Meinung

Vassalentreue oder Solidarität? Der Fall Skripal und die Bundesregierung

Bereits mit ihrem ersten außenpolitischen Schritt - bedingungslose Unterstützung Großbritanniens in der Kampagne gegen Russland - beginnt die Bundesregierung das Vertrauen der Bürger zu verspielen: Internationale Normen werden ignoriert, wenn es um Russland geht.
Vassalentreue oder Solidarität? Der Fall Skripal und die Bundesregierung

von Wladislaw Sankin 

Nur mit Befremden konnte man nach einem Gabriel-Jahr im Außenamt den ersten Auftritt von Heiko Maas als Bundesaußenminister ansehen. Diesen Eindruck sollten zumindest diejenigen bekommen, die Hoffnung hatten, dass das deutsche Außenamt der neuen Großen Koalition die Triebe des Dialogs in der Russlandpolitik, die sich zu Zeiten Sigmar Gabriels langsam ansetzten, weitertragen werden.

Von Gabriel ans Pult begleitet, las Heiko Maas das "Vater unser" der antirussischen Rhetorik der letzten Jahre vom Blatt vor: Die wichtigsten russischen "Sünden", um sich am Ende der britischen Vorverurteilung Russlands auch im Skandal um die mutmaßliche Vergiftung eines britisch-russischen Ex-Doppelagenten und dessen Tochter anzuschließen. Die britische Regierung beschuldigte Russland haltlos und ohne jegliche Ermittlung, diese mit einem "Kampfgas" töten zu wollen.

Zusammen mit seinen engsten "Bündnispartnern", Großbritannien, Frankreich und den USA, setzte sich auch die Bundesregierung demonstrativ über alle rechtsstaatliche Prinzipien und internationale Normen hinweg. Alle berechtigten Fragen zum Motiv der vermeintlichen Tat, zur Unschuldsvermutung und zum von den Briten ignorierten festgeschriebenen Ermittlungsprozedere beim Verdacht auf einen chemischen Angriff wischte sie beiseite. Dabei stellte sie sich allerdings nicht nur gegenüber Russland samt Außenminister, UN-Vertretern und Chemiewaffenexperten taub, sondern auch gegen die eigene Öffentlichkeit.

Bundespressekonferenz: taub und blind, dafür aber "politisch"

Die Bundespressekonferenz am 16. März zeigte es mit aller Deutlichkeit. Als das Arsenal der gebetsmühlenartigen Wiederholung aus der besagten Erklärung nicht mehr für eine plausible Antwort ausreichte, aber die bohrenden Fragen der Journalisten nicht aufhörten, deklarierte Rainer Breul, es handele sich dabei vor allem um eine "politische Reaktion mit unseren engsten Bündnispartnern".

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In dieser Politik begrüßt also die neue Bundesregierung ausdrücklich als Art und Weise einer Konfliktlösung einer Kriegserklärung ähnelnden Ultimaten, die ein Atomstaat einem anderen stellt. Sie begrüßt auch die Tricks ihrer Bündnispartner beim Umgehen elementarer rechtlicher Normen wie Unschuldsvermutung, geschweige denn Anstand, als diese in Gestalt des britischen Außenministers die russische Führung und Wladimir Putin persönlich für die vermeintliche Vergiftung beschuldigte.

Dafür müsste man nur Schwarz-Weiß nennen und umgekehrt. Es seien die Russen und nicht die Briten, die laut Bundesregierung Transparenz schaffen müssten: Alle relevante Informationen, einschließlich dem Gesundheitszustand der Opfer, werden von den Ermittlern geheim gehalten. Russland hat zu nichts Zugang, was für eine Ermittlung relevant sein kann, muss aber seine Schuld bereits bekennen. Tut die russische Regierung das nicht, ist sie dann umso mehr Schuld. Die von der Bundesregierung gelobte Wendung Großbritanniens an die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) wurde später nachgeschoben, als die Anschuldigungen gegen Russland in alle Welt getragen wurden. Dies sei auf Druck Russland erfolgt, behauptet der russische Botschafter Alexander Jakowenko in Großbritannien.

Die Motive für das schaurige Theater, das Großbritannien der Welt seit knapp zwei Wochen so entschlossen präsentiert, haben die Briten selbst in einer entwaffnenden Ehrlichkeit vorgetragen. Die Zwischenrufe der Parlamentarier und Statements einiger Regierungsvertreter waren dabei besonders aufschlussreich. "Russischen Besitz beschlagnahmen", die Austragung der Fußballweltmeisterschaft in Russland und den energetischen Brückenschlag nach Europa, Nord-Stream 2, verbieten – war im Parlament während und nach Mays wütendem Auftritt im Unterhaus zu hören. May selbst kündigte die verstärkte Truppenverlegungen vor die russische Grenze an und drohte mit einer gemeinsamen NATO-Antwort. 

