So sichert Israel den Einfluss im US-Kongress ab
Von Zlatko Percinic
Seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist Russland in aller Munde. Von Einmischung in die Präsidentschaftswahlen über Cyberangriffen, Datenklau, Unterwanderung bis hin zur Einflussnahme in politische Prozesse: Die Liste der Vorwürfe an die Adresse Moskaus ist lang und scheint keine Grenzen zu kennen. Ein Land, das seit Jahren sozusagen im Windschatten dieser Vorwürfe genau das tut, was man Russland vorwirft, ist Israel.
Bei Präsidentschaftswahlen in den USA macht die israelische Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keinen Hehl daraus, welcher Kandidat bevorzugt wird. Legendär ist der Auftritt Netanjahus vor dem US-Kongress Anfang März 2015, um gegen das Atomabkommen mit dem Iran zu wettern, das als Meilenstein der Diplomatie von Amtsinhaber Barack Obama galt.
Die 39-minütige Rede Netanjahus wurde immer wieder von stehenden Ovationen der Kongressmitglieder unterbrochen, am Ende gab es insgesamt 26 davon. Wie ein Rockstar wurde der Gast aus Israel gefeiert. Die Ironie, dass die Kongressmitglieder einem ausländischen Staatsoberhaupt zujubelten, der ein Abkommen angriff, das von ihrer eigenen Regierung als strategisch wichtig eingestuft und deshalb entsprechend ausgehandelt wurde, scheint keinem der Abgeordneten aufgefallen zu sein. Einzig Netanjahu war sich dessen vollkommen bewusst:
Ich weiß, dass sie zu Israel stehen, egal auf welcher Seite des Flurs sie sitzen.
Egal ob Demokrat oder Republikaner, egal ob Amerikaner, sie stehen zu Israel. Für den US-Comedystar Jon Stewart, selbst ein jüdischer Amerikaner, stand fest:
Egal ob Netanjahu seine Ziele zur Sabotage eines Deals mit dem Iran erreicht hat oder fälschlicherweise einen Graben in den US-israelischen Beziehungen aufgemacht hat, eine Sache ist klar: Die Antwort der Kammer auf seine Rede war mit Abstand der längste Blowjob, den ein jüdischer Mann je bekommen hat.
Dieser Enthusiasmus der US-Kongressabgeordneten für Israel kommt sicherlich auch aus Überzeugung, aber nicht nur. Wie der ehemalige Abgeordnete Paul Findley (von 1961 bis 1983 im US-Kongress) bereits 1985 in seinem Buch "They Dare To Speak Out – People And Institutions Confront Israel's Lobby" (die deutsche Version hat den eher unglücklich gewählten Titel: "Die Israel Lobby. Hinter den Kulissen der Amerikanischen Politik") festhielt, dass die Pro-Israel-Lobby in den USA – und deren politisch wohl mächtigste Organisation AIPAC – seit den Anfängen des Zionismus in den Vereinigten Staaten Zeit hatte, ein schlagfertiges Netzwerk loyaler Unterstützer aufzubauen. Jeder, der sich für einen Sitz im US-Kongress bewirbt, muss Wahlkampf führen. Und dieser Wahlkampf kostet Geld, sehr viel Geld. Das ist der Punkt, an dem die Pro-Israel-Lobby ansetzt.
Wie diese Lobby mit Dutzenden Organisationen und Hunderttausenden jüdischen und nicht-jüdischen Mitgliedern arbeitet, haben die Politikwissenschaftler John J. Mearsheimer (University of Chicago) und Stephen M. Walt (Harvard Kennedy School) in ihrem Buch "The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy" dargelegt. Angehende Kongressabgeordnete werden von Vertretern der Lobby auf Herz und Nieren geprüft, ob sie sich jemals negativ über Israel geäußert haben oder wie sie zu den vermeintlichen Feinden Israels stehen. Ist dieser "Test" bestanden, wird der oder die Kandidat(in) für Spendengelder empfohlen, die die verschiedenen Organisationen von ihren Mitgliedern für den Wunschkandidaten einsammeln.
