Meinung

"Russische Hacker", Tag der Einheit, Nobelpreis: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Eine Kampagne zu "russischen Hackern", eine Verklärung der "Wende" von 1989 und der Friedensnobelpreis: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass zu verzerrender Berichterstattung.
"Russische Hacker", Tag der Einheit, Nobelpreis: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: AFP © John Macdougall

von Thomas Schwarz

Medienkritik am Scheideweg?

Die Missstände der deutschen Medienlandschaft sind für interessierte Bürger inzwischen offensichtlich. Medienkritiker geraten darum seit einigen Monaten in die Zwickmühle: Die Sinne sind mittlerweile geschärft, die Skepsis der Bürger gegenüber "ihren" Medien wächst rapide, die großen deutschen Medienhäuser können als weitgehend "enttarnt" bezeichnet werden. Macht eine Analyse dieser Zustände und der Medienbeiträge also weiterhin Sinn? Ja. Denn es verhält sich mit den großen deutschen Medien so ähnlich wie mit dem Finanzsystem oder der katholischen Kirche: Punktuelle Enthüllungen skandalöser Vorgänge lösen keine direkten Veränderungen aus. Die individuellen Verfehlungen und die zerstörerischen Strukturen aller drei Komplexe sind bekannt und ausgeleuchtet – dennoch können diese Strukturen auch von den größten Skandalen kaum erschüttert werden.

Möglicherweise ist die Medienkritik darum an einem Scheideweg angelangt: Aufdeckung von Propaganda ist nach wie vor wichtig – noch wichtiger wäre es aber, diese Aufdeckungen und die dadurch ausgelöste Empörung in tatsächliche Veränderungen der Presselandschaft und ihrer Organisation umzusetzen. Kluge Köpfe wären nun also aufgefordert, die Medienkritik in eine Medien-Transformation zu übertragen, und konkrete Vorschläge für praktische Veränderungen zu machen, etwa bei Presserecht und -Kodex.

"Alles geht" So lautet noch immer das mediale Motto gegenüber Russland

Wer jedoch noch Hoffnung auf "Selbstheilung" und Selbstreflexion der großen deutschen Medienhäuser gehegt hat, wer gar eine langsame Rückkehr zu den seit Jahren mit Füßen getretenen journalistischen Standards erwartet hatte, der muss sich nach dieser Woche antirussischen medialen Feuers erneut als unverbesserlicher Optimist bezeichnen lassen. "Alles geht" – so lautet noch immer das Motto vieler großer deutscher Zeitungen, sobald das Thema Russland aufkommt. Wie auf Kommando werden dann in vielen Redaktionen die Skrupel und die Standards, die Beweisführung und die Unschuldsvermutung über Bord geworfen – aktuell einmal mehr wegen "russischer Hackerangriffe".

Voraussetzung für die oben im Text geforderte Transformation ist nach wie vor die Überwachung der Propaganda. So pfeift etwa die FAZ wie viele andere Medien auf die Unschuldsvermutung beim "russischen Hacking" und ersetzt Beweise einmal mehr durch "Plausibilität": "Wenn die Niederlande sagen, sie hätten russische Hacker erwischt, oder die Briten sagen, der russische Militärgeheimdienst führe großangelegte Cyber-Operationen in aller Welt, dann lässt sich das nicht nachprüfen. Allerdings erscheint es durchaus plausibel, denn Ziele etwa in der Ukraine oder im Weltsport passen zu russischen Interessen. Auch der Organisation für das Verbot chemischer Waffen in Den Haag dürfte Moskau wegen des Falls Skripal besondere Aufmerksamkeit schenken." Auf jeden Fall müsse man aufrüsten, auch wenn die Angriffe nicht bewiesen sind: "In erster Linie muss sich der Westen darum kümmern, dass er auch auf diesem Feld über angemessene Verteidigungsmittel verfügt."