Die Regierung legte nach. "Russland, halt die Klappe und verschwinde" sagte der britische Verteidigungsminister. Kurz darauf erklärte Außenminister Boris Johnson den Kreml zu einem planetarischen Weltübel, der nur im Sinn hat, chemische Waffen gegen ahnungslose Bewohner westlicher Städten nach Belieben einzusetzen. Dieser Wunsch sollte von einer Art "Russenheit" hergeleitet werden. Was macht die deutsche Presse daraus? Sie hofiert Johnson mit Leitartikeln, während die Bundesregierung ihm ebenso an den Lippen hängt. An seinem diplomatischen Stil hat Berlin nichts auszusetzen.

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Alle Optionen gegen Russland bereithalten

Großbritannien – glaubt man seinen Vertretern - wäre also nur dann glücklich, wenn Russland ganz verboten würde. Das ist aber unrealistisch. Russland hat im Laufe der Jahrhunderte auch nach den schwersten Niederlagen und Demütigungen seine Fähigkeit bewiesen, sich wiederaufzurichten. Man propagiert deswegen eine andere Lösung herbei: Das größte Land der Erde soll derart dämonisiert werden, dass man "alle Optionen" gegen es haben kann.

Da handelt Großbritannien als Meister der Massenmanipulation nach einer Logik der Kriegsvorbereitung. Zunächst soll die Öffentlichkeit so gegen den vermeintlichen Feind eingestimmt werden, dass sie schließlich die eigene Führung darum bittet, immer härter gegen diesen durchzugreifen. Diese Logik konnte man bereits in den deutschen Meldungen zu diesem Thema nachlesen: Angeblich geriet Theresa May derart unter Druck, dass sie zu ihrem Angriff gegen Russland von der verängstigten Öffentlichkeit geradezu gezwungen wurde. Dass Großbritannien von Anfang an rechtliche und diplomatische Normen ignoriert hat, ist auch ein Zeichen davon. Gegen Russland gelten die Regeln nicht. Am Ende soll nur ein Recht gelten: das Recht auf Selbstverteidigung. In dem Narrativ der penetranten antirussischen Propaganda der letzten Jahre ist Russland derart unberechenbar oder eben berechenbar bösartig, dass es nur eine Lösung gibt: Krieg auf informationeller, wirtschaftlicher und diplomatischer Ebene - also kalter Krieg.

Dass gerade die britischen Medien gut daran sind, den Kriegsantritt sozusagen herbeizuschreiben, hat beispielsweise der Krim-Krieg bewiesen, der einzige Krieg, bei dem die britischen und russischen Truppen gegeneinander unmittelbar kämpfen mussten. Nach einer Dämonisierungskampagne gegen den "verrückten Despoten" Nikolai I war die britische Öffentlichkeit im Jahre 1853 bereit, auch drohende eigene Verluste im Krieg gegen ihn auf der entfernten Halbinsel Krim in Kauf zu nehmen.

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Bereits in Vergangenheit Fälschungen untergeschoben

Genauso geschickt können die Briten mithilfe von Fälschungen historische Prozesse steuern und diese beispielsweise durch Legung einer falschen Spur in eine für eine bestimmte Elitengruppe nützliche Richtung umlenken. So war es mit einem gefälschten Brief des Vorsitzenden der Kommunistischen Internationalen, Grigori Sinowjew, der Fall, der im Oktober 1924 angeblich abgefangen wurde. Der Brief war angeblich an das britische Proletariat adressiert und rief dazu auf, Streiks durchzuführen und Unruhen zu stiften, um damit die Weltrevolution in Gang zu setzen.

Der Brief wurde am 25. Oktober von der Daily Star veröffentlicht, und der enorme Skandal, der danach folgte, konnte die von der Labour-Regierung des James Ramsay McDonald angestrebte Wiederaufnahme der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Großbritannien und der jungen UdSSR verhindern. Bereits die Formulierungen wiesen auf den gefälschten Charakter des Briefes hin. Die Ansicht des Briefes wurde den sowjetischen Diplomaten verwehrt. Erst Jahrzehnte später, in den 1990er Jahren, hat man die grobe Fälschung zu Gesicht bekommen.

Keiner kann die britische Regierung davon abhalten, ihre eigenen Obsessionen und geopolitischen Ziele gegen Russland zu haben. Aber die Regierung der Bundesrepublik Deutschland täte gut daran, die Briten da alleine zu lassen. Es steht der Frieden auf dem europäischen Kontinent auf dem Spiel. Ein Bekenntnis zu derart aggressiven Kampagnen in kriegsähnlicher Rhetorik, wie es Großbritannien derzeit gegen Russland führt, ist kein Akt der Solidarität. Es sieht vielmehr nach einem gezwungenen Vassalenbekenntnis aus, das trotz Propaganda auch im eigenen Land auf wenig Verständnis stößt.

Da macht das vermeintlich autoritär-aggressive Russland dem westlichen Bündnis in Sachen Freiheit etwas vor: Denn seine engsten Verbündeten in der Organisation des Vertrags über die kollektive Sicherheit und der Eurasischen Wirtschaftsunion, Kasachstan und Weißrussland, führen eine von Russland unabhängige Außenpolitik, was z. B. in der neutralen Position Weißrusslands im Ukraine-Konflikt und der militärischen Zusammenarbeit Kasachstans mit den USA seinen Ausdruck findet. Und Russland macht kein Drama daraus. 

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