Meinung

Anmerkungen aus linker, queerer Sicht zum offenen Brief des LSVD an Sahra Wagenknecht

Im Springerblatt "Die Welt" wurde von der Fraktionsvorsitzenden der Partei "Die Linke” Sahra Wagenknecht ein Beitrag zu ihrem Vorhaben einer linken Sammlungsbewegung publiziert. Beim Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) stieß der auf großen Widerstand.
Anmerkungen aus linker, queerer Sicht zum offenen Brief des LSVD an Sahra Wagenknecht Quelle: www.globallookpress.com

von Gert Ewen Ungar

Die Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke Sahra Wagenknecht umreißt auch im Springerblatt Die Welt einmal mehr ihr Vorhaben der Gründung einer linken Sammlungsbewegung. Der Bundesvorstand des LSVD fordert nun von den Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger in einem offenen Brief, der wohl eher an Wagenknecht adressiert ist, sich von der Position Wagenknechts zu distanzieren. Nach Auffassung des LSVD befördert Wagenknecht mit ihrer Position Homo- und Transphobie.

Die Argumentation des LSVD ist bezeichnend für eine Schieflage in der Diskussion um Minderheitenrechte. Sie verdient deshalb Aufmerksamkeit, weil darin auch die Instrumentalisierung von LGBT im Rahmen einer umfassenderen Ideologie deutlich wird.

Im Zentrum der Kritik des LSVD steht folgende Passage Wagenknechts:

Und sie alle haben diesem Uralt-Liberalismus, der aus der Zeit vor der Entstehung moderner Sozialstaaten stammt, die glitzernde Hülle linksliberaler Werte übergestreift, um ihm ein Image von Modernität, ja moralischer Integrität zu geben. Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz sind das Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten.
Und es widerspricht sich ja nicht: Ehe für alle und sozialer Aufstieg für wenige, Frauenquote in Aufsichtsräten und Niedriglöhne dort, wo vor allem Frauen arbeiten, staatlich bezahlte Antidiskriminierungsbeauftragte und staatlich verursachte Zunahme von Kinderarmut in Einwandererfamilien.

Der LSVD deutet diesen Passus dahingehend, dass Wagenknecht Minderheiten gegeneinander ausspielt.

Dass Wagenknecht mit ihrer Beschreibung der Zustände im neoliberalen Deutschland einen wunden Punkt trifft, wird an der harschen Reaktion des LSVD deutlich, der reflexartig zur Homophobie-Keule greift.

Im Antwortschreiben des LSVD heißt es:

Es muss der Eindruck entstehen, dass ein arbeitsloser oder von Armut betroffener (heterosexueller, weißer) Mensch nach dem Lesen Ihres Textes denken soll: 'Mir geht’s schlecht, die Politik macht nichts für mich, aber für die Lesben und Schwulen, für die Minderheiten, da kümmern sich die politischen Parteien.' Das ist gefährlich und der Vorwurf berechtigt, dass Sie damit Homophobie schüren oder legitimieren.

Das Gefährliche daran ist allerdings nicht die Behauptung Wagenknechts, es sei so, sondern die Tatsache, dass es natürlich genau so ist. Die Gesetzesprojekte der letzten Dekaden brachten insbesondere von Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit Betroffene beständig weiter unter Druck, während gleichzeitig mit der gesetzlichen Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme die berechtigte Angst der Mittelschicht, im Falle der Abnahme der eigenen Leistungsfähigkeit gesellschaftlich unmittelbar degradiert zu werden, beständig geschürt wurde.

Begleitet wurde dieser Prozess von juristischen und gesellschaftlichen Liberalisierungen gegenüber Schwulen und Lesben. Gleichzeitig wird andererseits im Schatten dieser Liberalisierung seit Jahren das Sexualstrafrecht mit dem vorgeblichen Ziel des Opferschutzes beständig verschärft. Wie man allerdings mit dem Strafrecht Opfer schützen kann, darauf wurde von den Befürwortern von Freierbestrafung und der Erhöhung des Schutzalters bisher keine befriedigende Antwort geliefert.

Sonst auf Antidiskriminierung bedacht, wird diese Diskriminierung im LGBT-Diskurs völlig ausgeklammert.

Es entsteht also nur nicht der Eindruck, sondern es ist tatsächlich so, dass "die Politik" für einen arbeitslosen, armen Menschen nichts tut, während sie gleichzeitig Schwule und Lesben rechtlich aufwertet, um sich damit als modern, tolerant und weltoffen zu inszenieren.

