Meinung

Transatlantiker in Sorge vor Deutschlands Zukunft ohne US-Führung

Der Geist ist aus der Flasche und lässt sich schwer wieder einfangen: Die Sorge um Deutschlands Zukunft ohne starken Beschützer treibt die Nervosität auch in eine Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft. Die deutsche Botschafterin in Washington kam als Ehrengast.
Transatlantiker in Sorge vor Deutschlands Zukunft ohne US-Führung Quelle: AFP © Sven Hoppe

von Zlatko Percinic

Rund 270 interessierte Bürgerinnen und Bürger folgten der Einladung der DAG zum Motto "Aktuelle Herausforderungen der transatlantischen Beziehungen" in den Saal des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung in Berlin. Botschafter a.D. Dr. Klaus Scharioth, ehemaliger Staatssekretär des Auswärtigen Amtes (2002 - 2006) und früherer Botschafter in den USA (2006 - 2011) freute sich an diesem Abend sehr, als Beisitzer des Vorstandes der Deutsch Atlantischen Gesellschaft seine Nachfolgerin in Washington, Dr. Emily Haber, als Gast und Rednerin begrüßen zu können.

Weitere Gäste des Abends waren Jeff Rathke, Präsident des American Institute for Contemporary German Studies an der John Hopkins University in Washington, desweiteren die Mitglieder des Bundestages Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Fraktion der Grünen, und Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion.

Botschafterin Haber eröffnete dann auch ihre Rede mit einem klaren Signal, in welche Richtung ihr "Impulsvortrag" gehen soll. Deutschlands diplomatische Vertreterin in den Vereinigten Staaten von Amerika griff sogleich eine Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung auf, die auch auf der Münchener Sicherheitskonferenz vorgestellt wurde. Demnach antworteten 50 Prozent der Befragten in Deutschland, dass die USA eine Gefahr für die Sicherheit in Europa darstellten. Und nur jeder Dritte (33 Prozent) sah in Russland eine gleichartige Gefahr für Europa.

Für diese Haltung der Deutschen hat die Botschafterin offensichtlich so gar kein Verständnis. Sie meinte, dass die Befragten "nicht darüber nachgedacht zu haben scheinen", dass Deutschland "massiv" von den Vereinigten Staaten abhängig ist. Und sie "scheinen auch nicht darüber nachgedacht zu haben, dass die territoriale Expansionspolitik von Russland ausgeht", ergänzte Haber.

Mit solchen drastischen Behauptungen soll vermutlich der Eindruck erweckt werden, dass die Deutschen nicht in der Lage seien, die Gefahren für ihr Land und Europa allgemein einzuordnen, nur weil die Hälfte der Befragten nicht der gleichen Meinung ist, wie es die offizielle Regierungsposition verkündet und ebenso eine mit großem Aufwand betriebene Medienoffensive insbesondere seit dem Putsch in Kiew im Februar 2014. Man versucht also, diese Menschen ganz einfach als nicht intelligent genug darzustellen, um die Implikationen ihrer geäußerten Meinungen korrekt einzuordnen. Dabei ist sich die Mehrheit derer bestimmt mehr als schmerzhaft dessen bewusst, dass Deutschland "massiv" von den USA abhängig ist. Nur kommen sie zu ganz anderen Schlussfolgerungen, was diese Abhängigkeit bedeutet und woher die Gefahren für ihr persönliches Leben und Umfeld tatsächlich kommen.

Allerdings bot Dr. Emily Haber mit ihren Darlegungen andererseits einen seltenen Einblick in Denkweisen im diplomatischen Korps und im hiesigen Auswärtigen Amt, wenn es um Russland geht. Als im Verlauf der Veranstaltung das Thema auf den INF-Vertrag und den einseitigen Ausstiegswillen der USA aus dem selbigen kam, meinte die Botschafterin, dass die "gewährte" Übergangsfrist von sechs Monaten eine "klare Botschaft an die Russen" sei. Denn auch sie blieb der offiziellen Erzählung treu ergeben, dass im Grunde Russland am Ausstieg der USA aus dem Vertrag schuld sei. Ein Indiz für die Glaubhaftigkeit dieser Sichtweise will Frau Haber daran ausgemacht haben, dass die "Russen nie dementiert" hätten, was ihnen Washington vorwirft. Stattdessen habe Moskau immer nur wiederholt, die Amerikaner sollten doch Beweise für ihre Anschuldigungen vorlegen. "Als ob wir vorm Amtsgericht wären", kommentierte Haber lakonisch.

