Meinung

War Russland das Ziel der "Honigfalle" für Strache?

Die Falle, in die der Ex-FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache getappt ist, schnappte erbarmungslos zu und brachte die österreichische Regierung binnen weniger Stunden zu Fall. Die richtigen Fragen stellen sich die verantwortlichen Medien aber nicht.
War Russland das Ziel der "Honigfalle" für Strache?Quelle: Reuters © Leonhard Föger

von Zlatko Percinic

Was am 24. Juli 2017 in einer Villa etwas außerhalb von Ibiza-Stadt, der Hauptstadt der gleichnamigen Baleareninsel, passiert ist, gehört zum Standardrepertoire eines jeden Geheimdienstes, der etwas auf sich hält. Die Zutaten für die sogenannte Honigfalle (Honey Trap) sind denkbar einfach: Das meist männliche Ziel wird in einer neutralen und lockeren Umgebung von attraktiven Frauen – und manchmal auch Männern – dazu gebracht, Geheimnisse auszuplaudern, oder durch kompromittierende Aufnahmen erpressbar gemacht.

Der britische Inlandsgeheimdienst MI5 warnte 2008 in einem 14-seitigen Bericht vor "chinesischen Honigfallen", die mit solchen Methoden im Vereinigten Königreich Wirtschaftsspionage betreiben. Der israelische Geheimdienst Mossad lockte so den Whistleblower Mordechai Vanunu in Rom in die Falle, nachdem dieser 1986 Geheimnisse bezüglich des israelischen Atomprogramms an die Sunday Times weitergab. Auch Russland nutzte diese Taktik immer wieder. Dass das nicht immer gutgeht, zeigte der Fall Anna Chapman, die im Juni 2010 in den USA aufgeflogen war und kurze Zeit später im Rahmen eines Gefangenenaustauschs nach Russland ausgeliefert wurde.

Wer auch immer Heinz-Christian Strache vor zwei Jahren auf Ibiza in die Falle lockte, wusste ganz genau, was er tat. In seiner Rücktrittsrede am 18. Mai sagte er, dass der Kontakt zu der vermeintlichen russischen Investorin über einen "deutschen Bekannten der Dame" hergestellt wurde, der wiederum in Kontakt zu FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus stand. Ob Gudenus den "deutschen Bekannten" schon länger kannte oder hier gezielt das Vertrauen zum schwächeren Glied der beiden FPÖ-Politiker aufgebaut wurde, ist nicht bekannt.

Es soll hier nicht darum gehen, die Politik, die Gesinnung oder die Äußerungen der involvierten Personen in Schutz zu nehmen oder zu relativieren. Was Strache gesagt hatte, ist für eine funktionierende Demokratie nicht tragbar und musste konsequenterweise zum Rücktritt von seinem Posten führen. Dass dann auch Gudenus von allen seinen Ämtern zurückgetreten und sogar aus der FPÖ ausgetreten ist, war unter den gegebenen Umständen folgerichtig.

Das bedeutet aber nicht, dass man die Methode der Honigfalle zur Erlangung kompromittierenden Materials einfach ausblenden darf. Auch das Timing der Veröffentlichung des Videos nur sechs Tage vor Beginn der EU-Parlamentswahlen, die als "Schicksalswahl für Europa" bezeichnet werden, wirft Fragen auf. Es heißt, dass Spiegel und Süddeutsche Zeitung, die das Material nach eigenen Aussagen entweder "vor gut einer Woche" (Spiegel-Redakteur Martin Knobbe am 19. Mai) oder "im Laufe dieses Monats" zugespielt bekommen haben, nachdem es in Österreich niemand veröffentlichen wollte.

Die Reaktionen deutscher Politiker, die selbstgefällig mit dem Finger auf die "Rechtspopulisten" und "Nazis" in Österreich zeigten und im Falle der SPD-Führung sogar vor der Entscheidung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Neuwahlen forderten, brachten den Spiegel schnell in Bedrängnis. Der Vorwurf der Wahlmanipulation lag in der Luft, wie selbst der ehemalige BND-Chef August Hanning gegenüber der Bild sagte. Deshalb sah sich der Spiegel veranlasst, am 19. Mai eine Erklärung zu veröffentlichen, was allerdings kaum eine überzeugende Antwort auf die drängendsten Fragen darstellte. Deshalb legte Spiegel-Redakteur Wolf Wiedmann-Schmidt gegenüber der dpa nach und erklärte, die Aufnahmen seien nicht gezielt kurz vor der Europawahl veröffentlicht worden:

Wir haben das Video im Laufe des Monats bekommen und ausgewertet. Und als wir uns dann sicher waren, dass es authentisch und echt ist, haben wir gesagt: Dann publizieren wir das Video.

Abgesehen von der im Raum stehenden Wahlmanipulation der bevorstehenden EU-Wahlen, bei denen bisher sämtlichen Umfragen zufolge ein Rechtsruck zu erwarten ist, fällt beim Aufzug der Darstellung des Ibiza-Skandals durch die Süddeutsche Zeitung und Spiegel vor allem eines auf: Russland.

