Meinung

Dr. Gniffkes Macht um Acht: Zerrspiegel "Tagesschau"

Ein Mitarbeiter des sächsischen LKA, der privat an einer "Pegida”-Demonstration gegen den Dresden-Besuch von Merkel teilnahm, macht pöbelnd klar, dass er nicht gefilmt werden. will. Für ARD und ZDF ist das wichtiger als die Ermordung von 22 Kindern im Jemen.
Dr. Gniffkes Macht um Acht: Zerrspiegel "Tagesschau"Quelle: Reuters © Arnd Wiegmann

von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

 “Tagesschau”-Aufmacher (!) am 23. August: Ein angeblicher Eingriff sächsischer Polizisten in die Rundfunkfreiheit. Grund für den Sirenenalarm: Ein Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamts, privatim Teilnehmer an einer “Pegida”-Demonstration gegen den Dresden-Besuch der Kanzlerin Merkel am 16. August, hatte sich pöbelnd dagegen verwahrt, danach von einem ZDF-Team gefilmt zu werden. Polizisten, die schließlich eingriffen, hätten die Fernsehleute 45 Minuten lang an ihrer Arbeit gehindert. Untermalt mit Stellungnahmen der Kanzlerin Merkel und der Justizministerin Barley, zelebrierte der öffentlich-rechtliche Rundfunk Empörungsjournalismus mit Qualitätsprädikat.

Der ausfällige Kamerafeind war nicht im Dienst, sondern hatte als Urlauber an der Demo teilgenommen. Offensichtlich wegen seiner nationalfarbigen Bekleidung hatte das ZDF-Team die Kamera auf ihn gerichtet, wogegen er sich lautstark pöbelnd verwahrt hatte. Er soll dann auch gegen die Kamera geschlagen haben.

Eine Einschränkung der Pressefreiheit sei nun darin zu sehen, dass das ZDF-Team 45 Minuten lang in eine Auseinandersetzung mit Polizisten verwickelt wurde, die schließlich eingeschritten waren. Personalienfeststellung und Ermittlung des Sachverhalts hatten sich allerdings auch deshalb hingezogen, weil die ZDF-Kollegen sehr selbstbewusst auftraten und von den Beamten Begründung und Rechtfertigungen für deren Eingreifen verlangten. Das war späteren Filmberichten über den Vorfall klar zu entnehmen.

Der Demonstrant konnte sich bei seinem Protest gegen das Gefilmtwerden auf sein gesetzlich geschütztes Recht am eigenen Bild berufen. LKA-Mitarbeiter hin oder Pegida-Mann her: Niemand muss es sich gefallen lassen, ungefragt von einer TV-Kamera herausgezoomt zu werden. Auch Journalisten ist es grundsätzlich untersagt, ihre Mitmenschen gegen deren Willen zu filmen, sofern die nicht “Persönlichkeiten der Zeitgeschichte” sind, also Prominente aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und gesellschaftlichem Leben. 

Gem. § 22 des „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie“ (KunstUrhG, neben der neuen EU-Datenschutzverordnung weiter in Kraft) dürfen Abbildungen von Personen grundsätzlich nur dann verbreitet werden, wenn deren Einwilligung dazu vorliegt. Bei Demonstrationen, Versammlungen oder anderen öffentlichen Ereignissen ist allerdings keine solche Zustimmung erforderlich, soweit eine gefilmte Person nur als Teil einer Menschenmenge figuriert.

Der Dresdener Pegida-Demonstrant wurde aber nicht nur in einer Bildtotalen zusammen mit vielen anderen, sondern herausgelöst und in Nahaufnahme gefilmt, wie später in den Sendungen von ARD und ZDF gezeigt. Was war vorgefallen? Hat der Mann sich tatsächlich von Anfang an selbst ins Bild gedrängt, sich zum Mittelpunkt der Filmaufnahme gemacht und damit seinen Unterlassungsanspruch verloren? Hatte er wirklich gegen die Kamera geschlagen und sich strafbar gemacht? Oder ist der Verdacht begründbar, dass zuerst das ZDF-Team gegen das KunstUrhG verstoßen hatte? Da solche Verstöße allesamt schadensersatzpflichtig machen und strafbar sind, war es nicht zu beanstanden, dass herbeigerufene Polizeibeamte sich mit dem Fall befassten. 