Propaganda, haltlose Spekulationen und gefährliche Vorwürfe

Auch für die Süddeutsche Zeitung sind Spekulationen ausreichend, um gefährliche Vorwürfe zu verbreiten. Schließlich sei es "gut möglich", dass der russische Präsident stehen geblieben sei in "seinem Lernberuf" – immerhin sei er mal beim KGB gewesen. Dann wechselt die Zeitung von "gut möglich" auf "bewiesen": "Russland hat mit seinem Agenten-Aktivismus und der politischen Destabilisierung durch Cyberwerkzeuge das klassische Spionagespiel überreizt. Der Westen reagiert mit der denkbar brutalsten Waffe: Enttarnung. Die alten Spielregeln gelten nicht mehr, jetzt wird öffentlich vorgeführt. Russland hat sich mit seiner Einmischung in die US-Wahl deutlich überhoben." Man fragt sich besorgt, wie ein Autor solcher Zeilen jemals wieder ernst genommen werden möchte.

Die Stuttgarter Nachrichten halten sich mit Relativierungen erst gar nicht auf – denn sie wissen : "Russlands Handlungsmuster ist inzwischen so eindeutig wie erschreckend. Es fügt sich ein in die Strategie, NATO- oder EU-Staaten zu schwächen, ohne es zum offenen Konflikt kommen zu lassen." Quellen? Belege? Fehlanzeige. Die braucht man in Stuttgart nicht, um Aufrüstung zu fordern: "Deshalb ist es richtig, dass die Bundeswehr gegen diese Form der Bedrohung eine eigene Streitmacht aufbaut – die Fähigkeit zum Gegenangriff inklusive."

Blackout in der europäischen Medienlandschaft

Außerhalb aller Presse-Standards bewegt sich auch die Berichterstattung großer europäischer Medien zu den "Hacker-Angriffen". So giftet der niederländische Standard unter der Überschrift "Kein Land ist sicher": "Heute ist kein westliches Land vor Putins IT-Experten sicher. Das liegt auch daran, dass Cybersicherheit die Achillesferse unserer vernetzten Gesellschaft ist – und ein opportunistischer Machtmensch wie Putin jede Schwäche seiner Gegner ausnützt." Die Zeitung ergeht sich in wilden Verschwörungstheorien, auch um internationale Verständigung zu torpedieren: "Der Angriff auf die OPCW diente offenbar bloß dazu, die Spuren des missglückten Giftanschlags auf den Ex-Spion Sergej Skripal in Salisbury zu verwischen. Wozu der Cyberangriff auf den Deutschen Bundestag 2015 gut gewesen sein soll, ist noch weniger klar. Jedenfalls führt Putins rechtlose Hackerstrategie sein Land in die internationale Isolation – und lässt die Dialogbereitschaft der Regierung in Wien immer unpassender erscheinen." 

Neben einer faktenbasierten Berichterstattung lässt der ebenfalls niederländische Telegraf beim Thema "russische Hacks" auch eine sprachliche Zurückhaltung vermissen:

Die Entlarvung der russischen Agenten in Den Haag ist ein wichtiger Teil der westlichen Reaktion auf das aggressive, rücksichtslose und schamlose Vorgehen von Präsident Putins Spionen-Armee. Der Versuch, die Organisation gegen Chemiewaffen zu hacken, beweist, dass die Russen denken, ungestraft auf dem Gebiet anderer Staaten zuschlagen zu können. Davor war das der Fall bei der Giftgasattacke in Großbritannien. (...) Russland verstößt systematisch gegen das Gesetz, opfert Menschen und spielt dann die Unschuld selbst. Es wird Zeit, mit härteren Sanktionen gegen die kriminelle Bande im Kreml vorzugehen.

