Israel versucht im Gaskrieg einen Keil zwischen EU-Länder auf dem Balkan zu treiben
Von Zlatko Percinic
Am 2. November fand in der bulgarischen Küstenmetropole Warna am Schwarzen Meer ein Treffen der Craiova-Gruppe statt, zu der sich Bulgarien, Griechenland, Rumänien und Serbien zählen. Benannt wurde sie nach dem Gründungsort Craiova in Rumänien. Zur Gründung im Jahr 2015 sagte der damalige rumänische Ministerpräsident Victor Ponta, dass ihm, in Anlehnung an die bereits bestehende Visegrad-Gruppe (Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn), ein ähnliches Forum für die östlichen Balkanländer vorschwebe. Bisher waren die Ergebnisse der Treffen der Gruppe eher überschaubar und haben kein mediales Echo wie beispielsweise die "Drei-Meeres-Initiative" der osteuropäischen Länder gefunden.
Das alles sollte sich mit der Einladung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zum Treffen in Warna ändern. Netanjahu war der erste ausländische Staatsgast, der zu dieser Craiova-Runde eingeladen wurde. Die Signifikanz dieser Tatsache blieb ihm natürlich nicht verborgen:
Ich bin hier auf der Konferenz von vier Ländern: Bulgarien, Griechenland, Serbien und Rumänien. Das ist das erste Mal, dass sie ein Staatsoberhaupt außerhalb dieser vier Länder eingeladen haben, um an der Konferenz teilzunehmen. Das ist eine große Ehre für Israel und reflektiert Israels steigenden Status in der Welt. […] Jeder einzelne Staatschef hat mir unabhängig voneinander gesagt, dass sie versuchen wollen, ihre Überlegungen in Bezug auf Israel bei relevanten Abstimmungen, sowohl in der EU als auch bei der UN, zu verbessern. Sie alle wollen für die Gaspipeline vom Leviathan nach Europa und dem Balkan werben. Sie sind auch sehr an israelischem Gas und israelischer Technologie interessiert und sie würden sehr gerne Israels Freundschaft erhalten. Das ist ein gutes Zeichen.
Diese Aussagen des israelischen Ministerpräsidenten deuten auf zwei Dinge hin: Mit der Lieferung von Gas aus den Gasfeldern wie dem angesprochenen Leviathan soll einerseits der Ausbau der Turkish-Stream-Gaspipeline in den Balkan geblockt werden. Und andererseits versucht Netanjahu, sich mit Gas Einfluss auf diese Länder zu sichern, wenn es um für Israel delikate Abstimmungen in der EU und in den Vereinten Nationen geht. Während solcher Stimmenkauf bei UN-Abstimmungen leider gang und gäbe ist, ist er innerhalb der EU ein Mittel zur Spaltung. Damit möchte Netanjahu sicherstellen, dass die EU bei künftigen israelischen Gewalttaten oder beim illegalen Siedlungsbau im Westjordanland und in den Golanhöhen noch weniger mit einheitlicher Stimme spricht, als es bisher ohnehin schon der Fall ist. Noch bevor er nach Warna geflogen ist, sagte Netanjahu, dass er mit den Ländern der Craiova-Gruppe arbeiten wolle, um die "heuchlerische und feindselige Herangehensweise der EU" gegenüber Israel zu "ändern".
Gaskrieg im östlichen Mittelmeer
Ein weiterer Aspekt ist das auf dem Balkan beworbene israelische Gas, das über die geplante East-Med-Pipeline an der Türkei vorbei geliefert werden soll. Bei dieser Pipeline handelt es sich um ein gemeinsames Projekt von Griechenland, Israel und Zypern, um die riesigen Gasfelder vor Israel und Zypern an ein Distributionsnetz anzuschließen, welches von der EU bevorzugt behandelt wird. Ursprünglich war geplant, dass israelisches Gas über die viel kürzere und vor allem günstigere Variante via Türkei eingespeist wird, was aber nach der Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht mehr in Frage kam.
Gleichzeitig treibt auch Russland sein eigenes Diversifikationsprogramm voran und versucht, sich aus der Umklammerung der Ukraine in punkto Transitlieferungen nach Westeuropa zu lösen. Immer wieder kam es in der Vergangenheit vor, dass Kiew bei Streitigkeiten mit Moskau die Gashähne zugedreht und so die Zuverlässigkeit Russlands als Lieferant in Frage gestellt hatte. Aus diesem Grund fing Moskau an, Projekte wie Nord Stream 1+2 und das südliche Gegenstück South Stream zu planen, um Europa unter Umgehung der Ukraine mit Gas beliefern zu können. Doch der politische Druck nach dem Putsch in Kiew im Februar 2014 führte dazu, dass der Kreml die South-Stream-Pläne aufgeben musste, um nur kurze Zeit später die Gegner dieser Pipeline mit der Bekanntgabe des im Grunde gleichen Projektes unter dem Namen Turkish Stream zu schockieren. Mit dem einzigen Unterschied, dass das Gas nicht direkt nach Europa fließt, sondern die Türkei das Zielland ist.
