"Finger weg" - USA und Großbritannien wollen auf dem Balkan vollendete Tatsachen schaffen
von Willy Wimmer
Zuvor sollten allerdings bestimmte in der Region bestehende Streitfragen vertraglich geklärt worden sein. Damit hat die US-amerikanische Botschaft allerdings auch die Frage danach aufgeworfen, was sie das überhaupt angeht oder ob die Europäische Union nicht nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte nur ein Erfüllungsgehilfe der Vereinigten Staaten und Helfershelfer bei der mutwilligen Zerstörung der Bundesrepublik Jugoslawien gewesen sei.
Mit dieser Verlautbarung seitens der amerikanischen Botschaft kommen natürlich Erinnerungen hoch. Auch Gedanken, wonach die angeblichen Verhandlungen zwischen der Republik Serbien, der Europäischen Union und anderen über bestimmte Fragen im westlichen Balkan so gar nicht dem entsprochen haben könnten, was gemeinhin als Verhandlungsprozess angesehen wird. In jeder Verhandlungspause mussten sich der Vertreter der Europäischen Union und andere bei einem in einem Nebenzimmer ebenfalls anwesenden US-amerikanischen Repräsentanten einfinden, um die einzelnen Schritte bei den Gesprächen zu rechtfertigen. Wer genau hinsieht, der stellt diplomatisches Faustrecht und nicht das fest, was man allgemein als diplomatische Verhandlungen ansieht. Dafür wird jetzt Druck erzeugt, um den Herbst zu "fixieren", wie es so salopp wie zutreffend heißt?
Nichts aus Versailles gelernt?
Unter diesen Umständen ist es geradezu zwingend, genauer hinzusehen bei der Frage, wozu Belgrad seine Zustimmung geben soll. Bei jeder gravierenden Entscheidung, von der man als Mensch oder als Nation betroffen ist, stellt sich eine und alles entscheidende Frage: "Kann man damit leben?" Das fragt sich jeder, auch eine Nation, dem oder der etwas abverlangt wird, was man getrost als "einschneidende Maßnahme" bezeichnen kann.
Jeder Mensch und jede Nation muss dazu eine Abwägung vornehmen, die eigenes Verhalten ebenso einbezieht wie das Verhalten Dritter. Wenn dabei dem Gedanken der Fairness entsprochen wird, mag auch eine schwere Last zu tragen sein. Wenn aber von einem Menschen oder einem Volk verlangt wird, auch noch das eigene "Herz" als Nation herauszureißen, kann das weder für das Volk selbst noch für seine Nachbarn gut gehen. Warum sage ich das? Wir stehen kurz davor, an das Ende des Ersten Weltkrieges und den Vertrag von Versailles zu erinnern. Das haben 2017 der französische Präsident Macron und der US-amerikanische Präsident Trump in Paris gleichsam am 14.7.2017 vorweggenommen.
Nach den berühmten "14 Punkten" des damaligen US-amerikanischen Präsidenten Wilson empfanden die Mittelmächte Versailles als Betrug und Diktat und es wurde so das Tor für den nächsten europäischen Krieg aufgestoßen. Wenn man wirklich über Verhandlungen eine Lage befrieden will, darf nicht an die verheerenden Erfahrungen von Versailles angeknüpft werden. Vor allem deshalb, weil Serbien die Zustimmung zu einer Regelung von objektiv bestehenden Streitfragen abverlangt wird, die bei genauer und näherer Betrachtung die Fortsetzung einer Aggression gegen einen Gründungsstaat der Vereinten Nationen, nämlich die Bundesrepublik Jugoslawien, darstellen. Will man eine Nation vollends im Staub sehen?
Wir wissen doch alle, wie es jenen erging, die die deutsche Unterschrift unter Versailles gesetzt haben. Will man das jetzt auf serbischer Seite billigend in Kauf nehmen? Will man wegen künftiger Entwicklungen in Europa schon mal eine Kriegsfackel zur Verfügung haben, die von den heute so üblich gewordenen "Nichtregierungsorganisationen" nach Bedarf gezündet werden kann? Wir dürfen nicht vergessen, womit die Kriege auf dem Balkan unter globalpolitischen Überlegungen seit 1990 gerechtfertigt und angestrebt worden sind. Eine Zustimmung in Belgrad zu dem, was man Belgrad im Grunde aufoktroyiert hat, ist mehr als eine "Operation am offenen Herzen". Damit verlagern diejenigen, die - nach Gerhard Schröder - mit dem Krieg gegen Jugoslawien das Völkerrecht gebrochen haben, ihre Verantwortung für diesen Krieg auf die Schultern jenes Serben, der unter dieses Diktat seine Unterschrift setzt und zerreißen die serbische Nation. Ist genau das gewollt?
