Facebook-Datenaffäre: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe
von Reinhard Werner
"Eine Wählermaschine, die reibungslos, unauffällig und schonungslos effizient arbeitet" war es, gegen die am Ende kein Kraut gewachsen war, so das Fazit des britischen Guardian. Die Zeit wusste ehrfürchtig von Datenspezialisten zu berichten, die "seit Jahrzehnten statistische Daten auswerten" und auch neue Quellen erschließen sollten, wobei "Facebook für sie eine wahre Fundgrube" sei.
Schon damals war der Zeitung klar:
Eines der wichtigsten Mittel im US-Wahlkampf ist die Statistik. Wer gewinnen will, muss seine Wähler in jedem Bundesstaat genau kennen. Ohne gute Statistiken wird niemand Präsident.
Gerade deshalb aber, erfuhr man im Interview eines eingeweihten Politikberaters mit der Tagesschau, sei es "nicht klug, die Daten, die zur Verfügung stehen, nicht zu nutzen". Effektive Kampagnen basierten schließlich auf Zahlen, nicht auf dem Bauchgefühl des Kampagnenmanagers.
Deshalb habe die Kampagne
eine hochgradig analytische und zahlengetriebene Organisationskultur etabliert, die ständig die Effektivität sämtlicher Maßnahmen gemessen und optimiert hat. Welche Argumente überzeugen? Welche Inhalte werden auf der Webseite am häufigsten geklickt? Welche Newsletter-Betreffzeile wird von den meisten Empfängern geöffnet? Welche Botschaften teilen Unterstützer am häufigsten auf Facebook? Das gilt für alle Aspekte, egal ob das offline, online, Print oder TV ist.
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Eine Facebook-App zu entwickeln, um den Wahlkampf darauf aufzubauen, war entsprechend ein naheliegender Gedanke. Deutsche Parteien, so der Kampagnenmanager, könnten davon noch viel lernen.
Man gab auch die Daten der Freunde preis – ohne diese einzuweihen
Das Clevere an diesem innovativen Datenprodukt war, dass die App, sofern der Nutzer zustimmte, nicht nur Zugang zu dessen eigenem Profil erlangte, sondern auch zu dessen Freundesliste und deren biografischen Informationen. Da auch Tags, die sich auf Ereignisse in der gemeinsamen Gegenwart oder Vergangenheit beziehen, Fotos oder Newsfeeds dazugehörten, konnte dies schon eine recht ansehnliche Datenernte nach sich ziehen - auch wenn die betreffenden Freunde nicht wussten und auch nicht zugestimmt hatten, dass ihre Daten im Interesse einer politischen Kampagne abgegriffen würden.
Sie freuten sich aber bestimmt, den Facebook-Freund persönlich kennenzulernen, der mit von der Partie sein konnte, wenn die Wahlkampftruppe, gestützt auf die Daten der App, die Nachbarschaft abgraste.
Das Ziel, das wusste auch die Computerwoche, war ein qualitatives, nämlich "nicht die meisten, sondern die richtigen Stimmen zu gewinnen", bei einer optimalen Relation zwischen Einsatz von Mitteln und Aussicht auf Erfolg.
Für dieses Ziel werteten in weiterer Folge 45 Datenanalytiker mehr als ein Jahr lang eine ständige wachsende Anzahl von sehr unterschiedlichen Daten aus, 120 Millionen Mal sei ein Telefonhörer in die Hand genommen worden, fünf Milliarden E-Mails seien verschickt worden, hinzu kämen Hausbesuche. Die Computerwoche erklärt auch, wozu das gut war:
Auf diese Weise wurden die Informationen immer mehr verfeinert und validiert. 'Experimente' mit kontrollierten Verhaltensänderungen (mehr E-Mails, weniger E-Mails, neue Informationskanäle etc.) halfen dem Team, seine Taktik zu perfektionieren.
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Zum Schluss habe man nicht nur eine Liste, sondern eine "Matrix von Wählerprofilen" gehabt, auf deren Basis unter Abgleich mit offline zugänglichen öffentlichen Statistikdaten man sich um eine möglichst zielsichere Wähleransprache bemühte.
Quod licet Axelrod, non licet Conway
Wären die russischen Hacker nicht noch mächtiger gewesen und hätte der Präsident der Russischen Föderation nicht gewusst, wie man mit noch geringerem finanziellem Aufwand und zum Teil auch noch Monate nach der Wahl durch kryptische Inserate in sozialen Medien das Ergebnis beeinflusst, wäre die Begeisterung der für ihre Innovationsaffinität bekannten deutschen Medien und Politiker für das Team von Wahlkampfleiterin Kellyanne Conway durchaus verständlich gewesen.
