Meinung

Der Kampf um Eurasien: Wie Deutschland seine Chancen verspielt

Während Russland und China mit der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Neuen Seidenstraße bedeutsame Schritte in Richtung einer eurasischen Integration setzen, bleiben Berlin und Brüssel hartnäckig abseits. Sie schaden sich damit in erster Linie selbst.
Der Kampf um Eurasien: Wie Deutschland seine Chancen verspielt Quelle: www.globallookpress.com © Global Look Press

von Zlatko Percinic

Der Kampf um Eurasien ist schon längst ausgebrochen, obwohl das chinesische Generationenprojekt BRI (Belt and Road Initiative) oder OBOR (One Belt - One Road) noch nicht einmal so richtig begonnen hat. Selbst kleine osteuropäische Staaten wie Slowenien, Estland und Litauen haben bereits eine Absichtserklärung unterschrieben, sich der Initiative anzuschließen und Teil dieser Vision zu werden. Das Ziel ist das gleiche wie bei der historischen Seidenstraße: die Verbindung von Kontinenten und damit Märkten, Menschen und Wissen.

Doch es ist ausgerechnet Deutschland, eines der wichtigsten "Zielländer" des länderübergreifenden Projektes, das sich dagegen sperrt. Doch mit dem zwar mittlerweile von Washington fallengelassenen, aber zuvor von den USA geforderten Freihandelsabkommen TTIP, das Russland ausschloss, und dem pazifischen Gegenstück TPP (Transpazifische Partnerschaft), welches ausdrücklich China ausschloss, wurde Berlin selbst in eine unangenehme Situation manövriert. Nur wenige Monate nach dem Beginn der TTIP-Verhandlungen im Sommer 2013 brachen in der Ukraine Unruhen aus, nachdem sich die damalige Regierung von Wiktor Janukowytsch am Ende geweigert hatte, das von der EU ausgearbeitete Assoziierungsabkommen zu unterschreiben. Diese Unruhen gipfelten schließlich in einem Putsch gegen Janukowytsch, der hauptsächlich von Ultranationalisten und Neonazis durchgeführt wurde.

Dass Washington ausgerechnet China und Russland aus den jeweiligen Freihandelsabkommen ausschließen wollte, lag daran, dass sich die USA vor den anbahnenden Projekten auf dem eurasischen Kontinent fürchtete, weil deren Kontrolle nicht in den Händen der Amerikaner lag. Natürlich wollten sie nichts von Putins "Plädoyer für eine Wirtschaftsunion von Lissabon bis Wladiwostok" wissen, die dieser in einem Meinungsartikel in der Süddeutschen Zeitung im November 2010 angesprochen hatte. Im Gegenteil. Ganz im Sinne der neokonservativen Elite in den USA, die "vor allem eine stabile amerikanische Vormachtstellung in Eurasien" vorsah, wie Spiegel Online noch im Jahr 2003 berichtete, war es keiner Regionalmacht erlaubt, "auch nur eine größere regionale oder globale Rolle spielen zu wollen". So deklarierte auch die Trump-Regierung in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) von 2017:

China und Russland fordern die amerikanische Macht, Einfluss und Interessen heraus, (und) versuchen die amerikanische Sicherheit und Prosperität zu untergraben.

Großeuropäische Machtpolitik statt eurasischer Win-Win-Optionen

Obwohl das Thema "Eurasien" schon im Zarenreich ein Thema war, kam die moderne Fassung der Idee aus Kasachstan. Und das bereits 1994, als der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew in einer Rede an der staatlichen Universität von Moskau von einer "Eurasischen Union" sprach. Die Auflösung der Sowjetunion hinterließ tiefe und schmerzhafte Spuren in der Wirtschaft der Nachfolgerepubliken, was diese zum Handeln zwang. Es sollten aber noch Jahre und ein Zwischenkonstrukt in Form der Zollunion vergehen, bis am 1. Januar 2015 die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU) auf den Beiden stand.

Wenn es nach den Initianten der EAEU ginge, bestünde die ideale Formation aus allen ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken. Doch mit der zwischenzeitlichen Ausweitung der Europäischen Union nach Osteuropa und der so genannten "Östlichen Partnerschaft", welche die gleichen Länder umwirbt wie die EAEU, besteht die Eurasische Wirtschaftsunion zurzeit aus Russland, Weißrussland, Kasachstan, Armenien und der Kirgisischen Republik: Immerhin ein Wirtschaftsraum von 20,2 Millionen Quadratkilometern, 183 Millionen Menschen und einem BIP von 1,7 Billionen US-Dollar. Dazu im Vergleich die Europäische Union: 4,38 Millionen Quadratkilometer, 512 Millionen Menschen, BIP von 19,4 Billionen US-Dollar.

