Braucht Deutschland bei derzeitiger Außenpolitik eine neue Friedensbewegung?
von Wladislaw Sankin
Der Obmann der Partei DIE LINKE für Verteidigungspolitik Alexander Neu hat im Internet eine Kampagne gestartet, die vor der möglichen Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland und Europa warnen soll. Verkleidet ist sie zunächst in die Form einer Petition. Dabei zielt der Außenpolitiker auf große historische Vorbilder ab – Massenproteste in den frühen 1980er-Jahren gegen die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen Pershing II.
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Die Petition fordert, den INF-Vertrag zwischen den USA und der Russischen Föderation zum Verbot nuklear bestückbarer Mittelstreckenraketen zu retten und um ein erneuertes Inspektionssystem zu ergänzen. Sollte der beabsichtige Ausstieg der USA aus dem Vertrag doch erfolgen, müsse die Bundesregierung "klar und deutlich einer Stationierung dieser Waffensysteme auf deutschem Boden eine Absage erteilen". Darüber hinaus müsse sie sich bei NATO und EU gegen eine solche Stationierung engagieren.
Auf RT-Anfrage nannte der Politiker seinen Druck auf die Bundesregierung einen "frühzeitigen Versuch", sich jeglicher Möglichkeit einer Stationierung dieses Waffensystems in Deutschland zu widersetzen. Dann folgten deutliche Worte:
Bislang hat die Bundesregierung nur wieder das gemacht, was sie immer macht: Als möglicher Konfliktvermittler zu versagen, weil man ohne Nöte wieder in das US-amerikanische Bett springt und sich via NATO gegen Russland positioniert.
Ob seine ausgeprägte Schlagfertigkeit dabei hilft, in Deutschland nicht weniger als eine neue Friedensbewegung aus dem Boden zu stampfen, ist fraglich. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels haben sich nur 840 Personen an der Petition beteiligt. Seit langem beklagt Alexander Neu die Taubheit der Deutschen bezüglich der Friedensfrage und die geringe Bereitschaft, ihre pazifistische Einstellung auf den Straßen zu bekunden.
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Dabei sind die neue, konfrontativ gegen Russland ausgerichtete deutsche Verteidigungspolitik und die zurzeit wieder aufkommende US-Treue in der Sicherheitspolitik ganz offensichtlich. Es wird beispielsweise kein Hehl daraus gemacht, dass Deutschland in Gestalt seiner Verteidigungsministerin bei dem immer unberechenbarer werdenden Übersee-Partner beispielsweise in Sachen NATO heiliger als der Papst werden will. Dafür wird beispielsweise munter über die Etaterhöhung bei den Militärausgaben rapportiert. Und natürlich schürt sie immer lauter die Furcht vor einer "russischen Aggression", derzeit nicht nur in der Ukraine, sondern nun auch in ganz Osteuropa.
Und was ist die NATO? Die NATO ist "einmütig überzeugt", dass Russland der Schuldige im INF-Streit ist. So fest überzeugt, dass kein einziger Vertreter der Allianz, d.h. auch kein deutscher, bei der Präsentation der angeblich vertragsverletzenden russischen Rakete 9М279 anwesend war, die das russische Verteidigungsministerium am 23. Januar veranstaltete. Die russischen Militärs wollten durch diese "beispiellose Offenheit" beweisen, dass die Tankkapazitäten der Rakete dieselben wie die ihrer Vorgängerin 9М728 sind, obwohl die neue Rakete um circa 40 Zentimeter länger sei. Damit könne sie nicht mehr betankt werden und daher nicht weiter als die angegebenen 480 Kilometer fliegen.
Dabei ist diese Offenheit genau das, was die Bundesregierung von den Russen fordert. Das sind die Worte von Heiko Maas, die er am 18. Januar nach dem Treffen mit seinem Kollegen Sergei Lawrow in Moskau während der Pressekonferenz sagte:
In den wenigen Tagen muss überprüfbar sichergestellt werden, ob die entsprechende Raketen existieren.
