Meinung

Huawei, der Handelskrieg und seine Bedeutung für Deutschland und die EU

Der Fall Huawei ist ein wichtiges Symptom, an dem sich der Zustand der Geopolitik ablesen lässt. Es sollte daher gut analysiert werden, denn an ihm lassen sich Entwicklungen erkennen, die eine Neuausrichtung gerade der EU- und deutschen Politik existentiell notwendig machen.
Huawei, der Handelskrieg und seine Bedeutung für Deutschland und die EUQuelle: Reuters

von Gert Ewen Ungar

Im April verabschiedete das russische Parlament das Gesetz über ein autonomes russisches Internet. Das russische Internet soll sich im Bedarfsfall vom World Wide Web abkoppeln können. Damit soll die Abhängigkeit minimiert und im Ernstfall ein funktionsfähiges Internet für Russland erhalten bleiben. Der russische Präsident unterschrieb das Gesetz wenig später, womit es in Kraft trat.

Reflexartig und daher wenig überraschend verfiel der deutsche Mainstream in Alarmismus. Die Freiheit des russischen Internets sei in Gefahr, es drohten Zensur und Überwachung, die Opposition solle mundtot gemacht werden. Dass große Internetkonzerne gegen eine Nation vorgehen würden, sei so unvorstellbar weit hergeholt, dass man nur zu dem Schluss kommen könne, der russische Staat male den Teufel an die Wand, um Repressionen durchsetzen zu können. Wie der deutsche Mainstream gegenüber Russland halt so tönt.

Nur wenige Wochen und einen groß angelegten Vernichtungsschlag gegen den chinesischen Konzern Huawei später erscheint das russische Gesetz in neuem Licht, wozu der Mainstream freilich schweigt.

An dieser Stelle sei angemerkt, wie wenig das Bild, das der deutsche Qualitätsjournalismus über Russland und Deutschland verbreitet, mit der Realität zu tun hat, denn schließlich sind wir es, die flächendeckend von amerikanischen Geheimdiensten überwacht und ausgespäht werden, es ist Deutschland, in dem die Zensur unter anderem dank des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes in den Rang des alltäglich Gewohnten gehoben wurde, und es sind Mainstreammedien, die die Idee von "regelbasierten Diskussionen im Vorfeld von Wahlen" nicht als das benennen, was es faktisch ist: der Wunsch nach immer weitergehender Zensur zur Stabilisierung eines zerfallenden Systems.

Auf Facebook, Twitter und Co. wird ständig blockiert, gelöscht und gesperrt, während das auf dem russischen Pendant VKontakte nicht passiert. VKontakte ist sicherlich einerseits in Deutschland noch unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle, andererseits gibt es derart massive Zensur auch in Russland nicht.

Doch zurück zum Thema: Der chinesische Konzern Huawei wird auf Geheiß des US-Präsidenten vom Zugang zu westlichem Know-how abgeschnitten. Der angegebene Grund, Huawei sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit, ist so fadenscheinig, wie alle US-amerikanischen Begründungen für rigorose Maßnahmen es einfach sind. Natürlich stimmt das nicht, denn es gibt dafür keinerlei Beweis. Es wird in Fachkreisen sogar gemutmaßt, das Gegenteil sei richtig. Mit der Verwendung von Huawei-Technologie bei der Einführung von 5G würden die US-amerikanischen Geheimdienste ihre Fähigkeit zur Totalausspähung einbüßen. Schwierig zu sagen, ob es stimmt, es könnte freilich etwas dran sein.

Auf jeden Fall offenkundig ist, dass hier ein Konkurrent ausgeschaltet, zumindest in seiner Entwicklung massiv behindert werden soll. Und zwar in zweierlei Hinsicht: mit Huawei ein Unternehmenskonkurrent US-amerikanischer Unternehmen wie Apple und Cisco, mit China ein geopolitischer Konkurrent, der durch Maßnahmen unterhalb der militärischen Auseinandersetzung an der Zunahme seiner geopolitischen Bedeutung gehindert werden soll.

Ob das glückt, ist fraglich. China hat uns - den Westen - technologisch in vielerlei Hinsicht längst überholt. Deutschland sowieso. Das ruht sich auf einer Erzählung über Produktivität, Fleiß und Innovationskraft aus, die so schon längst nicht mehr stimmt. Wir erinnern uns: Die letzte große Innovation, mit der Deutschland weltweit auf sich aufmerksam gemacht hat, war eine Software zum Fälschen von Abgaswerten. Das ist symptomatisch.

Was Huawei angeht, besteht daher der berechtigte Verdacht, Trump will mit dem Schritt Zugang zu chinesischer Technologie erpressen, denn China ist inzwischen in vielen Feldern technologisch führend.

