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Angstfaktor S-300-Luftabwehrsystem: Wird Israel es riskieren, Syrien weiterhin zu bombardieren?

Die israelische Luftwaffe hat keine einzige Luftmission in Syrien mehr durchgeführt, nachdem Russland S-300 Luftabwehrsysteme lieferte. Wie sich die Situation weiterentwickeln wird, analysiert der ehemalige russische Luftabwehr-Kommandeur Michail Chodarjonok.
Angstfaktor S-300-Luftabwehrsystem: Wird Israel es riskieren, Syrien weiterhin zu bombardieren?Quelle: Sputnik

Israel hat nach dem 17. September, als ein russisches Aufklärungsflugzeug vom Typ Il-20 versehentlich von einer syrischen Rakete abgeschossen wurde, keine einzige militärische Operation in Syrien mehr durchgeführt. Das Nachrichtenportal Contra Magazin verknüpfte diese Tatsache mit der jüngsten Verlegung der russischen S-300-Boden-Luft-Raketensysteme nach Syrien.

Lassen Sie uns jedoch zunächst die Position Tel Avivs klären. Es gibt Berichte, dass sich das israelische Luftwaffenkommando verpflichtet habe, künftige Luftmissionen unter der Bedingung durchzuführen, dass eine vorherige Genehmigung durch das russische Militär eingeholt wird.

Diese Berichte stehen jedoch im Widerspruch zu den Äußerungen israelischer Politiker, die die Forderung Russlands nach rechtzeitiger Benachrichtigung über den Einsatz der israelischen Luftwaffe in Syrien zurückwiesen. Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman merkte an:

Wir werden keine Einschränkungen unserer Handlungsfreiheit akzeptieren.

Bislang wird Russland nur wenige Minuten vor einem Luftangriff Israels auf Ziele in Syrien in Kenntnis gesetzt. Hochrangige israelische Militärbeamte begründen dies mit der Behauptung, dass Russland diese Erkenntnisse bei vorheriger Information weitergeben könnte, was wiederum der syrischen Luftverteidigung und pro-iranischen bewaffneten Gruppen Zeit geben würde, sich auf einen bevorstehenden Angriff vorzubereiten. Im Oktober sagte Lieberman, dass "Israel es sich in allen Angelegenheiten, die unsere Sicherheitsinteressen betreffen, nicht leisten kann, Kompromisse einzugehen".

Lassen Sie uns nun auf die Gründe für die Angriffe Israels auf Syrien eingehen. Laut Tel Aviv startet Israel nur Luftangriffe gegen iranische militante Gruppen, die angeblich Raketen an terroristische Organisationen liefern, die die Waffen benutzen, um israelische Zivilisten zu töten. Darüber hinaus führen israelische Luftstreitkräfte Missionen durch, um zu verhindern, dass der Iran der Hisbollah Waffen liefert. Tel Aviv betrachtet die von Teheran in Syrien durchgeführten Maßnahmen als eine der größten Bedrohungen für die nationale Sicherheit Israels.

Daraus ergibt sich die einzig mögliche Schlussfolgerung: Die Luftangriffe werden wahrscheinlich anhalten, unabhängig davon, ob in Syrien S-300 Luftabwehr-Waffensysteme präsent sind oder nicht.

Betrachten wir aber nun die Kampffähigkeit des in der Arabischen Republik Syrien eingesetzten Raketensystems S-300 (auch bekannt als "Favorite"). Es gibt Gründe zu der Annahme, dass es eine ganze Reihe von S-300PM-2-Luftabwehrraketenbataillonen gibt, die derzeit in Syrien einsatzbereit stehen. Eine S-300-Einheit setzt sich aus einem Kommando- und Kontrollfahrzeug, einem Radardetektionsfahrzeug und zwei Raketenbataillonen zusammen.

Die genaue Anzahl der Trägerraketen in jedem der Bataillone ist unbekannt, aber wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass ihre Anzahl begrenzt ist. Jedenfalls scheinen die in Syrien stationierten Bataillone nicht zu voller Kampfstärke ausgestattet zu sein, was zwölf Trägerraketen pro Bataillon entsprechen könnte.