In Anbetracht dessen, dass diese Region wirtschaftlich hinterherhinkt und dazu noch über die teilweise größten Rohstoffvorkommen der Welt verfügt, sieht man, welch riesiges Potenzial sich für europäische Unternehmen eröffnet. Statt einer wahren "östlichen Partnerschaft", die die Gegebenheiten der Länder respektiert und eigene Großmachtbestrebungen nach hinten stellt, versucht die Europäische Union, die kleinen, aber geostrategisch wichtigen Staaten in den eigenen Orbit zu ziehen. Wie weit man bereit ist, zu gehen, hat auf erschreckende Weise die Ukraine gezeigt. Ob gewollt oder nicht, Brüssel - und damit auch Berlin - hat in Kiew fast siebzig Jahre nach dem Sieg über die Nazis einen Pakt mit den ehemaligen Besiegten geschlossen, und wird sie jetzt nicht mehr los. Als Kiew seine Panzer und Luftwaffe gegen die eigene Bevölkerung im Osten des Landes in Bewegung setzte, erschien ein Artikel bei der europäischen Variante des Council on Foreign Relations, dem ECFR, dass sich Deutschland entscheiden muss:

Berlin ist sich auch bewusst, dass, sollte der Konflikt eskalieren, Deutschlands Rolle als Mediator stillgelegt wird und Berlin eine Seite wählen muss. Die deutsche Regierung möchte das (fast) um jeden Preis verhindern. Aber es ist genau das, was sehr wahrscheinlich passieren wird.

China besetzt von EU eröffnete Freiräume

Nun, Berlin hat sich entschieden. Für die Ukraine, für das Schreckgespenst der Neonazis in den Straßen der Westukraine, für die USA und möglicherweise für eine Konfrontation mit Russland. Damit erfüllte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Herzenswunsch der neokonservativen Eliten, die eine aktivere und vor allem aggressivere Rolle Deutschlands gegenüber Russland fordern.

Damit hat sich die Europäische Union in eine Sackgasse manövriert. Noch während man auf ein Freihandelsabkommen mit den USA wartet, welches möglicherweise nie kommen wird und obendrein mit erheblichen Zweifeln behaftet ist, nutzt China dieses europäische Zaudern in Eurasien aus. Geschickt hat Peking die antirussische Politik der wichtigsten EU-Mitglieder ausgenutzt und sich in Eurasien mit Milliardeninvestitionen einen Sitz in der ersten Reihe gesichert. Statt sich einen Platz auf der Bank neben China zu reservieren, das auf dem riesigen eurasischen Markt seine aus der Finanzkrise und aus den darob ergriffenen staatlichen Maßnahmen resultierende Überkapazität exportieren wird, spielt Deutschland mit dem Feuer. Wie schnell ein Wirtschaftskrieg daraus werden könnte, zeigte erst jüngst US-Präsident Trump. Zwar ist man in Europa vorerst nochmal davongekommen, ob aber die richtigen Rückschlüsse daraus gezogen wurden, darf mehr als bezweifelt werden.

Wie es in einer global vernetzten Welt sein kann, dass ausgerechnet die Europäische Union, die sonst mehr oder weniger auf der ganzen Welt Freihandels- und Wirtschaftsabkommen schließt, den eurasischen Kontinent außen vorlässt, ist unerklärbar und grenzt schon an Fahrlässigkeit.

Merkels fauler Trick rund um das Minsk-Abkommen

Ja, die Kanzlerin hat immer mal wieder ein paar Leckerlis in Richtung Moskau geworfen. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2015 sprach sie von "Möglichkeiten einer Kooperation in einem gemeinsamen Handelsraum". Ähnliches meinte sie auch am CDU-Landesparteitag von Mecklenburg-Vorpommern in Güstrow 2016:

Ich bin dafür, dass Russland Schritt für Schritt auch enger an den europäischen Wirtschaftsraum heranrückt, dass wir am Schluss eine gemeinsame Wirtschaftszone von Wladiwostok bis Lissabon haben.

Das alles könne in Angriff genommen werden, sobald Russland die Minsker Abkommen umsetze, heißt es von Merkel. Dass aber Russland gar nicht Vertrags- beziehungsweise Konfliktpartei ist, sondern wie Deutschland für die Ukraine nur ein Garant für die selbstausgerufenen Volksrepubliken, ignoriert sie einfach. So stellt die Bundeskanzlerin sicher, dass die Forderungen nie erfüllt werden können und die in Aussicht gestellten "Möglichkeiten einer Kooperation in einem gemeinsamen Handelsraum" nichts weiter als Augenwischerei sind.

So überlässt die Europäische Union - und damit auch Deutschland - den Chinesen das Spielfeld auf dem eurasischen Kontinent. Wobei Russland bedacht ist, sich nicht von Peking abhängig zu machen und versucht, bei der Vergabe von Lizenzen in verschiedenen Investitionsprojekten auch Chinas Konkurrenten wie Japan, Südkorea und Indien ins Boot zu holen. Dennoch machten die Präsidenten der beiden Verfechter einer multipolaren Weltordnung, China und Russland, klar, dass die Eurasische Wirtschaftsunion mit der chinesischen Belt and Road Initiative zusammengehen soll, was zu einem gigantischen Wirtschaftsblock führen würde.

Außerdem könnte die EU auch ihre Sorgen um die Energieversorgung vielleicht nicht ad acta legen, aber ganz sicher erheblich mindern und die krampfhafte Suche nach einer Umgehung von russischem Gas aufgeben. Länder wie Kasachstan, Turkmenistan und der Iran mit ihren gewaltigen Gasvorkommen wären dann in den Startlöchern, um zusammen mit Russland Kunden in Europa und Asien zu beliefern - ganz im Sinne der eurasischen Integration.

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