Da hat alles, was da an Steinen in den Weg gelegt wurde, nichts geholfen. Weder die Interventionen bei Firmenübernahmen, wie sie auch Deutschland praktiziert, das sonst immer inbrünstig das Mantra der freien Märkte und des freien Handels herunterbetet, noch das Crescendo des medialen China-Bashings, das vor Ausbeutung und Schuldenfallen durch Handelsbeziehungen mit dem Land warnt.

Dabei wird übersehen, dass Schuldenfallen eher eine Domäne der EU und westlich dominierter Institutionen wie dem IWF sind. Griechenland und die Ukraine sind dafür die aktuellsten Beispiele. Ein Land, das in einer chinesischen Schuldenfalle sitzt, sucht man auf dem Globus jedoch vergebens.

Was im aktuellen Handelskrieg eher zu erwarten ist, ist, dass die Welt wieder einer Zweiteilung anheimfallen wird - zunächst auf dem technologischen Sektor. Es wird westliche und östliche Technologie mit unterschiedlichen Standards geben, zueinander nicht kompatibel. Allerdings lässt sich schon jetzt hinsichtlich der unterschiedlichen ökonomischen Spielanordnungen ausrechnen, wo der Fortschritt zu Hause sein wird. Bedingt durch den Neoliberalismus und den damit verbundenen Finanzmarktkapitalismus, hat der Westen seine Innovationskraft verloren.

Natürlich ist es ein radikaler Schritt, den Trump gegenüber Huawei hier vollzieht. Ein weiterer in einer Reihe von vielen radikalen Schritten. Dass die USA und mit ihnen die Länder des Westens wort- und vertragsbrüchig sind, ist für die Welt kein Novum. Dass den USA internationale Übereinkünfte, internationales Recht nicht nur gleichgültig sind, sie im Gegenteil auf deren Auflösung hinarbeiten, können nur noch diejenigen leugnen, die alle Fakten ausblenden. Selbst wenn man annimmt, dass der Westen einmal für Freiheit, die Ausbreitung von Demokratie, Achtung des Völkerrechts und wachsenden Wohlstand stand, ist dies spätestens mit dem Überfall von Jugoslawien, allerspätestens mit 9/11 und der zunehmenden Umsetzung einer neoliberalen Agenda in allen westlichen Ländern vorbei.

Mehr zum Thema - Für die USA wird die geo-politische Luft immer dünner

Dem Schritt Trumps haftet darüber hinaus etwas Verzweifeltes an. Natürlich sind immer noch die USA das Imperium. Aber sie sind im Niedergang. Ihre Macht schwindet. Das sieht man unter anderem daran, dass die Brutalität bei der Durchsetzung der Hegemonialansprüche zunimmt. Auch gegenüber Deutschland ist inzwischen jeder Schleier gefallen, der die faktischen Machtverhältnisse noch mit schmeichelnder Rhetorik umhüllt hat. Die Trump-Administration lässt die deutsche Politik wissen, dass sie Vasallenstatus und letztlich dem Imperium zu dienen hat. Und die deutsche Politik antwortet entsprechend mit rückgratloser Unterwürfigkeit. Wer an die uneingeschränkte Souveränität Deutschlands glaubt, wird durch die Tweets von Außenminister Heiko Maas eines Besseren belehrt. Aus ihnen spricht der Geist der Unterwürfigkeit und der Hörigkeit. Da ist nichts von souveräner Gestaltungskraft. Deutschland ist aktuell noch nicht in der Lage, die Schwäche der USA für sich und Europa zu nutzen.

Mit dem Niedergang des Einflusses der USA nimmt die Gewalt zu, mit der sie ihre noch vorhandene Dominanz aufrechterhalten wollen. Doch genau das führt zu deren zunehmender Erosion.

Es ist ja kein Geheimnis, dass die USA und die ihnen verbundenen Staaten das Völkerrecht brechen und aushebeln. Man kann sich darüber moralisch empören. Eine verantwortungsvolle Politik stellt sich aber darauf ein und weiß, dass das Völkerrecht nicht mehr schützt.

Das Atomabkommen mit dem Iran war ein international bindender Vertrag. Man kann sich daraus nicht zurückziehen, ohne dass das Völkerrecht selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Genau das ist passiert. Europa und Deutschland schauen hier tatenlos zu.

Das Internet mit der Möglichkeit auszustatten, autonom zu funktionieren, ist daher eine ganz natürliche Reaktion auf das Agieren der USA, die sich offenkundig an keine Vereinbarungen mehr zu halten gedenken.