Der wesentliche Punkt ist, dass alle Einheiten des Flugabwehr-Raketenbataillons S-300PM-2 mit russischem Personal besetzt sind. Es wird mindestens drei Monate dauern, syrische Besatzungen für den Betrieb des Systems auszubilden, und bisher wurden diese Teile der militärischen Ausrüstung nicht übergeben, um unter dem Kommando der syrischen Luftabwehrkräfte zu stehen.

Es scheint in diesem Zusammenhang unerlässlich zu sein, eine kurze Beschreibung der Kampfmöglichkeiten des Systems zu geben. In den Massenmedien wird oft gesagt, dass das S-300 derzeit eine maximale Reichweite von 250 Kilometern (155 Meilen) habe. Das bedeutet, dass zwei Bataillone dieses Systems rund die Hälfte des Luftraums von Syrien abdecken könnten.

Im Prinzip ist es möglich, dass die Systeme einen so großen Raum abdecken könnten. Allerdings ist eine gewisse Klärung sicherlich notwendig. Die effektive Reichweite eines Flugabwehrraketensystems hängt von der Höhe eines Ziels ab, was durch die grundlegenden Gesetze der Funkwellenausbreitung und die Tatsache erklärt wird, dass die Erde nicht flach ist.

So beträgt die maximale Reichweite der S-300PM-2 zwar 250 Kilometer, aber sie wird ein so weit entferntes Ziel nur dann abfangen können, wenn es in einer Höhe von etwa zwölf bis 15 Kilometern fliegt. Im modernen militärischen Kontext ist die Kampfluftfahrt selten in so großer Höhe tätig. Wenn sich das Ziel also in etwa 100 Metern bewegt, sinkt die Reichweite des S-300-Systems auf 25 Kilometer. Bei einer komplexen Landschaftsgestaltung kann die Reichweite sogar auf 14 bis 16 Kilometer herabsinken.

Die Grundidee dabei ist, dass ein einziger Satz von S-300-Luftverteidigungsraketenbataillonen zu keinem Zeitpunkt als Silberkugel angesehen werden sollte, die es Syrien ermöglichen würde, praktisch jede eingehende Bedrohung abzuwehren.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass selbst die fortschrittlichsten Waffen zu einem Haufen Metallschrott werden, wenn sie von schlecht ausgebildeten und unqualifizierten Besatzungen bedient werden.

Damit die syrische Armee also die israelischen Streitkräfte unter optimalen Bedingungen bekämpfen kann, muss sie ausgebildet werden, um die Kampfbereitschaft und Kampfkraft des israelischen Militärs zu erreichen.

Es ist fraglich, ob das überhaupt möglich ist. Auch wenn es theoretisch möglich ist, was Waffen und militärische Ausrüstung betrifft, sind ausgebildete und motivierte Besatzungen ein Muss. Fakt ist, dass Baschar al-Assad kein Militärpersonal hat, das diese Kriterien sofort erfüllen kann.

Im Moment ist ein mögliches Szenario, dass die israelische Luftwaffe ihre Luftangriffe auf iranische und Hisbollah-Ziele in Syrien fortsetzen wird. Das Vorhandensein der S-300-Systeme wird diese Entwicklung wahrscheinlich nicht verhindern.

Vergessen wir auch nicht, dass Israel die operativen S-300-Luftverteidigungssysteme als nationale Sicherheitsbedrohung betrachten wird. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Israel versuchen wird, diese Raketensysteme zu zerstören – zumindest solange die S-300 vom russischen Militär betrieben wird.

Biografie von Michail Chodarjonok, Militärkommentator für das Nachrichtenportal Gazeta.ru:

Michail Chodarjonok ist ein pensionierter Oberst. Er absolvierte die Minsker Ingenieurschule für Flugabwehrraketenabwehr (1976) und die Führungsakademie der Luftabwehrtruppes (1986).

Zudem war er leitender Offizier des Oberkommandos der sowjetisch-russischen Luftabwehrkräfte (1988-1992), Offizier in der Hauptverwaltung des russischen Generalstabs der Streitkräfte (1992-2000) und Absolvent der Militärakademie des Generalstabs der Streitkräfte der Russischen Föderation (1998).  Zwischen 2010 und 2015 war er Chefredakteur des militärischen Fachblatts Wojenno-Promyschlennij Kurijer (zu Deutsch: Kurier für Militärindustrie).

 

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