Meinung

Vom Spiegel hofiert: Ursula von der Leyen auf dem Weg ins Kanzleramt?

Ursula von der Leyen wird vom Spiegel interviewt. Und wie: Das Interview verläuft ungewöhnlich harmonisch, es gibt freundliche Fragen, schöne Fotos und sogar Kuchen. Soll die Ministerin hier etwa als potenzielle Kanzlerin in Stellung gebracht werden?
Vom Spiegel hofiert: Ursula von der Leyen auf dem Weg ins Kanzleramt?© Screenshot Spiegel.de

von Andreas Richter

In der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins Der Spiegel findet sich ein Interview mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, das auf dem ersten Blick ganz gewöhnlich wirkt. Auf den zweiten Blick fallen die für den Spiegel sehr handzahmen Fragen auf, auf den dritten die Fotos: von der Leyen lächelnd mit den Interviewern in Bayreuth, von der Leyen lächelnd hinter einem Schokokuchen, den sie selbst wahrscheinlich gar nicht angerührt hat.

Doch blicken wir zunächst auf den Inhalt des Interviews. Da bringt die Ministerin zunächst wenig Neues oder Unerwartetes. Vom Spiegel einfühlsam nach ihren Erfahrungen beim NATO-Gipfel mit US-Präsident Donald Trump befragt, kommt das erwartbare westliche Standardnarrativ: Trump böse oder unfähig, NATO gut, Russen böse, Bundeswehr wird aufgerüstet. Keine kritischen Fragen vom Spiegel - auch nicht zu den Rüstungsskandalen oder der von der Ministerin geplanten Privatisierung der Heeresinstandsetzung, die das Magazin noch im Juni scharf kritisiert hatte.

In der Folge huldigt der Spiegel der Ministerin:

Sie haben in Ihrer Zeit als Familienministerin traditionelle Männerrollen massiv infrage gestellt, die Elternzeit auch für Väter war Ihre Erfindung…

Den Weg der Modernisierung einer konservativen Partei sind Sie gemeinsam mit Angela Merkel gegangen. Merkel hat im Laufe der vergangenen 13 Jahre einen vernunftbetonten Regierungsstil entwickelt, ist jetzt aber konfrontiert mit Männern, die eine emotionale Politik betreiben… Hat sich der Regierungsstil Merkels überlebt?

Von der Leyen darf sich dann über Geschlechterrollen in Zeiten der Globalisierung auslassen, Merkels "vernunftbetonten" Führungsstil loben und am Ende den angeblich wiederhergestellten Zusammenhalt in der Union betonen:

Unsere Kunst in der Union war es immer, mehrere Richtungen zusammenzuhalten. Das ist uns im Streit entglitten in den letzten Wochen. Wir haben in der Union alle verstanden, dass der Bogen überspannt war.

Auch wenn an keiner Stelle dieses Interviews über die künftige Karriere von der Leyens gesprochen wird, hat man nach der Lektüre des Interviews den Eindruck, dass sie hier für höhere Aufgaben empfohlen wird. Die Fragen der Spiegel-Redakteure sprechen für sich, bei den Antworten hat man den Eindruck, dass die Ministerin immer auch sich selber meint, wenn sie die Frauen allgemein und Merkel im Besonderen lobt. Wie ist das zu verstehen?

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Angela Merkel ist angeschlagen, ihr Rückhalt im Land und in der eigenen Fraktion schwindet. Der Spiegel hatte Ende Juni eine Merkel-Raute als Sanduhr im Titelbild. In diesen Tagen ist Merkel erstmals gänzlich abgetaucht, ohne dass das vernünftig begründet wird. Es liegt auf der Hand, dass hinter den Kulissen nach möglichen Nachfolgern gesucht wird.

Der Ehrgeiz von Ursula von der Leyen ist legendär. Seit Jahren wird sie für höhere Ämter gehandelt, vor Jahren für das des Bundespräsidenten, gegenwärtig wird spekuliert, sie könnte Nachfolgerin Jean-Claude Junckers an der Spitze der EU-Kommission werden. Doch diese Personalentscheidung fällt nicht vor 2019, bis dahin kann viel passieren, und das Kanzleramt entspräche ihrem Ehrgeiz sicherlich eher.

Der Streit in der Union ist alles andere als gelöst. Anders als von der Leyen hier behauptet, verschärft sich der Konflikt sogar noch, auch eine Spaltung ist weiterhin möglich. Die Koalition mit der SPD steht auf wackligen Beinen. Jederzeit kann es zu einer neuen Regierungskrise kommen.

In ihrer Partei ist von der Leyen nicht sonderlich beliebt. In der Flüchtlingsfrage unterstützte sie anfangs Merkel, hielt sich in der Folge bei diesem Thema aber zurück. Ihre Aussagen im Spiegel können als Angebot verstanden werden, als mögliche Chefin stärker für einen Ausgleich zu sorgen, als es Merkel überhaupt noch möglich ist.

Die Union ist geschwächt, doch liegt sie in den Umfragen immer noch zehn Prozent vor dem Zweitplatzierten. Bleibt die Union zusammen, ist es wahrscheinlich, dass sie auch in einer neuen Regierung den Kanzler stellt.

Hier liegt nun von der Leyens Chance. Mögliche Rivalen sind geschwächt. Gesundheitsminister Jens Spahn wird sogar von der ihm gewogenen Welt als "Enttäuschung" bezeichnet, CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Merkels mutmaßliche Wunschnachfolgerin, scheint sich in den innerparteilichen Gräben zu verlieren.

Der Spiegel wenigstens kann sich Ursula von der Leyen anscheinend gut als Kanzlerin vorstellen. Vielleicht muss sie nur abwarten und auf das Ausbleiben neuer Rüstungsskandale hoffen, dann könnte es auf sie als Kanzlerin hinauslaufen. Es gäbe wenig Gründe, von einer solchen Entwicklung begeistert zu sein, andererseits: Wo sind die Alternativen?

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