Stationieren die USA nukleare Mittelstreckenraketen in Rumänien? (Teil 3)
von Rainer Rupp
Die mögliche Existenz US-amerikanischer "ballistischer Raketen" auf der südrumänischen Basis Deveselu zielt auf die Außerkraftsetzung der MAD-Doktrin ab, der "gesicherten gegenseitigen Zerstörung". Die Erkenntnis, "wer in einem nuklearen Krieg zuerst schießt, stirbt ganz sicher als Zweiter", hatte trotz eines prekären atomaren Gleichgewichts der Kräfte im Kalten Krieg über Jahrzehnte den Frieden gesichert. Diese US-Alleingänge behindernde Stabilität soll durch den Aufbau der US-Fähigkeiten zu einem nuklearen Enthauptungsschlag gegen Russland unterlaufen werden.
Durch die blitzartige Zerstörung seiner zivilen und militärischen Kommando-, Kontroll- und Kommunikationszentren soll Russland nicht mehr in der Lage sein, einen massiven Vergeltungsschlag zu führen. Vereinzelte doch noch abgeschossene russische Atomraketen könnten durch tief gestaffelte US-Abfangsysteme wie Aegis abgeschossen werden.
Wörtlich schreiben die beiden oben (in Teil II; Anm. d. Red.) zitierten Experten der Nuklearkriegsführung an der US-Luftwaffenuniversität, die Professoren Keir A. Leiber und Daryl G. Press, dass sie aufgrund der Faktenlage zu dem Schluss gekommen seien, "dass die Vereinigten Staaten absichtlich das Ziel des 'strategischen Primats' (Vorherrschaft) verfolgen". Die USA arbeiteten daran, "die Fähigkeit zu erlangen, die Kernwaffen (sowie andere Massenvernichtungswaffen) des Gegners auszuschalten".
Weiter führen die Experten aus, dass bei diesen Plänen die US-Atomwaffen "nur ein Mittel in einer ganzen Palette anderer Instrumente zur Erreichung dieses Ziels sind. Tatsächlich umfassen die Bemühungen, die strategischen Streitkräfte des Gegners zu neutralisieren, also die Herstellung der strategischen Vorherrschaft zu erreichen, neben nuklearen Angriffskapazitäten fast jeden anderen Bereich der modernen Kriegführung: von der Raketenabwehr über U-Boot-Bekämpfung, über Spionage-, Überwachungs- und Erkennungssysteme bis hin zu offensiver Cyber-Kriegführung und konventionellen Präzisionsschlägen über lange Distanzen", so die beiden Professoren.
Mehr zum Thema - Atomwaffen gegen Cyberangriffe? Pentagon präsentiert neue Nukleardoktrin
Zu Recht hegen vor diesem Hintergrund russische Strategen die Befürchtung, dass die USA mit dem Aufbau von Aegis und ähnlichen Systemen zu Land und zur See rund um Russland das Ziel verfolgen, ein zuverlässiges System zum Abfangen ballistischer Raketen (im Fachjargon "Counter Force") zu installieren, womit Moskaus nukleare Abschreckung neutralisiert werden soll.
Deshalb sollten wir uns jetzt die von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg als so harmlos dargestellte Aegis-Technologie, die auf der rumänischen US-Raketenbasis Deveselu stationiert ist, doch etwas näher anschauen: Sowohl bei den See- als auch bei den landgestützten Aegis-Systemen werden die Raketen aus den kanisterförmigen Startvorrichtungen des Typs MK 41 von Lockheed Martin im Senkrechtstart abgeschossen, das heißt, aus vertikalen Rohren. Die senkrechten MK-41-Kanister stehen geschützt entweder im Bauch eines Schiffes oder zu Land in Bunkern. Jeder Kanister hat acht Zellen mit je einer Rakete, die im Schnellfeuer nacheinander abgeschossen werden können.
Für den sogenannten Anti-Raketen-Schutzschild, also zur Bekämpfung ballistischer Raketen, werden die Rohre der MK-41-Kanister mit der "Standard Missile" SM 2 oder SM 3 bestückt. Das MK-41-Abschusssystem kann jedoch noch viel mehr, aber darüber findet man in öffentlich zugänglichen NATO-Quellen nichts. Auf der Webseite des Herstellers des MK-41-Systems, also des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin, findet man jedoch des Rätsels Lösung.
