Meinung

RT Deutsch, der liebe Freund, der liebste Feind: 10 Episoden aus dem Leben eines Redakteurs (Teil 1)

Wir leuchten dahin, wo die anderen wegsehen – damit erfüllt RT Deutsch eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Aber wer sind die Menschen, die uns ihre Stimme geben? Bei wem und warum sind wir verhasst? Ein Redakteur blickt auf zwei Jahre Erfahrung zurück.
RT Deutsch, der liebe Freund, der liebste Feind: 10 Episoden aus dem Leben eines Redakteurs (Teil 1)Quelle: RT

von Wladislaw Sankin

Episode 1: Wer hat die Macht?

November 2016, eine Konferenz zum Donbass-Konflikt, organisiert vom Auswärtigen Amt. Auf dem Podium wechseln sich Gäste aus Deutschland und der Ukraine ab, nur zwei Russen sitzen da, die aufständische Region der Ostukraine ist nicht vertreten. Trotz wie üblich scharfer antirussischer Töne klingt der wichtigste Politgast der Konferenz, Gernot Erler von der Bundesregierung moderat.

In den Pausen gibt es ein Buffet, später wird Wein ausgeschenkt. Ich gehe rum und erkenne einen bekannten Autor der deutschen und US-Mainstreampresse. Er arbeitet für einen transatlantischen Thinktank und gilt als Experte. Die meisten Artikel sind scharf gegen das "Putin-Regime" gerichtet. Ich geselle mich zu ihm und stelle mich vor – klar, ich bin neugierig. Der Experte will zunächst nicht reden. Dann gibt er sein Okay, nur sollten wir nicht über die Ukraine, sondern über Russland reden – und er beginnt mit dem russischen Nationalismus. In diesem Moment geht ein anderer bekannter Autor einer Axel-Springer-Zeitung an uns vorbei – ich erkenne auch ihn. Dieser ist noch unversöhnlicher gegen "Putins Russland". Die beiden sind befreundet. Der erste stellt mich vor. Der zweite reicht mir nicht die Hand, dafür nähert er sich meinem Gesicht, erhebt seinen Finger und verkündet:

Noch haben WIR hier die Macht!

Dann geht er weiter. Der erste Publizist schaut dem zweiten kurz nach und sagt ein wenig schwärmerisch: "Er ist ein guter Schreiber. Ich würde gerne auch so gut schreiben wie er."

Episode 2: Flucht vorm Mikrofon

Im gleichen November 2016 war ich auf einer großen Russland-Konferenz der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) und schrieb darüber einen ausführlichen Bericht. Im Artikel erzählte ich von der bizarren Diskussion zweier Russland-Experten, ob die Sanktionen oder gerade deren Ausbleiben Russland zu "weiteren Aggressionen" animierten oder nicht. Im Text gab es auch Kritik an der FDP-Führung und deren Vorsitzendem Christian Lindner wegen des Russland-Kurses. Viele Monate später erfuhr ich über unsere internen Kanäle, dass die FDP-Größen über den Artikel "not amused" waren: "So war es nämlich nicht!" Ich schrieb, dass sehr viele Teilnehmer des Forums ihre Stimme gegen die Sanktionen erhoben hätten.

Als ich auf dem nächsten Forum im nächsten Jahr den Referenten beider Konferenzen, den Finanzminister von Sachsen-Anhalt a.D Heinz Paqué, und den Vize-Vorstandsvorsitzenden der FNF um ein kurzes Interview bat, schielte er misstrauisch auf unser Mikro mit RT-Logo. Dann fragte er, vom welchen Medium ich sei. "Eurer Artikel stimmt nicht! Ihr solltet euch über euren miesen Ruf nicht wundern!", sagte er und zog schnell von dannen.

Episode 3: Beichte eines russischen Milliardärs  

Der gleiche Tag im November 2017 bescherte mir ein anderes Treffen. Anders als sein deutscher Kollege, war der russische Vorsitzende der liberalen Schwester-Stiftung der FNF Boris Mints viel gesprächiger. Der Besitzer eines milliardenschweren Finanzunternehmens und kunstliebende Philanthrop erzählte mir in einem Atemzug, wie er wenige Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges auf einer der Konferenzen in den USA Hass und Ausgrenzung "als Russe" erlebt habe. Der Kommunismus sei zu dem Moment längst besiegt gewesen, Russland als Feind sei geblieben. Jetzt fördere der Westen mit seinen Sanktionen zu Recht den Westskeptizismus im Land, und dies sei bedauerlich.

Wegen dieser Sanktionen können sich unsere Opponenten jetzt im Recht wähnen", kritisierte er.

Zu emotional, zu laut war sein Interview, zu nah trat er an die Kamera – nur ein kurzer Ausschnitt davon ging in unseren Videobeitrag ein. Mehrere Monate später, in Mai 2018, teilten die Medien mit, dass Boris Mints wegen "Problemen mit Gläubigern" seines Unternehmens O1 Group mit seiner Familie nach London geflohen sei. Kommt er dann trotzdem zur nächsten Russland-Konferenz der FPD-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung?