Großbritannien entwickelt Torschlusspanik
Es hätte anders gehen können. Man muss danach fragen, warum die Europäische Union infolge ihrer früheren Verantwortung für den Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nicht über ihren Schatten gesprungen ist und das Prinzip "Beitritt nach Unterschrift" nicht in der Reihenfolge "Beitritt und dann Regelung noch offener Fragen" angeboten hat? Unbeschadet der Frage nach dem derzeitigen Zustand der Europäischen Union ist es unbestritten, dass der praktischen Handhabung von Streitfällen durch die Europäische Union eine friedensstiftende Fähigkeit zukommt. Viele Betrachter der Lage auf dem Balkan gehen davon aus, dass sich nach einem EU-Beitritt bestimmter Partner zwar Streitfälle nicht in Luft auflösen, aber nichts mehr sind im Vergleich zu den Problemen von heute.
Man winkt Belgrad mit einer vielschichtigen Fata Morgana und bewirkt in Wirklichkeit nur eine Verschärfung ohnehin zugespitzter Probleme. Wer gegen Jugoslawien einen Krieg mit vom Zaun gebrochen hatte, sollte der serbischen Nation Gerechtigkeit zukommen lassen und nicht an der Überlegung kleben: Beitritt zur Europäischen Union nach Unterschrift.
Warum unter diesen Umständen aber auch noch Zeitdruck? Das ist in Anbetracht einschlägiger Erfahrungen der letzten Jahrzehnte geradezu verräterisch. Damit kommt die Frage auf, wer in den letzten Jahrzehnten die Probleme auf dem Balkan in welcher Weise für sich selbst genutzt hat. Da muß man in erster Linie an Großbritannien denken. Nach dem Urteil deutscher Diplomaten, die mit am Tisch gesessen haben, hatte Großbritannien immer und zuerst die Frage im Blick, welche Auswirkungen vertragliche Regelungen auf dem Balkan in Streitfragen auf die Entwicklung der eigenen Herausforderungen auf den britischen Inseln haben würden? Darum ging es der Regierung in London und weniger um die Lage und den Frieden auf dem Balkan. Resultiert die von den britischen Gesprächspartnern vermittelte Eilbedürftigkeit in Sachen Balkan nur aus dem Umstand, dass im Herbst London die EU so oder so verlässt und dabei jede Mitsprache auf Seiten der EU in Balkan-Angelegenheiten verliert? Das hätte man sich in London eben anders überlegen sollen. Aber warum verlangt man von Belgrad, den Preis dafür zu zahlen, dass London nicht mehr in der EU mitspielen will?
Rumänien liefert ein abschreckendes Beispiel
Es war aber nicht nur Großbritannien alleine, das sich für seine höchst eigenwilligen Überlegungen auf dem Balkan engagiert hat. Die berühmten Spatzen haben es von den Dächern gepfiffen, dass eine nahöstliche Friedensregelung, die diesen Namen auch verdient, eine Reservefläche auf dem Balkan benötigt. Der amerikanische Präsident Trump arbeitet mit Hochdruck an dieser Regelung, aber niemand kann heute sagen, welchen Handlungsspielraum ebendieser Präsident nach den Zwischenwahlen in USA im November 2018 überhaupt noch haben wird. In Washington werden Kübel von Hass und Feindschaft über einen Präsidenten ausgekippt, der "droht", sich mit der Russischen Föderation auch im Nahen Osten zugunsten einer Friedenslösung zu verständigen. Krieg geht in Washington anscheinend immer, für Verständigung geht man hingegen ein tödliches Risiko ein. Aber soll Belgrad dafür in Haftung genommen werden? Ob die US-Botschaft in Belgrad das weiß? Oder ob sie mal ins Nachbarland Serbiens, nach Rumänien blickt, wo sich ein Mitgliedsland der Europäischen Union gegenwärtig geradezu zerlegt? Ist das die Verheißung für Serbien? Nein, bedenkt man all dies, kann man nur mahnen: "Finger weg!"
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