
Özil, Gündoğan, Erdoğan, Merkel: Wer von euch ohne Sünde ist, schieße als Erster einen Ball

von Timo Kirez
Deutschland in Aufruhr: Was erlauben Mesut Özil und İlkay Gündoğan? Die beiden deutschen Nationalspieler wagten es tatsächlich, dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan ein Trikot ihres jeweiligen Vereins zu schenken (mit Widmung - sic!) und sich sogar mit ihm fotografieren zu lassen. Und sie lächelten gar dabei - das geht natürlich gar nicht, meinte daraufhin der Posterboy aller in Deutschland lebenden Türken in Sachen Integration, Grünen-Politiker Cem Özdemir.

Haben Özil und Gündogan nun fertig? Keineswegs. Zum Glück nominierte der weise Jogi "Yoda" Löw die beiden am Dienstag in seinen vorläufigen Kader für die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Jedoch nicht ohne Kritik zu üben: "Viel zu lernen die beiden noch haben!"
Gündogan, der unter Fußballkennern nicht nur wegen seines durchdachten Passspiels fast als Intellektueller durchgeht, versuchte im Nachhinein den Ball wieder flach zu halten.
Man habe den Präsidenten auf einer Veranstaltung einer türkischen Stiftung getroffen. "Aus Rücksicht vor den derzeit schwierigen Beziehungen unserer beiden Länder haben wir darüber nicht über unsere sozialen Kanäle gepostet", so Gündogan. "Aber sollten wir uns gegenüber dem Präsidenten des Heimatlandes unserer Familien unhöflich verhalten? Bei aller berechtigten Kritik haben wir uns aus Respekt vor dem Amt des Präsidenten und unseren türkischen Wurzeln – auch als deutsche Staatsbürger – für die Geste der Höflichkeit entschieden."

Alles nur faule Ausreden, waren sich die sogenannten "Berufs-Experten" schnell einig. Die beiden, Gündogan und Özil, gehörten aus der Nationalmannschaft rausgeschmissen. Ein deutscher Nationalspieler hat gefälligst nicht höflich zu sein. Nein, sie hätten Erdoğan mit einer Blutgrätsche das Schienbein brechen sollen, als sie die Gelegenheit dazu hatten. Oder zumindest ein kleiner Rempler oder Schubser hätte dringelegen - ein Jammer, die Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder.
Der Deutsche Fußball Bund (DFB) in Person von Präsident Reinhard Grindel philosophierte anschliessend darüber, dass der DFB für Werte stehe, die von Herrn Erdoğan "nicht hinreichend beachtet" würden. Deshalb sei es nicht gut, dass sich "unsere Nationalspieler für seine Wahlkampfmanöver missbrauchen lassen".
Welche Werte Grindel da genau meinte, blieb im Dunkeln. Sicherlich meinte er nicht die systematische Vertuschung von dubiosen Geschäften im Zusammenhang mit der Vergabe der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, wie interne Ermittlungen im Jahr 2016 ergaben. Er meinte vermutlich auch nicht die mysteriöse 6,7-Millionen-Euro-Zahlung der deutschen WM-Macher an den - in Punkto Menschenrechte vorbildlichen - Staat Katar.
Dem früheren FIFA-Vizepräsidenten Mohamed Bin Hammam war das Geld 2002 diskret über Franz Beckenbauer und den früheren Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus zugeflossen. Wofür, weiß man bis heute nicht so genau. Aber man bekommt schon eine leise Ahnung davon, was der DFB, und natürlich auch die FIFA, so unter Werten verstehen könnte.
Nachdem sich Experten und Politiker aller Couleur über die "Causa Gündoğan, Özil und Erdoğan" zu genüge ausgelassen hatten, tauchte plötzlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am Spielfeldrand auf. Sozusagen als Joker. Über ihren medialen Wasserträger (im Fußball bezeichnet man als Wasserträger Spieler, die den Stars der Mannschaft die Defensivarbeit abnehmen) ließ sie verlautbaren, dass die Angelegenheit mit den beiden deutschen Nationalspielern eine Situation gewesen sei, "die Fragen aufwarf und zu Missverständnissen einlud", so Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Als Nationalspieler hätten die beiden Vorbildfunktion.
Gerade der letzte Satz ist buchstäblich eine journalistische Steilvorlage. Wer im Hinblick auf das Verhältnis zu Erdoğan von "Vorbildfunktion" spricht, ist gut beraten, erst einmal vor dem eigenen Strafraum zu kehren. Es sei zum Beispiel daran erinnert, dass es Merkel war, die sich im Oktober 2015 nicht zu schade war, Wahlkampfhilfe für Erdoğan zu leisten:
Allein schon aufgrund seines bemerkenswerten Timings wird dieser Merkel-Besuch sowohl von Anhängern wie auch von Kritikern der Politik des türkischen Präsidenten als klares Statement begriffen werden: als ein Akt, der Recep Tayyip Erdoğan den Rücken stärkt“, schrieb die SüddeutscheZeitung damals.
Noch ein anderer Widerspruch belegt die offenkundige Scheinheiligkeit von Merkels Äußerungen: Die Bundesregierung bewilligte noch bis in den Januar 2018 hinein umfangreiche Rüstungsexporte in die Türkei. Das ging aus der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums an den Linken-Abgeordneten Stefan Liebich hervor. Und das obwohl die Bundesregierung im Zusammenhang mit Verhaftungen in der Türkei im Sommer 2017 eine "Neuausrichtung der Türkei-Politik" bekannt gegeben hatte.
Über den Flüchtlingsdeal mit Erdoğan, welcher der Türkei Milliarden einbringt, ganz zu schweigen. Merke: Nur Biodeutsche dürfen mit Erdoğan kuscheln. Doch "Mund abputzen und weitermachen", wie Torwart-Titan Oliver Kahn einmal sagte.
Denn wenn am 15. Juli 2018 im Olympiastadion Luschniki Gündoğan wieder einmal einen genialen Schnittstellen-Pass auf Özil spielt, und dieser mit einem eleganten Heber den gegnerischen Torhüter überlistet und Deutschland seinen Titel verteidigt, wird die ganze Geschichte mit Erdoğan vergessen sein. Alles wird wieder so sein wie immer. Die Fans werden feiern, die AfD-Politiker Gauland und Weidel werden seltsame Tweets verfassen und hinterher behaupten, dass sie es gar nicht so gemeint haben. Alles wie gehabt.
Denn es hätte auch deutlich schlimmer für Gündoğan und Özil ausgehen können - hätten sie das Bild mit Putin gemacht.
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