Keine Einmischung? Warum das Treffen von Merkel mit Poroschenko ein Skandal ist
von Wladislaw Sankin
Am 31. März schaffte es der amtierende ukrainische Präsident Petro Poroschenko nur mit großer Mühe in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl. Und das auch nur, weil ihm per Wahlmanipulationen ein paar Prozente offensichtlich hochgeschraubt wurden, und der Kandidat der russischsprachigen Wähler, Juri Bojko, mehr als vier Prozent der Stimmen durch einen Spoiler-Kandidaten verlor. Der Favorit und Polit-Neuling Wladimir Selenskij übertraf Poroschenko um 15 Prozent. Laut aktuellen Umfragen könnte er diese Differenz bei der Stichwahl am 21. April sogar verdoppeln. Bei den entschlossenen Wählern beträgt sie gar fantastische 43 Prozent.
Poroschenko gilt als Merkels Schützling. Unzählige Male hat sich die Kanzlerin mit ihm in den letzten fünf Jahren getroffen. Das vertraute Verhältnis ging so weit, dass sie sogar für eine Minute die Oberbefehlshaberin vor ukrainischen Soldaten spielen durfte.
Nun steht Poroschenko vor dem politischen Aus. Sein Lager bröckelt, mehrere hochrangige Beamte rebellieren inzwischen gegen ihren Chef oder sind auf der Flucht. Es brodelt inzwischen auch bei Pro-Poroschenko-Parteien im Parlament. Aber das wichtigste: Mit all den Unzulänglichkeiten des politischen Systems der Oligarchen-Republik, wie die Ukraine von vielen Experten genannt wird, haben sich die Präsidentschaftswahlen de facto zu einem Vertrauensvotum der Bürger für oder gegen Poroschenko verwandelt.
Das öffnet in Innen- und Außenpolitik ein gewisses Fenster der Möglichkeiten, auch wenn der Herausforderer von Poroschenko, der Komiker Selenskij, in Grundsatzfragen der Außenpolitik in antirussischer Rhetorik Poroschenko fast in nichts nachsteht. Auch er bekennt sich zur EU und NATO, auch er nennt den bewaffneten Konflikt im Osten des Landes "Krieg mit Russland", auch er lehnt Direktgespräche mit den Aufständischen ab und biedert sich bei den nationalistischen Freiwilligenbatallions an.
Trotzdem keine gute Option für Berlin. Ein Führungswechsel in Kiew "würde Moskau in die Hände spielen und es ermutigen, seinen Destabilisierungskurs gegenüber der Ukraine zu verstärken", schrieb die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits am 1. April und forderte vom Selenskij-Team ein klares Bekenntnis zu den in Berlin formulierten Zielen. Ein unerfahrener Präsident der Ukraine werde von Putin "zum Frühstück verspeist" brachte das Unbehagen über Selenskij die ARD-Korrespondentin Ina Ruck es am Wahltag auf den Punkt.
Deshalb setzt Berlin weiterhin auf den "erfahrenen" Poroschenko. Bereits am 5. April informierte das Kanzleramt über die Einladung von Poroschenko nach Berlin, "um die bilateralen Beziehungen, die innenpolitische Lage in der Ukraine sowie die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen mit der Bundeskanzlerin zu besprechen". Klingt ganz alltäglich, nicht wahr? Und dabei brennt es beim Gast unter den Füßen. Trotzdem beteuerte Pressesprecher Steffen Seibert vor Journalisten noch einmal, es handele sich "selbstverständlich nicht um eine Einmischung." Es gebe jede Menge zu besprechen: die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zum Konflikt in der Ostukraine, die Situation der von Russland festgehaltenen Seeleute, die grundsätzliche Situation an der Straße von Kertsch.
Die ukrainischen Fernsehkanäle, von denen allein drei dem amtierenden Präsidenten gehören, werden an diesem Tag die Bilder von Poroschenko als einen im Westen hoch angesehenen Politiker und Reformer jubelnd präsentieren. In Anwesenheit der Bundeskanzlerin wird er betonen, die Ukraine habe unter seiner Präsidentschaft sehr viel geschafft, obwohl Russland ihr Steine in den Weg legt.