Es gibt diese deutliche Schieflage. Wer, wie der LSVD, nicht begreift, dass solch eine Schieflage höchst gefährlich ist und - bei aller Mahnung zur Toleranz - zu einer Zunahme von Ressentiments führt, hat das kleine Einmaleins gesellschaftlicher Dynamik nicht verstanden. Der LSVD beklagt zwar die Zunahme von Hass-Kriminalität gegenüber Lesben, Schwulen und Transpersonen, verweigert aber die Einsicht in die größeren gesellschaftlichen Zusammenhänge.

Die Fixierung der eigenen, seit Dekaden gepflegten und selten überdachten Position übersieht der LSVD geflissentlich und vermutlich auch mit voller Absicht.

Der LSVD und die ihm angegliederten LGBT-Organisationen lösen die Debatte um Antidiskriminierung und Gleichstellung aus ihrem eigentlichen gesamtgesellschaftlichen Rahmen und erklären sie zum Selbstzweck. Dadurch verkommt die Diskussion jedoch zur Lifestyle-Debatte - da hat Wagenknecht völlig recht. Obendrein, und auch da hat Wagenknecht völlig recht, wird sie damit sogar gleichfalls zu einem Instrument der Aufspaltung und Teilung von Gesellschaft.

Es muss daher klar benannt werden: Nicht Wagenknecht betreibt die Spaltung der Gesellschaft, sondern Organisationen wie der LSVD, die politisch verkürzt argumentieren, indem sie Minderheitenschutz gegenüber der Gesellschaft durchsetzen wollen und nicht zusammen mit ihr.

Das zentrale Missverständnis: Antidiskriminierung und Gleichberechtigung sind keine Werte an sich. Sie können nur in ein größeres Versprechen eingebettet verstanden werden. Das große Versprechen linker, emanzipatorischer Bewegung ist, dass dadurch nicht die Freiheit einzelner Gruppen, sondern die Freiheit aller zunimmt. Die emanzipatorischen Bewegungen sind solidarische Bewegungen, die den Aspekt von Antidiskriminierung und Minderheitenschutz immer zusammen mit Ökonomie und Teilhabe denken und denken müssen. Der LSVD und große Teile der deutschen LGBT-Bewegung verweigern sich genau diesem Denken und bestehen auf Ausweitung "ihrer" Rechte als ein Selbstzweck an sich. Das ist gefährlich, denn auch das treibt die Spaltung von Gesellschaft voran.

Dieses Einfordern von Respekt und Toleranz bei gleichzeitiger Verweigerung von Solidarität gegenüber den (weißen, heterosexuellen) Opfern des Neoliberalismus ist nicht links, sondern folgt vielmehr der Logik neoliberalen Denkens, nämlich der größtmöglichen Konkurrenz von Gruppen und Individuen untereinander. Es ist ganz einfach Lobbyismus auf Ebene der Individuen.

Und das ist der eigentliche Punkt: Die selektive Art, wie in Deutschland über Rechte von Schwulen und Lesben gesprochen wird, ist neoliberal, denn so wird Gesellschaft unterteilt, so werden Gruppen und Untergruppen gegeneinander in Stellung gebracht, die eigentlich eines eint: Ihr Ausgeliefertsein an einen genau zu diesem Zweck der Unterteilung absichtsvoll entfesselten Marktradikalismus.

Um ein Beispiel zu geben: Der Berliner CSD, die Gay Pride der Hauptstadt hat die Jugendorganisation der AfD ausgeladen und auch in den kommenden Jahren für unerwünscht erklärt. Dies mit dem Hinweis auf das CSD-Forum, das die Pride veranstaltet:

Die Teilnehmenden am CSD Berlin stehen für ein Klima der Akzeptanz in unserer Gesellschaft – für eine Kultur, die Geflüchtete willkommen heißt. Menschen und Organisationen, die versuchen, ein Klima der Angst und Ausgrenzung zu schaffen, wie es AfD, BERGIDA und NPD tun, sind beim CSD nicht willkommen.

Die Paradoxie, eine Form der Ausgrenzung dadurch bekämpfen zu wollen, indem man andere ausgrenzt, entgeht sowohl dem LSVD als auch den Veranstaltern. Aber genau hier liegt das Problem. Und genau hier wird sichtbar, wie sehr die LGBT-Bewegung zu einem Lifestyle-Projekt verkommen ist, das den politischen Diskurs gar nicht mehr sucht, sondern nur noch verweigert.