Die britische Times wiederum dreht die Berichte so , dass die nicht plausiblen oder nicht bewiesenen Aspekte der Story mit russischer Tölpelhaftigkeit erklärt werden. Die Zeitung stellt sich dabei aber eher selber als der Tölpel mit den nicht plausiblen Theorien dar:

Die Ereignisse der vergangenen Monate haben der Welt, aber auch den Russen vor Augen geführt, dass die Spione des Landes ihrem furchterregenden Ruf nicht mehr gerecht werden. Sie scheitern auf offensichtliche und spektakuläre Weise. (…) Die Bloßstellung der Unfähigkeit der GRU-Mitarbeiter ist für Präsident Wladimir Putin mehr als nur peinlich. Sie könnte seine Machtposition ernsthaft untergraben. Die russischen Geheimdienste bemühen sich ja seit jeher redlich, den von ihnen selbst geschaffenen Eindruck zu bestätigen, Meister der Tarnung, unsichtbar und allgegenwärtig zu sein. Tatsächlich scheint es eher so, als stünde der Kaiser ohne Kleider da

Das wäre ein schönes Schlusswort – denn wenn sich jemand in dieser Woche als nackter Kaiser präsentiert hat, dann die großen europäischen Medienhäuser.

An echter und produktiver Analyse kein Interesse 

Angebliche Hackerangriffe waren nicht die einzige Flanke, an der europäische Medien Russland in dieser Woche attackieren wollten. Sie versuchten es auch bei den Themen Sprachunterdrückung in der Ukraine, "prorussichen" Tendenzen vor der Wahl in Lettland und anlässlich der jüngeren Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Fall Skripal.

So wurden in westlichen Zeitungen in dieser Woche auf den ersten Blick viele "russische" Themen verhandelt. Dass die großen Medien aber an einer echten, gründlichen und produktiven Analyse der deutsch-russischen Beziehungen keinerlei Interesse haben, das haben die großen deutschen Medien in dieser Woche erneut bewiesen – indem sie ein kluges Interview mit der russischen Politikerin und RT-Beraterin Veronika Krascheninnikowa ignoriert haben. Krascheninnikowa analysiert in dem Gespräch die angeblichen Verbindungen Russlands zu europäischen Rechtspolitikern und die Gründe für diese eventuellen Kontakte.

Europäische Bürger, Politiker und Journalisten hätten aus einer Analyse des Gesprächs mit Krascheninnikowa viel lernen können, allen voran die SPD, die sich als natürlicher Dialogpartner Russlands vorübergehend disqualifiziert hat – und damit der AfD und ihrer russlandfreundlichen Haltung erst Platz gemacht hat. Aber Erkenntnisgewinn bezüglich Russlands ist bekanntlich nicht das Ziel vieler deutscher Journalisten. Interessierte Leser werden wegen dieser Verweigerungshaltung auf den geplanten RT-Artikel zum Thema Krascheninnikowa warten müssen. Nebenbei: Der Axel-Springer-Verlag steht stets in der ersten Reihe, wenn Russland PR für die AfD vorgeworfen wird. Wie der Verlag die Rechten aber selber propagandistisch päppelt, kann man hier nachlesen.

Tag der Einheit: Geschichtsklitterung und Vernebelung 

Die Berichterstattung zum Tag der Deutschen Einheit kann man mit einem Wort zusammenfassen: Geschichtsklitterung. Die NachDenkSeitenbeschreiben eine Linie in der Berichterstattung, die offensichtlich geworden sei: 

Das Bemühen, die 'Wende' von 1989 und ihre fatalen Folgen für viele Ostdeutsche zu entpolitisieren und zu einer individuell-emotionalen Erfahrung umzudeuten. Der aktiv herbeigeführte Zusammenbruch einer Volkswirtschaft und die folgende, mit moralisch-politischer Überheblichkeit flankierte Massenarbeitslosigkeit sollen einem 'Gefühl' weichen, das die 'scheinbar Abgehängten' (ohne ersichtlichen Grund) befällt. Der Rechtsruck soll von seinen offensichtlichen Ursprüngen getrennt werden. Die medialen und politischen Verantwortlichen für diese Ursprünge wollen diese Verantwortlichkeiten vernebeln.