Solche Treffen haben immer einen politischen Charakter. Sie können nicht einfach als Geschäftsbesprechungen bezeichnet werden. Es ist selten der Fall, dass während entscheidender Kampagnen, insbesondere vor der zweiten Runde, die Staats- oder Regierungschefs eines Staates beginnen, ihre Kollegen aus den anderen Staaten demonstrativ zu unterstützen, schätzt auf Anfrage von RT Deutsch der außenpolitische Experte und Publizist Alexander Rahr das Treffen ein.
Weil Poroschenko sein Land unnachgiebig in westliche militär-politische Strukturen führt und auf allen denkbaren Ebenen mit Russland bricht, sei Poroschenko trotz seiner gut bekannten Mäkel ein bequemer Kandidat für den Westen. Aus dieser Perspektive darf er nicht "im Stich gelassen werden."
Eine löbliche Treue und Konsequenz, wenn man bedenkt, dass einer der Anführer des Euromaidans Vitali Klitschko gewesen ist, der als Boxer 13 Jahre in Deutschland verbracht hat und von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wurde. Er wurde lange als möglicher Präsidentschaftskandidat der Ukraine nach dem Maidan-Umsturz gehandelt. Nur nach einer internen Abmachung mit einigen Oligarchen in Wien kurz nach dem Maidan hat er diesen Platz für Poroschenko geräumt und wurde Bürgermeister von Kiew.
Nur wie wird diese Treue einem "toxischen Präsidenten" in den Augen der ukrainischen Wähler aussehen? Offenbar wird ein möglicher Schaden, der der westlichen Glaubwürdigkeit nach so einem Schritt zugefügt werden kann, als kleineres Übel gesehen. Was ist dann das größere Übel?
Das Problem ist, dass bei einem möglichen Machtwechsel in Kiew viel deutlicher zutage treten kann, was für ein Regime Angela Merkel und die EU in Wirklichkeit unterstützen. Dieses Regime führt im Osten des Landes einen Krieg gegen Zivilisten und hält an einer wirtschaftlichen Blockade der Region fest. Dieser Krieg hat verschiedenen Schätzungen zufolge zwischen 3.000 und 6.000 zivile Opfer hervorgebracht.
Es verfolgt und schüchtert Andersdenkende ein, kämpft unter dem Mantel des Heimatschutzes mit Meinungsfreiheit, praktiziert Folter und Misshandlungen in Gefängnissen.
Es klärt über mutmaßliche Verbrechen nationalistischer Banden nicht auf. Dazu gehören Erschießungen auf dem Maidan, der Pogrom von Odessa, Morde an Journalisten und Politiker. Die gut organisierten neonazistischen Paramilitärs sorgen für eine "ukrainische Ordnung" in der Öffentlichkeit.
Es verletzt Menschenrechte von Millionen Bürgern mit restriktiven Sprach- und Bildungsgesetzen.
Es mischt sich massiv in die Angelegenheiten der Kirche ein.
Es handelt geschichtsrevisionistisch und wäscht die Handlanger des Nazismus weiß.
Es führt eine schmutzige Präsidentschaftskampagne, schreckt vor einem massenhaften Einkauf von Stimmen und sonstigen Wahlmanipulationen nicht zurück.
Diese Umstände werden vielfach belegt und sogar von internationalen Organisationen kritisiert. Bei der Kampagne gegen den derzeitigen Konkurrenten werden Mittel der "schwarzen PR" und Verleumdung eingesetzt. Manche Fälle stellen mutmaßliche Kriminalfälle dar, wie ein Video beweist, wo der Mitbewerber Selenskij mit einem Laster überrollt wird.
Wird aber Poroschenko an der Macht bleiben, werden diese Fakten wieder unter dem Deckmantel der nichtssagenden Rhetorik über "Schwierigkeiten bei den Reformen" fallen. Über den Sieger urteilt man nicht.
Die Chancen dafür werden aber mit jedem Tag immer illusorischer. Neben Merkel wird Poroschenko am gleichen Tag zudem vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron empfangen. Macron wird sich allerdings auch mit dem anderen Kandidaten treffen. Haben vielleicht doch jene Experten Recht, die vermuten, dass Poroschenko infolge seiner drohenden Abwahl mit den westlichen Anführern über seine Perspektive auf sicheres Exil verhandelt? Wie die jüngste ukrainische Geschichte lehrt, scheint nun jegliches Szenario möglich zu sein.
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