Meinung

Nächste Runde der Eurokrise: Italien will mit Parallelwährung Würgegriff der Austerität entkommen

Mit der Einführung von Mini-Bots als Parallelwährung will sich Italien aus der Schuldenfalle befreien und Austeritäts-Diktate durchbrechen. Denn insbesondere eine EU-Nation ist in ökonomischen Dingen unbelehrbar und größtes Hindernis für Wachstum: Deutschland.
Nächste Runde der Eurokrise: Italien will mit Parallelwährung Würgegriff der Austerität entkommen Quelle: Reuters © Alessandro Garofalo

von Gert Ewen Ungar

Man kann sich auf die Tagesschau als Flaggschiff des deutschen Mainstreams verlassen. Sobald es in der EU brodelt, beschwichtigt sie die deutschen Zuschauer, weist ein anderes EU-Land als Schuldigen aus und bescheinigt der EU insgesamt große Geduld mit der Störernation, wobei die Geduld verständlicherweise aber eben auch mal ein Ende haben müsse. Deutschland macht in der EU eigentlich alles richtig, ist treibender Motor einer weitergehenden Integration, Vorreiter für dieses und jenes, ein insgesamt exemplarisches Land, das voll und ganz hinter der europäischen Idee steht. Aber es gibt Störenfriede, Populisten und Unbelehrbare, die das Erfolgsprojekt der EU und des Euro immer wieder ausbremsen.

Mit dieser schlichten Sicht auf die Dinge gibt die Tagesschau den Ton vor, der von den übrigen Medien übernommen und verstärkt wird. Die EU, so erfahren wir dann aus dem gleichgeschalteten Kollektiv deutscher Schreibstuben, die EU ist gut, ein Friedensprojekt, eingebettet in die Segnungen wirtschaftlichen Erfolgs. Es gibt jedoch einzelne Länder, die querschießen, weil sie die im Grunde wertvollen Regeln der EU nicht umsetzen wollen. Aus Populismus, aus Faulheit, aus Ignoranz.

Die sprechenden Köpfe der Tagesschau werden von Krise zu Krise ausgetauscht, das Gesagte jedoch ist immer gleich. Aktuell ist es Italien, das nach Meinung des Mainstreams in der EU querschießt. Einen entsprechenden Meinungsbeitrag der Tagesschau, der das ausführt und sich in seinem niedrigen Niveau und der mangelnden Sachkenntnis nahtlos an die früheren Kommentare zur Griechenlandkrise anschließt, spricht Michael Stempel vom WDR.

Das niederschmetternde Zeugnis dafür, dass die Tagesschau aus ihrer absolut unterirdischen, inkompetenten und unangemessenen Berichterstattung zur Griechenlandkrise und der massiven Kritik daran nichts gelernt hat, wurde bereits am 05. Juni in die deutschen Wohnzimmer verkündet. Da war noch gar nicht von Mini-Bots die Rede.

Diese Idee hat die Tagesschau noch nicht kommentiert. Vermutlich weil die Redaktion noch der Schockstarre und Schnappatmung verfallen ist angesichts der Entscheidung des italienischen Parlaments, die Einführung einer Parallelwährung als Ausweg aus der Krise in Erwägung zu ziehen. Ein kluger Schritt, der auf große makroökonomische Sachkenntnis schließen lässt.

Denn es ist wahr, wir haben immer noch eine Krise. Wir haben seit über zehn Jahren eine Eurokrise, und all die Maßnahmen, die angedacht waren, die Krise zu bekämpfen, haben in keinster Weise befriedigend funktioniert. Alle Fakten sprechen gegen die Behauptung von geglücktem Krisenmanagement. Nun müsste man sich eigentlich fragen, wer sich all diese unbefriedigenden Krisenlösungen ausgedacht hat. Man würde da recht schnell auf eine Antwort stoßen: Es war ganz maßgeblich Deutschland, das der EU und den Euro-Ländern diktiert hat, wie sie auf die Krise zu reagieren haben. Austeritätspolitik, Schuldenbremse, Sparen in der Krise – dies sind allesamt deutsche Ideen. Das heißt, das politische Establishment Deutschlands zeigt seit zehn Jahren sein Unvermögen, eine ökonomische Krise für alle Beteiligten befriedigend zu lösen. Es zeigt sich darüber hinaus unfähig, aus den gemachten Fehlern und Fehleinschätzungen zu lernen.

Der deutsche Mainstream deckt diese Inkompetenz nicht etwa auf, sondern applaudiert zur x-ten Wiederholung von absurden "Reformen", deren Durchführung er als alternativlos anmahnt, obwohl genau diese Reformen seit Jahren nicht aus der Krise führen. Wir leben in einer journalistisch absurden Zeit.

