Meinung

Heiko Maas und sein spezielles Verständnis der NS-Geschichte

Heiko Maas erinnert auf Twitter gern an die NS-Vergangenheit. Er beklagt, das die Jugend zu wenig über den Holocaust wisse und zieht Parallelen zur Gegenwart – "Wehret den Anfängen!" Doch seine Auslegung der Vergangenheit ist einseitig und verzerrend.
Heiko Maas und sein spezielles Verständnis der NS-Geschichte© Twitter / Heiko Maas

von Andreas Richter

Der deutsche Außenminister Heiko Maas twittert gern und viel. In den letzten Tagen nahm er in seinen Tweets mehrmals auf die NS-Geschichte Bezug. Am Samstag erinnerte er an die Befreiung von Auschwitz vor 74 Jahren und nahm den Jahrestag zum Anlass, die Verteidigung "unserer liberalen Demokratie" anzumahnen. 

Am Sonntag beklagte er in einem weiteren Tweet, dass 40 Prozent der jungen Deutschen kaum etwas über den Holocaust wüssten. In einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag, der in dem Tweet verlinkt ist, führte Maas seine Gedanken weiter aus. Er stellt die Gegenwart so dar:

Diese Freiheit des Wissens schützt nicht vor Enge in den Köpfen. Sie ist keine Versicherung gegen Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus. Im Gegenteil: Was einst am Stammtisch geraunt wurde, wird nun mit einem Klick für alle Welt öffentlich. Hass kann sich schneller verbreiten, in Hetze münden. Und schlimmstenfalls in Gewalt...

Wir sehen, wie in ganz Europa Nationalismus propagiert wird und Feindbilder genutzt werden, um die eigene dumpfe Ideologie zu rechtfertigen. Rechtspopulistische Provokateure relativieren den Holocaust – im Wissen, dass ein solcher Tabubruch maximale Aufmerksamkeit beschert. Rechte zeigen auf offener Straße den Hitlergruß, jungen Männern wird die Kippa vom Kopf gerissen, jüdische Kinder werden beschimpft...

Die Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht hat dazu beigetragen, dass unser Land heute liberal, weltoffen und friedlich ist.

Die Ignoranz der jungen Deutschen gegenüber dem Holocaust sei eine Gefahr für die liberale Demokratie, der durch eine Änderung der Gedenkkultur begegnet werden müsse.

Am Mittwoch erinnerte Maas in einem Tweet an die sogenannte "Machtergreifung" der Nazis im Januar 1933. Vor 86 Jahren sei Adolf Hitler Reichskanzler geworden, "getragen vom Frust im Land und seiner Propaganda... Die Lehre bleibt klar: wehret den Anfängen!"

Heiko Maas' Interpretation der NS-Vergangenheit ist einseitig, selektiv und teilweise falsch. Seine Wortwahl verdeutlicht, dass seine Argumentation in tagespolitischen Motiven begründet ist. Dazu hier nur einige Anmerkungen.

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Liberalität und Weltoffenheit, mit diesen Begriffen charakterisiert er das für ihn gute Deutschland, das von Intoleranz, Nationalismus und Rassismus bedroht werde. Damit impliziert er zum einen, dass jede Kritik an der Zuwanderungs- und Asylpolitik der Regierung Merkel in der Tradition der Nazis steht. Das ist unredlich. Zum anderen verschweigt er, dass der Antisemitismus in Deutschland zu einem Großteil importiert ist. Diese Tatsache würde seine Argumentation zerstören, in der Weltoffenheit per se gut und wünschenswert ist.

Auch Maas' Darstellung der "Machtergreifung", die eine Machtübertragung war, ist mindestens unvollständig und irreführend. "Frust im Land" – Massenarbeitslosigkeit und Verelendung, auch als Folge der fehlgeleiteten Politik der Regierungen vor 1933, wäre sicher treffender. Und "ganz legal", sicher. Aber, das ist wohl der Erwähnung wert, als Folge einer Übereinkunft der Eliten.

Die Tägliche Rundschau benannte seinerzeit als Veranlasser der entscheidenden Zusammenführung von Hitler und Franz von Papen "die rheinisch-westfälische Industrie-Gruppe um den Stahlhelm". Maas lenkt mit seiner Wortwahl hier von der Verantwortung der Eliten ab und macht mit der Wendung "Frust im Land" den zeitgenössischen "Wutbürger" verantwortlich.

Und dann ist da noch der Weltkrieg. Maas erinnert zurecht an Auschwitz und den Holocaust. Dass er vergisst zu erwähnen, wer Auschwitz befreite – geschenkt. Schwerer wiegt, dass er in seiner Auflistung der NS-Untaten den - ebenfalls rassistisch motivierten - Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion übergeht, dem noch weit mehr Menschen zum Opfer fielen – nach Schätzungen allein 15 Millionen sowjetische Zivilisten. Es stünde einem deutschen Außenminister gut an, mit einer schlechten bundesdeutschen Tradition zu brechen und auch diese Opfer hervorzuheben. 

Vor allem aber wäre es für Maas angebracht, aus diesem Teil der NS-Vergangenheit Konsequenzen zu ziehen und – in guter SPD-Tradition – auf eine Verständigung mit Russland zu setzen. Davon ist nichts zu sehen. Maas trägt den westlichen Konfrontationskurs noch konsequenter mit als seine Vorgänger und belehrt die Russen auch gern von oben herab über Demokratie, Menschenrechte und die "regelbasierte Weltordnung". 

"Aus der Geschichte lernen" – das ist immer leichter gesagt als getan. Heiko Maas jedenfalls gibt mit seiner einseitigen, selektiven und verfälschenden Interpretation der historischen Ereignisse ein Beispiel dafür, wie man es nicht macht.

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