Episode 4: Feiern mit AfD und Claus Kleber

Die Akkreditierung zur Wahlparty der AfD bei den Bundestagswahlen am 24. September 2017 war eine Nummer für sich. Bis zum letzten Tag bekam RT Deutsch keine Bestätigung. Nach Eigenangaben hätten über 750 Journalisten einen Anmeldegesuch an die Presseabteilung der AfD verschickt – für ein relativ kleines Lokal in der Nähe vom Alexanderplatz in Berlin. Wir gingen natürlich trotzdem hin – ein Redakteur und ein Kameramann. Am Tresen sah ich: in der Liste war eine Zeile mit der Kürzung RT schon gefüllt – RT International. Ich machte klar, dass RT Deutsch zu deutschen Wahlen auch zugelassen werden sollte.

Wir bekommen wegen Euch Prügel, obwohl wir gar nicht pro-AfD sind", war mein letztes Argument.

Der Pressesprecher der AfD sah mich verständnisvoll an und sagte, wir sollten warten. Bald kam ein glatzköpfiger Mann vom oben. Sein Blick war streng. Doch eben die Blicke waren entscheidend. Der Pressesprecher sagte "RT Deutsch" und zeigte mit einer leichten Kinnbewegung auf uns. Der Mann sagte, wir sollten mitkommen.

Ein mir bekannter lokaler AfD-Politiker und Vertreter der russlanddeutschen Gemeinde wirrte dort in der Menge umher. Im Eingangsbereich zum Balkon kamen wir ins Gespräch – wir kannten uns von einer Konferenz. Plötzlich sahen wir einen eleganten Gentleman in hellen Hosen, lässigem Sakko und einem um den Hals geworfenen Schal. In dieser Kleidung sah er hier fast außerirdisch aus. Das war Claus Kleber, der ZDF-Frontmann und wohl einer der wichtigsten Meinungsmacher des Landes. "Warum ist er jetzt nicht im Studio?", fragte ich mich. Ich wedelte mit einen ausgeschalteten RT-Mikrofon, was ihm offenbar auffiel. Kleber ging auf uns zu und begrüßte uns: Er und mein Gesprächspartner kannten sich. Kleber war höflich, aber nervös. In diesem Moment kam es im Saal zum großen Raunen, und ich verließ die beiden schnell – um das Facebook-Live zu starten: Die AfD-Parteigrößen kämpfen sich bereits durch die aufgedrehten Anhängermassen zur Bühne.

Episode 5: "Gut, dass ihr da seid" – Medientagung in Kassel

Im Februar 2018 fuhren wir nach Kassel, wo ein dreitägiges Medienforum der Juristenvereinigung IALANA  stattfand. Experten und Medienschaffende aus ganz Deutschland kamen zur Konferenz, darunter die Prominenz wie Max Uthoff. Viele Namen, die für kritische Geiste hierzulande geradezu legendär klingen, waren auf dem Forum anwesend – Medienwissenschaftler Uwe Krüger, Buchautorin Gabriela Krone-Schmalz und Ulrich Teusch, Volker Bräutigam (Publikumskonferenz), Albrecht Müller (NachDenkSeiten). Akademisch bis emotional, aber in allen Fällen analytisch fundiert und nach einem Ausdruck von Krone-Schmalz "ohne Schaum vorm Mund" diskutierte man über die deutsche Medienmisere.

Werbung für Krieg, Missachtung der öffentlich-rechtlichen Grundsätze, Intransparenz und Verschmelzung mit Machtstrukturen sind nur einige der systematischen Probleme, die diese Tagung thematisierte. Die dreitägige Konferenz war auf jeden Fall kein unbedeutendes Ereignis, insbesondere für eine Stadt wie Kassel. Doch außer RT Deutsch und eines YT-Kanals berichtete niemand über das Forum, nicht einmal lokale Medien waren erschienen.

"Gut, dass wenigstens ihr da seid" – darin waren sich die Menschen, mit denen ich auf dem Forum sprach, einig. Es waren keine Marginalen, keine Spinner, keine Hetzer, die sich hier trafen – es waren gestandene, professionelle Leute, und ihr Appell war friedensorientiert. Sie begreifen sich als wesentliche Stimme der Gesellschaft und werden von den Medien trotzdem mit geschlossener, solidarischer Missachtung gestraft. Obwohl sie verpflichtet sind, über das, was in der Gesellschaft passiert ist, zu berichten. Stattdessen legen die Mainstreammedien nahe, dass "der russische Propaganda-Sender" mit seiner "Desinformation" diese klaffende Lücke erzeuge. Doch in Wirklichkeit geht RT Deutsch einfach seiner journalistischen Pflicht nach – denjenigen eine Stimme zu geben, denen sie verwehrt wird.  

Die Fortsetzung folgt.

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