Meinung

Atlantic Council veröffentlicht Anleitung für Zensur - Merkel stimmt freudig zu

Die NATO-nahe Denkfabrik Atlantic Council hat im Auftrag des Pentagon eine Broschüre als Anleitung für Zensur veröffentlicht, damit man die "Schlacht um das Vertrauen" gewinnen kann. Gewarnt wird vor Desinformation und der Gefahr für die Souveränität von Mitgliedsstaaten.
Atlantic Council veröffentlicht Anleitung für Zensur - Merkel stimmt freudig zuQuelle: AFP © Chip Somodevilla

Von Zlatko Percinic

Die im September veröffentlichte Broschüre hat es in sich. Allein der Titel "Wessen Wahrheit? Souveränität, Desinformation und wie man die Schlacht um das Vertrauen gewinnt" verspricht schon großes Kino. Und weiß man dann erst noch, dass dies ein zentrales Thema bei der "Sovereign Challenge"-Konferenz des US Special Operations Command (USSOCOM) in New York war, dann verleiht es der Broschüre noch eine Extraportion Aufmerksamkeit. Denn wir befinden uns ja im Krieg, so erfahren wir daraus, einem Krieg um die Krone der Wahrheit. Unsere Gegner greifen mit ihrer Wahrheit unsere staatliche Souveränität an und bringen das ganze, schöne Staatensystem ins Wanken, welches seit den westfälischen Friedensverträgen geschaffen wurde. So zumindest interpretiert es der Autor der Broschüre, John Watts, ein australischer Fellow des Atlantic Council.

Schuld an der ganzen Misere ist laut Watts die wohl unzumutbare "Demokratisierung der Technologie, die dem Einzelnen Möglichkeiten auf derselben Stufe wie Unternehmen gegeben hat". Diese Entwicklung habe ungefähr den gleichen revolutionären Einfluss auf die Menschen, wie die Erfindung des Buchdrucks vor über 570 Jahren. Damals wie heute verloren die Mächtigen die absolute Oberhoheit über die Information, was offensichtlich als Hort der Demokratie gilt. Schon der französische König Ludwig XI. (von 1461 – 1483 auf dem Thron) hatte etwas erkannt, was für die meisten Regierungen auch heute noch gilt: Qui nescit dissimulare nescit regnare; Wer nicht zu heucheln weiß, der weiß auch nicht zu herrschen. Deshalb nannte man ihn wohl auch "der Kluge". Oder doch eher "der Listige"?

Aber zurück zum Atlantic Council und seiner Broschüre. Wie schon erwähnt, soll die Souveränität der NATO-Mitgliedsstaaten durch die "Demokratisierung der Technologie" in Gefahr sein, weil die Menschen so Zugang zu Informationen erhalten, die alles Mögliche sein können. Wahr, falsch, verdreht, manipuliert, falsch interpretiert - oder einfach nur öffentlich geworden? Diese Liste ließe sich gewiss noch erweitern, aber es dürfte klar sein, worauf es hinausläuft. Und damit hat John Watts auch absolut recht. Wir werden mit Informationen überflutet, wo nicht einmal mehr etablierte Medienunternehmen hinterherkommen, die Fakten zu prüfen und ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen, nämlich die Menschen mit einer möglichst objektiven Berichterstattung und Aufklärung zu bedienen. Schuld daran ist vor allem "der Markt", dem doch eigentlich eine göttliche selbstregulierende Kraft innewohnen soll, am Ende aber die Medienunternehmen zu brutalen Sparmaßnahmen zu Lasten der selbst angemaßten Qualität zwingt. Auch das wird von Watts entsprechend im Text gewürdigt.

Ein weiteres Problem stellt der Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in staatliche Institutionen und auch in die Medien dar. Immer weniger Menschen glauben der eigenen Regierung und ihren Politikern etwas, während viele Medien mit dem Vorwurf von Fake News überhäuft werden. Und wenn die Menschen kein, oder zumindest immer weniger Vertrauen in ihre Regierungen haben, dann stellt dies das gesamte Konzept von Souveränität auf den Kopf. In Demokratien ist es immerhin das Volk, das den Souverän darstellt, also den eigentlichen Inhaber der Staatsgewalt. Die Regierungen werden - oder sollten - vom Volk gewählt werden, um die Belange und Interessen der Bevölkerung zu vertreten. Wenn dieses Vertrauen aber erodiert und sich das Volk nicht mehr von der Regierung vertreten fühlt, dann ist da tatsächlich etwas faul im Staate.