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Die Frau, die in dem Video den Lockvogel spielt, wird stets als "vermeintliche russische Oligarchin" bezeichnet, während die österreichischen Medien von einer "vermeintlich russischen Investorin" sprachen. Hier fängt bereits das Framing an, eine Oligarchin ist negativ konnotiert und ruft eher ein Bild von unsauberen Geschäftspraktiken auf, als wenn sie einfach als Investorin bezeichnet würde.

Spätestens seit der Pressekonferenz von Strache am Samstagmittag (18. Mai) war klar, dass diese Frau (auch) eine Lettin ist. Doch bei den beiden deutschen Medienhäusern blieb sie eine vermeintliche russische Oligarchin. Erst in Nebensätzen wurde später kurz darauf hingewiesen, dass sie (auch) einen lettischen Pass hat. Sie stellte sich als Aljona Makarowa vor, Nichte von Igor Makarow, Nr. 1116 auf der Forbes-Liste mit Kontakten zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Das Problem dabei: Makarow hat gar keine Nichte. Auch die Frau in dem Video kenne er nicht, sagte Makarow gegenüber Forbes. Doch diese Klarstellung haben bisher (Stand 20. Mai) weder Spiegel noch Süddeutsche Zeitung gebracht.

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Stattdessen ergeht man sich in Berichten wie "Wie die FPÖ Russland lieben lernte", wo man sich aufgrund der "engen Kontakte" nach Russland "immer wieder nach ihren Motiven fragen lassen" muss. In diesem Bericht vom 20. Mai ist die Frau schon gar keine "vermeintliche" Russin mehr, sondern es wird als eine Tatsache dargestellt: "die junge Russin". Weiter heißt es, Strache habe in dem Video von einem Maxim Schewtschenko gesprochen, den er 2005 getroffen haben soll. Laut Strache handelte es sich dabei um den "damaligen persönlichen Berater von Putin", der ihm einen Plan vorgeschlagen haben soll, "wie wir strategisch zusammenarbeiten".

Wie bei Aljona Makarowa gibt es hier ebenfalls ein Problem. Maxim Schewtschenko gibt es zwar tatsächlich, doch war er nie "persönlicher Berater von Putin". Er ist ein bekannter Journalist und Moderater, der Putin immer wieder heftig kritisiert hat. Es gab hingegen tatsächlich einen Schewtschenko, der im fraglichen Zeitraum Berater des russischen Präsidenten war. Allerdings heißt er nicht Maxim, sondern Wladimir. Es stellt sich daher auch hier die Frage, wen Strache tatsächlich getroffen hat, ob er den Namen falsch wiedergab oder der Süddeutschen Zeitung ein Fehler unterlaufen war.

Dass der Ex-Vizekanzler und die FPÖ in der Tat gute Beziehungen zu Russland pflegen, ist hinlänglich bekannt. Bekannt ist auch, dass einigen Herrschaften in den Hauptstädten der EU und auch den USA diese guten Beziehungen ein Dorn im Auge sind. Insbesondere, dass die Schlüsselressorts wie Innen- und Verteidigungsministerium in den Händen der FPÖ waren, sowie mit Karin Kneissl eine Vertraute Putins Außenministerin war, die ebenfalls für eine ausbalanciertere Außenpolitik gegenüber Russland einsteht, wurde heftig kritisiert.

Das Misstrauen gegenüber Wien ging sogar so weit, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Amtskollegen Sebastian Kurz bereits im Januar 2018 in einem persönlichen Gespräch davor gewarnt hatte, dass die FPÖ "sensible Informationen" an Russland weitergeben könnte. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko forderte ebenfalls die Einstellung der geheimdienstlichen Zusammenarbeit mit Österreich, weil er befürchtete, dass die "neue, stramm rechte Regierung das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zum Schutz befreundeter, rechtsextremer Bewegungen oder zur Verfolgung politischer Gegner instrumentalisiert".

Zuletzt hatte sich auch Thomas Haldenwang, Chef des deutschen Inlandgeheimdienstes, zu den "erheblichen Risiken" der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit Österreich geäußert. Für CDU-Sicherheitspolitiker Patrick Sensburg stellt die FPÖ eine "Belastung für die Geheimdienstkooperation in Europa" dar, wie er dem Handelsblatt sagte. Als Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags, das die deutschen Geheimdienste überwacht, dürfte er über die Atmosphäre in den Diensten durchaus informiert sein.

Könnte es also sein, dass diejenigen, die Strache und Gudenus in die Honigfalle gelockt haben, die FPÖ aus der österreichischen Regierung drängen und Österreich wieder enger an sich binden wollten? Die von einigen deutschen Politikern geforderten Neuwahlen werden nun im September auch stattfinden. Dass das Video just vor den EU-Wahlen veröffentlicht wurde, war dann eher noch ein angenehmer Nebeneffekt als ursprüngliche Absicht, um den befürchteten Rechtsrutsch wenigstens etwas abzufedern.

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