Bei der Beschreibung der technischen Charakteristika betont Lockheed Martin stolz, dass von den MK-41-Kanistern, egal ob auf Aegis-Schiffen oder zu Land - wobei die Basis im rumänischen Deveselu namentlich erwähnt wird -, "Raketen für jede Mission abgeschossen werden können: Anti-Luft, Anti-Schiff, Anti-U-Boot und Angriffsraketen gegen Bodenziele". Jedes Startrohr sei "anpassungsfähig an jede Rakete, egal ob es sich dabei um die längeren vom Typ der 'Standard Missile 3' (gegen ballistische Raketen) oder um 'Tomahawk' (gegen Bodenziele) handelt".
Bei der Erwähnung der Tomahawk Cruise Missile im Zusammenhang mit Deveselu hätten in allen europäischen Hauptstädten längst die Alarmglocken schrillen müssen. Nicht nur, weil es sich dabei eindeutig um eine mit nuklearem Gefechtskopf bestückbare, hochgefährliche Angriffswaffe handelt, sondern vor allem, weil die Tomahawk Cruise Missiles als sogenannte "atomare Mittelstreckenrakete" im Rahmen des INF-Vertrags auf europäischem Boden verboten sind!
Mehr zum Thema - 30 Jahre INF-Vertrag: Die ungewisse Zukunft eines Abkommens, das den Atomkrieg in Europa verhinderte
Zur Festschreibung der sogenannten "doppelten Nulllösung" zur Stabilisierung der nuklearen Gleichgewichts zwischen den beiden Machtblöcken NATO und Warschauer Pakt war der INF-Vertrag 1987 von US-Präsident Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow unterzeichnen worden. Ein Jahr danach ist der Vertrag in Kraft getreten, und er gilt bis heute als Meilenstein in der Entspannungspolitik, denn er hat die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis 5.000 Kilometern in Europa verboten. Zu diesen verbotenen Waffen gehört namentlich auch die Tomahawk Cruise Missile.
Unabhängig davon, ob der rumänische Kriegsminister Fifor sich bezüglich der Existenz von gegen Russland gerichteten "ballistischen Raketen" auf der US-Basis Deveselu versprochen oder ungewollt die Wahrheit gesagt hat, allein mit der nachgewiesenen und unbestrittenen Existenz der MK-41-Abschussvorrichtungen für die laut INF-Vertrag verbotene, nuklear bestückbare Tomahawk-Mittelstreckenrakete liegt bereits ein klarer INF-Vertragsbruch vor, der bisher leider von keiner Regierung eines europäischen NATO-Mitglieds thematisiert wurde.
Kann man den Amerikanern glauben, dass sie in Deveselu nur Abwehrraketen haben? Die menschliche Erfahrung zeigt, insbesondere beim Militär, dass alles, was technisch möglich ist, auch gemacht wird, vor allem, wenn es ohne Aufwand geht. Und wer will dem Pentagon angesichts seiner in der Vergangenheit gezeigten "Wahrheitsliebe" und Gesetzestreue auch nur noch ein Wort glauben? Und genau deshalb wären Inspektionen vor Ort in Deveselu dringend nötig, um zu klären, ob dort Tomahawks gelagert sind. Aber Überprüfungen seiner Raketenanlagen lässt das Pentagon nicht zu, nicht durch die NATO-Verbündeten und schon gar nicht durch die Russen.
Der zunehmenden Kritik Russlands an der US-Raketenaufrüstung in Osteuropa und den Verstößen gegen den INF-Vertrag begegnet Washington mit einem alten aber immer noch wirksamen Trick: Der Dieb schreit "Haltet den Dieb" und zeigt mit dem Finger auf den anderen. So beschuldigte Washington Moskau in den letzten 18 Monaten zunehmend, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen, ohne aber auch nur irgendwelche konkreten Hinweise, geschweige denn Beweise vorgelegt zu haben.
Aber wenn Russland auf die Aegis-Provokation der USA und der NATO in Rumänien und Polen angemessen reagiert, wird Moskau von unseren US-hörigen Politikern und ihren Pressituierten in den "Qualitätsmedien" als der alleinschuldige Bösewicht dargestellt. Der INF-Vertrag ist daher enorm gefährdet.
(Teil I und II können Sie hier beziehungswiese hier nachlesen)
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.