sitzt mit Massenmördern am Tisch"
Auf welche konkrete Rolle Kramp-Karrenbauer nun tatsächlich vereidigt wurde, nämlich auf jene als "Kriegsministerin", das betont Oskar Lafontaine:
Annegret Kramp-Karrenbauer wurde als Kriegsministerin vereidigt. Sie bekannte sich zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Sie will, dass Deutschland allein mehr Geld für Militär und Rüstung ausgibt als Russland. Wie nennt man das? Schwachsinn oder Größenwahn?
Dann kam ihr Treue-Bekenntnis zur NATO, sprich zu den USA: 'Wir wissen, auf welcher Seite des Tisches wir sitzen.' Das weiß sie offensichtlich nicht. Die Rohstoff- und Drohnen-Kriege sowie die Sanktionen der USA führen zum Tode von Millionen Menschen und sind ein Bruch des Völkerrechts. Annegret Kramp-Karrenbauer sitzt also mit Massenmördern und Völkerrechtsbrechern am Tisch.
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