Dass sie für die Feststellung der Personalien und die Aufnahme von Zeugenaussagen 45 Minuten benötigten, derweil die ZDF-Leute nicht weiterfilmen konnten, reichte den Nachrichtenredakteuren von ARD-aktuell und ZDF-heute aus, einen Eingriff in die Pressefreiheit zu behaupten. Beziehen konnten die Qualitätsjournalisten sich bei ihrer außergerichtlichen Wahrheitsfindung auf volltönende Erklärungen echter “Persönlichkeiten der Zeitgeschichte”. Kanzlerin Merkel fühlte sich während ihres Staatsbesuchs in Georgien zu folgendem Allgemeinplatz angeregt:

Das Demonstrationsrecht muss umfassend gewährleistet werden. Wer auf eine Demonstration geht, muss damit rechnen, dass er dabei auch durch Medien aufgenommen und auch beobachtet wird, also muss es eine freie Arbeit der Journalisten geben.(ebd).

Das war nicht nur als Parteinahme für die ZDF-Mitarbeiter zu verstehen, sondern vermutlich auch als solche gemeint. Merkel zeigte, wie wichtig ihr das Rudel der Hofberichterstatter ist und wie wenig ihr demgegenüber das individuelle Recht eines einzelnen Bürgers gilt. In Berlin meinte Justizministerin Barley, das Sommerloch mit der Forderung füllen zu müssen, die Vorgänge in Sachsen seien “äußerst beunruhigend” und dringend aufzuklären.

Was eigentlich in Dresden Sache war, kann letztlich nur ein Gericht ermitteln und entscheiden. Rechtsstaatliche Gesinnung und die Bereitschaft, sich deshalb mit eigenen Bewertungen zurückzuhalten, ließen hier jedoch alle vermissen: die Politiker ebenso wie die Journalisten.

Am 19. August hieß es vorverurteilend auf tagesschau.de:

Das Ganze habe etwa 45 Minuten (Personalienfeststellung) gedauert. Polizeibeamte hätten sich damit "zur Exekutive der ‘Pegida’-Bewegung" gemacht.

Damit unterschlug tagesschau.de allerdings den Blickwinkel der Gescholtenen. Die Gewerkschaft der Polizei, GdP, erklärte beispielsweise nachvollziehbar:

Die Überprüfung des Fernsehteams hat 45 Minuten gedauert; nicht, weil die Polizei das so wollte, sondern weil die Journalisten und Kameraleute das in die Länge gezogen und sich nicht kooperativ gezeigt haben.

Obwohl der Vorfall sich bereits fast eine Woche zuvor zugetragen hatte, kam ein Zwei-Minuten-Bericht darüber am 23.8.18 auf den jeweiligen Spitzenplatz der Nachrichtensendungen von Tagesschau und Tagesthemen.

"Polizeieinsatz gegen TV-Team" hieß es, und das suggerierte staatliche Repression gegen Journalisten. War sie erwiesen? War den Polizisten begründbar einrechtswidriges oder gar zu nassforsches Vorgehen vorzuwerfen? Nach bis dahin gesicherten Fakten hatten sie nur eine Personalienfeststellung vorgenommen, die gewöhnlich jeder Bürger bei Verdacht von Rechtsverletzungen hinnehmen muss. Auch ZDF-Leute bilden insoweit keine Ausnahme. Trotzdem kommentierte ARD-aktuell, "Es geht auch um die Pressefreiheit".

So wurde ein lokaler Zwischenfall zum Aufmacher in einer 20 Uhr-Tagesschau aufgeblasen, der Hauptausgabe der ARD-aktuell. In eitler Selbstüberhöhung - und unter Verzicht auf jedes vernünftige Maß. Denn am selben Tage hatten Jagdflugzeuge der transatlantisch-saudi-arabischen Koalition im Jemen einen Kleinbus angegriffen und 22 Flüchtlingskinder sowie vier Frauen in den Tod gebombt. Darüber schwieg die Tagesschau.