Cynthia McKinney, Kongressabgeordnete von 1993 bis 2003, sprach sogar von einem "Loyalitätsabkommen", das neue Abgeordnete mit der Organisation AIPAC unterzeichnen sollten, um sich deren Unterstützung zu sichern. Dass sich AIPAC nicht als "ausländischer Agent" registrieren musste, ist einem juristischen Trick zu verdanken, den der Gründer Isaiah L. Kenen aus dem Hut zog. Obwohl sich bei dieser Organisation alles um Israel dreht, aktiv für Israel geworben und manchmal sogar gestohlen wird, haben sämtliche US-Regierungen die Erklärung akzeptiert, dass AIPAC keine Lobby für einen Drittstaat betreibt, sondern für Amerikaner, die diesen Staat unterstützen.
Eine weitere Spezialität zur Absicherung von israelischen Interessen im US-Kongress sind die organisierten Reisen nach Israel für "Kongressneulinge". Erst vor kurzem fand wieder so eine Reise statt, als sechs neugewählte Abgeordnete einschließlich ihrer Lebenspartner einen fünftägigen All-Inclusive-Aufenthalt bezahlt bekommen haben, um je nach persönlichen Interessen und Vorlieben historische oder religiöse Orte zu besuchen, mit militärischen, politischen oder Vertretern von Schwulen und Lesben zu sprechen und sich am Strand von Tel Aviv oder einem Luxushotel in Jerusalem zu erholen. Der Preis so einer Reise variiert deshalb auch von 9.300 bis 10.500 Dollar, und zwar pro Person!
Dass so eine Reise bei allen Teilnehmern Eindruck hinterlässt, ist verständlich. Immerhin kommt es nicht alle Tage vor, dass man zusammen als Paar auf Kosten Dritter per Business Class eingeflogen, verköstigt und umgarnt wird. Dass im Gegenzug eine Erwartungshaltung seitens der Organisatoren vorliegt, muss niemandem extra gesagt werden. Es ist wie im alltäglichen Leben: Wird man zu einem Essen, Theater oder irgendetwas anderem eingeladen, versucht man, es mit einem Gastgeschenk wiedergutzumachen. Der französische Soziologe Marcel Mauss schrieb in seinem wichtigsten Werk "Die Gabe" von 1924, dass auf jede Gabe eine Gegengabe folgt.
Und wenn die AIPAC-Unterorganisation AIEF solche Touren sponsert, dann wird im Gegenzug auch etwas erwartet. Bei Kongressabgeordneten ist klar, was von ihnen erwartet wird: Sie sollen für Gesetzesvorlagen stimmen, die AIPAC einbringt, und vor allem sollen sie sicherstellen, dass die milliardenschweren Zahlungen an Israel nicht gestoppt, sondern nach Möglichkeit stets ausgeweitet werden. Seit der Gründung Israels am 15. Mai 1948 haben die USA Inflationsbereinigt 252,7 Milliarden US-Dollar (Stand März 2018) nach Tel Aviv überwiesen. Und Israel ist das einzige Land, das die US-Zahlungen – und zwar die gesamte Jahreszahlung – am Anfang des Jahres und nicht wie alle anderen Empfänger quartalsweise erhält. Da die israelische Regierung dieses Geld dann umgehend auf ein Konto der Federal Reserve Bank of New York parkt, wie es in einem Untersuchungsbericht für den US-Kongress heißt, erhält es dafür auch noch Zinsen. Was nichts anderes bedeutet, als dass der US-Steuerzahler im Grunde genommen zweimal für Israel zur Kasse gebeten wird: einmal für die "Hilfszahlung" und einmal für die Zinsen dafür.
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Nur sind bei solchen Reisen nicht ausschließlich Politiker dabei, sondern manchmal auch Journalisten. So war beispielsweise bei der letzten Reise im Dezember auch Tara Setmayer dabei, eine politische Kommentatorin für CNN und ehemalige Kommunikationsdirektorin der Republikaner im Kapitol. Sie veröffentlichte sogar einen Podcast über ihre von den Organisatoren vermittelten Eindrücke der Reise ins Heilige Land. So soll wohl sichergestellt werden, dass es nicht so schnell wieder zu einem Vorfall wie im November kommt, als ein CNN-Kollege von Setmayer, Marc Lamont Hill, wegen einer Rede am Internationalen Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk bei den Vereinten Nationen gefeuert wurde. Hill ist Professor für Medienwissenschaft und urbane Erziehung an der Temple University in Philadelphia.