Antidiskriminierung, Antirassismus, Demokratie, all dies ergibt nur dann einen Sinn, wenn sie universell sind. Sie müssen daher auch umfassend gedacht werden. Entsprechend muss die alle Bürger determinierende ökonomische Ordnung mitbedacht werden. Von dieser Erkenntnis ist die Hauptströmung der LGBT-Bewegung in Deutschland derzeit weit entfernt. Der LSVD ist eben derzeit keinesfalls eine der Emanzipation aller verpflichtete "linke" Organisation, sondern eine neoliberale Lobbyorganisation.

Fokussiert auf den eigenen Bauchnabel, auf eigenen Be- und Empfindlichkeiten, verfehlte der LSVD regelmäßig, zu zentralen politischen Themen Stellung zu beziehen. NATO-Osterweiterung: kein Thema, internationale Handelsabkommen: kein Thema, Bruch des Völkerrechts und militärische Interventionen: kein Thema. Im Gegenteil stimmen westliche LGBT-Organisationen wie der LSVD der zunehmenden Militarisierung zu, sofern sie LGBT-freundlich ausgestaltet wird, sofern Schwulen, Lesben und Transmenschen der Zugang zum Beruf des Söldners nicht verwehrt wird. Darüber hinaus waren sowohl der LSVD als auch zahlreiche ihm nahestehende LGBT-Organisationen maßgeblich mitbeteiligt als antreibende Kraft einer zunehmenden Aggressivität Deutschlands gegenüber Russland. Nämlich auch, indem ein völlig verzerrtes Bild von LGBT in Russland verbreitet wurde, häufig auch einfach die Unwahrheit behauptet wurde.

Ideologisch trägt die durch den LSVD vertretene LGBT-Bewegung mit ihrer schlafwandlerischen Fokussierung auf sich selbst auch Mitverantwortung für die durch westliche Aggression entstandenen Flüchtlingsströme. Vergebens sucht man beim LSVD den so dringend nötigen Protest gegen Militarisierung, gegen Bruch des Völkerrechts in ungezählten Fällen und gegen unfaire internationale Handelsabkommen.

Jetzt sucht die LGBT-Bewegung mit Geflüchteten den Schulterschluss gegen rechte Parteien. Das ist an Zynismus oder Blauäugigkeit schwer zu überbieten.

Mit der Ausklammerung ökonomischer, geo- und friedenspolitischer Themen, ist die LGBT-Bewegung Teil dieses Rechtsrutsches, der in den letzten Dekaden die Republik deutlich verschoben hat.

Es ist daher dringend nötig, die LGBT-Diskussion wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. In den Forderungen muss sich die gesamte Gesellschaft wiederfinden. Ansonsten dienen die politische Forderungen nicht der Überwindung von Gegensätzen, sondern sind bloße Forderung nach Privilegierung. Sie festigen damit die Barrieren und Grenzen, die die Gesellschaft durchziehen, statt zu helfen sie aufzubrechen.

Das Verbindende aber, das alle unterschiedlichen Gruppen oder Gruppierungen eint, ist die Wirtschaftsordnung, in die sie eingebettet sind. Und genau das klammert der LSVD regelmäßig aus.

Es wäre hilfreich, wenn eine tiefere Einsicht in der LGBT-Community selbst erwachsen würden, sich nicht losgelöst, abgetrennt von einer Art heterosexueller "Rest-Gesellschaft" wahrnehmen zu wollen. Wenn sie wieder zu einem Begriff der Solidarität finden würde, der wortwörtlich fest verbindet und nicht spaltet. Das würde sie auch zukunftsfest machen. In ihrer jetzigen Ausprägung wird sie mit dem absehbaren Ende der EU, die für dieses scheiternde marktradikale Modell steht, und dem Auseinanderbrechen "des Westens" ebenfalls untergehen. Die LGBT-Community braucht dringend eine Besinnung, einen kräftigen Schwenk nach links, hin zu Solidarität und Überwindung des Denkens in Einzelinteressen.

Dann wäre sie sogar ein wichtiger Teil einer linken Sammlungsbewegung im Sinne Wagenknechts. In ihrem jetzigen Zustand ist sie leider lediglich ein Instrument zur Durchsetzung neoliberaler Interessen, ob bewusst oder unbewusst.

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