Ähm, sorry, der Autor dieser Zeilen ist gerade ein wenig durcheinandergekommen: Die oben geschilderten Lobeshymnen auf die intelligenten Datenprodukte für den Wahlkampf und den effizienten Einsatz von Facebook-Daten und Apps bezogen sich natürlich nicht auf die Kampagne Donald Trumps im Jahr 2016, sondern auf die Wiederwahlkampagne von Barack Obama 2012.
Entsprechend beziehen sich die nunmehrigen Verwünschungen, Zerschlagungs- oder Verstaatlichungsdrohungen empörter deutscher Politiker der demokratischen Parteien wie Katharina Barley, Robert Habeck oder Christoph Lauer gegen Facebook auch nicht auf die Art und Weise, wie Obama-Manager David Axelrod und dessen Mitarbeiter Big Data zu ihren Gunsten verwendet hatten.
Einzig der bei allen dem moralisch Guten verpflichteten Stützen der Gesellschaft flächendeckend für Schnappatmung sorgende "Datenskandal" um Cambridge Analytica ist es, der die Empörung aller billig und gerecht Denkenden auslöst. Im Wege einer weltlichen Analogie zum Katechismus der Katholischen Kirche legt dies die Annahme nahe, dass es sich beim nicht autorisierten Abgreifen von Daten der Freunde von Facebook-App-Nutzern immerhin nicht bereits anfänglich um eine "in sich schlechte" Handlung handeln kann.
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Natürlich sollte man abseits jedes sich auf geradezu brachiale Weise aufdrängenden Sarkasmus ob der offenkundigen Doppelstandards nicht verschweigen, dass es natürlich bestimmte Unterschiede in der Durchführung des Data Minings zwischen der Obama-Kampagne und Cambridge Analytica gab. Während zumindest die originären Nutzer der Obama-App bewusst der Verwendung ihrer (und ihrer Freunde) Daten durch eine politische Kampagne zugestimmt hatten, hatten die Cambridge-Analytica-Datenlieferanten lediglich von Persönlichkeitstests gewusst, wie man sie gerne auch mal in ruhigeren Stunden zum Zeitvertreib absolviert.
"Reichstagsbrand" für Social-Media-Zensoren?
Dass Facebook & Co. getreu dem mutmaßlich aus Wien stammenden Ausspruch "Umsonst ist der Tod, und der kostet das Leben" die kostenlose Nutzung sozialer Netzwerke für Milliarden Nutzer weltweit nicht allein für Gottes Lohn anbieten, sondern persönliche Daten als solche den Eintrittspreis in diese neue virtuelle Welt darstellen könnten, zeichnete sich jedoch bereits zu jenem Zeitpunkt ab, als die Spiele- und Quiz-Apps wie Pilze aus dem Boden zu schießen begannen.
Nutzer dieser Apps mussten bereits damals deren Zugriff auf die eigenen Daten explizit zustimmen. Nur höchst naive Zeitgenossen konnten davon ausgehen, dass diese nicht irgendwo gesammelt, analysiert, mit anderen verbunden oder an zahlende Kunden verkauft werden würden. Zu denen unter Umständen auch politische Parteien oder Kampagnen zählen konnten. Ob und inwieweit Cambridge Analytica zu welchem Zeitpunkt aufgrund von Vertragsbestimmungen gegenüber Facebook verpflichtet war, Daten zu löschen, ist dabei eine Frage, deren Klärung Zivilgerichten obliegt, und kein Anlass, nach staatlicher Repression gegen das Netzwerk zu rufen.
Eine Erfolgsgarantie sind auch die umfassenden Analysedaten von Cambridge Analytica indessen ohnehin nicht. Sie mögen Donald Trump bei der Mobilisierung zur Präsidentschaftswahl geholfen haben und bereits zuvor dem Senatskandidaten Thom Tillis in North Carolina, der 2014 den demokratischen Amtsinhaber aus dem Amt vertreiben konnte. Dem Senator Ted Cruz aus Texas, der Präsident werden wollte, nützten auch sie hingegen nichts - er unterlag Donald Trump ebenso deutlich wie 16 weitere zum Teil prominente Republikaner im Vorwahlkampf.
Der Skandal an der Datenaffäre von Cambridge Analytica ist deshalb nicht, dass ein Unternehmen Daten gesammelt, aus diesen Datenprodukte angefertigt und diese zu Marktpreisen an zahlende Kunden verkauft hat. Das Beängstigende ist, wie radikal etatistische Politiker in Deutschland auf Halbwissen, kurzes Gedächtnis und Ressentiments spekulieren und den Vorfall zu einer Art Reichstagsbrand hochzustilisieren mit dem Ziel, über eine Kontrolle von Facebook gegen politisch oppositionelle Bestrebungen vorzugehen.
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