Für die EU – und auch für die USA, welche sich in die EU-internen Angelegenheiten einmischt – ist diese Entwicklung ein Dorn im Auge. Vordergründig nennt Washington die angebliche Abhängigkeit der EU von Russland in Energiefragen als Grund für diese Einmischung, hat aber keinerlei Bedenken, Europa von den USA in der gleichen Frage abhängig zu machen. Erst vergangene Woche hat US-Energieminister Rick Perry Ungarn und weitere Balkanländer, die an russischem Gas via Turkish Stream interessiert sind, aufgefordert, stattdessen Gas aus den Vereinigten Staaten zu kaufen:
(Die) Vereinigten Staaten lehnen diese Projekte entschieden ab und wir fordern Ungarn und seine Nachbarn nachdrücklich auf, sie gemeinsam abzulehnen.
Die USA stehen nicht alleine mit dieser Forderung da. Auch die Ukraine hat mit einiger Verspätung damit angefangen, die Turkish Stream als eine "Bedrohung" darzustellen, nachdem sich Kiew monatelang auf die Dämonisierung der Nord-Stream-2-Pipeline konzentriert hatte. Wie polemisch dieser Diskurs geführt wird, zeigt dieser Artikel im FOCUS mit dem Titel "Wie Putin mit der Turkish-Stream-Pipeline die EU angreift".
Dass die Ukraine die Umgehung Russlands über alternative Routen als "Bedrohung" empfindet, hat vor allem finanzielle Gründe. Bisher spielte das Land eine zentrale Rolle als Transitland für russisches Gas nach Europa und in die Türkei, und kassierte dabei Transitgebühren in Milliardenhöhe. Für ein Land, das sprichwörtlich am Rockzipfel der westlichen Geldgeber hängt und dessen Bevölkerung enorme Entbehrungen seit der "Revolution der Würde" erfahren musste, ist es in der Tat eine "Bedrohung", wenn solche Einnahmequellen wegbrechen.
Russland hingegen verfolgt unbeirrt sein Ziel weiter, so wenig Gas wie möglich über die Ukraine zu liefern. Die noch aus Sowjetzeiten stammende Trans-Balkan-Pipeline, welche russisches Gas über die Ukraine, Moldawien, Rumänien und Bulgarien in die Türkei gepumpt hat, wird Ende 2019 ihren bisherigen Betrieb einstellen. Dann soll auch die Turkish Stream fertig und bereit sein, das unsichtbare Gold nach Südosteuropa zu liefern. Schon stehen verschiedene Unternehmen in den Startlöchern, um die freiwerdende Trans-Balkan-Pipeline für Gaslieferungen in die Ukraine zu benutzen. Womöglich auch mit russischem Gas.
Ob es soweit kommt, bleibt erst noch abzuwarten. Mit dem israelischen Vorstoß auf dem Balkan, just in Ländern wie Bulgarien oder Serbien, die als Transitländer der Verlängerung von Turkish Stream angedacht sind, positioniert sich Israel klar und unmissverständlich gegen die Türkei. Dass Israel sich in dieser Hinsicht der Unterstützung aus Brüssel und Washington Gewiss sein kann, dürfte auf der Hand liegen. Als genauso sicher darf aber auch gelten, dass Ankara diesem Vorhaben nicht tatenlos zusehen wird.
Denn die von Israel bei der Craiova-Gruppe beworbene East-Med-Pipeline ist auf die Erschließung des Aphrodite-Gasfeldes vor Zypern angewiesen, wo selbst unter den Partnern ein Streit über Eigentumsrechte ausgebrochen ist. Während Zypern das gesamte Gasfeld für sich beansprucht, will Israel einen Teil des Aphrodite-Vorkommens auch bei seinem eigenen Yishai-Gasfeld lokalisiert haben. Hinzu kommt, dass die Türkei aufgrund des ungelösten Zypernkonflikts einer einseitigen Exploration durch das griechische Zypern äußert kritisch gegenübersteht und zum Teil nicht davor zurückschreckt, auch mal die militärischen Muskeln spielen zu lassen.
Wie sich dieser Gaskrieg im östlichen Mittelmeer weiterentwickeln wird, kann natürlich niemand voraussagen. Vorausplanen kann man hingegen schon. In Erwartung von Transitproblemen durch die Balkanländer hat sich der russische Energieminister Alexander Novak mit Griechenland und Italien geeinigt, die Turkish Stream auf jeden Fall zu einer Infrastruktur für die Belieferung von Europa auszubauen. "Vorrangige Richtungen sind sicherlich Bulgarien und Österreich", sagte Novak in einem Gespräch mit dem Fernsehsender Rossiya 24. Sollte das aber aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, dann gebe es auch noch die Option, das Gas über Italien zu liefern. Ob über den Balkan oder Italien, ob Turkish Stream oder East-Med, als großer Gewinner darf sich dabei Griechenland betrachten, das auf jeden Fall als Transitland von den Gebühren profitieren wird.
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