Hätten wir in Deutschland einen funktionierenden kritischen Journalismus, müsste es aufgrund der unleugbaren Fakten täglich in den Wirtschaftsgazetten und den Wirtschaftsteilen der Qualitätsmedien stehen: Der Euro ist gescheitert, denn für alle Länder, die ihn als Währung haben, ist er zu einem Hemmschuh der wirtschaftlichen Entwicklung geworden.

Italiens "Schuldenberg" wächst aktuell gar nicht durch Aufnahme neuer Schulden, sondern dadurch, dass die Wirtschaftsleistung zurückgeht. Wenn die Wirtschaftsleistung zurückgeht, also das BIP sinkt, dann steigt faktisch die im Verhältnis zum BIP angegebene Schuldenlast, auch wenn sie der Summe nach beständig ist. Das ist unschwer zu verstehen – eigentlich. Außer man sitzt in irgendwelchen Wirtschafts- und Expertengremien der EU oder Deutschlands. Dann erfasst man es offenkundig nicht.

Es braucht eine Ankurbelung der Wirtschaft durch Investitionen, nicht weitere Sparmaßnahmen, die das BIP weiter schrumpfen lassen. Die europäischen Zwangsmaßnahmen sind völlig absurd, denn sie führen nachweislich tiefer in die Krise.
Alle Länder der EU, die den Euro nicht eingeführt haben, haben sich in den vergangenen Jahren deutlich positiver entwickelt. Der Euro ist daher keine Erfolgsgeschichte. Außer für ein einziges Land: für Deutschland. Allerdings auch da nicht für alle. Erfolgreich ist der Euro für die Exportwirtschaft, die von einem gemessen an der deutschen Stärke niedrigen Wechselkurs profitiert. Um diesen Erfolg zu erreichen, wurden die Löhne vom Produktivitätsfortschritt abgekoppelt und der Sozialstaat zurückgebaut, die Renten gekürzt und staatliche Investitionen aufgeschoben. Die Zielinflationsrate von knapp unter zwei Prozent wurde dauerhaft unterschritten. Deutschland hat unter seinen Verhältnissen gelebt. Damit ist der Euro für die Mehrheit der in Deutschland lebenden Bürger ebenfalls keine Erfolgsstory.

Die Arbeitslosigkeit in den Krisenländern ist anhaltend hoch. Zehn Jahre nach Ausbruch der Krise beträgt sie in Griechenland noch immer über 18 Prozent. Dass die Arbeitslosenquote dort überhaupt gesunken ist, geht auch auf die Abwanderung junger Menschen zurück. Wer nicht da ist, wird nicht mitgezählt. Ähnlich sieht es in den anderen Krisenländern des Euro aus.

Es ist daher kein Wunder, wenn Euro-Länder versuchen, sich aus dem engen Korsett zu befreien, zu dem der Euro durch das deutsche Austeritätsdiktat immer mehr geworden ist.

Nur folgerichtig ist es dann, wenn Italien erwägt, mit den Mini-Bots eine Art Parallelwährung einzuführen. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU und faktischer Nettozahler. Dennoch soll sich das Land aufgrund seiner Schuldenstände den "Reform"-vorgaben aus Brüssel beugen und beispielsweise die Mehrwertsteuer erhöhen. Von allen denkbaren Steuererhöhungen die allerungerechteste. Die Vorschläge aus Brüssel sind immer die gleichen, sie scheitern, wie eben schon gezeigt, seit zehn Jahren. Die eigentlich abgewählte EU-Kommission droht Italien mit einem Defizitverfahren, Italien reagiert auf die Drohung mit der Ankündigung der Einführung einer Parallelwährung. Das ist aus italienischer Sicht klug und durchdacht.

Das gab es schon einmal. Auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise plante der damalige griechische Finanzminister Varoufakis die Einführung einer Parallelwährung. Allerdings knickte der griechische Premier Tsipras ein. Der internationale Druck war groß, Varoufakis trat zurück, die Krise verlängerte sich bis in den heutigen Tag.

Der damalige deutsche Finanzminister Schäuble, den deutsche Blätter gerne mal zum glühenden Europäer hochstilisieren, hätte die Griechen damals übrigens von jedem Zugang zur Währung abgeschnitten. Er hätte eine ganze Nation hungern lassen, um absurde wirtschaftspolitische Ziele durchzusetzen. Das hat mit glühendem Europäertum nichts zu tun. Da machte Schäuble aus Europa auch kein Friedensprojekt, denn das war einfach Krieg mit währungspolitischen Waffen. Was Schäuble da tat, war neokolonialer Habitus in seiner sadistischsten Form.