Die Krimsanktionen beispielsweise, die die Halbinsel vom Swift-Zahlungsverkehr abschnitten, beschleunigten die Entwicklung eines eigenen Abrechnungssystems in Russland, das sich inzwischen etabliert hat. Auf der Krim lässt sich mit MIR-Kreditkarten bargeldlos bezahlen, mit VISA oder Mastercard nach wie vor nicht. Aber auch China entwickelt ein eigenes Zahlungssystem und arbeitet in dieser Hinsicht mit zahlreichen Ländern zusammen, darunter auch Russland.

In China gelten ohnehin ganz andere Maßstäbe. Google ist in China weitgehend unbedeutend. Huawei mag im Westen bekannt sein, aber Konzerne wie Xiaomi kennen hierzulande schon deutlich weniger, obwohl sie von unglaublicher Größe und unglaublich erfolgreich sind. Xiaomi konnte in der Handysparte mit Wachstumsraten im dreistelligen (!) Bereich aufwarten. China verfügt über eine ökonomische Dynamik, die weit jenseits dessen ist, wozu wir aktuell in der Lage sind.

Wir glauben, Deutschland sei hoch innovativ, aber die Zahl der Patentanmeldungen geht seit Jahren zurück und ist nur ein winziger Bruchteil dessen, was in China zur Anmeldung kommt. Dort meldet man jedes Jahr mehr als doppelt so viele neue Produkte und Ideen zur Registrierung an wie in den USA. Die besten Programmierer kommen aus China, die zweitbesten aus Russland. Auch in diesem Ranking finden sich Deutschland und die USA in der Rubrik "unter ferner liefen".

Um es ganz deutlich zu sagen: Die Innovationskraft geht in den westlichen Ländern deutlich zurück. Sie werden den technologischen Wettbewerb daher verlieren.

Das hat zweifellos mit den ökonomischen Spielregeln zu tun. Wenn man Unternehmen in jeder Hinsicht entlastet, sind sie eben nicht mehr innovativ, denn die Innovation, die neue Erfindung, muss die einzige Chance sein, mit der man sich als Unternehmen für einen gewissen Zeitraum einen Wettbewerbsvorteil sichern kann. Nicht über flexible Löhne und einen flexiblen Faktor Arbeitskraft. Wenn zudem noch der Staat dank Schuldenbremse als Investor und als Impulsgeber für Innovationen ausfällt, dann passiert eben genau das, was jetzt passiert: Man fällt in der Entwicklung zurück. Westliche Politik hat die zentrale Funktionsweise des Kapitalismus nicht verstanden, für dessen Ausbreitung sie sich einsetzt - allerdings in seiner zerstörerischen Spielart als Neoliberalismus.

Deutschland und der Westen setzen auf das falsche ökonomische Pferd. Daher ist der Handelskrieg schon längst entschieden.

Der Westen, allen voran die USA, kann die Vormachtstellung nur noch über Völkerrechtsbruch, Vertragsbruch, Verletzung aller internationaler Regeln, durch Krieg und Drohung damit aufrechterhalten. Damit sind die Tage der Vormachtstellung auch gezählt. Für Deutschland ist zu wünschen, dass es diese Entwicklung deutlich erkennt und sich aus der zunehmend in einen Würgegriff übergehenden Umarmung der USA befreit. Nord Stream 2 wird dafür wohl zu einem Gradmesser werden, denn die Verhinderung der zweiten Gaspipeline ist natürlich nicht der Sorge um die Unabhängigkeit Deutschlands und Europas geschuldet. Russland und die Sowjetunion wurden auch auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges nie vertragsbrüchig. Die drohende Versorgung Deutschlands und Europas mit US-amerikanischem Frackinggas ist eine Geiselnahme. Politiker, die das befürworten, handeln absolut verantwortungslos, denn die USA werden bei der nächsten Gelegenheit wortbrüchig werden und die Gasversorgung als politisches Druck- und Domestizierungsmittel einsetzen. Der Fall Huawei sollte eigentlich alle aufrütteln.

Wir brauchen eine zunehmende Unabhängigkeit von den USA und damit verbunden eine Intensivierung der Zusammenarbeit sowohl mit China als auch mit Russland. Die USA sind in allen Bereichen kein zuverlässiger Partner und werden alle Mittel nutzen, um ihren Status als Imperium noch einen Moment länger aufrechtzuerhalten. Die Mehrheit der Länder weiß darum und stellt sich darauf ein. Europa und Deutschland verschließen aktuell noch die Augen. Sie werden den Kollateraleffekten des US-amerikanischen Niedergangs daher hilflos ausgeliefert sein. Die USA werden zunehmend panisch. Mit der Panik kommt die Irrationalität, die Unberechenbarkeit und die Hinwendung zu Gewalt zur Durchsetzung immer kurzfristigerer Ziele.

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