Es war in diesem Monat bereits das dritte derartige Kriegsverbrechen der USA-geführten Westlichen Werte-Gemeinschaft WWG und ihrer saudischen Blutsäufer. Die Tagesschau aber hatte auch die beiden vorhergehenden verschwiegen. Sie unterschlägt ja eh die allermeisten Nachrichten über die furchtbaren Kriegsverbrechen der westlichen Allianz.

Der öffentlich-rechtliche Gesinnungsjournalismus zeigt immer wieder sein hässliches Gesicht. Chefredakteur Dr. Gniffke und Seinesgleichen sind längst die Maßstäbe des seriösen Journalismus’ abhanden gekommen, sofern sie jemals solche hatten.

Wo ist die Pressefreiheit hierzulande tatsächlich in Gefahr?

In der Ukraine beispielsweise kann von ihr längst nicht mehr die Rede sein. Beleg unter vielen anderen: Der Umgang der Machthaber in Kiew mit dem Journalisten Wyschinsky und seinen Kollegen. Der Generalsekretär der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF), Ricardo Gutierrez erklärte dazu erst jüngst:

Man wirft ihnen vor, über ein Referendum auf der Krim geschrieben zu haben. Aber das ist die Arbeit jedes Journalisten, der sich selbst respektiert. Die Antwort zeigt, dass die Tätigkeit von Wyschinsky den ukrainischen Behörden nicht passte. Deshalb haben sie versucht, ihn des Hochverrats verantwortlich zu machen, und ihn verhaftet.

Kein Wort darüber in der Tagesschau. Ist die Pressefreiheit nur in Deutschland verteidigenswert? Wird sie nicht vielmehr von innen heraus preisgegeben, mit ihr Missbrauch und Schindluder getrieben?

Wie anders ist eine “Redaktionslinie” einzuschätzen, die ausdrücklich die nicht ins transatlantische Weltbild passenden Informationen ausblendet und deren Quellen als unseriös abtut? 

Gelten die Individualrechte eines pöbelnden, skurril in den Nationalfarben ausstaffierten Pegida-Sympathisanten weniger als der Anspruch eines ZDF-Kamerateams, ungehindert seiner Arbeit nachgehen zu können? Spielt es eine Rolle, ob der Pegida-Unterstützer von Beruf LKA-Mitarbeiter, Koch oder Hausmeister eines Nachtklubs ist? Ist es eines Landesinnenministers würdig, sich öffentlich und gefügig beim ZDF für das Vorgehen seiner Polizisten zu entschuldigen, noch ehe von Rechts wegen feststeht, ob denen überhaupt etwas vorzuwerfen war?

Übrigens: Ist ein verletzender Umgang mit der Meinungsäußerungsfreiheit des Einzelnen nicht auch dann schon gegeben, wenn die Redaktion des öffentlich-rechtlichen Internet-Auftritts tagesschau.de bei unliebsamen Themen die Kommentarfunktion blockiert?

Nach welchen Kriterien lässt ARD-aktuell-Chefredakteur Dr. Gniffke die Themen für die Berichterstattung auswählen? In seiner Antwort auf ungezählte Beschwerden über den Tendenzjournalismus der Tagesschau behauptet dieser Mann ohne jegliches Anzeichen von Scham:

Ob und in welchem Umfang über ein Thema berichtet wird, hängt auch davon ab, was sich an dem jeweiligen Tag noch alles ereignet hat. ... Die Relevanz eines Themas ist gewissermaßen relativ und kann nur im Zusammenhang mit anderen tagesaktuellen Themen bewertet werden.

Die Beschwerden eines ZDF-Kamerateams, das sich in Dresden von Polizisten vorübergehend an seiner Arbeit gehindert sah, hatten für ARD-aktuell am 23. August „relative Relevanz“,  das Kriegsverbrechen an 22 Kindern und vier Frauen im Jemen nicht.

So sieht er aus, der deutsche öffentlich-rechtliche Qualitätsjournalismus.

Mehr zum Thema - Dr. Gniffkes Macht um Acht: Das Ukraine-Bild der ARD-Falschmünzer

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Zu den Autoren:

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 im NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1985 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehr- und Forschungsauftrag an der Fu-Jen-Uni in Taipeh.  

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