Das Problem an dieser Herangehensweise ist, dass selbst diese Behauptung nachweislich schlicht falsch ist. So hat beispielsweise Generalmajor Igor Konaschenkow, Leiter des Presseamtes des russischen Verteidigungsministeriums, am 7. Februar unmissverständlich klargestellt:

Das russische Verteidigungsministerium weist die unbegründeten Anschuldigungen über die Verletzung von Russland seiner Verpflichtungen aus diesem Vertrag (INF-Vertrag/Anm.) kategorisch zurück. Die Behauptungen der USA entsprechen nicht der Wahrheit.

Ist es dann so verwunderlich, dass viele Menschen in Deutschland der offiziellen Regierungsposition bei verschiedenen Themen argwöhnisch gegenüberstehen, wenn es immer wieder solche Vorfälle wie diese mit der deutschen Botschafterin in Washington gibt?

Diese Episode soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Politikerkreisen in Berlin eine tiefsitzende Unsicherheit angesichts der "tektonischen Veränderung der Geopolitik" um sich greift. Manchen Politikern bereiten nicht nur die "Rückkehr Russlands als militärische Macht" oder Chinas Aufstieg seit Längerem Kopfzerbrechen, sondern nun auch noch der spürbar "veränderte Blick der USA auf die internationale Architektur" der bisherigen Weltordnung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Der uneingeschränkte Führungsanspruch der USA in Europa bröckelt vor allem in West- und Zentraleuropa. Die Länder hätten in den vergangenen Jahren die "Grenzen" verloren, wie weit sie gegenüber Washington, D.C. gehen dürften. Andererseits würden die USA gerade unter Donald Trump sogar noch ihren Teil dazu beitragen, dass die "europäischen Partner" den US-Führungsanspruch nicht mehr so akzeptieren würden, wie sie es bis 2003 getan hatten. Indem Washington mit diversen Äußerungen neuerdings den Artikel 5 der NATO indirekt in Frage stellt, würden die USA ihren Machtanspruch in Europa selbst weiter erodieren, so der klagende Tenor der Botschafterin.

Europa werde aufgrund des "geopolitischen Klimawandels" mehr Verantwortung übernehmen müssen, gerade weil sich die Vereinigten Staaten von Amerika zwangsläufig auf die Herausforderungen mit China und Russland konzentrieren würden. Aus diesem Grund dränge Präsident Trump auch so vehement darauf, dass die Europäer - und allen voran Deutschland - mehr Geld für die Verteidigung ausgeben.

Doch für Jeff Rathke steht fest, dass dieser Zug für Berlin abgefahren ist. Er meinte, dass niemand in den USA nachvollziehen könne, dass Deutschland "als führende Macht in Europa so wenig für Verteidigung" unternimmt. Die Aussetzung der Wehrpflicht und die resoluten Sparmaßnahmen hätten erst zu jenen Problemen geführt, mit denen sich Berlin heute auseinandersetzen muss. Alexander Graf Lambsdorff machte dann auch einen pointierten Vergleich, als er meinte, dass die USA mehr Kampfpanzer in Deutschland als die Bundeswehr habe.

Beide Oppositionspolitiker Lambsdorff und Nouripour stellten dann auch folgerichtig klar, dass es mit einer alleinigen Erhöhung der Rüstungsausgaben nicht getan sei. Nouripour meinte, dass die zusätzlichen Milliarden Euro für Verteidigung sich am Bedarf orientieren müssten, da man ansonsten die Steuergelder nur weiter verbrennen würde. Aber Lambsdorff erinnerte die anwesenden Gäste auch daran, dass doch schon allein die Mehrausgaben des Verteidigungsministeriums das gesamte Budget des Auswärtigen Amtes übersteigen. Zu einer ausgewogenen Außenpolitik gehöre eben nicht nur ausschließlich eine starke Armee, sondern insbesondere eine starke Diplomatie.

Das wäre dann allerdings durchaus ein wünschenswerter Ansatz der künftigen deutschen Regierungspolitik. Denn sie befindet sich zweifellos in einer ungewohnten Situation des "geopolitischen Klimawandels", möglicherweise ohne eine klare Führungsrolle der Vereinigten Staaten von Amerika, und könnte eigene Prioritäten für die Entspannung in Europa mutig neu setzen.  

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