Meinung

Droht der EU eine Zersetzung von innen?

Das Berliner Forum Außenpolitik, organisiert von Körber-Stiftung und Auswärtigem Amt, bot hochkarätige Redner aus dem In- und Ausland für diese Veranstaltung auf. Auch sie konnten die wesentliche Frage nicht überzeugend beantworten: ob die EU gerettet werden kann.
Droht der EU eine Zersetzung von innen?Quelle: AFP © Wolfgang Kumm

Von Zlatko Percinic

Wir erleben eine Übergangsphase von jener Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebildet wurde, in eine gänzlich neue. Jeder Übergang bringt auch Unsicherheiten und Risiken mit sich, erst recht für eine solch komplexe Sache wie eine ganze Weltordnung. Die USA, die sich als Großmacht des zerstörten Europas annahm und es streng nach eigenen Interessen, Vorstellungen und Vorteilen wieder aufbauen "half" – selbstverständlich unter dem Beifall und Zutun von gefügigen Politikern in Europa – hat den Rubikon schneller überschritten, als es den meisten Menschen bis vor kurzem bewusst war. Das von Henry Luce, dem Herausgeber des höchst einflussreichen LIFE-Magazins, 1941 geforderte "amerikanische Jahrhundert", sollte nur wenige Jahrzehnte andauern. Dass die Auflösungserscheinungen einer imperialen Macht – und ja, die USA sind eine imperiale Macht, was auch entsprechend in den Machtzentren gewürdigt wird – für teilweise gravierende Umwälzungen sorgen und den Menschen Sorge bereiten, ist nur allzu verständlich.

Die europäische Integration wurde natürlich von den USA begrüßt und vorangetrieben, solange es sich dabei um einen einheitlichen und vor allem friedlichen Wirtschaftsblock handelte, wo man in Ruhe Handel betreiben konnte. Washington wollte aber nie und hat es auch nie zugelassen, dass die geschaffene Europäische Union (EU) zu einer gänzlich unabhängigen politischen Macht wird. Diese hätte sich unweigerlich zu einem Gegengewicht der USA entwickeln können, mit Eigeninteressen, die nicht mehr zu denen der USA kompatibel gewesen wären. Dass sich die EU aber nie zu einer solchen politischen Unabhängigkeit entwickelt hat, vielleicht infolge der jüngeren europäischen Geschichte auch nicht dorthin entwickeln konnte, hat mittlerweile zu jenen Problemen geführt, von denen heute diese Union geplagt wird. Deshalb hieß wohl das Thema des Berliner Forums Außenpolitik, organisiert von der Körber-Stiftung und dem Auswärtigen Amt, auch: "Unite or Decline: Europe´s Future in an Unruly World" ("Einigkeit oder Niedergang: Europas Zukunft in einer unruhigen Welt").

In einer von der Körber-Stiftung in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage vom September 2018 trat zutage, dass 63 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass sich die EU auf dem falschen Weg befindet. Auch denken 77 Prozent, dass der Zusammenhalt (Kohäsion) zwischen den EU-Ländern abgenommen hat, und 47 Prozent sagen sogar, dass die EU-Osterweiterung ein Fehler war. Das sind bemerkenswerte Zahlen, die ganz klar zeigen, dass die EU mindestens ein Riesenproblem hat.

Wie man dieses Problem allerdings angehen soll, darüber ist man sich alles andere als einig. Auch die zum Berliner Forum für Außenpolitik geladenen Gäste, wie Bundesaußenminister Heiko Maas oder der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák, hatten keine Antworten im Gepäck. Stattdessen schwang bei allem eine Hilf- und Ratlosigkeit mit, die in plakative Aufrufe zum Zusammenhalt und in eine Warnung vor neuen Mauern in Europa mündete. Auch blanke Unsicherheit blitzte hervor, wie sich Heiko Maas in seiner Eröffnungsrede präsentierte:

Klar ist, dass in Europa nicht nach Äquidistanz zu den sich herausbildenden Machtpolen zu streben ist. Die transatlantische Partnerschaft ist und bleibt tief verwurzelt und gerade für uns Deutsche auch eine strategische Notwendigkeit. Doch auch das müssen wir sehen, wahrnehmen und darauf reagieren: Das amerikanische Interesse an Europa hat nachgelassen und das auch nicht erst, seit Donald Trump Präsident ist. Als Europäer, als Deutsche, müssen wir daher mehr in diese Partnerschaft investieren, um sie ausgeglichener, ausbalancierter zu gestalten. Und ja, wir sind bereit dazu. Letztlich dürfen wir nicht zulassen, dass Europa zerrieben wird zwischen den neuen Machtpolen. “Europe united“ beschreibt den Weg, den wir dazu eingeschlagen haben, einen Weg nach vorne. Europas internationale Gestaltungsmacht, die steht und fällt mit seiner Geschlossenheit.