"Scheitert der Euro, dann scheitert Europa", sagte die Kanzlerin einst. Das ist natürlich insofern Unsinn, weil auch nach dem Scheitern der Währung Europa weiter bestehen wird. Nur eben ohne den Euro. Gemeint hat sie vermutlich eher: Scheitert der Euro, dann scheitert die EU. Da ist tatsächlich etwas dran. Mit dem Vorhaben Italiens sind wir dem Scheitern des Euro tatsächlich ein Stück weit nähergekommen, und die Verwerfungen, die das in der EU nach sich ziehen würde, sind zwar noch nicht vollständig absehbar, aber sie werden durchaus in der Lage sein, die EU zu zerreißen.

Dabei ist die Einführung einer Parallelwährung, wie sie Italien anstrebt, vermutlich gut geeignet, die Schockwellen für die Italiener ein gutes Stück weit abzufangen, die ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone mit sich bringen würde. Zwar würde Italien dann in eine Rezession rutschen, allerdings wären durch eine Abwertung der neuen Währung und das Privileg, über eine eigene Zentralbank zu verfügen, wieder Instrumente vorhanden, mit der die Rezession wirkungsvoll bekämpft werden könnte. Deutschland hat diese Möglichkeit dann nicht. Der Euro wertet auf, die deutsche Exportwirtschaft gerät in Schwierigkeiten, die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigt, bei schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen kommt ein blauer Brief aus Brüssel.

Dann lassen sich vermutlich auch die Tage zählen, bis andere Länder auf die Idee kommen, es Italien gleich zu tun. Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten: Wenn Marine Le Pen den gerade scheiternden Macron ablösen wird, wird das einer ihrer ersten Schritte sein. Frankreich leidet massiv unter dem Euro.

Kritiker des italienischen Vorhabens merken an, bei den Mini-Bots würde es sich um nicht viel mehr als Monopoly-Geld handeln, das an sich völlig wertlos sei. Objektiv betrachtet trifft das allerdings aktuell für praktisch jede Währung zu. Da Italien allerdings die Mini-Bots als Zahlungsmittel für Steuerschuld akzeptieren wird, ist der grundlegende Schritt zur Währung getan. Denn was Neoliberale nicht verstehen wollen, hat Salvini offensichtlich verstanden: Es ist der Staat, der bedrucktes Papier zu einem validen Zahlungsmittel macht, nicht der Markt. Wenn der Staat es als Zahlungsmittel akzeptiert, dann hat es einen Wert und kann als Geld benutzt werden. Das Vorhaben ist damit keineswegs von vornherein zum Scheitern verurteilt. Im Gegenteil: Es spricht viel dafür, dass Italien hier am längeren Hebel sitzt.  

Was Frau Merkel und mit ihr viele andere deutsche Politiker vergessen haben, ist schlicht: Will man ein Scheitern vermeiden, muss man auch die politischen Stellschrauben so stellen, dass ein Scheitern außer Reichweite kommt. Das hat weder die Kanzlerin noch einer ihrer Finanzminister noch die Kommission noch sonst irgendjemand in der EU getan. Die Wiederholung der immer gleichen untauglichen Rezepte ist keine innovative Politik, sondern bezeugt eine geistige Starrheit, die eben mit Scheitern honoriert wird.  

Wenn nur ein Land von der Konstruktion des Euro profitiert, alle anderen aber in eine Schuldenfalle gezwungen werden, aus der sie sich nie werden befreien können, weil die Möglichkeit, Konjunkturprogramme aufzulegen, von einer absurden Austeritätspolitik sofort im Kern erstickt wird, dann zwingt das die darunter leidenden Länder in eine Fundamentalopposition zur Währung.

Austeritätspolitik aber ist gescheitert, die "Reformen" die seit nunmehr zehn Jahren in den Krisenländern durchgeführt werden, konnten die Krise nicht beheben, die Performance der Euro-Länder blieb auch in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten deutlich hinter anderen Ländern und der weltweiten Entwicklung zurück.

Die Bundeskanzlerin ließ uns vor einiger Zeit in einem ZDF-Interview wissen, dass sie glaubt, sie würde einst für ihre Verdienste um die EU in die Geschichtsbücher eingehen. Nichts kann weiter von der Realität entfernt sein als diese Selbsteinschätzung. Deutschland ist maßgeblich für das Auseinanderdriften der EU und das Scheitern des Euro verantwortlich.

Man mag von Salvini und der italienischen Regierung halten, was man will, aber dort versammelt sich offensichtlich makroökonomischer Sachverstand. Etwas, das in den diversen Kabinetten Merkels und in der deutschen Parteienlandschaft völlig fehlt.   

 

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