Als Kronzeugin hatten sich für eine geschichtsvergessene Darstellung der "Wende" von 1989 das ZDF und der Deutschlandfunk jeweils die Zeit-Journalistin Valerie Schönian eingeladen. Sie war für die Sender die perfekte Patin für die Entkoppelung von radikaler DDR-Abwicklung und pauschaler Erniedrigung einerseits und dem aktuellen Aufruhr unter vielen Ostdeutschen andererseits. Die NachDenkSeiten fahren fort:

In diesem Willen, die aktuellen gesellschaftlichen Spaltungen von ihren in den Wendejahren liegenden Ursachen zu separieren, trifft sich Schönian mit der großen Politik und den großen Medien. Sie wird zur perfekten Kronzeugin für jene Verantwortlichen im Westen, die mit der wirtschaftlich-moralischen Schocktherapie der 90er Jahre große Verwerfungen in der Massenpsychologie angerichtet haben, und die sich nun still aus der Affäre ziehen wollen – in dem Moment, in dem sich jene Verwerfungen ein bedenkliches rechtes Ventil suchen.

Nobelpreis: Soll die "Waffe der Armen" die "Waffe der Reichen" kaschieren?

Wenn in deutschen Medien einhelliger Jubel zu einem bestimmten Thema erklingt, dann ist Skepsis angesagt. Dies war in dieser Woche der Fall angesichts der Verleihung der Friedensnobelpreise an zwei Aktivisten gegen sexuelle Gewalt. Man möchte den Preisträgern nicht zu nahe treten, denn sie können nichts dafür, dass sie nun Spielball der westlichen Propaganda wurden. Sexuelle Gewalt ist selbstverständlich zu ächten. Aber dass diese Gewalt "eines der finstersten Kapitel in der Geschichte von Kriegen" sei, wie die Badische Zeitungschreibt, stimmt nicht: Das Schlimmste an Kriegen ist immer noch der massenhafte Mord. Die Vermutung ist nicht abwegig, dass mit der Überbetonung des als "Waffe der Armen" bekannten Sexual-Terrors der Massenmord durch die "Waffen der Reichen" in den Hintergrund treten soll.

Indirekt gesteht das Darmstädter Echo das auch ein, indem es die Verleihung als "unpolitisch" bezeichnet: "Es gibt sie noch, die guten Nachrichten: Zum Beispiel die, dass das Nobelpreiskomitee diesmal der Versuchung und der Hybris widerstand, Politik machen zu wollen." Man kann die Verleihung zudem als billiges Feigenblatt des Nobelpreis-Komitees sehen – schließlich wurde die Abteilung Literatur kürzlich von Vorwürfen der sexuellen Belästigung erschüttert.

Es war nicht alles schlecht:

Rainer Mausfeld zählt spätestens seit seinem legendären Vortrag "Warum schweigen die Lämmer?" zu den prominentesten deutschen Medienkritikern. Nun hat er einige seiner Theorien endlich in Buchform veröffentlicht. Dazu führt Telepolis ein kluges Interview . In diesem Lesetipp der Woche kommen auch die zu erwartenden Diffamierungen Mausfelds durch "Journalisten"-Kollegen zur Sprache:

"Telepolis: Das heißt, Vorwürfe wie 'geschlossenes Weltbild' oder 'Verschwörungstheorie' kommen für Sie nicht gerade unerwartet?

Rainer Mausfeld: Da meine Vorträge darauf zielen, Denkmethoden aufzuzeigen, mit denen sich die Diskrepanz zwischen Ideologie und Realität besser sichtbar machen lässt, und da die Machtausübenden gerade darauf angewiesen sind, politischen Dissens in Bahnen zu halten, die für sie risikofrei sind, überrascht es mich nicht, zum Ziel von Diffamierungsbemühungen zu werden. Da sich ihre Urheber in den von Ihnen genannten Fällen nicht einmal die Mühe machen, etwas anzuführen, das sie als Argumente oder Belege ansehen, haben diese Anwürfe mit mir und den Inhalten, die ich zu vermitteln suche, nichts zu tun. Das ist eigentlich für jeden, der sich ernsthaft mit meinen Beiträgen beschäftigt, klar erkennbar. Wer nun dennoch meint, eine ernsthafte Auseinandersetzung durch ein paar hingeworfene Schmähwörter ersetzen zu können, wird mit einer solchen intellektuellen Selbstauskunft leben müssen."

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