Diese Rede steht in starkem Kontrast zu der Stimmung bei vielen Menschen in Deutschland. Während Maas von der "strategischen Notwendigkeit" der transatlantischen Partnerschaft sprach, wünschen sich 72 Prozent der Befragten eine von den USA unabhängigere deutsche Politik. Und bei der Frage, was wichtiger für Deutschland ist: enge Beziehungen zu den USA oder zu Russland zu haben, stimmten 38 Prozent für die USA. 32 Prozent denken, dass es für Deutschland besser wäre, engere Beziehungen zu Russland zu pflegen, und 20 Prozent sind dafür, dass es eine ausgewogene Beziehung zu beiden Ländern sein soll.

Es ist nicht nur die deutsche Regierungspolitik, die im starken Kontrast zur Volksmeinung handelt. Auch die von der Körber-Stiftung zu diesem Forum eingeladenen Gäste wurden aufgefordert, über diese Frage abzustimmen. Und da bewahrheitete sich erneut der Vorwurf, der von vielen Menschen geäußert wird, dass nämlich die sogenannte Elite ihre Verbindung zum "normalen" Volk verloren hat. So stimmten 57,4 Prozent der geladenen Gäste für engere Beziehungen zu den USA, 39,6 Prozent für eine ausgewogene Beziehung zu beiden Ländern, USA und Russland, und nur 3 Prozent für engere Beziehungen zu Russland.

Eine EU innerhalb der EU

Um der offensichtlichen politischen Lähmung der EU etwas entgegenzusetzen, hat der ehemalige Umweltminister und gegenwärtige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), seine eigenen Ideen vorgestellt. Er meinte, dass die EU ihren "internen Erfolg" – gemeint ist die europäische Integration zu einer Union – in einen "äußeren Erfolg" verwandeln müsse, damit die Menschen wieder an das Projekt der Europäischen Union glauben könnten. "Die EU muss ein globaler Akteur werden, es gibt keinen anderen Weg", sagte Röttgen. Damit sich dieser Erfolg aber bewerkstelligen lässt, müsse endlich "etwas passieren". Dafür "kann man aber nicht mehr auf alle 27 Länder warten", mahnte der erfolglos gebliebene und von Kanzlerin Merkel gefeuerte ehemalige Umweltminister.  

Stattdessen schlägt Norbert Röttgen vor, endlich eine "Avantgarde-Gruppe" innerhalb der EU bilden, der sich interessierte Länder anschließen können. Diese Gruppe der Besten solle sich auf "eine gemeinsame außenpolitische Politik einigen und diese auch umsetzen". Damit fischt der CDU-Mann im trüben Wasser des sogenannten Europäischen Auswärtigen Dienstes, der der Hohen Vertreterin Federica Mogherini unterstellt ist. Was er damit aber auch tut, ist diese EU von innen weiter auszuhöhlen und die mühsam einvernehmlich geschaffenen Gremien und Instrumente gänzlich zu unterlaufen. Vor allem aber zeigt Röttgens Vorstoß, wie desolat die derzeitigen Zustände innerhalb der EU tatsächlich bereits sind.

Der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák stellte sich dann auch entschieden gegen solche Pläne einer "Avantgarde-Gruppe", die er als eine "Exklusivgemeinschaft" innerhalb der EU bezeichnete. Dabei klang nicht einmal die Sorge über eine neue Entität innerhalb der vorhandenen Strukturen mit, sondern vielmehr die Sorge um den Zulauf zu dieser "Exklusivgemeinschaft" durch Länder, die sich vielleicht anfänglich nicht für solch einen Schritt begeistern lassen. Auf die Frage, ob denn diese "Avantgarde-Gruppe" nicht im Widerspruch zu einer gemeinsamen Politik im vorhandenen EU-Rahmen stehe, antwortete Röttgen, dass er "natürlich lieber sehen" würde, wenn es eine gemeinsame Linie gäbe. "Aber die Realität ist einfach eine andere" und es müsse irgendwie vorwärtsgehen.

So ähnlich äußerte sich auch Ulrich Weinbrenner, Leiter der Abteilung Migration, Integration, Flüchtlinge, Europäische Harmonisierung im Bundesministerium des Innern, während einer Veranstaltung am 16. November in Berlin zum Thema "Herausforderung angenommen? Auf dem Weg zu einer neuen EU-Migrationspolitik". Auch er sprach von einem "willigen Teil" Europas, der sich bei Fragen um eine gemeinsame Migrations- und Flüchtlingspolitik einer "abgestuften Solidarität" bedienen sollte, weil es nie zu einem Konsens innerhalb der ganzen EU in dieser Frage kommen werde. Aus diesem Grund forderte denn auch die italienische EU-Abgeordnete Cécile Kashetu Kyenge eine Reform im Abstimmungsverfahren, wonach das Mehrheitsprinzip eingeführt werden sollte. Die Rufe nach ganz grundlegenden Veränderungen innerhalb der Europäischen Union werden selbst seitens maßgeblicher Politiker immer lauter.

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