Doch das mit Abstand größte und augenscheinlichste Einflussinstrument von AIPAC in die US-Politik, ist die jährliche Konferenz, bei der sich Spitzenpolitiker, Finanzjongleure und Unternehmensbosse die Klinke in die Hand geben. Die nächste AIPAC-Konferenz findet vom 24. bis 26. März 2019 in Washington statt, zu der wieder bis zu 20.000 Personen erwartet werden. Bei einem Ticketpreis von 599 US-Dollar für die Teilnahme kommt da einiges zusammen.
Als Vizepräsident Mike Pence die Konferenz 2017 besuchte, sagte er natürlich das, was die Lobby gerne hören möchte. Aber es zeigt auch, wie erfolgreich AIPAC in ihrer Lobbyarbeit war und wie man es geschafft hat, nicht nur den Einfluss in die US-Politik zu sichern, sondern die israelische Politik zur US-Politik zu machen:
Und unter Präsident Donald Trump, wenn die Welt nichts anderes weiß, (dann) wird die Welt das wissen, dass Amerika zu Israel steht. Präsident Trump und ich stehen aus denselben Gründen zu Israel, aus denen jeder freiheitsliebende Amerikaner zu Israel steht, weil dessen Sache (auch) unsere Sache ist. Dessen Werte sind unsere Werte. Und dessen Kampf ist unser Kampf.
Wie sehr sich doch die Vereinigten Staaten von Amerika seit ihrer Gründung verändert haben. Es war kein Geringerer als George Washington selbst, der in seiner Abschiedsrede 1796 genau vor dem warnte, das sich insbesondere seit 1967 entwickelt hat. Es lohnt sich, den gesamten Absatz zu zitieren:
Ebenso erzeugt eine leidenschaftliche Bindung einer Nation an eine andere eine Vielzahl an Übeln. Sympathie für die Lieblingsnation fördert die Illusion eines imaginären gemeinsamen Interesses in Fällen, in denen kein wirkliches gemeinsames Interesse besteht, und indem die Feindseligkeiten des einen in den anderen eingießen, nötigt es den Ersteren in eine Teilnahme an den Streitigkeiten und Kriegen des Letzteren, ohne dafür einen angemessenen Anreiz oder Rechtfertigung zu haben. Es führt auch zu Zugeständnissen an die Lieblingsnation, zu Privilegien, die anderen verweigert werden, was doppelt so verletzend für die Nation ist, die die Zugeständnisse macht. (…) Und es führt bei den ehrgeizigen, korrupten oder verblendeten Bürgern (die sich der Lieblingsnation widmen) zu Möglichkeiten, die Interessen ihres eigenen Landes zu verraten oder zu opfern, ohne üblen Nachgeschmack, manchmal sogar mit Popularität. (…) Als Wege zu ausländischem Einfluss auf unzähligen Arten sind solche Bindungen für den wahrhaft aufgeklärten und unabhängigen Patrioten besonders alarmierend. Wie viele Möglichkeiten bieten sie an, um inländische Fraktionen zu manipulieren, die Künste der Verführung zu praktizieren, die öffentliche Meinung in die Irre zu führen und die öffentlichen Räte zu beeinflussen! Eine solche Bindung eines Kleinen oder Schwachen an eine große und mächtige Nation verurteilt den Ersteren zum Satelliten des Letzteren.
Damit erwies sich George Washington als wahrer Prophet, was die vermeintliche "besondere Beziehung" zwischen den USA und Israel betrifft. Und es führt dazu, dass die US-Politik sich weigert, eine ehrliche Analyse und Bestandsaufnahme der Beziehungen zu Israel vorzunehmen, was von machthungrigen Staatschefs wie Benjamin Netanjahu ausgenutzt und durch Organisationen wie AIPAC schamlos unterstützt wird. In diesem Zustand kann sich Washington nicht einmal mehr gegen den Schaden wehren, den die israelische Spionage verursacht. Dafür hat man Russland und insbesondere dessen Präsidenten Wladimir Putin gefunden, auf den man sämtliche negativen Vorkommnisse projizieren kann. In der Psychologie würde man das Projektion nennen.
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