Und genau hier setzt John Watts vom Atlantic Council an und beschuldigt alternative Informationsanbieter, die Wurzel allen Übels zu sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Blogger oder ausländische Medienunternehmen handelt. Sie würden mit ihren Berichten dazu beitragen, dass die offiziellen Informationen hinterfragt und oft als Lügen bezeichnet werden. Keine Frage: Es gibt mit Sicherheit einige schwarze Schafe bei den sogenannten Alternativmedien, die mit Absicht oder mit Naivität Unwahrheiten und Fehlinformationen verbreiten. Aber nun gleich alle über diesen Kamm zu scheren, wie es der Atlantic Council vorsorglich tut, schießt dann doch gewaltig über das angeblich so here Ziel hinaus. Und es werden seltsamerweise ausschließlich Länder wie Venezuela, Indien (welches andereseits als größte Demokratie der Welt bezeichnet wird), China oder Russland genannt, die sich der Manipulation von Informationen bedienen würden, um strategische Ziele im In- und Ausland zu erreichen.

Dass den Regierungen das Vertrauen des Souveräns abhandenkommt, hat natürlich durchaus auch viel mit dem Zugang zu anderen Informationsquellen zu tun. Immerhin ist das doch genau der Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur, wo die Menschen nur das zu hören und zu lesen bekommen (sollen), was das Regime auch zulässt. Dass es aber vielleicht die Regierungen selbst sind (und gerade in Europa leider auch die Europäische Union mit ihrer intransparenten und für die Menschen nicht nachvollziehbaren Politik), die dieses Misstrauen und Ablehnung begünstigen oder erst ermöglicht haben, wird in der Broschüre mit keiner Silbe angedeutet. Schuld sind grundsätzlich "die Anderen". Und wenn die Menschen über diese Fehltritte in anderen Medien als im etablierten Mainstream etwas sehen, lesen und hören, dann gilt das laut Atlantic Council per se als Desinformation. Deshalb war vor der "Demokratisierung der Technologie" auch alles besser:

In der Vergangenheit hatte die allgemeine Öffentlichkeit begrenzte Informationsquellen, die von professionellen Türwächtern verwaltet wurden.

Stellt sich also die Frage, was Regierungen und Medienunternehmen (natürlich nur die Guten) dagegen tun können. Es wird das negative Beispiel genannt, bei Onlineartikeln die Kommentarfunktion auszuschalten. Aber diese Praxis würde nur weiter dazu führen, dass die Abneigung steigt und noch mehr Vertrauen verloren gehen könnte. Stattdessen sollten Unternehmen wie Facebook, Twitter & Co. ihren "beträchtlichen Einfluss auf die Art und Qualität der verbreiteten Inhalte" geltend machen, wie sie es mit der Sperrung von hunderten kritischen Accounts, die ein Millionenpublikum hatten, bereits getan haben. Unerwähnt bleibt auch in diesem Zusammenhang, dass gerade Facebook längst eine Kooperation mit dem Atlantic Council eingegangen ist, um zusammen auf Jagd gegen unliebsame Stimmen zu gehen.

Kritische Stimmen sollten also - laut Empfehlung aus dieser der NATO nahestehenden Denkfabrik - doch besser mundtot gemacht werden. Indem man ihre Accounts löscht, werden sie in der digitalen Welt unsichtbar. Und was für die Urheber dieser Methode zählt: sie können eben auch nicht mehr gehört, gelesen oder gesehen werden. Also letztlich einfach eine digitale Zensur, die von Unternehmen auf Geheiß der Regierungen durchgeführt wird. Es soll also nicht eine fehlorientierte und zurecht kritisierte Politik geändert werden, sondern "besser" der Zugang zu unliebsamen Informationen eingeschränkt werden.

Bemerkenswert für Deutschland: Prompt blies die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede im Bundestag am 17. Oktober in genau dieses gleiche Horn, als auch sie auf die Gefahr durch Desinformationen zu sprechen kam:

... denn unsere Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass die demokratischen Willensäußerungen der Wählerinnen und Wähler durch gezielte Desinformationskampagnen, Cyberangriffe oder Datenmissbrauch allzu leicht verfälscht werden können.

Diese "demokratischen Willensäußerungen" werden aber nicht durch äußere Faktoren "verfälscht", sondern durch die Politiker selbst. Nehmen wir nur mal ein kleines Beispiel aus dem aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Darin heißt es auf Seite 149 unter dem Punkt "Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik" klar und deutlich: "Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind." Das heißt, allerspätestens seit der Vereidigung der neuen Regierung am 14. März 2018 hätten laut Koalitionsvertrag "ab sofort" deutsche Rüstungsexporte an Länder wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gestoppt werden müssen, was aber nicht geschah. Und das hat nun gar nichts mit "gezielten Desinformationskampagnen" zu tun, wie es Frau Merkel in ihrer Rede gesagt hatte, sondern ist Politik dieser Regierenden.

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