Was zeigt Russland mit der Präsentation? Es zeigt die Rakete und bietet offenbar den USA und ihren Partnern die Möglichkeit zu überprüfen, ob sie vertragswidrig ist oder nicht. Also genau das, was Heiko Maas von Russland erwartet. Wenn man diesen Worten Glauben schenkt ... Denn im gleichen Atemzug sagt Maas, dass dies auch nicht nötig sei, denn ...
… das (dass die Raketen existierten – Anm. der Red.) ist nach Auffassung aller NATO-Partner der Fall, und deshalb kann die Vertragstreue nur hergestellt werden, indem diese Raketen nachweisbar und überprüfbar abgerüstet werden (...).
Danach greift Heiko Maas wieder die Informationsangebote der Russen auf. Denn ...
... alles, was dazu beiträgt, jeder Termin und jede Information ist hilfreich, und deshalb begrüße ich, dass Russland genauso wie die Vereinigten Staaten erklärt hat, auch in den kommenden Tagen gesprächsbereit zu bleiben.
AM @HeikoMaas hat sich in Moskau und Kiew für Lösungen im Konflikt im Asowschen Meer und für die Zukunft des #INF-Vertrags eingesetzt: pic.twitter.com/7gkStPAm5e
— Auswärtiges Amt (@AuswaertigesAmt) 22. Januar 2019
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Diese Aussage tätigte Maas am 18. Januar. Das Video mit genau diesem Ausschnitt hat das Auswärtige Amt noch einmal stolz in einem Tweet am 22. Januar präsentiert. Merkte da keiner der Amtsmitarbeiter, dass sich Heiko Maas in einem Satz mindestens zweimal widersprochen hat? Offenbar nicht. Dermaßen verinnerlicht ist mittlerweile der brennende Widerspruch und die Doppelzüngigkeit der deutschen Außenpolitik.
Dieser Widerspruch zeigt sinnbildlich das ganze deutsche Dilemma bei der Frage der möglichen Stationierung der neuen Mittelstreckenraketen in Deutschland. Eigentlich will Maas diese Stationierung nicht, und zwar nicht nur in Deutschland. Nur wenige Tage vor dem Besuch in Moskau sagte er in einem Interview:
Europa darf auf gar keinen Fall zum Schauplatz einer Aufrüstungsdebatte werden. Eine Stationierung neuer Mittelstreckenraketen würde in Deutschland auf breiten Widerstand stoßen.
Er will keine Stationierung, bleibt aber völlig auf US- und NATO-Linie. Er tut so, als ob er es nicht merkt, dass die US-Amerikaner keinen Hehl daraus machen, dass sie den INF-Vertrag fallen lassen wollen, russische "Schuld" hin oder her.
Genau deshalb kündigt Alexander Neu "frühzeitig" Widerstand an, denn aus seiner Sicht ist klar: Wenn vor dem Washington-Besuch des deutschen Außenministers sein Amt twittert: "Wenn es um Rüstungskontrolle geht, geht Sicherheit nur transatlantisch", dann heißt es, dass der INF-Ausstieg nun besiegelt wird, und zwar mit deutscher Hilfe. Irgendwann wird sich – möglicherweise – auch die Frage der Stationierung der neuen, von keinem Vertrag gebändigten Waffensystemen in Europa stellen. Es werden – möglicherweise – wieder "einstimmige" Beschlüsse der NATO dazu folgen, wie üblich. Wird sich Heiko Maas dann diesen Beschlüssen seiner NATO-Partner widersetzen? Denn wie wir wissen, ist eigentlich Heiko Maas gegen die Stationierung. Aber es ist keine Wette wert, das er das kaum tun wird. Mit einer solchen Argumentationsführung, die das Außenministerium beim Lavieren zwischen Fragen der Öffentlichkeit einerseits und Zwängen der NATO und den USA andererseits an den Tag legt, scheint nun alles möglich zu sein.
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